Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.09.2018, Az. IX ZB 77/17

9. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 3719

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 19. Zivilkammer des [X.] vom 24. Oktober 2017 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Wert des [X.] wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Schuldner übte seit 1987 in [X.] eine freiberufliche Tätigkeit als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer aus, von 1987 bis 1994 war er in einer Sozietät von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern unter anderem mit dem weiteren Beteiligten verbunden. Dieser beantragte am 17. Juni 2015 beim [X.] die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Das Amtsgericht hat dem Gutachten des mit Beschluss vom 29. Juli 2015 bestellten Sachverständigen folgend, wonach der Schuldner in [X.] lediglich einen [X.] habe, indes das Vermögen des Schuldners nicht ausreiche, um die Verfahrenskosten zu decken, mit Beschluss vom 10. November 2016 den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen. Mit seiner hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde hat der Schuldner beantragt, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig zurückzuweisen, weil eine internationale Zuständigkeit nicht gegeben sei. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner sein Begehren, den Eröffnungsantrag als unzulässig abzulehnen, weiter.

II.

2

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 4, 6 Abs. 1, § 34 Abs. 2 [X.] statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

3

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte sei nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuIns[X.] gegeben, weil der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in [X.] habe. Hierunter sei der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer Person zu verstehen, an dem sie den Schwerpunkt ihrer [X.], kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen habe. Im Hinblick auf die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit seien hierfür in erster Linie objektive und für Dritte feststellbare Kriterien maßgebend. Vorliegend verweise ein Teil der Interessen des Schuldners zwar nach [X.], wo seine Lebensgefährtin und derzeit auch eine Tochter lebten. Der Schuldner habe Mietverträge vorgelegt. Auch seien zwei Kinder des Schuldners schon vor 2010 im [X.] zur Schule gegangen. Die gebotene Gesamtwürdigung zeige aber, dass der Schwerpunkt der [X.] Beziehung des Schuldners in [X.] liege. Hier wohne seine Mutter und hier habe der Schuldner auch seine ökonomische Basis; er beziehe von der [X.] eine Rente in Höhe von ca. 400 € sowie Zuwendungen von seiner Mutter. Der Schuldner sei weiterhin der Wirtschaftsprüferkammer [X.] zugehörig, was sowohl im Hinblick auf die Reputation des Schuldners als auch eine mögliche spätere berufliche Tätigkeit nur für [X.] von Belang sein könne. Die gelegentliche Nutzung eines Büroraumes in [X.], mit dessen Geschäftsführer der Schuldner befreundet sei, zeige, dass der Schuldner in seinem vormaligen beruflichen Umfeld weiter gut vernetzt sei. Für einen Lebensmittelpunkt des Schuldners in [X.] zur [X.] spreche schließlich auch, dass der Insolvenzsachverständige ihn mehrfach unter seiner inländischen Handynummer erreicht habe.

4

2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand.

5

a) Gemäß Art. 84 der am 26. Juni 2005 in [X.] getretenen revidierten Fassung der EuIns[X.] ([X.] ([X.]) 2015/848) findet für die Entscheidung über den am 17. Juni 2015 eingegangenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die EuIns[X.] in der vor dem 26. Juni 2017 geltenden Fassung ([X.] ([X.]) Nr. 1346/2000) Anwendung.

6

b) Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuIns[X.] sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Der dabei verwendete Rechtsbegriff des [X.] der hauptsächlichen Interessen ("Center of main Interests", "[X.]") ist verordnungsautonom auszulegen. Die Bestimmung erfolgt nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren ([X.], Beschluss vom 2. März 2017 - [X.]/16, [X.], 320 Rn. 9). Bei Kaufleuten, Gewerbetreibenden oder Selbständigen ist an die wirtschaftliche oder gewerbliche Tätigkeit des Schuldners anzuknüpfen ([X.], Beschluss vom 17. September 2009 - [X.], Z[X.] 2009, 1955 Rn. 3). Bei abhängig beschäftigten Personen, kann für den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen regelmäßig auf den gewöhnlichen Aufenthalt als tatsächlichen Lebensmittelpunkt abgestellt werden, wo der Schwerpunkt der wirtschaftlichen, [X.] und kulturellen Beziehungen liegt (vgl. [X.], Beschluss vom 2. März 2017, aaO Rn. 10 mwN).

7

c) Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners, für den weder eine selbständige noch eine abhängige Beschäftigung festgestellt werden konnte, verweist nach der [X.] Würdigung des [X.] auf das Inland. Dort hatte der Schuldner nach eigenem Vortrag bis zum [X.] seinen Lebensmittelpunkt. Seine selbständige Tätigkeit übte er ebenfalls im Inland aus. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vom Tatrichter vorgenommene Gesamtbewertung, der Schuldner habe auch später den maßgeblichen Interessenmittelpunkt nicht - wie von ihm angegeben - ins [X.] verlegt, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Würdigung des [X.] ist möglich. Zwingend muss sie nicht sein (vgl. [X.], Beschluss vom 17. September 2009, aaO Rn. 5).

Kayser     

        

Gehrlein     

        

Lohmann

        

Schoppmeyer     

        

Meyberg     

        

Meta

IX ZB 77/17

18.09.2018

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Berlin, 24. Oktober 2017, Az: 19 T 4/17

Art 3 Abs 1 S 1 EGV 1346/2000, § 574 Abs 1 S 1 Nr 2 ZPO, § 4 InsO, § 6 Abs 1 InsO, § 34 Abs 2 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.09.2018, Az. IX ZB 77/17 (REWIS RS 2018, 3719)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3719

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 70/16 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzeröffnungsverfahren: Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte


IX ZB 70/16 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 72/19 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Europäischen Insolvenzverfahrensverordnung: Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft mit …


IX ZB 72/19 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzverfahren: Internationale Zuständigkeit deutscher Insolvenzgerichte bei in einem Drittstaat gestelltem Eröffnungsantrag


IX ZB 14/21 (Bundesgerichtshof)

Zuständigkeit deutscher Gerichte für Entscheidung über Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach Verlegung des Geschäftssitzes


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZB 70/16

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.