Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2024, Az. VIII ZB 47/23

8. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1101

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anforderungen an Vortrag bei Verhinderung des Prozessbevollmächtigten bei Terminkollision


Leitsatz

Zu den Anforderungen an die Darlegung eines erheblichen Grunds im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Falle der Verhinderung des Prozessbevollmächtigten einer Partei wegen eines kollidierenden Verhandlungstermins (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 - VII ZB 58/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 22 f.).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 21. Zivilsenats des [X.] vom 23. Mai 2023 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten des [X.] zu tragen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 16.804,14 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Rückabwicklung eines [X.] sowie auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Das [X.] hat die Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen. Auf den Einspruch des [X.] hat das [X.] Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache auf den 9. Dezember 2022, 13.00 Uhr, bestimmt und den Klägervertreter hierzu ordnungsgemäß geladen.

3

In diesem Termin ist der Prozessbevollmächtigte des [X.] bis um 13.20 Uhr nicht erschienen, sondern hat über seine Kanzlei mitteilen lassen, er befinde sich derzeit noch "im Gerichtsgebäude in [X.]" und werde nicht vor 14.30 Uhr zu dem Einspruchstermin vor dem [X.] in [X.] erscheinen. Daraufhin hat das [X.] den Einspruch des [X.] durch zweites Versäumnisurteil als unzulässig verworfen.

4

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt und diese im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Zu Unrecht sei das [X.] davon ausgegangen, eine unverschuldete Säumnis des [X.] habe nicht vorgelegen. Einer der Rechtsanwälte der aus drei Mitgliedern bestehenden Sozietät habe an dem Sitzungstag einen unaufschie[X.]aren Termin gegen 12.00 Uhr vor dem [X.] wahrgenommen. Aufgrund der unerwarteten Erkrankung eines weiteren Mitglieds der Sozietät habe der dritte [X.] vertretungsweise zwei auf 11.00 Uhr und 11.15 Uhr anberaumte Termine in [X.] vor dem dortigen [X.] und dem Amtsgericht wahrnehmen müssen.

6

Nachdem der erste vorgenannte Termin, in dem lediglich Anträge hätten gestellt werden sollen, aus unvorhergesehenen Gründen bis 11.30 Uhr gedauert habe, habe der vorgenannte, in [X.] befindliche Rechtsanwalt sein Büro gebeten, das [X.] in [X.] über seine voraussichtliche Verspätung zu informieren und gegebenenfalls um eine Verlegung des dortigen Termins zu ersuchen. Zu diesem [X.]punkt sei der Prozessbevollmächtigte davon ausgegangen, dass der zweite Termin in [X.] aufgrund des einfachen Sachverhalts und der Kürze der dort in Augenschein zu nehmenden Videoaufzeichnung nicht länger als 20 Minuten dauern und er bei einer Fahrtzeit von [X.] nach [X.] von circa eineinviertel Stunden allenfalls mit einer Verspätung von 15 Minuten nach [X.] vor dem [X.] [X.] erscheinen werde. Vollkommen überraschend und unvorhersehbar sei die zweite Sitzung in [X.] jedoch erst um circa 13.00 Uhr beendet worden. Auf Nachfrage, ob der Termin vor dem [X.] antragsgemäß verschoben worden sei, habe er von seinem Büro die Mitteilung erhalten, dass eine diesbezügliche Rückmeldung noch nicht vorliege. Er habe sein Personal daher gebeten, dort noch einmal nachzufragen. Vorsorglich sei er dennoch zum [X.] gefahren. Dort sei er um 14.30 Uhr angekommen, habe im Sitzungssaal aber niemanden mehr angetroffen.

7

Das [X.] hat die Berufung - nach einem entsprechenden Hinweis - durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.

8

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

9

Der Kläger habe zu einer unverschuldeten Säumnis im Einspruchstermin nicht schlüssig vorgetragen, so dass die nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO an sich statthafte Berufung unzulässig sei. Der Prozessbevollmächtigte des [X.] habe nicht ausreichend dargelegt, aus seiner Sicht alles Erforderliche und Zumutbare unternommen zu haben, um den Termin vor dem [X.] wahrnehmen zu können. Schon bei Beginn der zweiten Verhandlung um 11.30 Uhr in [X.] habe der [X.] nicht mehr von seiner rechtzeitigen Ankunft in [X.] ausgehen können. Wie seine eigenen Anweisungen am Sitzungstag belegten, habe er nach einem Sitzungsende um 13.00 Uhr erst mit einer Ankunft nach 14.30 Uhr gerechnet.

