Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2021, Az. 1 StR 497/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 8527

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Gegenstand

Versuch des Einschleusens von Ausländern: Erwerb von Sprachzertifikaten durch Teilnahme an einer Sprachprüfung unter falschem Namen


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten [X.]und [X.]wird das Urteil des [X.] vom 24. Juli 2020 aufgehoben,

a) soweit es den Angeklagten [X.] betrifft,

aa) in den Fällen [X.] und C.I[X.]12. der Urteilsgründe;

bb) im Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen, soweit die Einziehung einen Betrag von 3.500 € übersteigt und eine Gesamtschuld mit dem Angeklagten [X.]von mehr als 600 € angeordnet wurde;

b) soweit es den Angeklagten [X.]betrifft,

aa) in den Fällen [X.], 7., 9., 10., 12., 14., 16. und 17. der Urteilsgründe – in den Fällen [X.], 9., 10. und 17. der Urteilsgründe auch mit Wirkung für die Mitangeklagte [X.].    und in den Fällen [X.], 10. und 14. der Urteilsgründe auch mit Wirkung für den Mitangeklagten [X.]         , im Fall [X.] der Urteilsgründe auch mit den Feststellungen;

bb) im jeweiligen Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen zur Höhe der [X.] in den Fällen C.I[X.]10. und 17. der Urteilsgründe

(1) bezüglich des Angeklagten [X.]     , soweit die Einziehung einen Betrag von 6.680 € übersteigt und eine Gesamtschuld mit dem Angeklagten [X.]von mehr als 600 €, eine Gesamtschuld mit dem gesondert Verfolgten D.    in Höhe von mehr als 2.000 €, eine zusätzliche Gesamtschuld mit der Mitangeklagten [X.].     und eine zusätzliche Gesamtschuld mit dem Mitangeklagten [X.]          in Höhe von mehr als 300 € angeordnet wurde,

(2) bezüglich der Angeklagten [X.].    , soweit die Einziehung den im Fall C.I[X.]12. der Urteilsgründe eingezogenen Betrag von 300 € übersteigt, und

(3) bezüglich des Angeklagten [X.]        , soweit die Einziehung den im Fall C.I[X.]13. der Urteilsgründe eingezogenen Betrag von 300 € übersteigt;

c) im gesamten Strafausspruch – dies auch mit Wirkung für die Mitangeklagten [X.].     und [X.]          .

2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten [X.]und [X.]werden als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßigem Einschleusen von Ausländern und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusen von Ausländern (Fall C.I[X.]12. der Urteilsgründe), sowie wegen Urkundenfälschung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Erschleichen einer Einbürgerung und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern (Fall [X.]), zu der [X.]samtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Weiter hat es die Einziehung des Wertes von [X.]n in Höhe von 4.000 € angeordnet, hiervon in Höhe von 1.100 € gesamtschuldnerisch mit dem Angeklagten [X.]     und in Höhe weiterer 2.825 € gesamtschuldnerisch mit dem früheren Mitangeklagten und nunmehr gesondert Verfolgten [X.] .

2

Den Angeklagten [X.]     hat das [X.] wegen gewerbs- und bandenmäßiger Urkundenfälschung in zehn Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßigem Einschleusen von Ausländern und in sieben Fällen in Tateinheit mit versuchtem gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusen von Ausländern (Fälle [X.], 7., 9., 10., 12., 14. und 17. der Urteilsgründe), hiervon in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßigem Einschleusen von Ausländern (Fälle [X.] und 12. der Urteilsgründe), sowie wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Einschleusen von Ausländern und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem gewerbsmäßigen Einschleusen von Ausländern (Fall [X.] der Urteilsgründe), zu der [X.]samtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Daneben hat es die Einziehung des Wertes von [X.]n in Höhe von 35.680 € angeordnet – hiervon in Höhe von 1.100 € gesamtschuldnerisch mit dem Angeklagten B.  , in Höhe von weiteren 11.300 € gesamtschuldnerisch mit dem nunmehr gesondert Verfolgten [X.], hiervon in Höhe von 1.500 € zusätzlich gesamtschuldnerisch mit der nicht revidierenden Mitangeklagten [X.].    und von 1.200 € zusätzlich gesamtschuldnerisch mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten [X.]          .

