Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.03.2017, Az. IX ZB 70/16

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 14799

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:020317BIXZB70.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX [X.]/16

vom

2. März
2017

in dem Insolvenzeröffnungsverfahren

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
EuInsVO Art. 3 Abs. 1
Die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte ist für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen einen unselbständig tätigen Schuldner regelmäßig begründet, dessen gewöhnlicher Aufenthalt sich zum Zeitpunkt der Antragstel-lung im Inland befindet.

[X.], Beschluss vom 2. März 2017 -
IX [X.]/16 -
LG [X.]

AG [X.]

-

2

-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.],
die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, die Richterin Lohmann
sowie die
Richter Grupp und Dr. Schoppmeyer

am
2. März 2017
beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4.
Zivilkammer des [X.] vom 27.
Juli 2016 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes
wird auf 5.000

e-setzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller
(weiterer Beteiligter zu 2)
ist Verwalter in dem am 1.
August 2014 über das Vermögen der J.

GmbH
& Co. KG (nachfolgend: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren. Gegen den Schuldner als Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Schuld-nerin hat er unter Berufung auf -
auch aus §
64 GmbHG hergeleitete
-
Forde-rungen
von rund 2 Mio.

am 19.
Januar 2015 die Eröffnung des Insolvenzver-fahrens
beantragt. Außerdem ist der Schuldner Alleingesellschafter und [X.] weiterer zu dem Modehandelskonzern J.

in M.

gehö-1
-

3

-
render
Gesellschaften, über deren Vermögen im Juli und August 2014 ebenfalls Insolvenzverfahren eröffnet wurden. Der Schuldner,
der nunmehr als Arbeit-nehmer in dem in [X.] ansässigen Unternehmen seiner -
getrennt le-benden
-
Ehefrau gegen eine unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegende Ver-gütung
tätig ist, beanstandet die Zuständigkeit der inländischen Gerichte, weil er am 4.
August 2014 seinen Wohnsitz von [X.] nach [X.]/[X.] verlegt habe.

Das Insolvenzgericht hat das Verfahren antragsgemäß eröffnet
und den weiteren Beteiligten zu
1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Die dagegen einge-legte sofortige Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuld-ner sein Begehren, den Eröffnungsantrag abzulehnen, weiter.

II.

Die gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 ZPO,
§§
4, 6 Abs. 1, §
34 Abs. 2 [X.]
statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte sei gemäß Art.
3 EuInsVO gegeben. Zur Feststellung des [X.] der hauptsächlichen Inte-ressen des Schuldners sei auf die Kriterien der Arbeit, der Familie sowie der [X.] und der kulturellen Integration abzustellen. Danach komme es nicht 2
3
4
5
-

4

-
allein auf die Begründung eines Wohnsitzes durch den Abschluss eines [X.] sowie die Ummeldung eines Fahrzeugs nach [X.] an. Vielmehr falle besonders ins Gewicht, dass der Schuldner nach wie vor in [X.] als Angestellter im Unternehmen seiner Frau tätig sei. Neben dem Schwerpunkt seiner Beschäftigung deuteten
auch die familiären Verhältnisse des Schuldners nach [X.], wo seine Ehefrau und der gemeinsame [X.] in einem Haus lebten, an welchem dem Schuldner ein dingliches Wohnrecht zustehe. Die noch bestehende Ehe und der in [X.] gelegene Lebensmittelpunkt der [X.] bilde ein Kriterium für einen Lebensmittelpunkt des Schuldners in [X.], auch wenn der Insolvenzantrag in den zeitlichen Rahmen einer frühen Trennungsphase gefallen sei.
Der Umstand, dass der Schuldner jeden Abend nach [X.] fahre, um dort zu nächtigen, begründe keinen dortigen Lebensmittelpunkt.

Im Übrigen sei eine tatsächliche Verlegung des [X.] nach [X.] unbeachtlich, weil sie rechtsmissbräuchlich erfolgt sei. Der Wohnsitz des Schuldners sei mit Rücksicht auf die gegen ihn geltend gemach-ten Forderungen in Millionenhöhe zur Erwirkung
eines kurzen
Restschuldbe-freiungsverfahrens
gewechselt worden.

2. Diese Ausführungen halten bereits in der [X.] den An-griffen der Beschwerde stand. Der
Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (Art.
3 Abs.
1 EuInsVO) war im maßgeblichen Zeitpunkt des gegen ihn gestellten [X.]
([X.], Beschluss vom 9.
Februar 2006
-
IX
ZB 418/02, [X.], 695) in [X.] gelegen.

a) Der in Art. 3 Abs.
1 Satz
1 EuInsVO verwendete Rechtsbegriff des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen (Centre of main interests
COMI) 6
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8
-

5

-
ist verordnungsautonom, das heißt
in den Mitgliedsstaaten einheitlich und un-abhängig von nationalen Rechtsvorschriften auszulegen.

aa) Seine Bedeutung erschließt sich aus der 13. Begründungserwägung der Verordnung, wo es heißt: "Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen sollte der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist". Aus dieser Definition geht hervor, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach objekti-ven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen ist. Diese Ob-jektivität und die Möglichkeit der Feststellung durch Dritte sind erforderlich, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröff-nung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren. Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sind umso wichtiger, als die Bestim-mung des zuständigen Gerichts nach Art.
4 Abs.
1 EuInsVO die des anwendba-ren Rechts nach sich zieht
([X.], Beschluss vom 22.
März 2007 -
IX
ZB 164/06, [X.], 899 Rn.
14; vom 15.
November 2010 -
NotZ 6/10, [X.], 284 Rn.
11).

