Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.10.2016, Az. B 14 AS 155/16 B

14. Senat | REWIS RS 2016, 3740

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - fehlende erneute Anhörung - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 1. September 2015 - L 9 AS 11/14 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 1.9.2015 ist zulässig, denn er hat mit ihr einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf [X.] gemäß Art 101 Abs 1 Satz 2 GG wegen einer Verletzung von § 153 Abs 4 [X.]G hinreichend bezeichnet (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Die Beschwerde ist insoweit auch begründet.

2

Nach § 153 Abs 4 Satz 1 [X.]G kann das [X.] die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des [X.] kein Gerichtsbescheid ist. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G sind die Beteiligten vorher zu hören. Diesem rechtlichen Gehör ist Genüge getan, wenn den Beteiligten mit der Anhörungsmitteilung Gelegenheit sowohl zur Äußerung von etwaigen Bedenken, die sie gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung [X.] haben, als auch zur Stellungnahme in der Sache selbst eingeräumt wird. Wenn nach einer ersten Anhörungsmitteilung in qualifizierter Weise vorgetragen wird und das [X.] auch unter Würdigung dieses neuen Vorbringens an seiner Absicht festhalten will, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nur durch die Berufsrichter zu entscheiden, bedarf es einer erneuten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G mit Gelegenheit zur Äußerung hierzu. Denn das Anhörungserfordernis nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G ist aus verfassungsrechtlichen Gründen zugunsten der Beteiligten weit auszulegen, weil die Anhörungsmitteilung die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten adäquat kompensieren soll. Eine erneute Anhörung ist indes aus Gründen der [X.] nicht erforderlich, wenn das nach der ersten Anhörungsmitteilung erfolgte Vorbringen nicht entscheidungserheblich, ohne jegliche Substanz oder bloß wiederholend ist. Doch muss das neue Vorbringen entscheidungserheblich nicht in dem Sinne sein, dass es auch Grundlage für eine zulässige und begründete, nicht auf die Verletzung des Rechts auf [X.] gestützte Verfahrensrüge sein könnte. Denn sonst würde in diesen Konstellationen die prozessuale Absicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf [X.] ins Leere laufen (vgl zu diesen Maßstäben letztens etwa B[X.] Beschluss vom 2.11.2015 - [X.]3 R 203/15 B - juris RdNr 12 ff; B[X.] Beschluss vom 17.11.2015 - [X.] KR 65/15 B - juris RdNr 7 f; jeweils mit Nachweisen älterer Rechtsprechung; zur Kritik an diesen Maßstäben vgl [X.], NVwZ 2016, 806, 811 ff).

3

Vorliegend fehlt es an der erforderlichen erneuten Anhörung. Nach der Anhörungsmitteilung durch das [X.] vom 16.6.2015 mit einer Gelegenheit zur Stellungnahme binnen eines Monats legte der damalige Prozessbevollmächtigte des [X.] am 14.7.2015 erstmals eine umfangreiche Berufungsbegründung vom 3.7.2015 vor. Aufgrund dieser hat der Kläger eine erneute Mitteilung des [X.] erwarten dürfen, über die Berufung zu seinen Ungunsten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nur durch die Berufsrichter entscheiden zu wollen, wenn es an diesem Vorhaben festhalten wollte. Denn die Berufungsbegründung enthält weder bloß Entscheidungsunerhebliches oder Substanzloses noch sonst bloß Wiederholendes, sondern mit ihr ist seitens des [X.] im Berufungsverfahren erstmals, umfangreich und substantiiert vorgetragen worden. Hierdurch hat sich die [X.] nach der ersten Anhörung im oben beschriebenen Sinne entscheidungserheblich geändert. Das [X.] hat indes nach Vorlage der Berufungsbegründung nicht durch eine erneute Anhörungsmitteilung deutlich gemacht, an seiner beabsichtigten Entscheidung über die Berufung durch Beschluss festhalten zu wollen, sondern am 1.9.2015 durch den angefochtenen Beschluss entschieden. In diesem Beschluss gibt das [X.] den Inhalt der ausführlichen Berufungsbegründung knapp wieder, ohne sie als von vornherein unmaßgeblich zu bewerten.

4

Wegen des vorliegenden [X.] der unterbliebenen notwendigen erneuten Anhörung war das [X.] bei seinem Beschluss nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine Verletzung des § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]G durch eine unterbliebene Anhörung führt zur unvorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts nur mit den Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 [X.] iVm § 202 Satz 1 [X.]G), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist (vgl letztens etwa B[X.] Beschluss vom 2.11.2015 - [X.]3 R 203/15 B - juris RdNr 15; B[X.] Beschluss vom 17.11.2015 - [X.] KR 65/15 B - juris RdNr 6, 10; jeweils mit Nachweisen älterer Rechtsprechung). Dieser die angefochtene Entscheidung des [X.] insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 160a Abs 5 [X.]G). Die Verweisung an einen anderen Senat des [X.] (§ 563 Abs 1 Satz 2 ZPO iVm § 202 Satz 1 [X.]G) ist nicht geboten.

5

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 155/16 B

19.10.2016

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend Sozialgericht für das Saarland, 8. Juli 2014, Az: S 26 AS 441/12

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 547 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.10.2016, Az. B 14 AS 155/16 B (REWIS RS 2016, 3740)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3740

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 14 AS 156/16 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - fehlende …


B 14 AS 330/18 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - vorherige Anhörung …


B 14 AS 329/18 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - vorherige Anhörung …


B 13 R 341/15 B (Bundessozialgericht)

(Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG - Beschlussfassung …


B 1 KR 65/15 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.