Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.03.2012, Az. XI B 97/10

11. Senat | REWIS RS 2012, 8451

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Gegenstand

Klagestattgabe nach vorangegangener Abweisung eines Aussetzungsantrags durch anderen Senat keine Divergenz


Leitsatz

NV: Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen, wenn das FG der Klage mit der Begründung stattgegeben hat, das FA habe nicht die wirksame öffentliche Bekanntgabe der Bescheide nachgewiesen, nachdem zuvor ein anderer Senat im Aussetzungsverfahren Zweifel an der Einhaltung der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung verneint hatte. Denn die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ergeht in einem summarischen Verfahren, bei dem in der Regel auf der Grundlage einer eingeschränkten Sachverhaltsermittlung entschieden wird .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) legte am 7. August 2009 zunächst gegen die [X.] für das [X.] Quartal 1993 sowie gegen die Festsetzung von [X.] zur [X.] für das [X.] Einspruch ein. Unter dem 27. Oktober 2009 legte er auch gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1993 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Bescheide seien ihm (seinerzeit) nicht wirksam zugegangen. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) verwarf die Einsprüche als unzulässig.

2

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage antragsgemäß statt und hob den Umsatzsteuerbescheid für 1993 sowie die Bescheide über [X.] zur [X.] für das [X.] sowie zur Umsatzsteuer für 1993 "zur Beseitigung des Rechtsscheins" auf. Das [X.] habe nicht nachgewiesen, dass die Bescheide ordnungsgemäß bekanntgegeben worden seien. Es sei wegen der fehlenden Steuerakten nicht mehr überprüfbar, ob das [X.] eine Zustellung der Steuerbescheide an den Kläger unter dem vom Postamt mitgeteilten Postfach versucht habe. Das [X.] sei daher nicht davon überzeugt, dass die Voraussetzungen einer wirksamen öffentlichen Zustellung eingehalten worden seien.

3

Das [X.] macht mit seiner Beschwerde geltend, die Revision sei zuzulassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) und weil ein Verfahrensfehler vorliege, auf dem die Vorentscheidung beruhen könne (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde ist teilweise unzulässig und teilweise unbegründet, so dass sie insgesamt als unbegründet zurückzuweisen ist (vgl. z.B. Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 26. September 2005 [X.], [X.], 517; vom 26. Oktober 2011 [X.]/10, [X.], 263).

5

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

6

a) Wird die Beschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O), so muss zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O in der Beschwerdebegründung eine bestimmte --abstrakte-- klärungsbedürftige und in dem angestrebten Revisionsverfahren auch klärbare Rechtsfrage herausgestellt und --unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und [X.] deren Bedeutung für die Allgemeinheit substantiiert dargetan werden (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 26, 32, m.w.N.). Dazu gehört auch, dass sich der Beschwerdeführer mit der bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 116 Rz 32, 33, m.w.N. aus der Rechtsprechung des [X.]).

7

b) Das [X.] hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, "welche Anforderungen an den Beweis über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nach Vernichtung der Steuerakten aufgrund des Ablaufs der Aufbewahrungspflichten zu stellen sind". Es verweist in diesem Zusammenhang u.a. darauf, mit der Angelegenheit seien der [X.] und Ministerien der Landesregierung sowie die [X.] befasst gewesen, ohne dass vom Kläger oder sonst irgendjemand geltend gemacht worden sei, es fehle an einer wirksamen öffentlichen Zustellung.

8

Das [X.] hat nicht entsprechend § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O dargetan, dass sich die vorgetragene Rechtsfrage nicht auf der Grundlage der bereits ergangenen Rechtsprechung klären ließe. Soweit es sich im Wesentlichen auf die --außergewöhnlichen-- Umstände des Streitfalls bezieht, betreffen diese einen konkreten Einzelfall und sind als solche nicht geeignet zu begründen, dass die Klärung der Rechtsfrage im Interesse der Allgemeinheit liegt (vgl. z.B. [X.] vom 23. August 2011 IX B 63/11, [X.], 53, unter 1.; vom 10. November 2011 [X.], [X.], 459, unter II.a).

9

2. Das [X.] hat ferner nicht dargetan, dass wegen einer Divergenz die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordere (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O).

a) Zur Zulässigkeit einer auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer dartun, dass das vorinstanzliche Gericht bei einem gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage dem angefochtenen Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem --ebenfalls tragenden-- abstrakten Rechtssatz einer Entscheidung des [X.] abweicht. Das setzt voraus, dass der Beschwerdeführer die betreffenden Rechtssätze der Vorentscheidung und des [X.] so genau bezeichnet, dass die behauptete Abweichung erkennbar wird (vgl. Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 48 ff. und § 116 Rz 42 f.). Ein Abweichen in der Würdigung von Tatsachen oder eine fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalls oder bloße Subsumtionsfehler des [X.] geltend zu machen, genügt nicht (vgl. z.B. [X.] vom 25. Oktober 2004 III [X.]/03, [X.]/NV 2005, 339; vom 18. Mai 2011 XI B 57/10, [X.]/NV 2011, 1704).

