Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2017, Az. 2 StR 140/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 9566

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:140617B2STR140.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 140/17
vom
14. Juni
2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 14.
Juni
2017
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2016 mit den Feststellungen aufge-hoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-richt
tätige Strafkammer
des [X.]s zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine dagegen gerichtete, auf
die Verlet-zung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.
Nach den Feststellungen des [X.]s gerieten der Angeklagte und der Nebenkläger, die sich bis [X.] nicht kannten,
am 12.
April 2016
auf dem öffentlichen Facebook-Account des [X.] über ein Mathematikrätsel in Streit. Es kam zu wechselseitigen Beschimpfungen und Beleidigungen.
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Nachdem es am Vormittag des nächsten Tages
über Facebook
zu weite-ren beleidigenden,
aggressiven und provokanten Äußerungen von beiden [X.] gekommen war, begegneten
sich der Angeklagte und der Nebenkläger zu-fällig auf der [X.].
Der Angeklagte erkannte den Nebenkläger, da er zuvor dessen Facebook-Profilbild
gesehen hatte.
Aufgrund der vorangegangenen Beschimpfungen und Beleidigungen entschloss sich der Angeklagte spontan, dem Nebenkläger mit einem [X.] Messer eine

Abreibung zu verpassen, wobei er ihn körperlich verlet-zen wollte und dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Der Angeklagte sprang auf den mit seinem Handy beschäftigten und nichts Böses ahnenden Nebenkläger zu, stieß ihm mit der linken Hand das Messer mit der scharfen [X.] nach oben in den Bauch und zog es mit einer Drehbewegung wie-der heraus. Der Nebenkläger erschrak, schrie auf und wandte sich ab, um zu flüchten. Nunmehr versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger im Bereich der rechten Niere einen weiteren wuchtigen Messerstich in den Rücken, so dass die Klinge bis zum Schaft in den Körper eindrang und
die Nierenschlagader und die Nierenvene der rechten Niere durchtrennte. Der Stich in den Bauch war abstrakt, der Stich in den Rücken konkret lebensgefährlich.
Der Nebenkläger taumelte zu Boden und kam rücklings in der Nähe ei-nes Baumes zum Liegen. Er hatte den Angeklagten, von dem er über
Facebook ein Foto gesehen hatte, inzwischen als denjenigen erkannt, mit dem er auf [X.] gestritten hatte. Er hielt seine Arme schützend vor den Körper und trat mit den Füßen nach dem Angeklagten. Gleichzeitig rief er, der Angeklagte solle aufhören,
es tue ihm leid. Der Angeklagte, der die Entschuldigung des [X.] hörte und sah, dass dieser blutete, beugte sich über ihn, packte ihn am Kragen und schrie ihn an: "Was tut [X.]?" Der Nebenkläger konnte jedoch nicht mehr antworten, was der Angeklagte realisierte. Er ging davon aus, dass 3
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der Nebenkläger an den erlittenen Stichverletzungen versterben könne, ließ daraufhin von ihm ab und verließ in aller Ruhe den [X.]. Der lebensgefährlich verletzte Nebenkläger konnte durch eine Notoperation gerettet werden.

II.
Die Revision des Angeklagten ist begründet.
1. [X.] ist zunächst von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab für die Annahme eines beendeten Versuchs des Totschlags ausgegangen. Maßgeblich ist das Vorstellungsbild (Rücktrittshorizont) des [X.] nach der letzten Ausführungshandlung (Senat, Urteil vom 29.
Juni 2016

2 StR 588/15, [X.], 664, 665; [X.], Beschluss vom 27.
November 2014

3
StR 458/14,
NStZ 2015, 331). Dabei liegt ein beendeter Versuch bereits dann vor, wenn der Täter die naheliegende Möglichkeit des [X.]s erkennt, selbst wenn er den Erfolg weder will noch billigt ([X.], Urteil vom 25.
November 2004

4 [X.], [X.], 263, 264). Die Kenntnis der tatsächlichen [X.], die den [X.] nahe legen, reicht aus ([X.] aaO).
2. Die diesen Maßstäben genügenden Feststellungen des [X.]s, der Angeklagte sei, als er von dem Geschädigten abließ, davon ausgegangen, dass dieser an den Messerstichen versterben könnte ([X.]), sind zwar [X.] naheliegend, werden aber durch die von der Kammer vorgenommene Be-weiswürdigung nicht getragen.
a)
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm obliegt es, sich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder [X.] des Angeklagten zu bilden (§
261 StPO). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder
Zweifel 6
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überwunden hätte. Vielmehr hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Über-zeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nä-her gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. [X.], Urteil vom 24.
März 2015

5 StR 521/14, [X.], 178, 179). Die Schlussfolgerun-gen des
Tatgerichts brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie mög-lich sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 12.
Februar 2015 -
4
StR 420/14, [X.], 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht insbesondere der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfah-rungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 26.
Oktober 2016 -
2
StR 275/16, juris Rn.
12).
Zudem muss die tatrichterliche Beweiswürdigung auf [X.] nachvollziehbaren und tragfähigen Grundlage beruhen ([X.], Urteil vom 13.
Juli 2016

1 [X.], juris Rn.
9).
b) Diesen Maßstäben genügt die tatrichterliche Beweiswürdigung nicht.
(1) [X.] führt im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich aus, die Feststellung zum Rücktrittshorizont des Angeklagten beruhen auf dessen [X.]

und A.

