Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2015, Az. AK 1/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 15283

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 1/15
vom
19. Februar 2015
in dem Strafverfahren
gegen

wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeschuldigten und seiner Verteidiger am 19. Februar 2015 gemäß §§
121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu
diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:
I.
Der Angeschuldigte, der neben der [X.] auch die [X.] St[X.]tsangehörigkeit besitzt, ist aufgrund des Haftbefehls des Jugendrichters des [X.] vom 25. Juli 2014 -
1012 [X.] jug. -
am
selben Tag festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersu-chungshaft. Nach Übernahme des Verfahrens durch den [X.] am 3.
November 2014 hat der Ermittlungsrichter des [X.] am 5.
Dezember 2014 den Haftbefehl des [X.] aufgehoben und durch einen eigenen vom gleichen Tag (2 [X.] 589/14) ersetzt. Der [X.]
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bundesanwalt hat unter dem 5. Februar 2015 vor dem [X.] Mün-chen Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben.
Nachdem dem Angeschuldigten durch das [X.] die Vorbereitung einer schweren st[X.]tsgefährdenden Gewalttat nach § 89a StGB zur Last gelegt worden war, ist Gegenstand des Haftbefehls nunmehr der [X.], er habe sich von Ende
März 2014 bis Juli 2014 -
bis zum 23. Mai 2014 als Heranwachsender -
als Mitglied an der "[X.] [X.]" und [X.] an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren [X.] darauf gerichtet sind, Mord (§
211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§
1, 105 JGG).

II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
[X.]) Die Vereinigung "[X.] [X.]"
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Bei der Organisation "[X.] [X.]" (im Folgenden: [X.]), die im Januar 2012 durch die Veröffentlichung eines Videos im [X.] ihre Gründung bekannt gab, handelt es sich um eine Vereinigung, die -
wie an-dere Gruppierungen in der Region auch -
geleitet von radikal religiösen An-schauungen das Ziel verfolgt, die Regierung des [X.] Machthabers [X.] zu stürzen und einen "Gottesst[X.]t" unter der Geltung der Scharia zu gründen. Dabei nimmt die [X.] auch in
Kauf, dass Zivilisten Opfer ihrer Anschläge werden.
Anführer der [X.] ist der bereits in dem Gründungsvideo als Generalver-antwortlicher vorgestellte [X.], der sich in der Folgezeit in mehreren Audiobotschaften zu Wort meldete.
Aus diesen geht her-vor, dass Führungsentscheidungen innerhalb der [X.] für die Mitglieder verbind-lich sind; Entscheidungen werden zudem von einem "[X.]" getroffen. Aus ebenfalls im [X.] veröffentlichten weiteren Videobotschaften geht zudem hervor,
dass sich immer wieder neue Kämpfer der [X.] anschließen und [X.] ihre Treue schwören. Die Organisation, deren Mitgliederzahl auf 5.000 bis 15.000 geschätzt wird, verfügt über eine zentrale Medienstelle ([X.]), die mit professioneller Medienarbeit die Kommunikation nach außen übernimmt. All dies zeigt, dass die Vereinigung über verfestigte Organisations-strukturen verfügt und ihre Mitglieder sich bei Unterordnung ihrer Einzelinteres-sen unter den Gruppenwillen als einheitlicher Verband fühlen und gemeinsam die Zwecke der Vereinigung verfolgen.
Diese Zwecke sind auf die Begehung von Mord und Totschlag gerichtet, wie die zahlreichen seit dem [X.] verübten, im Einzelnen im Haftbefehl aufgeführten Anschläge belegen, zu deren Begehung sich
die Vereinigung durch Videoverlautbarungen und andere, von ihrer Medienstelle verbreitete 7
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Veröffentlichungen bekannte. Dabei wurden nicht nur Soldaten der [X.] Armee, sondern immer wieder auch Polizisten und Mitarbeiter anderer Sicher-heitsdienste, ein st[X.]tlicher Fernsehsender und ein Krankenhaus -
überwie-gend durch Sprengstoffanschläge -
angegriffen.
bb) Die Beteiligung des Angeschuldigten an der Vereinigung
Der Angeschuldigte, der sich binnen weniger Monate durch Besuche in einer somalischen Moschee in [X.] und über das [X.] religiös radikali-siert hatte, fasste Mitte März 2014 den Entschluss, im "[X.]" als "Märtyrer" zu sterben, und reiste zu diesem Zweck Ende März 2014 über die [X.] -
wo er vereinbarungsgemäß mit dem gesondert Verfolgten Harun K.

zusam-mentraf -
nach [X.] aus. K.