b) Soweit sich das [X.] in diesem Zusammenhang auf den [X.]-Beschluss vom 30. Januar 2009 [X.]/08 ([X.]/NV 2009, 1077) beruft, fehlt es bereits an einem vergleichbaren Sachverhalt, weil das [X.] dort zu der Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) gelangt war, dass sich die wirksame Bekanntgabe der Steuerbescheide aus den dortigen Vollstreckungsakten hinreichend sicher ergab. Davon war im vorliegenden Streitfall das [X.] hingegen nicht überzeugt. Überdies fehlt in der Beschwerdeschrift die erforderliche Gegenüberstellung divergierender Rechtssätze (Beschwerdeschrift, S. 8).

c) Eine Divergenz in dem vorbezeichneten Sinne besteht auch nicht zu der vom [X.] genannten Entscheidung des 15. Senats des Niedersächsischen [X.] vom 9. März 2010  15 V 428/09 zu einer im Streitfall ergangenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Denn die Entscheidung des 15. Senats des Niedersächsischen [X.] erging in einem summarischen Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung, bei dem in der Regel auf der Grundlage einer eingeschränkten Sachverhaltsermittlung entschieden wird (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 22. Januar 1985 [X.], [X.]E 144, 533, [X.] 1986, 136, unter 3., m.w.N.; Gräber/[X.], a.a.[X.], § 69 Rz 120 ff.).

Das [X.] führt in der Beschwerdeschrift selbst aus, der 15. Senat des Niedersächsischen [X.] habe in dem bezeichneten Beschluss entschieden, dass "nach summarischer Prüfung" keine Zweifel an der wirksamen Bekanntgabe der Bescheide bestünden (Beschwerdeschrift, S. 9).

3. Die Revision ist schließlich auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers des [X.] zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

a) Das [X.] trägt hierzu zum einen vor, das [X.] habe bei seiner Überzeugungsbildung nach den vorgelegten Akten klar feststehende Tatsachen unberücksichtigt gelassen. Denn aus den Adressen auf den noch vorhandenen Rückstandsanzeigen in der dem [X.] vorgelegten Vollstreckungsakte sei ersichtlich, dass das [X.] zunächst das vom Postamt mitgeteilte Postfach "[X.] gespeichert" habe; aus der später (am 18. Oktober 1995) vorgenommenen Änderung der Speicherung in "unbekannt verzogen" ergebe sich der einzig denkbare Schluss, dass man vor dieser Änderung unter der Adresse des Postfachs offensichtlich einen vergeblichen Zustellungsversuch unternommen habe.

Damit hat das [X.] jedoch keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem das [X.]-Urteil i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O "beruhen" könnte. Denn es macht insoweit nur geltend, das [X.] habe aus dem Akteninhalt nicht die --nach Auffassung des [X.]-- zwingende Schlussfolgerung gezogen und seine Entscheidung sei daher inhaltlich falsch. Mit derartigen Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung einschließlich der Tatsachen- und Beweiswürdigung macht das [X.] indes keinen Grund für die Zulassung der Revision geltend (vgl. z.B. [X.] vom 2. Oktober 2007 [X.], [X.]/NV 2008, 92; vom 28. November 2008 [X.]/07, [X.]/NV 2009, 601).

b) Zum anderen sieht das [X.] einen Verfahrensfehler darin, dass das [X.] nicht auch über die [X.] für das [X.] Quartal 1993 entschieden habe. Diese Bescheide seien gleichfalls Gegenstand des Klageverfahrens gewesen. Sie wären nach dem [X.]-Urteil vom 15. Juni 1999 [X.] ([X.]E 189, 14, [X.] 2000, 46) nur dann durch einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid --auf andere [X.] erledigt worden, wenn auf die [X.] tatsächlich ein Umsatzsteuer-Jahresbescheid gefolgt sei. Nach dem Urteil des [X.] sei aber --mangels ordnungsgemäßer [X.] gerade kein derartiger wirksamer Jahresbescheid nachgefolgt. Das [X.] habe die Sache somit [X.] nur unvollständig erledigt.

Die Beschwerde ist insoweit aber unbegründet. Denn ausweislich der einleitenden Bemerkung des [X.] in seinem Urteil haben die Beteiligten nur darüber gestritten, "ob der Umsatzsteuerbescheid 1993 sowie [X.] betreffend die 4. Vorauszahlung zur Umsatzsteuer bestandskräftig gegenüber dem Kläger festgesetzt wurden". Von den [X.]n für das [X.] Quartal 1993 war danach keine Rede. Sie waren auch nicht Gegenstand des insoweit maßgeblichen Klageantrags (vgl. [X.]-Beschluss vom 29. August 2011 [X.]/10, [X.], 286, unter 1.a [X.]) des [X.]. Deshalb bestand für das [X.] keine Veranlassung, sich zu diesen Bescheiden zu äußern.

Meta

XI B 97/10

07.03.2012

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 29. September 2010, Az: 2 K 341/09, Urteil

§ 69 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.03.2012, Az. XI B 97/10 (REWIS RS 2012, 8451)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8451

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