Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.04.2021, Az. 1 B 10/21

1. Senat | REWIS RS 2021, 7057

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] für das [X.] vom 27. November 2020 wird verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf eine grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und auf eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg, weil sie bezüglich beider Zulassungsgründe nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.

2

I. Die [X.]eschwerde hat mit der Grundsatzrüge keinen Erfolg.

3

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen [X.]edeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. April 2014 - 1 [X.] 1.14 - juris Rn. 2 und vom 10. März 2015 - 1 [X.] 7.15 - juris Rn. 3).

4

Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung besteht. Die [X.]eschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.]uchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die [X.]egründungspflicht verlangt, dass sich die [X.]eschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher [X.]edeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 [X.] 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 5 und vom 11. November 2011 - 5 [X.] 45.11 - juris Rn. 3). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten [X.] erstrecken.

5

2. Die von der [X.]eschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,

ob das Vorliegen eines Zweitbescheides durch die [X.]ehörde in Anwendung des § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG voraussetzt, dass die [X.]ehörde die (inzidente) Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens aufgrund einer Ermessensentscheidung getroffen hat,

rechtfertigt danach nicht die Zulassung der Revision. Weder hat die [X.]eschwerde einen über die in der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts geklärten Frage der Erforderlichkeit einer Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG hinausgehenden Klärungsbedarf (2.1) noch die Entscheidungserheblichkeit der Frage vor dem Hintergrund dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die [X.]eklagte ihr Wiederaufgreifensermessen jedenfalls nicht zugunsten der Klägerin ausgeübt hat (2.2).

6

2.1 Die [X.]eschwerde wirft die Frage auf, ob nach [X.] Entscheidung ein - eine gerichtliche Überprüfung in der Sache eröffnender - "Zweitbescheid" voraussetzt, dass die [X.]ehörde nicht nur erneut in der Sache entschieden hat, sondern sie zuvor - bei Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG - auch ihr Wiederaufgreifensermessen nach § 51 Abs. 5 VwVfG ausgeübt haben muss. Sie ist dabei der Auffassung, dass auch eine mangels Ermessensausübung nach § 51 Abs. 5 VwVfG zu Unrecht ergangene neue behördliche Sachentscheidung deren gerichtliche Überprüfung eröffnet.

7

Nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht kann, soweit dies nicht durch eine nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VwVfG entgegenstehende Vorschrift ausgeschlossen ist, eine an Gesetz und Recht gebundene [X.]ehörde aus Gründen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ein Verfahren jederzeit von Amts wegen wieder aufgreifen mit dem Ziel, einen - möglicherweise rechtswidrigen - Verwaltungsakt zugunsten des [X.]etroffenen durch einen der Rechtslage entsprechenden zu ersetzen. Dies schließt die Möglichkeit ein, wiederum einen ablehnenden [X.]escheid in der Sache zu erlassen und damit wenigstens zugunsten des [X.]etroffenen erneut den Weg zu einer gerichtlichen Sachprüfung zu eröffnen, es sei denn, es liegt bereits ein den Anspruch verneinendes rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil vor ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 23. Februar 2004 - 5 [X.] 104.03 - juris Rn. 8 m.w.N.). Ist der Erstbescheid hingegen - wie vorliegend - nach gerichtlicher Überprüfung in [X.]estandskraft erwachsen, unterliegt er der Rechtskraftbindung des § 121 VwGO. In der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Wirkung des § 121 VwGO nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden kann, etwa wenn der [X.]etroffene nach § 51 VwVfG einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die [X.]ehörde das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgegriffen hat oder aufgreifen muss ([X.]VerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 5 C 9.11 - [X.] 97 Nr. 2 S. 5 m.w.N.). In der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts ist weiterhin geklärt, dass der [X.]etroffene nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht - vorbehaltlich abweichender sondergesetzlicher Regelungen - keinen allgemeinen strikten Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und den Erlass eines Zweitbescheides hat, und zwar in der Regel auch dann nicht, wenn der [X.] rechtswidrig ist; die [X.]ehörde entscheidet im Regelfall über einen Antrag auf Wiederaufgreifen nach pflichtgemäßem Ermessen, dem grundsätzlich ein Anspruch des [X.]etroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung entspricht, wobei sich das der [X.]ehörde eingeräumte Ermessen auf null verengt, wenn die Ablehnung, in eine erneute Sachprüfung einzutreten, rechtswidrig wäre ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 23. Februar 2004 - 5 [X.] 104.03 - juris Rn. 8 m.w.N.).