3

Die gegen ihre Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten [X.] und [X.]    haben jeweils mit der Sachrüge in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang – gemäß § 357 Satz 1 StPO auch mit Wirkung für die nicht revidierenden Mitangeklagten [X.].     und [X.]           – Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

A.

4

Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen kam der Angeklagte [X.]     im Frühjahr 2018 auf die Idee, sich den Bedarf von Migranten an [X.] für ein [X.]schäftsmodell nutzbar zu machen. Dieses [X.]schäftsmodell sah vor, dass der [X.] mächtige Personen mit Migrationshintergrund für nicht [X.] Migranten [X.] oder kosovarischer Herkunft unter deren Namen Sprachtests absolvieren und hierdurch von diesen benötigte Sprachzertifikate erwerben sollten, wofür die Migranten ein Entgelt von in der Regel 2.500 € an ihn zahlen sollten, aus dem auch die [X.]bühren für die Sprachprüfungen bezahlt und die jeweils am Erwerb der Zertifikate mitwirkenden Beteiligten vergütet werden sollten. Zur Umsetzung dieses [X.]schäftsmodells schloss er sich zunächst mit dem Mitangeklagten [X.]und dem früheren Mitangeklagten und nunmehr gesondert Verfolgten [X.] zusammen, um künftig in arbeitsteiligem Zusammenwirken interessierte Migranten anzuwerben und für diese gegen Entgelt unter deren Namen bei privaten Sprachschulen oder Volkshochschulen Sprachprüfungen zu absolvieren und so den Migranten zu den benötigten [X.] zu verhelfen und hierdurch eigene Einnahmen in erheblichem Umfang zu erwirtschaften. Während der Angeklagte [X.]     in der Folgezeit vornehmlich mit der Akquise von Auftraggebern sowie der Planung und Organisation befasst war, nahmen der Angeklagte [X.]und [X.] , die jeweils nur teilweise in die Akquise und die Organisation eingebunden waren, unter dem Namen des jeweiligen Auftraggebers an den Sprachprüfungen teil. Ab der Tat im Fall [X.] der Urteilsgründe waren daneben bei Bedarf auch die von [X.] angeworbenen nicht revidierenden Mitangeklagten [X.].    und [X.]          , die sich ebenfalls bereiterklärt hatten, in einer Vielzahl künftiger Fälle an dem [X.]schäftsmodell mitzuwirken, für eine Vergütung von 300 € je Test als „Testschreiber“ tätig. Um bei den Sprachprüfungen Ausweise der auftraggebenden Migranten vorlegen und unter deren Namen an der Prüfung teilnehmen zu können, fertigte [X.]durch Aufkleben von Passbildern der jeweiligen „Testschreiber“ auf die Originalpässe der Auftraggeber gefälschte Ausweispapiere, die bei den Sprachprüfungen jeweils zum Einsatz gebracht werden sollten und meist auch wurden. Sämtlichen Beteiligten war dabei klar, dass die auftraggebenden Migranten mit den durch Identitätstäuschung erlangten [X.] eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis beantragen konnten.

5

Bei Begehung der einzelnen Taten wirkten die Angeklagten [X.]und [X.]     , die Mitangeklagten [X.].     und [X.]         sowie [X.] in unterschiedlicher personeller Zusammensetzung arbeitsteilig zusammen, wobei in den Fällen C.I[X.]1., 4., 5., 7., 9. und 10., 12. bis 14. sowie 17. der Urteilsgründe jeweils mindestens drei Beteiligte an der Tatbegehung mitwirkten und in den Fällen C.I[X.]2., 3., 6., 11., 16. und 18. der Urteilsgründe jeweils zwei Beteiligte. In den Fällen C.I[X.]1., 3., 6. und 18. der Urteilsgründe sollten die Sprachzertifikate in einem Einbürgerungsverfahren vorgelegt werden; im Fall C.I[X.]13. der Urteilsgründe wurde das Zertifikat für eine Zulassung als Krankenpfleger benötigt und in den übrigen Fällen sollten die Zertifikate der Verlängerung von Aufenthaltstiteln dienen. In den Fällen C.I[X.]2. bis 4. der Urteilsgründe legten die jeweiligen Auftraggeber die auf ihren Namen ausgestellten Sprachzertifikate der jeweils zuständigen Behörde vor. Im Fall [X.] der Urteilsgründe wurde nur auf den von [X.] verwandten Namen ein Sprachzertifikat erteilt, das der Auftraggeber in der Folge zwecks Erlangung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bei der zuständigen Behörde vorlegte, während das Sprachinstitut trotz der vom Mitangeklagten [X.]         gleichzeitig absolvierten und auch bestandenen Prüfung wegen eines Schreibfehlers im Namen („S.     “ statt „[X.]     “) kein Zertifikat erteilte.

