Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.10.2006, Az. VI ZR 223/05

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2006, 1051

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[X.]IM NAMEN [X.]ES VOLKES URTEIL [X.] Verkündet am: 31. Oktober 2006 [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja BGB § 823 [X.]c Keine Haftung des Einzelhändlers bei der Explosion einer [X.].
[X.], Urteil vom 31. Oktober 2006 - [X.] - [X.] - 2 - [X.]er [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 31. Oktober 2006 durch die Vizepräsidentin [X.]r. [X.] und [X.] [X.], [X.], Pauge und [X.] für Recht erkannt: [X.]ie Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 13. Oktober 2005 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand: [X.]er Kläger hielt sich am 23. Juni 2001 gegen 12.00 Uhr in dem von der [X.] betriebenen Verbrauchermarkt in S. auf, um dort einzukaufen. Als er sich im Bereich der offen gelagerten Erfrischungsgetränke orientieren wollte, explodierte eine [X.] (Mehrwegflasche, sog. Brunnen - Einheitsflasche), wodurch er erheblich verletzt wurde. 1 [X.]er Hersteller der [X.] wurde aufgrund einer Klage des Arbeitgebers des [X.] verurteilt, dem Arbeitgeber den durch die Lohnfort-zahlung entstandenen Schaden gemäß § 1 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 115 [X.] zu ersetzen. Mit der jetzigen Klage macht der Kläger seinen Eigenbetei-ligungsbetrag sowie einen Anspruch auf Schmerzensgeld geltend. 2 - 3 - [X.]ie Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. 3 Entscheidungsgründe: [X.] 4 Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der [X.] keine [X.] vorzuwerfen. Zwar sei die Beklagte beim [X.] kohlensäurehaltiger Getränke verpflichtet gewesen, in den Grenzen des technisch Möglichen und ihr wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass der Verbraucher keine Gesundheitsschäden erleide. [X.]eshalb habe sie die mit dem Vertrieb von Glasflaschen verbundene Gefahr einer spontanen Explosion nach Möglichkeit gering halten müssen. Eine durch Klimatisierung herbeigeführ-te künstliche Kühlung sei aber unzumutbar gewesen, weil sich dadurch bei den hier zu erörternden Temperaturen das Risiko nur minimal verringert hätte. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei das Explosionsrisiko temperaturabhängig. Neben der Temperatur seien jedoch deren Bruchfestigkeit sowie der CO2-Gehalt des Getränks Bestimmungsfaktoren für die Wahrschein-lichkeit eines spontanen Bruchs der Flasche. Bei einer Temperatur von 15°C entstehe ein Überdruck von 2,59 bar. [X.]ieser steige bei 24,4°C auf 3,75 und bei 30°C auf 4,57 bar. [X.]ieser Gleichgewichtsdruck werde allerdings bei [X.] Getränken üblicherweise weder im Handel noch beim Verbraucher er-reicht. [X.]ie Gleichgewichtseinstellung dauere nämlich in einer ruhig gelagerten Flasche mehrere Monate. 5 [X.] bei den hier diskutierten Temperaturen setze eine Schädigung der Flasche in Form von nicht erkennbaren Mikrorissen vor-6 - 4 - aus, die sich unter dem Einfluss des sich aufbauenden Überdrucks vergrößer-ten und schließlich explosionsartig zur Zerstörung der Flasche führten. Trotz eines Mittelwerts der Innendruckfestigkeit von noch über 12 bar bei alten und stark verschlissenen Mineralwasserflaschen komme es immer wieder vor, dass einzelne Flaschen beim Verbraucher bzw. im Handel bei einem Überdruck von weniger als 4 bar explodierten. [X.]ie Geschwindigkeit des Risswachstums sei nicht berechenbar. Sie liege zwischen praktisch unendlich langsam und etwa 1 mm/sek. Aussagen zu dem Zeitpunkt, wann und unter welchen Bedingungen eine bestimmte vorgeschädigte Flasche explodieren werde, seien nicht möglich. [X.] hätte aber eine geringere Temperatur die Explosionswahrscheinlichkeit nur geringfügig gesenkt. Selbst im Kühlschrank könne eine Flasche platzen, wenn die feinen Risse die [X.]ruckfestigkeit vermindert hätten. 