8

Einen darüber hinausgehenden oder neuerlichen Klärungsbedarf hat die [X.]eschwerde nicht dargelegt. Eine mögliche fehlerhafte Anwendung dieser Grundsätze durch das Oberverwaltungsgericht würde die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen.

9

2.2 Die [X.]eschwerde hat auch die Entscheidungserheblichkeit der Frage vor dem Hintergrund nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht - im Einklang mit der vorstehend dargelegten höchstrichterlichen Rechtsprechung - davon ausgegangen ist, dass die [X.]indungswirkung des die Ablehnung des ersten [X.] bestätigenden Urteils des [X.] vom 4. November 2004 nach § 121 VwGO nur auf gesetzlicher Grundlage durchbrochen werden kann, wenn der [X.]etroffene nach § 51 Abs. 1 VwVfG einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die [X.]eklagte das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgreift oder aufgreifen muss ([X.]). In Anwendung dieser Grundsätze ist es sodann zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Klägerin weder auf § 51 Abs. 1 VwVfG ([X.] ff.) noch auf § 51 Abs. 5 VwVfG berufen könne, weil die [X.]eklagte im Widerspruchsbescheid keine Ermessensentscheidung getroffen habe ([X.] f.) und die Klägerin auch keinen gerichtlich einklagbaren Anspruch auf ein Wiederaufgreifen habe ([X.] f.).

Dabei sind die von der [X.]eschwerde angeführten Ausführungen des [X.] ([X.] f.) vor dem Hintergrund der [X.]esonderheiten des vorliegenden Falles zu sehen, in dem der Widerspruchsbescheid der [X.]eklagten vom 27. März 2018, den die Klägerin als Zweitbescheid erachtet, sich nicht eindeutig zum Vorliegen von [X.] verhält. Die Würdigung des [X.], die [X.]eklagte habe ihr Ermessen nicht zugunsten der Klägerin ausüben wollen, erweist sich im Hinblick auf die [X.]egründung des Widerspruchsbescheides, nach der der (das Vorliegen von [X.] verneinende) Ausgangsbescheid vom 28. September 2017 für rechtmäßig erachtet wird, jedenfalls nicht als willkürlich. Geht das Oberverwaltungsgericht damit erkennbar nicht von einer Ermessensentscheidung zugunsten der Klägerin aus, fehlt es nach den vorstehenden Ausführungen schon an den Voraussetzungen für eine Durchbrechung der [X.] des § 121 VwGO.

II. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

1. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z.[X.]. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.]uchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).

2. In diesem Sinne zeigt die [X.]eschwerde keine divergierenden Rechtssätze auf. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach den beiden von der [X.]eschwerde herangezogenen Entscheidungen des [X.]undesverwaltungsgerichts ([X.]eschluss vom 10. August 1995 - 7 [X.] 296.95 - [X.]uchholz 428.2 § 2 VZOG Nr. 3 und Urteil vom 11. Dezember 2008 - 7 C 3.08 - [X.]uchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 51), von denen die Vorinstanz abgewichen sein soll, ein - die gerichtliche Prüfung des [X.]egehrens in der Sache erneut eröffnender - "Zweitbescheid" auch eine positive (inzidente) Entscheidung über das Wiederaufgreifen enthält. Das [X.]erufungsgericht ist hingegen in tatsächlicher Hinsicht - wie vorstehend dargelegt - davon ausgegangen, dass die [X.]ehörde keine positive Ermessensentscheidung getroffen hat, sondern die Widerspruchsbehörde irrtümlich von einem Wiederaufgreifen durch die Ausgangsbehörde ausgegangen ist, und die Klägerin deshalb keinen gerichtlich einklagbaren Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der rechtskräftig bestätigten Ablehnung der Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG hat ([X.] ff.).

III. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

1 B 10/21

13.04.2021

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. November 2020, Az: 11 A 1531/19, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.04.2021, Az. 1 B 10/21 (REWIS RS 2021, 7057)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7057

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 B 63/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Wiederaufgreifen eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens


8 B 69/13 (Bundesverwaltungsgericht)

Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde


3 K 7986/21.A (Verwaltungsgericht Düsseldorf)


1 C 23/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen nachträglich durch Rechtsbereinigungsgesetz ex nunc geänderter Rechtslage bei …


2 B 1/20 (Bundesverwaltungsgericht)

Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens betreffend die Rückforderung von Ausbildungskosten eines bei der Bundeswehr absolvierten Medizinstudiums


Referenzen
Wird zitiert von

12 K 1874/18

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.