6

Ab der Tat im Fall [X.] der Urteilsgründe (Anfang Oktober 2018) überwachte die Polizei das weitere Vorgehen der Angeklagten und des gesondert Verfolgten [X.] und konnte hierdurch in den Fällen C.I[X.]1., 6., 9. bis 11. und 13. bis 17. der Urteilsgründe entweder bereits die Erteilung von [X.] oder jedenfalls deren Vorlage bei der Ausländer- bzw. Einbürgerungsbehörde verhindern. Im Fall C.I[X.]7. der Urteilsgründe wurde ein Sprachzertifikat ebenfalls nicht erteilt; die Auftraggeberin legte jedoch nach den Feststellungen die Anmeldebestätigung für den Sprachtest und die Quittung über die Zahlung der Anmeldegebühr bei der Ausländerbehörde vor und erreichte so die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Im Fall C.I[X.]12. der Urteilsgründe bestand der Angeklagte [X.]bereits die Sprachprüfung nicht; das bei derselben Sprachprüfung von der Mitangeklagten [X.].    unter fremdem Namen erlangte Zertifikat legte die Auftraggeberin in der Folge zwecks Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde vor und erhielt, weil der Behörde der Sachverhalt bekannt war, eine Verlängerung für (nur) ein Jahr. Im Fall C.I[X.]18. der Urteilsgründe scheiterte der Angeklagte [X.]wiederum in der Sprachprüfung, weshalb die Sprachschule kein Zertifikat erteilte.

B.

7

[X.] Revision des Angeklagten B.

8

1. [X.] hält der auf die Sachrüge des Angeklagten [X.]veranlassten sachlich-rechtlichen Prüfung in den Fällen C.I[X.]11. und 12. der Urteilsgründe nicht stand. Das [X.] hat insoweit jeweils rechtsfehlerhaft einen Versuch des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 96 Abs. 1 Nr. 2 Variante 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 [X.], §§ 22, 23 StGB (Fall C.I[X.]11.) und des banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 96 Abs. 1 Nr. 2 Variante 3, § 97 Abs. 2 [X.], §§ 22, 23 StGB (Fall C.I[X.]12.) als [X.] verwirklicht ausgeurteilt.

9

a) Der Versuch des Einschleusens von Ausländern in der Tatbestandsvariante des [X.] erfordert in subjektiver Hinsicht, dass der Vorsatz des Schleusers auf die Förderung einer in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten Bezugstat im Sinne des § 96 Abs. 1 [X.] gerichtet ist (vgl. [X.], Urteile vom 26. Januar 2021 – 1 [X.] Rn. 66 und vom 29. Oktober 1997 – 2 StR 239/97 Rn. 7; Beschluss vom 13. Januar 2015 – 4 [X.] Rn. 10). Die objektiven Voraussetzungen des Versuchs sind erfüllt, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, mit der er nach seiner Vorstellung unmittelbar zur Förderung der präsumtiven Bezugstat ansetzt, wobei allerdings eine wertende Konkretisierung geboten ist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2021, aaO; Beschluss vom 6. Juni 2012 – 4 [X.] Rn. 4 mwN). Maßgebend ist dabei, wie weit sich der Täter bereits dem von ihm anvisierten [X.] angenähert und durch sein Handeln eine [X.]fahr für das betroffene Rechtsgut geschaffen hat (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2021, aaO; Beschlüsse vom 6. Juni 2012 – 4 [X.], aaO, mwN und vom 13. Januar 2015, aaO).