Selbst wenn jedoch bei dem Prozessbevollmächtigten zunächst die Vorstellung bestanden haben sollte, von [X.] aus so rechtzeitig aufbrechen zu können, dass eine Wahrnehmung des Termins in [X.] noch zu gewährleisten gewesen wäre, hätte er doch im Laufe der Sitzung in [X.] erkennen müssen, dass dies nicht mehr möglich sein werde. Es hätte daher an ihm als bloßem Vertreter des erkrankten Kollegen gelegen, auf eine Vertagung der Verhandlung in [X.] zu drängen. Dies gelte umso mehr, als ihm bewusst gewesen sein müsse, dass in [X.] über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil verhandelt werden würde und die konkrete Gefahr bestanden habe, dass seine Säumnis zum Erlass eines zweiten Versäumnisurteils - wie geschehen - führe.

Soweit der Prozessbevollmächtigte erklärt habe, bereits vor dem Beginn des zweiten Termins in [X.] um eine Terminsverlegung in [X.] gebeten zu haben, lasse sich dies der Akte nicht entnehmen. Der Prozessbevollmächtigte habe zudem nicht darauf vertrauen dürfen, dass einem [X.] entsprochen werde. Da er überdies nicht dargelegt habe, warum er gegenüber dem Gericht in [X.] nicht auf die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Abreise zumindest hingewiesen habe, könne seine Säumnis in [X.] nicht als unverschuldet angesehen werden.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (siehe nur Senatsbeschlüsse vom 10. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 8; vom 21. März 2023 - [X.]/22, juris Rn. 13; jeweils mwN), sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt die angefochtene Entscheidung, wonach die Berufung des [X.] mangels schlüssiger Darlegung einer unverschuldeten Säumnis im Einspruchstermin unzulässig ist, nicht die - einander ergänzenden - Verfahrensgrundrechte des [X.] auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

a) Hiernach ist den [X.]en (bereits) durch die Ausgestaltung des Verfahrensrechts ein Ausmaß an rechtlichem Gehör zu eröffnen, welches dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht wird und das den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Zudem dürfen die zivilprozessualen Vorschriften, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind, nicht derart ausgelegt und angewandt werden, dass den [X.]en der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 10. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 10; vom 23. Mai 2023 - [X.], NJW-RR 2023, 1101 Rn. 8).

b) Das Berufungsgericht hat jedoch im vorliegenden Fall - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - keine überhöhten Anforderungen an das auf § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO gestützte Vorbringen des [X.] gestellt und deshalb durch die Verwerfung der von dem Kläger eingelegten Berufung die vorgenannten Verfahrensgrundrechte nicht verletzt.

aa) Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von der Schlüssigkeit der Darlegung hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. März 2013 - [X.]/12, juris Rn. 5; vom 18. Februar 2020 - [X.], NJW-RR 2020, 575 Rn. 8; vom 23. Juni 2022 - [X.]/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 13; jeweils mwN). Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Berufungsbegründungsfrist vorzutragen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. Februar 2020 - [X.], aaO; vom 23. Juni 2022 - [X.]/21, aaO).

Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, innerhalb der Frist zur Berufungsbegründung so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie - ihre Richtigkeit unterstellt - den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben. Dabei dürfen die Gerichte die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten [X.]vortrag mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht überspannen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 14. September 2005 - [X.], juris Rn. 7; vom 23. Juni 2022 - [X.]/21, aaO Rn. 14).

[X.]) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat der Kläger - wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat - nicht schlüssig dargetan, dass sein Prozessbevollmächtigter den Einspruchstermin am 9. Dezember 2022 ohne ein dem Kläger zuzurechnendes Verschulden versäumt hat.

(1) [X.] ist im Sinne der §§ 330 ff. ZPO säumig, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Bestimmung eines notwendigen Termins zur mündlichen Verhandlung nach [X.] am hierzu bestimmten Ort nicht erscheint, bei notwendiger Vertretung durch einen Rechtsanwalt - wie hier gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO - nicht durch einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten ist oder nicht zur Sache verhandelt (vgl. [X.], Urteile vom 2. Dezember 2021 - [X.], [X.], 196 Rn. 7; vom 24. Januar 2019 - [X.], NJW-RR 2019, 695 Rn. 18; jeweils mwN). Nicht schuldhaft ist die Säumnis, wenn die [X.] beziehungsweise ihr [X.], dessen Verschulden sich die [X.] zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), an der Wahrnehmung des [X.] gehindert war und der Termin deshalb hätte verlegt (§ 227 ZPO) oder vertagt (§ 337 Satz 1 ZPO) werden müssen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 23. Juni 2022 - [X.]/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 16; vom 7. Juni 2010 - [X.], NJW 2010, 2440 Rn. 8).

