Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.02.2014, Az. XI B 73/13

11. Senat | REWIS RS 2014, 8160

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Gegenstand

Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens bei Klage gegen Änderungsbescheide nach Umsatzsteuer-Sonderprüfung


Leitsatz

NV: Legt ein Steuerpflichtiger gegen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide, denen nach Erläuterungen zu den Bescheiden die Ergebnisse einer bei ihn durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung zugrunde liegen, Einspruch ein und beantragt er gleichzeitig Aussetzung der Vollziehung der Vorauszahlungsbescheide, so ist der Gegenstand des Klagebegehrens einer späteren Klage jedenfalls dann bereits mit Einreichung der Klageschrift ausreichend bezeichnet, wenn der Klageschrift die Vorauszahlungsbescheide sowie die Einspruchsentscheidung beigefügt sind und sich aus der Einspruchsentscheidung ergibt, dass die Prüfung zu Korrekturen bei den steuerpflichtigen Umsätzen und beim Vorsteuerabzug geführt hat.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Rechtsanwältin. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) änderte unter dem 24. September 2012 die [X.] für das [X.] Kalendervierteljahr 2010 (Streitzeitraum) nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]). In den Erläuterungen zu allen [X.]n ist ausgeführt, dass der Festsetzung die Ergebnisse der bei der Klägerin durchgeführten [X.] "lt. Prüfungsbericht vom 21.08.2012" zugrunde liegen.

2

Gegen diese Bescheide legte die Klägerin Einsprüche ein und beantragte gleichzeitig, die Vollziehung der Bescheide nach § 361 [X.] auszusetzen, weil diese offensichtlich rechtswidrig seien. Eine weitere Begründung der Einsprüche ging trotz Erinnerung beim [X.] nicht ein. Daraufhin wies das [X.] die Einsprüche durch Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2012 als unbegründet zurück; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. In der Begründung der Einspruchsentscheidung heißt es, dass im Rahmen der Prüfung bei der Klägerin Korrekturen an den steuerpflichtigen Umsätzen der Klägerin sowie beim Vorsteuerabzug vorgenommen wurden. Diese seien im Bericht vom 21. August 2012 erläutert worden. Bei der erneuten Überprüfung der Steuerfestsetzung seien keine Fehler festgestellt worden.

3

In der Klageschrift vom 16. Januar 2013 erhob die Klägerin Klage gegen die [X.] vom 24. September 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Dezember 2012 und fügte eine Abschrift der angefochtenen Bescheide sowie der Einspruchsentscheidung bei.

4

Nachdem die Klägerin eine Aufforderung des Finanzgerichts ([X.]), den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen, nicht fristgerecht beantwortet und das [X.] einen Antrag auf Fristverlängerung abgelehnt hatte, wies das [X.] die Klage als unzulässig ab. Das Klagebegehren lasse sich nicht aus den der Klageschrift beigefügten Bescheiden und der Einspruchsentscheidung entnehmen, da auch bereits der Einspruch nicht begründet worden sei.

5

Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin sämtliche Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) geltend.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

7

Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O liegen vor. Das [X.] hat die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen. Dies stellt einen Verfahrensfehler dar (vgl. z.B. Beschlüsse des [X.] vom 29. Oktober 2004 XI B 99/02, juris; vom 1. August 2007 XI B 183/06, [X.] 2007, 1921; vom 18. August 2011 V B 44/10, [X.] 2011, 2084) und verletzt zugleich den Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. [X.] vom 23. April 2009 [X.]43/08, [X.] 2009, 1443).

8

1. Die Klage ist nicht unzulässig, weil der Gegenstand des Klagebegehrens bereits in der Klageschrift vom 16. Januar 2013 nebst Anlagen ausreichend bezeichnet worden ist.

9

a) Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O muss die Klage u.a. den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Fehlt es an einem der in § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O genannten Erfordernisse, kann der Vorsitzende oder Berichterstatter dem Kläger für die erforderliche Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen (§ 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O). Entspricht die eingereichte Klage den in § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O genannten Erfordernissen, ist eine gleichwohl verfügte Ausschlussfrist hinfällig (vgl. [X.] vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, [X.], 1, [X.], 306; vom 28. Juni 2012 XI B 44/12, [X.] 2012, 1811, jeweils m.w.N.).