b) Danach hat sich der Angeklagte [X.]in den Fällen C.I[X.]11. und 12. der Urteilsgründe nicht – [X.] neben dem jeweils verwirklichten Urkundsdelikt – wegen versuchten gewerbsmäßigen (Fall [X.]) beziehungsweise gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern (Fall C.I[X.]12. der Urteilsgründe) strafbar gemacht. Unmittelbar zur Tatverwirklichung angesetzt hat der Angeklagte [X.]nicht allein deshalb, weil er jeweils – letztlich erfolglos – daran mitgewirkt hat, für einen Ausländer durch Teilnahme an einer Sprachprüfung unter dessen Namen ein Sprachzertifikat zu erwerben. Denn hierdurch hat sich der Angeklagte bei wertender Betrachtung dem erstrebten [X.] noch nicht hinreichend angenähert; durch sein Handeln hat er noch keine hinreichende [X.]fahr für das geschützte Rechtsgut geschaffen. Insbesondere ergibt sich aus den Feststellungen nicht, dass der jeweils vom Angeklagten unterstützte Ausländer kurz davor stand, unwahre Angaben gegenüber der jeweiligen Ausländerbehörde zu machen (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2021, aaO, Rn. 67).

Nach den getroffenen Feststellungen sollten die Sprachzertifikate unter Täuschung über die Identität des [X.] beschafft werden, damit der jeweilige Auftraggeber das auf seinen Namen ausgestellte Zertifikat in der Folge der zuständigen Behörde vorlegen und diese so zum Erlass des gewünschten ausländerrechtlichen Verwaltungsakts veranlassen konnte. Vor Ausstellung des jeweiligen Zertifikats bestand demnach von vornherein keine [X.]fahr, dass der Auftraggeber mittels des Zertifikats falsche Angaben gegenüber der Ausländerbehörde macht, so dass das durch § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] geschützte Rechtsgut – die Sicherung des ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahrens vor Falschangaben im Interesse materiell richtiger Entscheidungen und das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Richtigkeit von Verwaltungsentscheidungen (vgl. [X.], Urteile vom 26. Januar 2021, aaO und vom 22. Juli 2015 – 2 StR 389/13 Rn. 42; Beschluss vom 2. September 2009 – 5 [X.], [X.]St 54, 140 Rn. 18; [X.] [X.]/Hohoff, 29. Ed., [X.] § 95 Rn. 91) – gerade noch nicht in dem erforderlichen Maße gefährdet war. Die Unterstützungshandlungen des Angeklagten stellen sich insoweit als bloße – straflose – Vorbereitungshandlungen dar (vgl. auch [X.], Urteil vom 26. Januar 2021, aaO).

c) Weitere durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten [X.]weist der Schuldspruch nicht auf. Insbesondere kann der Senat in Anbetracht der [X.]ständnisse sämtlicher Angeklagter sowie des gesondert Verfolgten [X.]und der auch im Übrigen erdrückenden Beweislage ausschließen, dass der Schuldspruch auf den kleineren Unebenheiten in der diesbezüglichen Beweiswürdigung der [X.] beruht.

2. Die Aufhebung erstreckt sich auf die in den Fällen C.I[X.]11. und 12. der Urteilsgründe jeweils [X.] verwirklichten, an sich rechtsfehlerfrei ausgeurteilten Urkundsdelikte (§ 353 Abs. 1 StPO; [X.], Urteil vom 13. März 2019 – 1 [X.] Rn. 12 mwN).

Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen C.I[X.]11. und 12. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der jeweils verhängten [X.] und der [X.]samtstrafe nach sich. Dessen ungeachtet ist der Strafausspruch gegen den Angeklagten [X.]insgesamt aufzuheben, weil das [X.] bei der Strafzumessung den vertypten [X.] in § 46b StGB nicht in den Blick genommen und sich mit der Frage einer danach etwa veranlassten Strafrahmenverschiebung zu Gunsten des Angeklagten nicht auseinandergesetzt hat, obwohl es sich hierzu nach den getroffenen Feststellungen hätte gedrängt sehen müssen. Hiernach legte der Angeklagte [X.]als Mittäter mehrerer mit im Mindestmaß erhöhter Freiheitsstrafe bedrohter [X.] (§ 267 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 StGB) und Schleusungsdelikte (§ 95 Abs. 2 Nr. 2, § 96 Abs. 1 Nr. 2 Variante 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 und § 97 Abs. 2 [X.]) bereits frühzeitig ein [X.]ständnis ab ([X.]) und „trug somit erheblich zur Sachaufklärung bei“ ([X.]). Es hätte daher der Erörterung bedurft, ob gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 49 StGB eine Milderung des Strafrahmens geboten gewesen wäre, da seine Taten mit den in den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO fallenden Taten der anderen Mittäter nach § 267 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 StGB sowie nach § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 96 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und § 97 Abs. 2 [X.] im Zusammenhang standen.