. Diese Beweiswürdigung ist widersprüchlich
bzw. lückenhaft.
(a) Die Widersprüchlichkeit zeigt sich zunächst darin, dass der [X.] geschilderten Einlassung gerade nicht von einer lebensgefährlichen Verletzung des [X.] ausging. Vielmehr führt das Urteil zur Einlassung des Angeklagten aus ([X.]), er habe ein Eindringen des Messers in den Körper nicht gespürt. Er habe kein Blut gesehen, auch die Messerklinge sei frei von [X.] gewesen. Er habe gedacht, der Ge-10
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schädigte habe nur weiche Knie bekommen. Wenngleich die Kammer diese Einlassung rechtsfehlerfrei für widerlegt erachtet hat, ergibt sich aus ihr [X.] nicht der angenommene Rücktrittshorizont des Angeklagten.
(b) Die Aussagen der Zeugen [X.]

und A.

sind ebenfalls nicht
geeignet, den von der Kammer gezogenen Schluss auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten
zu
unterlegen.
Nach der Darstellung der Kammer ist der Zeuge A.

durch [X.]
aufmerksam geworden
und
zum [X.] geeilt. Er beobachtete dort, dass
der Angeklagte sich über den am Boden liegenden Nebenkläger beugte und diesen am Kragen festhielt (UA
25). Welche Rückschlüsse
dies auf den Rücktrittshori-zont des Angeklagten zulassen soll, ist im Urteil nicht dargestellt und bleibt deshalb offen.
Gleiches gilt für die Angaben des
Zeugen [X.]

, der aus dem vierten
Stock seiner Wohnung
den Angeklagten mit einem Messer über dem Neben-kläger beobachtete
und sah, dass das Blut hinter dem Rücken des Nebenklä-gers auf den Boden lief. Er, [X.]

,
habe gedacht, dass sich der Nebenkläger
an dem Wurzelwerk des Baumes, an dem er lag, aufgeratscht

habe (UA
25). Welchen Rückschluss diese
Darstellung des Zeugen für die Beurteilung des Rücktrittshorizonts eröffnen soll, erschließt sich nicht und wird im Urteil nicht erörtert.
(2)
Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist ebenfalls nicht [X.], den Schluss der Kammer auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten zu tragen.
(a) Zwar stellt die Kammer zutreffend darauf ab, dass der Angeklagte
wusste, dass er zweimal mit dem Messer in sensible Körperbereiche
des Ne-13
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benklägers
gestochen hatte. Zudem hatte
er nach der insoweit [X.] wahrgenommen, dass der Nebenkläger blutete. [X.] der zusätzlichen
Annahmen der Kammer, der Angeklagte habe ferner reali-siert, dass der Nebenkläger nicht mehr habe antworten können ([X.]), erweist sich das Urteil jedoch als lückenhaft. Denn diese Annahme findet in der Be-weiswürdigung keine Stütze. Zudem hatte der Nebenkläger kurz
zuvor mehr-fach gerufen, er solle aufhören, es tue ihm leid. Wieso der Angeklagte [X.] danach davon ausgegangen sein soll, der Nebenkläger könne nicht mehr antworten,
ist weder dem Gesamtzusammenhang des
Urteils zu entnehmen, noch liegt dies nach den festgestellten Tatumständen auf der Hand.

(b) [X.] ist deshalb
auch die ohnehin missverständliche Formulierung
der rechtlichen Würdigung ([X.]), der Angeklagte da-von ausgehen, dass der Geschädigte an den Stichverletzungen sterben könne

nicht tragfähig
(vgl. [X.], Beschluss vom 29.
Mai 2007

3 [X.], [X.], 634, 635).
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3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dieser fehler-haften Beweiswürdigung beruht. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich genommen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen tatein-heitlich begangener gefährlicher Körperverletzung.
Krehl

Bartel

Richterin am [X.]

Wimmer ist an der

Unterschriftsleistung

gehindert.

Krehl

Grube

Schmidt

19

Meta

2 StR 140/17

14.06.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2017, Az. 2 StR 140/17 (REWIS RS 2017, 9566)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9566

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 140/17

2 StR 588/15

5 StR 521/14

1 StR 94/16

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