Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.06.2014, Az. X R 13/14

10. Senat | REWIS RS 2014, 4686

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Ablehnungsanträge gegen sämtliche BFH-Richter; frühere Tätigkeit in der Finanzverwaltung, keine Kostenentscheidung bei Zwischenverfahren


Leitsatz

1. NV: Werden sämtliche Richter eines obersten Bundesgerichts abgelehnt, entscheidet der in der Hauptsache zuständige Senat über das Ablehnungsgesuch auch dann in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung, wenn es nicht rechtsmissbräuchlich ist (Anschluss an den BVerwG-Beschluss vom 29. Januar 2014 7 C 13/13, NJW 2014, 953).

2. NV: Ein Richter hat nur dann "der Vertretung einer Körperschaft angehört" --mit der Folge, dass gemäß § 51 Abs. 3 FGO ein Ablehnungsgesuch stets begründet ist--, wenn er als Minister den Bund oder ein Land vertreten, eine entsprechende Funktion in einer Gemeinde ausgeübt hat oder als gesetzlicher Vertreter einer an dem Rechtsstreit interessierten Kapitalgesellschaft tätig war; eine frühere Position in der Finanzverwaltung reicht hierfür nicht aus.

3. NV: Allein die frühere Tätigkeit eines Richters in der Finanzverwaltung begründet nicht die Vermutung mangelnder Unabhängigkeit und damit die Besorgnis der Befangenheit.

4. NV: Vermeintliche Rechtsfehler, die einem Richter in früheren Entscheidungen unterlaufen sein sollen, können grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund darstellen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Gründe dargelegt werden, die dafür sprechen, dass eine --ohne Weiteres feststellbare-- Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem Beteiligten oder auf Willkür beruht.

Gründe

1

1. Über die Ablehnungsgesuche entscheidet der Senat in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung unter Mitwirkung der abgelehnten [X.].

2

Nach der Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 29. Januar 2014  7 [X.] 13/13, Neue Juristische Wochenschrift 2014, 953), der der Senat sich anschließt und auf deren Begründung er verweist, steht das grundsätzliche Verbot der Selbstentscheidung (§ 45 Abs. 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--, hier [X.]. § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) der Mitwirkung der abgelehnten [X.] nicht entgegen, wenn sämtliche [X.] eines obersten [X.]s abgelehnt werden. Die Anwendung des Selbstentscheidungsverbots würde in einem solchen Fall dazu führen, dass das oberste [X.] beschlussunfähig würde. § 45 Abs. 3 ZPO sieht dann vor, dass das im Rechtszug zunächst höhere Gericht entscheidet. Da diese Bestimmung auf oberste [X.]e --in Ermangelung der Existenz eines im Rechtszug höheren [X.] nicht anwendbar ist und auch nicht ersichtlich ist, wie das an den Instanzenzug anknüpfende gesetzliche Regelungsmodell des § 45 Abs. 3 ZPO im Wege richterlicher Rechtsfortbildung systemgerecht fortentwickelt werden könnte, ist in einer derartigen Sondersituation eine einschränkende Handhabung der Verfahrensgarantie des § 45 Abs. 1 ZPO geboten. Bei den inhaltlichen Kriterien für die Prüfung der Besorgnis der Befangenheit dürfen jedoch keine Abstriche gemacht werden.

3

2. Die Ablehnungsgesuche bleiben ohne Erfolg.

4

a) Nach § 42 Abs. 1 Alternative 2 ZPO [X.]. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO kann ein [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Ablehnung findet in diesen Fällen statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines [X.]s zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dabei kommt es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung darauf an, ob der Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger und objektiver Betrachtung davon ausgehen darf, der [X.] werde nicht unvoreingenommen, sondern willkürlich entscheiden (Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 24. August 2011 V S 16/11, [X.], 2087). Derartige Gründe sind vorliegend nicht gegeben.

5

b) Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Antragstellerin (Klägerin) bringt zur Begründung ihrer Ablehnungsanträge zunächst vor, sie gehe davon aus, dass die [X.] u.a. auch schon in der Finanzverwaltung tätig gewesen seien. Damit sei der spezielle Ablehnungsgrund des § 51 Abs. 3 FGO gegeben, dessen Vorliegen nicht weiter begründet werden müsse.