3. Die Aufhebung im Schuldspruch im Fall C.I[X.]12. der Urteilsgründe entzieht auch der diesbezüglichen Entscheidung über die Einziehung des Wertes von [X.]n (§ 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB) die Grundlage.

4. Einer Aufhebung der den Schuld- und Strafausspruch tragenden Feststellungen nach § 353 Abs. 2 StPO bedarf es nicht, weil es sich bei dem zur diesbezüglichen Aufhebung führenden Rechtsfehler um einen Wertungsfehler handelt. Die der [X.] zugrunde liegenden Feststellungen zur Höhe des im Fall C.I[X.]12. der Urteilsgründe erlangten Tatlohns sind indes aufzuheben, weil es insoweit an einer fehlerfreien Beweiswürdigung fehlt. Der Angeklagte [X.]hat eingeräumt, 520 € vom Angeklagten [X.]    für die Tat erhalten zu haben, nämlich 500 € als Tatlohn für die Teilnahme an der Sprachprüfung und weitere 20 € als Benzinkostenerstattung ([X.]); der Angeklagte [X.]    hat indes angegeben, er habe dem Angeklagten [X.]lediglich einen Betrag in Höhe von 400 € als Tatlohn zukommen lassen ([X.]). An einer diesbezüglichen Beweiswürdigung und Auflösung des aufgezeigten Widerspruchs fehlt es ([X.] f.). Allein der pauschale, nicht auf konkrete [X.] bezogene Hinweis des [X.]s, den Angaben des Angeklagten [X.]     zur Höhe der Einnahmen und Ausgaben sei „nicht in allen Fällen“ zu folgen ([X.]), reicht mit Blick auf die fehlende konkrete [X.]samtwürdigung ([X.] f.) nicht aus.

I[X.] Revision des Angeklagten [X.]

1. a) [X.] betreffend den Angeklagten [X.]     hat in den Fällen C.I[X.] 5., 7., 9., 10., 12., 14., 16. und 17. der Urteilsgründe ebenfalls keinen Bestand, weil das [X.] auch hier jeweils rechtsfehlerhaft einen Versuch des gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 96 Abs. 1 Nr. 2 Variante 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 [X.], §§ 22, 23 StGB (Fall [X.] der Urteilsgründe) beziehungsweise des banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 96 Abs. 1 Nr. 2 Variante 3, § 97 Abs. 2 [X.], §§ 22, 23 StGB (Fälle [X.], 7., 9., 10., 12., 14. und 17. der Urteilsgründe) als [X.] verwirklicht ausgeurteilt hat.

b) An den unter [X.]1.a) genannten Maßstäben gemessen fehlt es insoweit wiederum jeweils an einem unmittelbaren Ansetzen des Angeklagten [X.]     zur Tat, weil das durch § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] geschützte Rechtsgut noch nicht hinreichend gefährdet war. In den Fällen [X.], 9., 10., 12., 14., 16. und 17. der Urteilsgründe war, soweit Sprachzertifikate nicht erteilt wurden, die [X.]fahr falscher Angaben des jeweiligen Auftraggebers bei der für den Erlass des Aufenthaltstitels zuständigen Behörde nach den Feststellungen noch nicht gegeben, weil es für eine solche [X.]fahr zunächst der Erteilung des jeweiligen Zertifikats bedurfte, mittels dessen die falschen Angaben bei der Behörde hätten gemacht werden können. Auch das Verhalten des Angeklagten [X.]    erschöpfte sich mithin in der bloßen Vorbereitung einer späteren Vorlage des durch Identitätstäuschung zu erschleichenden [X.] durch den jeweiligen Auftraggeber.