[X.]) Handelt es sich bei dem Schuldner um eine abhängig beschäftigte Person, kann für den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach [X.] Rechtsansicht
regelmäßig
auf den gewöhnlichen Aufenthalt als tatsäch-lichen Lebensmittelpunkt abgestellt werden, wo der Schwerpunkt der wirtschaft-lichen, [X.] und kulturellen Beziehungen liegt ([X.] 2012, 351 Rn. 58; [X.] Z[X.] 2007, 1358; [X.] NZI 2009, 133, 134; 2012, 379, 380; [X.]/[X.], 8.
Aufl., §
3 EuInsVO Rn.
7; [X.]/[X.], 3.
Aufl., Art.
3 EuInsVO Rn.
50; [X.]/[X.] in
A/G/R, [X.], 3.
Aufl., Art.
3 EuInsVO
aF
Rn.
23; [X.]/[X.], [X.], 19. Aufl., Art.
3 EuInsVO Rn. 8; HmbKomm-[X.]/[X.], 6.
Aufl., Art.
3
EuInsVO
Rn.
20; Gott-9
10
-

6

-
wald/Kolmann/[X.], Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 131 Rn. 28; FK-[X.]/[X.]/[X.], 8. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 9; [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn.
10; [X.] in [X.], [X.], 2010, Art. 3 EuInsVO Rn. 8; Pannen, EuInsVO, 2007, Art. 3 Rn. 19 ff, 25; Mankowski, [X.], 368, 369 f). Dabei ist die Intensität
beruflicher
und familiärer
Bindun-gen
von besonderer Bedeutung ([X.], Beschluss
vom 3. Februar 1993
-
XII [X.], NJW 1993, 2047, 2048; [X.] NZI 2012, 379, 380; [X.]/[X.], aaO; [X.]/[X.]
in A/G/R, aaO; HmbKomm-[X.]/[X.], aaO; [X.]/Kolmann/[X.], aaO).
Ob besondere Umstände dazu führen können, den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen abweichend von dem [X.] Aufenthalt zu bestimmen, kann vorliegend dahinstehen. Daher kann eine Vorlage an den [X.] unterbleiben.

b) Der durch die Aufnahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnis-ses und familiäre Bindungen geprägte
gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners verweist
nach der [X.] Würdigung des [X.]s
auf das [X.]. Dies ergibt eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstän-de des Einzelfalls (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Oktober 2011
-
C-396/09, ZIP
2011, 2153 Rn. 52
"Interedil").

aa) Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts
ist einmal zu be-rücksichtigen, dass der Schuldner bei einer in [X.] ansässigen Gesell-schaft eine Tätigkeit als Arbeitnehmer übernommen hat, die er nicht etwa über-wiegend faktisch in [X.] versieht. Wie ein zwischen dem Schuldner und einer Inkassogesellschaft geführtes Interview unterstreicht, ist dem
Schuldner von seiner
Arbeitgeberin auch der interne
Geschäftsbereich des
Forderungs-einzugs überantwortet. Zum anderen
nimmt der Schuldner den familiären [X.] zu seinem
[X.] in [X.] wahr. Dabei
handelt es sich nicht um die 11
-

7

-
Situation eines Grenzgänger-Arbeitnehmers, der vom ausländischen Wohnsitz seiner Familie lediglich
zu seinem
inländischen Arbeitsplatz anreist. In einem solchen Fall liegt der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen eines [X.] an dem Ort, wo
er und
seine
Familie ansässig sind
([X.]/
[X.], 3. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 48; [X.]/[X.], aaO
Art.
3 EuInsVO Rn. 9). Vorliegend bestehen die familiären Beziehungen des Schuldners hinge-gen ausschließlich an
seinem Arbeitsort in [X.].

(2) Die danach festzustellenden hauptsächlichen erwerbswirtschaftlichen und familiären Bindungen des Schuldners nach [X.] werden nicht dadurch in Frage gestellt, dass
er in [X.] eine Wohnung gemietet und dort seinen Wohnsitz angemeldet hat
(vgl. [X.], Beschluss vom 13.
Juni 2006 -
IX
ZA 8/06, [X.] 2006, Nr.
265, 616, 618; vom 22.
März 2007 -
IX
ZB 164/06, [X.], 899 Rn.
14). In
Anwendung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ge-nügt es, wenn die "hauptsächlichen", nicht notwendig alle Interessen des Schuldners auf das Inland verweisen
([X.], [X.], 159, 160). Der [X.] wurde von dem Schuldner ersichtlich in unmittelbarer
Grenznähe gewählt, um
tatsächlich
im nahe gelegenen [X.] seinen
hauptsächlichen Inte-ressen nachgehen
zu können. Eine über den Kontakt zu Nachbarn hinausge-hende [X.] Integration des Schuldners an seinem Wohnort, wo er keinen engeren privaten Umgang pflegt,
hat nicht stattgefunden. Zudem
verfügt der Schuldner in [X.] über ein dingliches Wohnrecht an einer Immobilie,

12
-

8

-
das er nicht aufgegeben hat.
Die dadurch eröffnete Rückkehroption spricht ge-gen eine dauerhaft gewollte Änderung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 19. Aufl., Art.
3 EuInsVO, Rn.
19).

Kayser
Gehrlein
Lohmann

Grupp
Schoppmeyer

Vorinstanzen:
AG [X.], Entscheidung vom 03.06.2015 -
103 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 27.07.2016 -
4 [X.] -

Meta

IX ZB 70/16

02.03.2017

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.03.2017, Az. IX ZB 70/16 (REWIS RS 2017, 14799)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14799

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