b) Eine ausreichende Bezeichnung des Klagebegehrens erfordert, dass der Kläger substantiiert darlegt, inwiefern der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, und ihn in seinen Rechten verletzt (Beschluss des Großen Senats des [X.] vom 26. November 1979 GrS 1/78, [X.]E 129, 117, [X.] 1980, 99). Wie weit das Klagebegehren einer Klage im Einzelnen zu [X.] ist, hängt von den Umständen des Falles ab ([X.]-Urteil vom 14. Juni 2000 X R 18/99, [X.] 2001, 170, m.w.N.), insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, der Steuerart und der Klageart ([X.] vom 8. Juni 2004 XI B 46/02, [X.] 2004, 1417; vom 9. Juni 2011 [X.]47/10, [X.] 2011, 1713).

aa) Die Nennung der angefochtenen Verwaltungsakte reicht zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens nicht aus (vgl. [X.] vom 17. Januar 2002 XI B 127/02, [X.] 2003, 788). Auch kann vom [X.] nicht verlangt werden, den Gegenstand des Klagebegehrens anhand einer Vielzahl ihm vorgelegter Unterlagen selbst zu ermitteln, und die Anforderungen des § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O als erfüllt anzusehen, wenn die vorgelegten Unterlagen dies mehr oder weniger leicht und zuverlässig ermöglichen ([X.]-Urteil vom 13. Juni 1996 III R 93/95, [X.]E 180, 247, [X.] 1996, 483).

bb) Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des [X.] in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt ([X.] vom 30. April 2001 VII B 325/00, [X.] 2001, 1227; in [X.], 1, [X.], 306). Der Gegenstand des Klagebegehrens kann auch im Wege der Auslegung und unter Rückgriff auf die Steuerakten festgestellt werden ([X.] vom 20. September 2002 IV B 198/01, [X.] 2003, 190, m.w.N.). Bei der Auslegung einer beim [X.] erhobenen Klage sind sämtliche diesem und der Finanzbehörde erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (vgl. [X.]-Urteil in [X.] 2001, 170, m.w.N.). Das [X.] hat bei der Auslegung der Klageschrift u.a. die Unterlagen zur Kenntnis zu nehmen, auf die in der Klageschrift durch Beifügung oder ausdrückliche Bezeichnung Bezug genommen worden ist (vgl. [X.]-Urteil vom 27. Juli 1999 VIII R 55/98, [X.] 2000, 196). Auch ein Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) kann zur Auslegung der Klageschrift heranzuziehen sein ([X.]-Urteil vom 18. Mai 1999 [X.], [X.] 1999, 1603, unter II.2.).

cc) § 65 Abs. 2 Satz 2 [X.]O erlegt dem Kläger keine zusätzlichen, weitergehenden Obliegenheiten auf als § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O und begründet keinen Anspruch des [X.], dass ihm eine ohne Hinzuziehung noch nicht vorliegender Steuerakten aus sich heraus verständliche Darstellung des nach Ansicht des [X.] maßgeblichen steuerlichen Sachverhalts vorgelegt wird ([X.]-Urteil in [X.]E 180, 247, [X.] 1996, 483; [X.] in [X.] 2004, 1417). Den rechtzeitigen Eingang einer minimalen Klagebegründung zu gewährleisten, ist Zweck des § 79b [X.]O (vgl. [X.]-Urteil vom 23. Januar 1997 IV R 84/95, [X.]E 182, 273, [X.] 1997, 462), von dem das [X.] ebenfalls Gebrauch gemacht hatte.

dd) Hat ein Kläger z.B. die Festsetzung der Umsatzsteuer auf bestimmte Beträge beantragt, die den [X.] vor Ergehen von [X.] aufgrund einer Außenprüfung entsprechen, hat er den Gegenstand des Klagebegehrens ausreichend bezeichnet (vgl. [X.] vom 6. April 1999 XI B 132/96, [X.] 1999, 1243, Leitsatz; s. auch [X.]-Urteil vom 26. Juli 1984 IV R 214/80, juris, zu [X.] nach Betriebsprüfung).

c) Ausgehend davon lassen die Angaben in der Klageschrift vom 16. Januar 2013 das Klagebegehren hinreichend erkennen. Das [X.] hätte daher die Ausschlussfrist nicht setzen und die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen.

