Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2013, Az. VI ZB 27/12

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6379

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB
27/12

vom

23. April
2013

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 520 Abs. 3
Gehört ein Telefaxgerät zu einer gemeinsamen Post-
und Faxannahmestelle, die als Geschäftsstelle sämtlicher angeschlossener Gerichte und Behörden gilt, ist ein per Telefax übermittelter Schriftsatz auch dann in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt, an das er adressiert war, wenn für die Übermittlung versehentlich die Fax-nummer einer anderen in den Behörden-
und
Gerichtsverbund einbezogenen Stelle gewählt worden ist.
[X.], Beschluss vom 23. April 2013 -
VI ZB 27/12 -
OLG [X.]/Main

LG [X.]/Main

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
23.
April
2013
durch den [X.] [X.], die Richter
Zoll und [X.], die Richterin [X.] und den Richter Stöhr
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 8.
Zivilsenats des [X.] vom 30.
April 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten
Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zu-rückverwiesen.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 350.000

Gründe:
I.
Der Beklagte wurde wegen eines Behandlungsfehlers zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 250.000

dass er zum Ersatz aller vergangenen und künftigen materiellen, nicht auf Dritte übergegangenen Schäden verpflichtet ist. Der Beklagte hat gegen das am 3.
Februar 2011 zugestellte Urteil Berufung eingelegt und beantragt, die Beru-fungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Mit Verfügung vom 4.
März 2011 wurde die Berufungsbegründungsfrist bis zum 4.
Mai 2011 ver-längert.
1
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3
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Am 4.
Mai 2011 ging zwischen 23.20
Uhr und 23.30
Uhr per Telefax beim [X.] ein Schriftsatz ein, der eine Berufungsbe-gründung enthält. Im Adressfeld war keine Telefaxnummer angegeben, sondern "Per EGVP". Der Schriftsatz war an das [X.] adressiert und wurde diesem weitergeleitet; es lässt sich nicht erkennen, wann er dort eingegangen ist. Am 5.
Mai 2011 übersandte der [X.] des Beklagten eine Berufungsbegründung an das elektronische Gerichts-
und [X.] (EGVP) des [X.].
Nach gerichtlichem Hinweis vom 13.
März 2012
auf eine mögliche Unzu-lässigkeit der Berufung wegen nicht fristgemäßer Einreichung der [X.] beantragte der Beklagte am 27. März 2012 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegrün-dung am Abend des 4.
Mai 2011 fertiggestellt. Entgegen der ursprünglichen Planung sei der Versand nicht über EGVP erfolgt, sondern per Telefax. Für den Versand sei die Auswahl der Telefaxnummer
von einer Gerichts-Faxliste erfolgt und
von
Hand
eingegeben
worden.
Die
beauftragte -
zuverlässige
-
Rechtsan-waltsfachangestellte sei bei der Auswahl in der Zeile verrutscht und habe das Telefax versehentlich an das [X.] gesendet. Dem [X.] war eine dies bestätigende eidesstattliche Versicherung der [X.] beigefügt.

Das [X.] hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vori-gen Stand zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Innerhalb der verlängerten Frist zur Begründung der Berufung sei eine Berufungsbegründung nicht beim [X.] eingegangen. Es sei nicht feststellbar, dass die per Telefax beim [X.] eingegangene Beru-fungsbegründung innerhalb der Frist zu dem [X.] gelangt sei. Der Schriftsatz trage lediglich den Eingangsstempel des [X.]s vom 4.
Mai 2
3
4
-
4
-

2011. Die an das Berufungsgericht per EGVP übersandte Berufungsbegrün-dung sei dort erst am 5. Mai 2011, mithin nach Ablauf der Frist, eingegangen. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem dem Beklag-ten zuzurechnenden Organisationsverschulden seines [X.]n. Der Beklagte habe nicht vorgetragen, dass in der Kanzlei seines Prozess-bevollmächtigten eine allgemeine Büroanweisung zur Ausgangskontrolle von per Fax zu übermittelnden fristwahrenden Schriftsätzen bestehe, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspreche. Auch die konkret erteilte [X.] habe diesen Grundsätzen nicht entsprochen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbe-schwerde.

II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 in Verbin-dung mit
§
522 Abs.
1 Satz
4, §
238 Abs.
2 Satz
1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn eine Entscheidung des Senats ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§
574 Abs.
2 Nr.

