Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.06.2013, Az. 10 C 25/12

10. Senat | REWIS RS 2013, 5039

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Tatbestand

1

Die Klägerin, eine [X.] Staatsangehörige, begehrt die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung mit ihrem [X.] [X.]

2

Der am 13. Februar 1992 geborene [X.], ebenfalls ein [X.]r Staatsangehöriger, reiste 2008 als Minderjähriger nach [X.] ein. Ihm wurde im September 2009 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Er erhielt zunächst eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 [X.] und im Oktober 2012 eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 [X.].

3

Seine Mutter beantragte für sich und zwei weitere Kinder im Oktober 2009 bei der [X.] in [X.] Visa zur Familienzusammenführung, die zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 6. März 2011 abgelehnt wurden.

4

Die Verpflichtungsklage der Klägerin hatte beim Verwaltungsgericht Erfolg; die Klagen ihrer Kinder wurden rechtskräftig abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 29. August 2012 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es ist der Auffassung, beim [X.] der Klägerin aus § 36 Abs. 1 [X.] komme es für die Minderjährigkeit ihres Kindes auf den Zeitpunkt der Stellung des [X.] an. Insoweit sei der [X.] der Eltern wie der [X.] minderjähriger Kinder zu ihren Eltern nach § 32 [X.] zu behandeln. Maßgeblich sei daher, dass [X.] minderjährig gewesen sei, als die Klägerin das Visum beantragt habe.

5

Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Revision geltend, dass ein [X.] der Klägerin aus § 36 Abs. 1 [X.] mit Eintritt der Volljährigkeit ihres [X.]es erloschen sei. Der temporäre Elternnachzug zur Beseitigung eines Betreuungsnotstandes sei nicht mit dem auf Aufenthaltsverfestigung zielenden Kindernachzug vergleichbar.

6

Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Aus Gründen des Vertrauensschutzes sei der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat Erfolg. Die angefochtene Entscheidung verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da das Berufungsgericht bei der Prüfung des § 36 Abs. 1 [X.] für das personenbezogene Merkmal der Minderjährigkeit des Flüchtlings zu Unrecht auf den [X.]punkt der Stellung des Visumantrags der Klägerin abgestellt hat. Vielmehr ist der Anspruch der Klägerin nach § 36 Abs. 1 [X.] mit Erreichen der Volljährigkeit des [X.] am 13. Februar 2010 erloschen. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

8

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei [X.] auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der [X.]punkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, vgl. Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 [X.] 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = [X.] 402.242 § 32 [X.] Nr. 4 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des [X.] - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 [X.] 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = [X.] 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher ist das Nachzugsbegehren der Klägerin an dem [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/[X.] und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 ([X.]). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

9

1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrem in [X.] lebenden [X.] aus § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 [X.] bejaht. Nach § 36 Abs. 1 [X.] ist den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 [X.] oder eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 [X.] besitzt, abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.] eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Einreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 [X.] ein Visum - zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im [X.] aufhält. Die Vorschrift wurde durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 neu eingeführt und setzt Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/[X.] um, der den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, zugunsten eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings den Nachzug "seiner Verwandten in gerader aufsteigender Linie ersten Grades" zu gestatten (vgl. BTDrucks 16/5065 S. 176). Sie dient dem Schutz des unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings und seinem Interesse an der [X.] mit seinen Eltern (Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 [X.] 9.12 - Rn. 12 - zur [X.] in BVerwGE vorgesehen).

a) Der Klägerin stand der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 [X.] allerdings zum [X.]punkt der Antragstellung im Oktober 2009 zu. Denn ihr minderjähriger [X.] war zu jener [X.] im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 [X.] und es hielt sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im [X.] auf.

§ 36 Abs. 1 [X.] ist auch nicht etwa teleologisch zu reduzieren, wenn neben dem unbegleiteten [X.] in [X.] weitere minderjährige Kinder im Heimatland zu betreuen sind (Urteil vom 18. April 2013 a.a.[X.] Rn. 14). Denn die Entscheidung über die Sorge für ihre Kinder obliegt gemäß Art. 6 Abs. 2 GG vorrangig den Eltern (so auch [X.], in: GK-[X.], § 36, Stand: Februar 2013, Rn. 25). Es sind keine Gründe ersichtlich, warum im vorliegenden Fall das Kindeswohl eine Korrektur der elterlichen Entscheidung gebieten sollte.

b) [X.] der Klägerin ist allerdings mit Eintritt der Volljährigkeit ihres [X.] am 13. Februar 2010 erloschen. Denn der Anspruch auf Nachzug der Eltern zum unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach § 36 Abs. 1 [X.] besteht nur bis zu dem [X.]punkt, zu dem das Kind volljährig wird. Anders als beim [X.] nach § 32 [X.] reicht eine Antragstellung vor Erreichen der Volljährigkeit nicht aus, um den Anspruch zu erhalten (vgl. dazu ausführlich Urteil vom 18. April 2013 a.a.[X.] Rn. 17 ff.).

2. Das Nachzugsbegehren der Klägerin lässt sich auch nicht auf § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 [X.] stützen. Nach diesen Vorschriften kann sonstigen Familienangehörigen ein Visum zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Das setzt nach der Rechtsprechung des [X.] voraus, dass der im Ausland lebende Familienangehörige kein eigenständiges Leben mehr führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in [X.] erbracht werden kann (Urteile vom 10. März 2011 - BVerwG 1 [X.] 7.10 - [X.] 402.242 § 7 [X.] Nr. 5 = NVwZ 2011, 1199 und vom 18. April 2013 - BVerwG 10 [X.] 10.12 - Rn. 37 ff., zur [X.] in BVerwGE vorgesehen). Derartiges ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Meta

10 C 25/12

13.06.2013

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Berlin, 14. Oktober 2011, Az: 3 B 16.12, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.06.2013, Az. 10 C 25/12 (REWIS RS 2013, 5039)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5039

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