aa) Dabei ist es zwar im Ausgangspunkt zutreffend, dass die Klägerin --wie das [X.] ausgeführt hat-- den eingelegten Einspruch nicht weiter begründet hat. Allerdings hat die Klägerin, was das [X.] bei seiner Würdigung des Einspruchs nicht erwähnt hat, bereits in ihrem Einspruchsschreiben vom 26. Oktober 2012 die angefochtenen Bescheide als "offensichtlich rechtswidrig" bezeichnet und gleichzeitig die AdV der angefochtenen Bescheide (§ 361 AO) beantragt. Es ist unerheblich, dass das Einspruchsschreiben der Klageschrift nicht beigefügt war; denn abgesehen davon, dass das [X.] selbst dem Ablauf des [X.] Bedeutung für die Auslegung beimessen will, kommt es für die Auslegung einer Klage --wie [X.] auch auf die aus den Steuerakten erkennbaren Umstände an (vgl. auch [X.]-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, [X.]E 201, 409, [X.] 2003, 606).

bb) Weiter hat das [X.] nicht berücksichtigt, dass es sich bei den angefochtenen Bescheiden um (auf § 164 Abs. 2 AO gestützte) [X.] nach einer [X.] bei der Klägerin handelt. Aus den Erläuterungen zu den Bescheiden ergibt sich, dass diesen die Prüfungsfeststellungen aus dem Bericht vom 21. August 2012 zugrunde liegen. Nach dem Inhalt der Einspruchsentscheidung wurden die steuerpflichtigen Umsätze und der Vorsteuerabzug vom [X.] korrigiert und die Abweichungen im Bericht erläutert.

Der Gegenstand des Klagebegehrens i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.]O ergibt sich dementsprechend im Streitfall mit hinreichender Klarheit aus der Zusammenschau von Klageschrift, Einspruchsschrift, Steuerbescheid und Einspruchsentscheidung. Das [X.] konnte daraus mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass die Klägerin alle Streitpunkte des [X.] mit der Klage weiterverfolgen und mit der Klage begehren wollte, sämtliche Änderungen durch die [X.] nach [X.] (aufgrund der dabei getroffenen Prüfungsfeststellungen) rückgängig zu machen.

Daraus, dass erfahrungsgemäß Streitpunkte im Klageverfahren häufig reduziert werden, folgt nicht, dass das Klagebegehren nicht hinreichend bezeichnet wäre. Eine Begrenzung auf bestimmte Positionen ist bis zum Ende der mündlichen Verhandlung möglich und daher für die Zulässigkeit der Klage unerheblich ([X.] in [X.] 2004, 1417, unter [X.]). Aus der Klageschrift sind außerdem keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin ihr Begehren im Einspruchsverfahren, alle Änderungen durch die Außenprüfung rückgängig zu machen, einschränken wollte; vielmehr folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin die Bescheide der Klageschrift beigefügt hat, dass sie ihr Begehren insgesamt weiter verfolgen wollte (vgl. [X.] vom 7. November 2007 I B 104/07, [X.] 2008, 799, unter II.1.d).

cc) Der Senat kann offen lassen, ob er der Auffassung beipflichten könnte, dass zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Klagebegehrens der "bloße Hinweis" auf die Einkommensteuerbescheide für fünf Jahre und die Einspruchsentscheidung nicht genügen soll, wenn eine Steuerfahndungsprüfung zu einer Vielzahl von steuerlich auszuwertenden Feststellungen geführt hatte (so [X.] vom 18. Februar 2003 VIII B 218/02, [X.] 2003, 1186; zur Abgrenzung s. [X.] vom 16. April 2007 VII B 98/04, [X.] 2007, 1345). Denn ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor.

2. Nachdem sich die zur Begründung des Verfahrensfehlers notwendigen Angaben bereits aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 26. September 2013 ergeben, kann dahinstehen, ob und inwieweit das weitere Beschwerdevorbringen der Klägerin aus den Schriftsätzen vom 27. September 2013, 28. September 2013 und 30. September 2013 berücksichtigt werden könnte.

3. Es erscheint sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen, da bei unzutreffender Abweisung einer Klage als unzulässig von einer Revisionsentscheidung regelmäßig keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist (vgl. [X.] vom 29. Januar 2010 II B 107/09, [X.] 2010, 938; vom 22. März 2012 XI B 1/12, [X.] 2012, 1170, Rz 19).

4. Der Beschluss ergeht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O ohne weitere Begründung.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI B 73/13

05.02.2014

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 30. Mai 2013, Az: 5 K 5014/13, Urteil

§ 65 Abs 1 S 1 FGO, § 65 Abs 2 S 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.02.2014, Az. XI B 73/13 (REWIS RS 2014, 8160)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8160

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