Auch im Fall C.I[X.]7. der Urteilsgründe liegt ein strafbarer Versuch eines banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2, § 96 Abs. 1 Nr. 2 Variante 3, § 97 Abs. 2 [X.], §§ 22, 23 StGB nicht vor. Zwar hat die Auftraggeberin in diesem Fall nach den getroffenen Feststellungen die Anmeldebestätigung des Sprachinstituts und die Quittung über die Zahlung der Prüfungsgebühr, die sie vom Angeklagten [X.]     und seinen Mittätern erhalten hatte, bei der Ausländerbehörde vorgelegt; insoweit ist nach den Feststellungen aber schon unklar, ob hiermit falsche Angaben der Auftraggeberin gegenüber der Behörde verbunden waren. Dies kann indes offen bleiben, weil insoweit jedenfalls eine erhebliche Abweichung von dem vom Angeklagten [X.]     in seinen Vorsatz aufgenommenen Kausalverlauf anzunehmen ist, weil dieser nur damit rechnete, dass die Auftraggeberin das etwa erlangte Sprachzertifikat bei der zuständigen Ausländerbehörde zwecks Verlängerung des Aufenthaltstitels vorlegen würde ([X.]). Da das Sprachzertifikat und nicht die Anmeldebestätigung oder die Quittung über die Zahlung der Prüfungsgebühr das für den Erwerb des Aufenthaltstitels und damit die Tat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 [X.] maßgebliche Dokument ist, für dessen Beschaffung der Angeklagte [X.]     und seine Mittäter gerade eingeschaltet waren, liegt in der Verwendung von Anmeldebestätigung und/oder Quittung durch die Auftraggeberin ein weder vorhersehbares noch vom Vorsatz des Angeklagten umfasstes ([X.]) und in seiner Qualität dem vorgestellten Tatgeschehen gleichwertiges [X.]schehen.

c) Soweit das [X.] den Angeklagten im Fall [X.] der Urteilsgründe neben der banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung und der hinsichtlich des Auftraggebers [X.] verwirklichten banden- und gewerbsmäßigen Schleusung zusätzlich wegen eines [X.] verwirklichten Versuchs einer banden- und gewerbsmäßigen Schleusung schuldig gesprochen hat, wäre Letzteres zwar auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen aus den genannten Gründen rechtsfehlerhaft; die Feststellungen, wonach ein Zertifikat auf den Namen [X.]    oder [X.]nicht erteilt wurde ([X.]), sind indes nicht von einer fehlerfreien Beweiswürdigung getragen, weil der Zeuge [X.]  , dessen Angaben das [X.] für „überzeugend“ erachtet ([X.]), ausgesagt hat, der Auftraggeber [X.]     habe das auf den Namen „S.    “ ausgestellte Zertifikat bei der Ausländerbehörde vorgelegt, habe aber wegen des Fehlers im Namen keine Aufenthaltserlaubnis erhalten ([X.] f.). An einer Auflösung dieses Widerspruches und einer die vorgenannte Feststellung tragenden [X.]samtwürdigung fehlt es.

d) Weitere durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten [X.]      weist der Schuldspruch nicht auf. Insbesondere kann der Senat in Anbetracht der [X.]ständnisse sämtlicher Angeklagten und des gesondert Verfolgten [X.] sowie der auch im Übrigen erdrückenden Beweislage ausschließen, dass der Schuldspruch auf den weiteren kleineren Unebenheiten in der diesbezüglichen Beweiswürdigung der [X.] beruht.

2. Die Aufhebung erstreckt sich wiederum auf die [X.] verwirklichten, an sich rechtsfehlerfrei ausgeurteilten Urkundsdelikte sowie – soweit insoweit eine Verurteilung erging – des vollendeten banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern.

Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen [X.], 7., 9., 10., 12., 14., 16. und 17. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die jeweiligen [X.]n und der [X.]samtstrafe nach sich. Auch die übrigen gegen den Angeklagten [X.]      verhängten [X.]n haben indes keinen Bestand, weil das [X.] auch hier bei der Strafzumessung den vertypten [X.] des § 46b StGB nicht in den Blick genommen und sich mit der Frage einer danach etwa veranlassten Strafrahmenverschiebung zu Gunsten des Angeklagten nicht auseinandergesetzt hat. Hierzu bestand nach den getroffenen Feststellungen Veranlassung, weil der Angeklagte [X.]     bereits im Ermittlungsverfahren ein umfassendes [X.]ständnis abgelegt hat. Auch insoweit hätte es der Erörterung bedurft, ob der Angeklagte durch sein frühzeitiges [X.]ständnis, durch das er die noch laufenden polizeilichen Ermittlungen „weiter voranbrachte“ ([X.]), im Sinne von § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB zur Aufdeckung der als Katalogtaten nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 r) und Nr. 5 StPO zu qualifizierenden Taten seiner Mittäter wesentlich beigetragen hat, und wäre das nach § 46b Abs. 1 Satz 1 StGB gegebenenfalls eröffnete Ermessen hinsichtlich einer möglichen Strafrahmenverschiebung zu Gunsten des Angeklagten von der [X.] auszuüben gewesen.