7 In [X.] sei es unüblich, Sprudelkästen in Kühlräumen zu lagern. Weil das Risiko von Explosionen dadurch auch nicht wesentlich abgesenkt würde, sei die Beklagte nicht gehalten gewesen, das Getränk gekühlt zum [X.] anzubieten. [X.]em lediglich geringen Sicherheitsgewinn hätte nämlich ein erheblicher Aufwand für eine kühle Lagerung gegenüber gestanden. [X.]er Auf-wand beziehe sich nicht nur auf den Raum, in welchem die Flaschen verkauft würden, sondern auch auf Lagerräume und den Transport, weil die Anpassung der Flaschentemperatur an die Umgebungstemperatur eine gewisse Zeit benö-tige. Zudem sei das Explosionsrisiko gekühlter Flaschen zu bedenken, das aus dem Temperaturunterschied von menschlicher Hand und Glasflasche herrühre. Wenn sich ein bereits fortgeschrittener Mikroriss in dem Bereich befinde, in dem das Glas durch die Hand erwärmt werde, könne nämlich allein dadurch eine Explosion hervorgerufen werden. 8 - 5 - Im vorliegenden Fall hätten die Verkaufsräume allenfalls eine Tempera-tur von 24,4°C gehabt. Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme zu der in der zweiten Instanz eingeholten Auskunft des Wetterdienstes vortrage, der einstö-ckige Verkaufsraum sei nicht isoliert und das Flachdach sei mit schwarzer Teerpappe bedeckt gewesen, so dass sich das Gebäude ganz erheblich [X.] habe, sei sein Vortrag neu und nach § 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich. [X.] habe der Kläger nämlich vorgetragen, Außen- und Innentemperatur seien "praktisch identisch" gewesen. Im Übrigen habe der Sachverständige be-reits die räumliche Lage von [X.]berücksichtigt. Zu Gunsten des [X.] sei bei der angenommenen Maximaltemperatur wegen der Innenstadtlage der [X.]sräume ein Zuschlag vorgenommen worden. Es sei deshalb nicht gerecht-fertigt, die von der [X.] eingeräumte Maximaltemperatur von 24,4°C zu überschreiten. 9 I[X.] [X.]ie Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtli-chen Überprüfung im Ergebnis stand. 10 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Beklagte aufgrund ihrer Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet war, in den Grenzen des technisch Möglichen und ihr wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass Verbraucher durch die von ihr angebotene Ware keine Gesundheitsschäden erleiden. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrun-gen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vgl. Se-natsurteile vom 16. Mai 2006 - [X.] ZR 189/05 - [X.], 1083, 1084; vom 11 - 6 - 8. November 2005 - [X.] ZR 332/04 - [X.], 233, 234 und vom 15. Juli 2003 - [X.] ZR 155/02 - [X.], 1319, jeweils m. w. N.). [X.]ie rechtlich gebo-tene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. [X.]abei ist zu be-rücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre unrealistisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. [X.] wird eine Gefahr deshalb erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit er-gibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Auch dann reicht es jedoch anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Perso-nen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. Senatsurteile vom 16. Mai 2006 - [X.] ZR 189/05; vom 8. November 2005 - [X.] ZR 332/04 - und vom 15. Juli 2003 - [X.] ZR 155/02 -, jeweils aaO m. w. N.). [X.]abei sind Sicherungsmaßnahmen umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 2004 - [X.] ZR 294/03 - [X.], 279, 280 f.). 