hatte Kontakt zu einem Mittelsmann auf-genommen und teilte dem Angeschuldigten noch in der [X.] mit, dass sie zur "[X.]" gehen würden. Damit war der Angeschuldigte einverstanden.
Nach der Ankunft in [X.] wurde der Angeschuldigte zunächst in einem zur [X.] gehörenden Wohnhaus mit anderen Personen aus [X.] und [X.] untergebracht. Von dort wurde er zu einem Ausbildungslager [X.], in dem man ihn in Taktik, Religion, im Umgang mit Waffen und in der Begehung von Anschlägen unterwies; zudem wurde er körperlich trainiert. [X.] wurde er wieder in die "[X.] Villa" zurückverlegt, wo er [X.] übernahm.
Am 9. Juli 2014 verließ der Angeschuldigte, der bis zum 23. Mai 2014 zwanzig Jahre alt und somit Heranwachsender im Sinne der §§ 1, 105 JGG war, [X.] und reiste in die [X.]. Von dort flog er am 25. Juli 2014 nach [X.] zurück und wurde noch am Flughafen [X.] festgenommen.
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b)
Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:
Die Erkenntnisse zur Struktur und Entstehung der [X.] ergeben sich im Wesentlichen aus dem Sachverständigengutachten des Islamwissenschaftlers Dr. S.

sowie aus den Auswertungen zu den zahlreichen [X.]veröf-fentlichungen der Vereinigung, die in mehreren Vermerken des Bundeskrimi-nalamtes niedergelegt sind.
Der Angeschuldigte hat -
nach seiner Verhaftung auf der Grundlage des Haftbefehls des [X.] -
in seiner Beschuldigtenvernehmung am 15.
Oktober 2014 seinen [X.] an die [X.] sowie seine Teilnahme an der beschriebenen Ausbildung eingeräumt. Zu dem Zeitraum nach seiner Rückkehr aus dem Ausbildungslager bis zu seiner Abreise aus [X.] hat er keine detaillierten Angaben gemacht. Jedoch hat die Auswertung der von ihm genutzten Facebook-Accounts ergeben, dass er in [X.] unter anderem mit Waffen posierte, die -
so seine Einlassung -
denjenigen übergeben werden, die den Wachdienst zu leisten haben. Diese Fotos stammen aus der
Zeit nach [X.] Rückkehr aus dem Ausbildungslager.
Über seinen Facebook-Account teilte der Angeschuldigte seiner Schwes-ter schon Anfang April mit, dass er im Namen [X.] in den "[X.]"
ziehe, [X.] aber eine Ausbildung bekommen solle. In Telefonaten zwischen dem Angeschuldigten und Familienangehörigen sprechen die Gesprächsteilnehmer darüber, dass sich der Angeschuldigte im Umgang mit Waffen unterrichten ließ, um als Kämpfer am gewaltsamen "[X.]" teilzunehmen und den "Märtyrertod" zu sterben.
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2. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeschuldigte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB strafbar gemacht hat, wobei er bis zum 23. Mai 2014 als Heranwachsen-der handelte (§§ 1, 105 JGG).
[X.] Strafrecht ist anwendbar: Dies folgt entweder unmittelbar aus §
129b Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 StGB (vgl. [X.], Beschluss vom 31.
Juli 2009
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StB 34/09, [X.]R StGB § 129b Anwendbarkeit 1) oder aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil der Angeschuldigte [X.] ist und -
wenn man nicht ohnehin davon ausgeht, dass das Gebiet, in dem er sich aufhielt, effektiv keiner st[X.]tli-chen Strafgewalt unterlag -
Personenzusammenschlüsse, die sich terroristi-scher Akte bedienen, um die grundlegende Gesellschaftsordnung zu ändern, nach Art. 304 bis 306 des [X.] Strafgesetzbuches mit Strafe bedroht wer-den.
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern der auslän-dischen terroristischen Vereinigung "[X.]", soweit sie unter ande-rem [X.] St[X.]tsangehörige sind, liegt seit dem 15. Juli 2014 vor.
3. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, §
129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der [X.], § 112 Abs. 3 StPO. Aus den [X.] Gründen des Haftbefehls, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht darüber hinaus der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr.
2 StPO.
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4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-chungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der be-sondere Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersu-chungshaft. Erst aus der Einlassung des Angeschuldigten am 15. Oktober 2014 ergab sich erstmals der dringende Verdacht seiner Mitgliedschaft in der [X.], der zur Übernahme des Verfahrens durch den [X.] am 3.
November 2014 führte. Dieser hat unverzüglich am 17. November 2014 den Erlass eines neuen Haftbefehls beantragt, den der Ermittlungsrichter des [X.] am 5. Dezember 2014 erlassen und dem Angeschuldigten zeitnah am
12. Dezember 2014 eröffnet hat. Das mit den Ermittlungen befasste [X.] hat am 14. Dezember 2014 seinen [X.] zu dem Angeschuldigten vorgelegt. Parallel dazu hat der [X.] aktuelle Erkenntnisse des [X.] und des Bundesnach-richtendienstes zur [X.] eingeholt, die am 9. und 22. Dezember 2014 bei ihm eingingen. Das in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen Dr.
S.

zur [X.] gelangte am 11. Dezember 2014 zur Akte. Zwischenzeit-lich hat der [X.] die Sachakten zusammengestellt und unter dem 5. Februar 2015 vor dem [X.] [X.] Anklage gegen den Angeschuldigten erhoben.
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5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den Angeschuldigten erhobenen
Vorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer [X.] Gericke
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Meta

AK 1/15

19.02.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.02.2015, Az. AK 1/15 (REWIS RS 2015, 15283)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15283

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