(2) Gemessen hieran hat das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis frei von [X.] angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.] nicht ohne Verschulden gehindert war, an der Sitzung vor dem [X.] in [X.] am 9. Dezember 2022 teilzunehmen. Die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Frage, dass der Prozessbevollmächtigte ordnungsgemäß zu diesem Termin geladen worden war und dort bis zum Erlass des zweiten Versäumnisurteils nicht erschienen ist. Die Säumnis des Prozessbevollmächtigten in diesem Termin war auch nicht aufgrund der Wahrnehmung von Gerichtsterminen in [X.] für dessen erkrankten [X.]n unverschuldet. Der Kläger hat in der Berufungsbegründung - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - weder schlüssig dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter "überraschend und unvorhersehbar" aufgrund der Dauer des erst um 11.30 Uhr beginnenden Termins vor dem Amtsgericht [X.] bis um 13.00 Uhr an der Wahrnehmung des [X.] in [X.] gehindert gewesen sei (siehe hierzu nachfolgend unter (b)), noch, dass wegen einer (absehbaren) Kollision des zweiten in [X.] anberaumten [X.] mit dem Einspruchstermin der zuletzt genannte Termin hätte verlegt werden müssen (hierzu unter (c)).

(a) Eine Terminsverlegung oder -vertagung setzt voraus, dass ein erheblicher Grund vorliegt und dieser glaubhaft gemacht wird. Das Gericht hat bei seiner Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblicher Gründe eine Verhandlung verlegt oder vertagt wird (§ 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO), nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch beider [X.]en auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen (vgl. [X.], Urteile vom 24. Januar 2019 - [X.], NJW-RR 2019, 695 Rn. 22; vom 25. November 2008 - [X.], [X.], 687 Rn. 8 mwN). Erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO sind regelmäßig solche, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Liegen solche Gründe vor, verdichtet sich das Ermessen des Gerichts zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen oder zu vertagen, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird. Einem Antrag auf Terminsverlegung oder -vertagung ist daher regelmäßig aufgrund Vorliegens eines erheblichen Grunds stattzugeben (vgl. [X.], Urteile vom 24. Januar 2019 - [X.], aaO; vom 13. Januar 2004 - [X.], [X.], 354 unter 1 b).

(b) Ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung oder -vertagung und damit eine unverschuldete Säumnis können vorliegen, wenn der Prozessbevollmächtigte kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist und das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen (vgl. [X.], Urteile vom 24. September 2015 - [X.], NJW-RR 2016, 60 Rn. 6; vom 25. November 2008 - [X.], [X.], 687 Rn. 11; vom 19. November 1998 - [X.], NJW 1999, 724 unter [X.] b aa).

Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.] schon zu Beginn der zweiten Verhandlung in [X.] um 11.30 Uhr bei Wahrnehmung dieses Termins nicht mehr von einer rechtzeitigen Ankunft beim [X.] [X.] ausgehen durfte. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die reine Fahrzeit von [X.] nach [X.] mit anderthalb Stunden, wie der Klägervertreter selbst ausweislich der von ihm dem [X.] nach Schluss der Verhandlung in [X.] um 13.00 Uhr übermittelten Nachricht angenommen hat, oder - wie in der Berufungsbegründung geltend gemacht - mit eineinviertel Stunden zu bemessen ist.