6

Damit kann die Klägerin nicht durchdringen. Nach § 51 Abs. 3 FGO ist die Besorgnis der Befangenheit stets dann begründet, wenn der [X.] oder ehrenamtliche [X.] der Vertretung einer Körperschaft angehört oder angehört hat, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden. Zu den Angehörigen der "Vertretung einer Körperschaft" gehören indes nur solche [X.], die als Minister den Bund oder ein Land vertreten, eine entsprechende Funktion in einer Gemeinde ausgeübt haben oder als gesetzlicher Vertreter einer an dem Rechtsstreit interessierten Kapitalgesellschaft tätig waren; eine frühere Funktion in der Finanzverwaltung reicht hierfür nicht aus (vgl. mit ausführlicher Begründung [X.] vom 7. Mai 1974 IV S 5-6/74, [X.], 25, [X.] 1974, 385; ferner [X.] vom 14. April 1986 III B 47/84, [X.] 1986, 547).

7

Im Übrigen sind nicht alle von der Klägerin abgelehnten [X.]innen und [X.] des [X.] zuvor in der Finanzverwaltung tätig gewesen.

8

Abgesehen davon begründet allein die frühere Tätigkeit eines [X.]s in der Finanzverwaltung keine Vermutung mangelnder Unabhängigkeit, wie sowohl der [X.] (Entscheidungen vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95, [X.]E 183, 6, [X.] 1997, 647, unter A.; vom 3. August 2000 VIII B 80/99, [X.] 2001, 783, und vom 16. Dezember 2009 V B 23/08, [X.] 2010, 1866, unter [X.]) als auch das [X.] (Beschluss vom 9. Dezember 1987  1 BvR 1271/87, [X.] 1989, 272) bereits mehrfach entschieden haben.

9

c) Ferner bringt die Klägerin unter Verweis auf zwei veröffentlichte Entscheidungen des [X.] (vom 29. Juli 1986 IX R 206/84, [X.]E 147, 176, [X.] 1986, 747, und vom 27. Mai 2009 X R 45/08, [X.] 2009, 1592), ein nicht veröffentlichtes Urteil zu dem Aktenzeichen IV R 42/81 sowie zwei nicht näher bezeichnete Entscheidungen zur "Steuerfreiheit der Abgeordnetenbezüge" und zum [X.] vor, die Rechtsprechung des [X.] überzeuge nicht.

Mit diesem Vorbringen können schon deshalb nicht sämtliche aktuell am [X.] tätigen [X.]innen und [X.] abgelehnt werden, weil einige der von der Klägerin angeführten Entscheidungen vor so langer Zeit ergangen sind, dass keiner der daran beteiligten [X.] noch am [X.] tätig ist. Hinsichtlich anderer seinerzeit mitwirkenden [X.] erscheint es nach dem Geschäftsverteilungsplan des [X.] als ausgeschlossen, dass sie an der Entscheidung im vorliegenden Revisionsverfahren mitwirken könnten.

Darüber hinaus können vermeintliche Rechtsfehler in früheren Entscheidungen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund darstellen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Gründe dargelegt werden, die dafür sprechen, dass eine --ohne Weiteres feststellbare-- Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung auf einer unsachlichen Einstellung des [X.]s gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (Senatsbeschluss vom 12. September 2013 [X.], [X.] 2014, 51, unter 3.b [X.] (2), m.w.N.). Hierzu hat die Klägerin nichts dargelegt.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da das Verfahren über die [X.]ablehnung ein bloßes Zwischenverfahren darstellt ([X.] vom 6. Juli 2005 II R 28/02, [X.] 2005, 2027, unter [X.]).

Meta

X R 13/14

23.06.2014

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

nachgehend BFH, 23. November 2016, Az: X R 13/14, Urteil

§ 51 Abs 2 FGO, § 42 Abs 2 ZPO, § 45 Abs 1 ZPO, § 143 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.06.2014, Az. X R 13/14 (REWIS RS 2014, 4686)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4686


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X R 13/14

Bundesfinanzhof, X R 13/14, 23.11.2016.

Bundesfinanzhof, X R 13/14, 23.06.2014.


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2 BvR 780/16

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