Ergänzend ist anzumerken, dass es mit Blick auf das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) Bedenken begegnet, das „professionelle von [X.]winnstreben geprägte Vorgehen“ des Angeklagten [X.]    ([X.]) neben dem Merkmal der [X.]werbsmäßigkeit (§ 267 Abs. 4 und Abs. 3 StGB sowie § 96 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 2 [X.]) strafschärfend zu berücksichtigen.

3. Der [X.] ist in den Fällen [X.], 7., 9., 10., 12., 14., 16. und 17. der Urteilsgründe bereits durch die Aufhebung des Schuldspruchs die Grundlage entzogen, weshalb diese insoweit ebenfalls aufzuheben ist.

4. Die Feststellungen haben bis auf diejenigen zum Fall [X.] der Urteilsgründe und zur Höhe der dem Angeklagten [X.]      in den Fällen C.I[X.]10. und 17. der Urteilsgründe zugeflossenen [X.] nach § 353 Abs. 2 StPO Bestand, weil die Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs insoweit auf reinen Wertungsfehlern beruht. Die Feststellungen zu Fall [X.] der Urteilsgründe sind dagegen von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler betroffen. Die Feststellungen zur Höhe der vom Angeklagten [X.]     in den Fällen C.I[X.]10. und 17. der Urteilsgründe vereinnahmten Beträge sind aufzuheben, weil es insoweit an einer tragfähigen Beweiswürdigung fehlt. Die diesbezüglichen Angaben der Angeklagten und der Zeugen weisen Widersprüche auf, die vom [X.] nicht durch eine tragfähige Beweiswürdigung aufgelöst wurden.

5. Die auf die Revision des Angeklagten [X.]     ergangene Aufhebung des Schuldspruchs wirkt gemäß § 357 Satz 1 StPO in den Fällen C.I[X.]7., 9., 10. und 17. der Urteilsgründe auch für die Mitangeklagte [X.].    und in den Fällen [X.], 10. und 14. der Urteilsgründe auch zu Gunsten des Mitangeklagten [X.]         , weil das Urteil insoweit an demselben Rechtsfehler leidet. Gleiches gilt für die auf die Revisionen beider Angeklagter ergangene Aufhebung des gesamten Strafausspruchs und die Aufhebung der [X.] gegen den Angeklagten [X.]    in den Fällen [X.], 7., 9., 10., 14. und 17. der Urteilsgründe. Die rechtsfehlerhaft unterbliebene Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung nach § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 49 StGB betrifft in gleicher Weise die nicht revidierenden Mitangeklagten [X.].    und [X.]        , weil auch diese bereits im Ermittlungsverfahren ein umfassendes, weiterführendes [X.]ständnis abgelegt haben, ohne dass die [X.] den vertypten [X.] des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB in den Blick genommen hätte (vgl. hierzu [X.], Beschlüsse vom 29. Januar 2019 – 2 StR 274/18 Rn. 8 ff. und vom 11. März 2014 – 5 StR 29/14 Rn. 8 f.). Die Aufhebung der [X.] wirkt in den Fällen C.I[X.]7., 9., 10., und 17. der Urteilsgründe gemäß § 357 Satz 1 StPO auch für die Mitangeklagte [X.].    und in den Fällen [X.], 10. und 14. der Urteilsgründe auch für den Mitangeklagten [X.]        , weil auch die gegen sie insoweit ergangenen [X.]en von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler betroffen sind.

Raum     

      

Bellay     

      

Bär     

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 497/20

23.02.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 24. Juli 2020, Az: 383 Js 183228/18 - 12 KLs

§ 95 Abs 2 Nr 2 AufenthG, § 96 Abs 1 Nr 2 Alt 3 AufenthG, § 96 Abs 2 S 1 Nr 1 AufenthG, § 96 Abs 3 AufenthG, § 97 Abs 2 AufenthG, § 22 StGB, § 23 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2021, Az. 1 StR 497/20 (REWIS RS 2021, 8527)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8527

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