Denn unabhängig davon konnte der Prozessbevollmächtigte weder von einem pünktlichen Beginn der Sitzung vor dem Amtsgericht [X.] um 11.15 Uhr noch von einer maximal 20minütigen Dauer der dortigen Verhandlung sicher ausgehen. Allein das Vorbringen in der Berufungsbegründung, wonach in der vorhergehenden Verhandlung vor dem [X.] [X.] lediglich Anträge hätten gestellt und in der nachfolgenden Verhandlung vor dem Amtsgericht in [X.] bei einem dem Verfahren zugrundeliegenden "einfachen" Sachverhalt nur eine Videoaufzeichnung mit einer Dauer von weniger als zwei Minuten in Augenschein habe genommen werden sollen, rechtfertigte nicht die Annahme, dass die Sitzung vor dem Amtsgericht [X.] zu dem in der Ladung angegebenen [X.]punkt um 11.15 Uhr beginnen und dann binnen 20 Minuten beendet werden würde. Denn der zeitliche Verlauf einer Sitzung lässt sich - wie der tatsächliche Beginn der Sitzung um 11.30 Uhr und deren Dauer von anderthalb Stunden zeigen - erfahrungsgemäß grundsätzlich nicht zuverlässig voraussagen (vgl. [X.], Urteil vom 9. Oktober 1975 - [X.], NJW 1976, 196 unter I[X.] a). Ein Prozessbevollmächtigter muss daher bei seiner [X.]planung einkalkulieren, dass ein Sitzungstermin eine gewisse, im Voraus nicht sicher absehbare [X.] in Anspruch nehmen wird (vgl. [X.], NJW-RR 2022, 1073 Rn. 16; siehe auch [X.], Stand: 1. Dezember 2023, § 227 Rn. 12.4). Ihm ist zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bei den Gerichten grundsätzlich zuzumuten, sich während einer - nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls zu bestimmenden - angemessenen [X.] über den in der Ladung vorgesehenen Verhandlungsbeginn hinaus bei Gericht bereitzuhalten (vgl. [X.], 132, 134; [X.], Beschluss vom 20. April 1993 - 12 BK 26/92, juris Rn. 6). Der Prozessbevollmächtigte des [X.] musste deshalb nicht nur einen späteren Beginn der zweiten Sitzung in [X.] - von hier lediglich einer Viertelstunde -, sondern auch eine längere [X.] vorsorglich einplanen. Für ihn war deshalb spätestens um 11.30 Uhr absehbar, dass er schon bei einer (einzukalkulierenden) geringfügigen Überschreitung der von ihm angesetzten [X.] selbst unter Berücksichtigung einer möglichen Wartezeit von etwa 15 Minuten nach [X.] vor dem [X.] [X.], innerhalb derer der gegnerische Prozessbevollmächtigte kein Versäumnisurteil erwirken würde (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 19. November 1998 - [X.], NJW 1999, 724 unter [X.] b aa; siehe auch BeckOK-ZPO/[X.], Stand: 1. Dezember 2023, § 337 Rn. 7), nicht mehr rechtzeitig in dem Einspruchstermin würde erscheinen können. Allein mit dem späteren Beginn und der tatsächlichen Dauer der Verhandlung vor dem Amtsgericht [X.] konnte der Prozessbevollmächtigte deshalb sein Fernbleiben in dem Einspruchstermin nicht entschuldigen, zumal er auch während der Verhandlung in [X.] gegebenenfalls Maßnahmen zur Verhinderung seiner Säumnis hätte ergreifen können und müssen.

(c) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, war das [X.] auch nicht gehalten, den Einspruchstermin wegen der (absehbaren) Kollision mit dem Verhandlungstermin in [X.] auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des [X.] zu verlegen.

(aa) Die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten einer [X.] aufgrund eines bereits zuvor anberaumten kollidierenden [X.] kann einen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung im Sinne des § 227 Abs. 1 ZPO darstellen (vgl. [X.], NJW 2021, 3384 Rn. 12 mwN; siehe auch [X.], Beschluss vom 23. Juni 2022 - [X.]/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 22 f.). Eine Kollision setzt voraus, dass die Wahrnehmung beider Termine zeitlich nicht möglich ist (vgl. [X.], [X.], 1691). In die Entscheidung über die Terminsverlegung sind alle Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls einzubeziehen, beispielsweise die Art des kollidierenden [X.] und des [X.]punkts seiner Bestimmung, die Besonderheiten der Mandatsbeziehung, die Möglichkeit, den kollidierenden Termin zu verlegen oder einen der Termine durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen (vgl. [X.], aaO Rn. 17; [X.], Beschluss vom 23. Juni 2022 - [X.]/21, aaO Rn. 27). Ausnahmsweise kann auch ein später anberaumter Termin Vorrang vor einem früher bestimmten Termin genießen (vgl. [X.], Stand: 1. Dezember 2023, § 227 Rn. 12.10; [X.]/[X.]/[X.], ZPO, 20. Aufl., § 227 Rn. 5), etwa wenn ein Verhandlungstermin bereits verlegt worden ist (vgl. [X.], aaO Rn. 12), prozessuale Gründe die Durchführung dieses Termins gebieten (vgl. [X.], NJW 1996, 677, 678 [zu § 229 StPO]), es sich um einen Termin zur Durchführung einer aufwendigen Beweisaufnahme (vgl. [X.]/[X.]/[X.], aaO) oder ein besonders eilbedürftiges Verfahren handelt (§ 227 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 ZPO; vgl. [X.]/[X.]/[X.], aaO).