2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
a) Vom
Ausgangspunkt des Berufungsgerichts her, dass die [X.]sfrist versäumt worden sei, entspricht der Beschluss des Oberlan-desgerichts allerdings der ständigen Rechtsprechung des [X.]. Danach muss der Rechtsanwalt bei Versendung von Schriftsätzen per Telefax durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefaxnummer
des angeschriebenen Gerichts verwendet wird. Hierzu gehört, dass bei der er-forderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und 5
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dieser auf die Richtigkeit der verwendeten [X.] überprüft wird, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bereits bei der Ermittlung der Faxnummer
oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu [X.]. Die Überprüfung der Richtigkeit der im Sendebericht ausgewiesenen Emp-fängernummer
ist anhand eines aktuellen Verzeichnisses oder einer anderen geeigneten Quelle vorzunehmen, aus dem bzw. der die Faxnummer
des Ge-richts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12.
Juni 2012 -
VI
ZB 54/11, [X.], 1411 Rn.
7 mwN).
b) Es ist aber nicht auszuschließen,
dass die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt.
aa) Beide Rechte werden den Parteien eines Zivilrechtsstreits durch Art.
2 Abs.
1
GG in Verbindung mit
Art.
20 Abs.
3 GG garantiert. Danach
dürfen die Gerichte den Zugang zu den
den
Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. [X.], NJW-RR 2008, 446 f.
mwN).
bb) Nach diesen Grundsätzen ist nicht ausgeschlossen, dass die Ent-scheidung des [X.], die Berufung als unzulässig zu verwerfen, mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen eines fairen Verfahrens und der Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes nicht vereinbar ist. Unter Umständen hat das [X.] den Anspruch des Beschwerdeführers aus Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip schon deshalb verletzt, weil es die Berufungsbegründung
des Beschwerdeführers als verspätet eingereicht
angesehen und deshalb verworfen hat.
Gemäß der zitierten Entscheidung des [X.] vom 9.
Oktober 2007 (1
BvR 1784/05,
auszugsweise abgedruckt in
NJW-RR 2008, 9
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6
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446) gehört das Telefaxgerät des [X.]s ebenso wie das des Oberlan-desgerichts aufgrund Gemeinsamer Verfügung der Leiter der Justizbehörden in [X.] zu einer gemeinsamen Post-
und Faxannahmestelle, die als Ge-schäftsstelle sämtlicher angeschlossener Gerichte und Behörden in [X.] gilt. Dabei ist die Annahme von [X.] so geregelt, dass die beson-ders bestimmten [X.] der beteiligten Behörden und Gerichte zu-gleich als Anschlüsse der anderen Behörden und Gerichte gelten und die bei einem dieser Anschlüsse eingehenden [X.] als bei der [X.] angeschriebenen Behörden-
oder Gerichtsstelle eingegangen anzusehen sind. Diese vom [X.] in seiner Entscheidung wiedergegebene Regelung hat zur Folge, dass ein per Telefax übermittelter und -
wie hier
-
zutreffend an das [X.] adressierter Schriftsatz auch dann in die Verfügungsgewalt dieses Gerichts gelangt ist, wenn für die Über-mittlung versehentlich die Faxnummer
einer
anderen in den Behörden-
und Ge-richtsverbund einbezogenen Stelle gewählt worden ist. Für die Rechtzeitigkeit des Eingangs eines fristwahrenden Schriftstücks ist allein entscheidend, dass es innerhalb der Frist tatsächlich in den [X.] des zuständigen Gerichts gebracht worden und damit dem
Zugriff des Absenders nicht mehr zu-gänglich ist (vgl. [X.], aaO, juris
Rn.
6, 12
f.). Danach wäre die [X.]
beim [X.] rechtzeitig eingegangen, als der Tele-faxschriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 4.
Mai 2011 zwi-schen 23.20
Uhr und 23.30
Uhr per Telefax bei der [X.] des Landge-richts [X.] am Main eingegangen ist.
Das [X.] hat in dem angefochtenen Beschluss nicht fest-gestellt, dass zum Zeitpunkt der Übersendung des Schriftsatzes
eine von dem Beschluss des [X.] abweichende Regelung für die [X.] in [X.] galt,
und auch nicht dargelegt, dass es eine entspre-chende Prüfung vorgenommen hat. Dazu hätte aber aufgrund des Beschlusses 13
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7
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des [X.] und auch des Umstandes, dass mangels eines entsprechenden Eingangsstempels nicht feststellbar ist, wann die an das Land-gericht [X.] am Main übersandte Berufungsbegründung beim [X.] als zuständigem Berufungsgericht eingegangen ist, Anlass bestanden. Die
Rechtsbeschwerde weist zu Recht darauf hin, dass das Fehlen eines
Ein-gangsstempels
des
[X.]
dadurch erklärt werden kann, dass nach der oben dargelegten Geschäftsordnungsregelung der
an das Oberlan-desgericht gerichtete Schriftsatz mit
Eingang
bei der [X.] des Landge-richts als
beim [X.] eingegangen anzusehen war. Deshalb
hätte das [X.] jedenfalls im Hinblick auf den Beschluss des Bundesver-fassungsgerichts der Frage nachgehen müssen, wie in [X.] am Main für die dortigen Justizbehörden die [X.] zum hier maßgeblichen Zeit-punkt
organisiert war.
-
8
-

Der angefochtene Beschluss ist mithin aufzuheben, um dem Berufungs-gericht die Möglichkeit zu geben, die unterlassene Prüfung nachzuholen und dann erneut über die Zulässigkeit der Berufung zu entscheiden.

Galke
Zoll
[X.]

Diederichsen
Stöhr

Vorinstanzen:
LG [X.]/Main, Entscheidung vom 18.01.2011 -
2-18 O 230/04 -

OLG [X.]/Main, Entscheidung vom 30.04.2012 -
8 [X.] -

14

Meta

VI ZB 27/12

23.04.2013

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2013, Az. VI ZB 27/12 (REWIS RS 2013, 6379)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6379

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZB 27/12

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