Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.08.2012, Az. IX B 44/12

9. Senat | REWIS RS 2012, 3850

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Gegenstand

NZB: Festsetzungsverjährung, Abgangsvermerk der FA-Poststelle, Beweiswürdigung


Leitsatz

1. NV: Im Falle des Fehlens eines Absendevermerks der Poststelle des Finanzamts hat das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu beurteilen, ob es die --zur Wahrung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO erforderliche-- rechtzeitige Absendung des maßgeblichen Steuerverwaltungsakts für nachgewiesen hält oder nicht; eine Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises kommt insoweit nicht in Betracht.   

2. NV: Greift der Steuerpflichtige das Ergebnis dieser Beweiswürdigung an, legt er die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht hinreichend dar.   

3. NV: Ein fachkundig vertretener Beteiligter muss gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten. Mit dem Hinweis, er habe nicht damit rechnen können, dass das FG einen letztlich im Urteil eingenommenen Rechtsstandpunkt vertreten werde, legt ein fachkundig vertretener Beteiligter regelmäßig nicht die Rüge mangelnder Sachaufklärung hinreichend dar.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Entgegen der Auffassung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die Revision nicht zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative der Finanzgerichtsordnung --[[X.].]O--) zuzulassen.

3

Das Finanzgericht ([[X.].]) ist im Einklang mit der Rechtsprechung des [[X.].] ([[X.].]) zu den Voraussetzungen der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung ([[X.].]) zutreffend davon ausgegangen, dass es im Falle des Fehlens eines Absendevermerks der Poststelle nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu beurteilen habe, ob es die [[X.].] Wahrung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [[X.].] erforderliche-- rechtzeitige Absendung des maßgeblichen Steuerverwaltungsakts für nachgewiesen hält oder nicht, und eine Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises insoweit nicht in Betracht komme (vgl. [[X.].]-Entscheidungen vom 28. September 2000 III R 43/97, [[X.].]E 193, 28, [[X.].] 2001, 211; vom 19. August 2002 I[[X.].] 179/01, [[X.].]/NV 2003, 138; vom 26. Januar 2010 [[X.].] 147/09, [[X.].]/NV 2010, 1081).

4

Nach diesen Grundsätzen ist das [[X.].] aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme --insbesondere der Einvernahme mehrerer Zeugen, die zur [[X.].] der ausgehenden Post im betreffenden Finanzamt [X.] von den Diensträumen der Sachbearbeiter und Mitarbeiter über die Poststelle zur Filiale der [X.] gehört wurden-- und den handschriftlichen Bearbeitungsvermerken auf dem in den Feststellungsakten befindlichen Exemplar des streitgegenständlichen Feststellungsbescheids zu der Überzeugung gelangt, dass der angefochtene Bescheid bereits am 29. Dezember 1998 in kuvertierter Form in das [X.] der betreffenden Veranlagungsstelle gelegt, von dort am Mittwoch, dem 30. Dezember 1998, von einem Bediensteten der Poststelle des Finanzamts [X.] abgeholt und noch am selben Tag zur Filiale der [X.] verbracht und dort zur Post aufgegeben worden ist. Entgegenstehende Indizien mit einem wesentlich hiervon abweichenden Posteingangszeitpunkt hat das [[X.].] nicht festgestellt. Auf diese Weise hat das [[X.].] im Wege freier Beweiswürdigung den 30. Dezember 1998 als Datum der Aufgabe zur Post festgestellt.

5

Soweit die Klägerin das Ergebnis dieser Beweiswürdigung, welches ihrer Auffassung nach auf einer unzulässigen Anwendung des Anscheinsbeweises beruhe, angreift, legt sie die Erforderlichkeit einer Entscheidung des [[X.].] zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht hinreichend dar; denn dazu reichen weder eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen noch die (vorgebliche) fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalls noch bloße Subsumtionsfehler des [[X.].] aus.

6

2. Die Klägerin macht auch zu Unrecht geltend, das [[X.].] habe den Sachverhalt nicht ausreichend erforscht und damit § 76 Abs. 1 [[X.].]O verletzt. Bei verzichtbaren Verfahrensmängeln (§ 155 [[X.].]O i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), zu denen auch die Verletzung der Sachaufklärungspflicht gehört, geht das [X.] schon durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren. Anders kann dies bei einem fachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten nur dann sein, wenn er aufgrund des Verhaltens des [[X.].] die Rüge für entbehrlich halten durfte (vgl. [[X.].]-Beschluss vom 24. Februar 2003 III B 117/02, [[X.].]/NV 2003, 810). Die durch einen Steuerberater fachkundig vertretene Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem [[X.].] weder Beweisanträge gestellt noch die Verletzung einer von Amts wegen --auch ohne entsprechenden Beweisantrag-- gebotenen Sachaufklärung gerügt, obwohl die Frage des Zugangszeitpunkts ein zentraler Streitpunkt --die Befragung der hierzu vernommenen Zeugen erstreckte sich ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung über einen Zeitraum von fast zweieinhalb [X.] des Verfahrens war. Sie hat auch keinen Sachverhalt geschildert, aufgrund dessen eine solche Rüge entbehrlich hätte sein können. So geht insbesondere der Hinweis der Klägerin, sie habe nicht damit rechnen können, dass das [[X.].] den letztlich im Urteil eingenommen Rechtsstandpunkt zum Zugangszeitpunkt vertreten werde, fehl; ein fachkundig vertretener Beteiligter muss gerade bei umstrittener Sach- und/oder Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten.

7

3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [[X.].]O abgesehen.

Meta

IX B 44/12

17.08.2012

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 15. Dezember 2011, Az: 9 K 9121/08, Urteil

§ 169 Abs 1 S 3 Nr 1 AO, § 76 Abs 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.08.2012, Az. IX B 44/12 (REWIS RS 2012, 3850)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3850

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