2. Nach diesen Grundsätzen ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] verneint hat. 12 Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, die auf den von der Revision nicht angegriffenen Ausführungen des Sachverständigen be-ruhen, ist das Explosionsrisiko zwar temperaturabhängig; weitere Faktoren sind aber der CO2-Gehalt des Getränks sowie die Bruchfestigkeit der Flasche. [X.] setzt eine Schädigung der Flasche in Form von nicht [X.] - 7 - kennbaren Mikrorissen voraus, die sich unter dem Einfluss des sich [X.] vergrößern und schließlich explosionsartig zur Zerstörung der Flasche führen. Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, die Geschwindig-keit des Risswachstums sei nicht berechenbar. Sie liege zwischen praktisch unendlich langsam und etwa 1 mm/s. Aussagen zu dem Zeitpunkt, wann und unter welchen Bedingungen eine bestimmte vorgeschädigte Flasche explodie-ren werde, seien nicht möglich. Selbst im Kühlschrank könne eine Flasche plat-zen, wenn die feinen Risse die [X.]ruckfestigkeit vermindert hätten. Eine geringe-re Temperatur hätte deshalb vorliegend die Explosionswahrscheinlichkeit nur geringfügig gesenkt. Andererseits hat der Sachverständige auf das [X.] gekühlter Flaschen hingewiesen, das aus dem Temperaturunterschied von menschlicher Hand und Glasflasche herrühre. Er hat dargelegt, dass dann, wenn sich ein bereits fortgeschrittener Mikroriss in dem Bereich befinde, in dem das Glas durch die Hand erwärmt werde, alleine dadurch eine [X.] werden könne. Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass die wesentliche Ursache für die Explosion im Zustand der Flasche zu sehen ist, insbesondere in den für den Einzelhändler nicht erkennbaren Haarrissen. Beim Zustand der Flasche handelt es sich aber um ein Risiko, das in den Verantwortungsbereich des Herstellers fällt, dem der Gesetzgeber die Haftung für fehlerhafte Produkte zugewiesen hat. Aufgrund der für ihn bestehenden Gefährdungshaftung haftet der Hersteller deshalb in solchen Fällen grundsätzlich nach § 1 des Produkthaftungsgesetzes, wobei im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit jetzt auch für den immateriellen Schaden eine billige Entschädigung in Geld verlangt werden kann. 14 Soweit darüber hinaus die Temperatur eine Rolle spielen kann, erscheint es nicht gerechtfertigt, entgegen der bisherigen Praxis in Verkaufsräumen bei 15 - 8 - üblichen, auch sommerlichen Temperaturen eine Verpflichtung des Einzelhänd-lers zur Kühlung zu statuieren. Im Hinblick auf die geringe Wahrscheinlichkeit, dass ein Verbraucher durch eine im Verkaufsraum explodierende Flasche ver-letzt wird, ist der dafür erforderliche Aufwand im Verhältnis zu dem bestehen-den Risiko nicht zumutbar. Mit einer Kühlung könnte der Händler das Risiko nur für einen kurzen Zeitraum geringfügig verringern. Er würde aber zugleich neue Gefahren schaffen, die durch die Kühlung entstehen können, wenn der Kunde etwa die gekühlte Flasche mit einer wesentlich wärmeren Hand berührt oder sie nach dem Einkauf in ein warmes Fahrzeug verbringt und es dann wegen des erheblichen Temperaturunterschieds zur Explosion der Flasche kommt. Bei dieser Sachlage ist es unabhängig davon, ob die vom Berufungsgericht festge-stellte Temperatur von 24,4°C oder die vom Kläger behauptete Temperatur von 30°C bestanden hat, nicht gerechtfertigt, dem Einzelhändler den für eine [X.] erforderlichen Aufwand aufzuerlegen. - 9 - 3. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. 16 [X.] [X.] [X.] Pauge [X.] Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 09.12.2004 - 5 O 276/04 [X.] - [X.], Entscheidung vom 13.10.2005 - 9 U 3/05 -

Meta

VI ZR 223/05

31.10.2006

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.10.2006, Az. VI ZR 223/05 (REWIS RS 2006, 1051)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 1051

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