([X.]) Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger bereits einen erheblichen Grund im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Verlegung des [X.] in [X.] nicht schlüssig dargelegt. Der Berufungsbegründung ist nicht zu entnehmen, dass der zunächst auf 11.15 Uhr bestimmte Gerichtstermin in [X.] vor dem Einspruchstermin anberaumt worden ist oder besondere Gründe eine Verlegung des Termins in [X.] erforderlich gemacht hätten. Vielmehr hat der Kläger selbst vorgetragen, dem in [X.] verhandelten Rechtsstreit habe ein einfach gelagerter Sachverhalt zugrunde gelegen und es habe lediglich eine kurze Videoaufnahme in Augenschein genommen werden sollen. Zudem war der Prozessbevollmächtigte nicht Sachbearbeiter dieses Verfahren, sondern hat die Sitzung lediglich als Vertreter für seinen erkrankten [X.]n wahrgenommen (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 23. Juni 2022 - [X.]/21, NJW-RR 2022, 1361 Rn. 22). Das Berufungsgericht hat deshalb jedenfalls im Ergebnis zu Recht angenommen, dass eine Verlegung des [X.] aufgrund des von dem Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Sachverhalts nicht in Betracht kam.

([X.]) Es kommt vor diesem Hintergrund - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - auch nicht darauf an, ob der Prozessbevollmächtigte des [X.] - wie in der Berufungsbegründung geltend gemacht - schon um 11.30 Uhr seine Mitarbeiter gebeten hat, das [X.] in [X.] über seine voraussichtliche Verspätung aufgrund des [X.] in [X.] zu informieren und um eine Terminsverlegung zu ersuchen. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag nicht gehörswidrig übergangen, sondern im Ergebnis zu Recht als unerheblich angesehen. Es hat insofern zutreffend darauf hingewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte nicht darauf vertrauen durfte, seinem (behaupteten) [X.] werde entsprochen. Denn (allein) der von einer [X.] gestellte Antrag auf Verlegung eines [X.] - ohne Darlegung eines erheblichen Grunds im Sinne von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO - entschuldigt eine Versäumnis nach § 337 ZPO nicht, weil die Termine zur mündlichen Verhandlung der [X.]disposition entzogen sind (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Februar 2017 - [X.]/15, NJW-RR 2017, 638 Rn. 9 mwN).

Darüber hinaus steht der Geltendmachung eines etwaigen Gehörsverstoßes der Subsidiaritätsgrundsatz entgegen (vgl. zum Subsidiaritätsgrundsatz im Allgemeinen Senatsbeschluss vom 29. September 2021 - [X.], juris Rn. 30 mwN). Das Berufungsgericht hat den Kläger bereits mit Beschluss vom 30. März 2023 darauf hingewiesen, dass ein solcher Terminsverlegungsantrag der Gerichtsakte nicht zu entnehmen sei. Dennoch hat der Kläger einer etwaigen Gehörsverletzung in seinem Schriftsatz vom 22. Mai 2023 nicht entgegengewirkt, sondern es bei den bereits von ihm gemachten Ausführungen belassen.

2. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Bünger     

      

Kosziol     

      

Dr. Schmidt

      

Dr. Matussek     

      

Dr. Böhm     

      

Meta

VIII ZB 47/23

30.01.2024

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Köln, 23. Mai 2023, Az: 21 U 4/23

§ 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 337 S 1 ZPO, § 514 Abs 2 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2024, Az. VIII ZB 47/23 (REWIS RS 2024, 1101)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1101


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VIII ZB 47/23

Bundesgerichtshof, VIII ZB 47/23, 30.01.2024.


Az. 21 U 4/23

Oberlandesgericht Köln, 21 U 4/23, 23.05.2023.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 219/22 (Bundesgerichtshof)

Anforderungen an anwaltlich vertretene Partei bei Darlegung einer unverschuldeten Säumnis


21 U 4/23 (Oberlandesgericht Köln)


4 Sa 1108/02 (Landesarbeitsgericht Hamm)


IX ZR 207/14 (Bundesgerichtshof)

Unzulässigkeit der Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil des Berufungsgerichts: Verschulden des Berufungsverfahrens bei Versäumung des …


XII ZB 171/23 (Bundesgerichtshof)

Versäumung des Einspruchstermins nach einem Versäumnisbeschluss in einer Familiensache: Pflicht des Verfahrensbevollmächtigten zur rechtzeitigen Mitteilung …


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.