Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.09.2015, Az. 3 StR 11/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 5257

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 11/15
vom
17. September 2015
in der Strafsache
gegen

1.

2.

3.
4.
5.

wegen gefährlicher Körperverletzung
u.a.

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung der Beschwerde-führer und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 17.
September 2015 gemäß § 349 Abs.
2 und 4 [X.] einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Lüneburg vom 9.
September 2014 mit den jeweils zu-gehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im [X.]
I. der Urteilsgründe,
b)
im Strafausspruch betreffend den Angeklagten [X.].

I.

,
c)
im Ausspruch über die Gesamtstrafe betreffend den Ange-klagten [X.]

.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückver-wiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten [X.].

I.

und [X.]

werden verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten S.

I.

, H.

und T.

wegen gefährlicher Körperverletzung (Tat [X.] der Urteilsgründe), den Ange-klagten [X.]

wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (Taten [X.] 1
-
3
-
und [X.] der Urteilsgründe) und den Angeklagten [X.].

I.

wegen gefährli-cher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung (Taten [X.] und [X.] der Urteilsgründe) verurteilt. Die hiergegen gerichteten, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche [X.] gestützten Revisionen der Angeklagten haben überwiegend Erfolg.
1. Die Verurteilung sämtlicher Angeklagter wegen gefährlicher Körper-verletzung im Fall [X.] der Urteilsgründe hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand, so dass es auf die hiergegen gerichteten Verfahrensrügen nicht ankommt. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
a) Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung zu dem Tatvorwurf, in der [X.] gemeinschaftlich auf drei Männer eingeschla-gen und eingetreten zu haben, keine Angaben gemacht. Das [X.] hat sich seine Überzeugung von der Täterschaft aufgrund eines vom Angeklagten T.

bei dessen polizeilicher Vernehmung im Ermittlungsverfahren abgelegten Geständnisses gebildet. Auf zum Zwecke des [X.] gestellte Beweis-anträge der Verteidiger der Angeklagten [X.]

, [X.].

I.

und S.

I.

hat die Strafkammer die Eltern des Angeklagten [X.]

zu dessen angeblichem Aufenthalt im Elternhaus sowie [X.] und einen [X.]st zum angeblichen Aufenthalt der Angeklagten I.

in einem Lokal angehört. Die [X.] hat sie als nicht bestätigt gefunden und hat dies neben anderen Erwägun-gen zum Wert der einzelnen Aussagen jeweils auch wie folgt begründet: Es hätte "nichts näher gelegen" (UA S.
41) bzw. "nahe gelegen" (UA S.
46), die [X.] bereits im Ermittlungsverfahren oder zumindest in der [X.] spätestens nach Vernehmung der [X.] zu benennen, anstatt sich erst nach längerem Verlauf der Hauptverhandlung,
teilweise nach einem ersten Schluss der Beweisaufnahme auf sie zu berufen.
2
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-
4
-
b) Diese Überlegung verstößt gegen den Grundsatz der Selbstbe-lastungsfreiheit des Angeklagten. Diesem kann der Zeitpunkt, zu dem er sich erstmals zur Sache einlässt, nicht zum Nachteil gereichen. Erst recht gilt dies für den Zeitpunkt eines vom Verteidiger gestellten [X.].
Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst aus-zusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Be-standteil eines fairen Verfahrens. So steht es dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§
136 Abs.
1 Satz 2, §
243 Abs.
5 Satz 1 [X.]). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil
gewertet werden ([X.], Urteile vom 26.
Oktober 1983 -
3 [X.], [X.]St 32, 140, 144; vom 26.
Mai 1992
-
5 [X.], [X.]St 38, 302, 305; vom 22.
Dezember 1999 -
3 StR 401/99, [X.], 1426; Beschluss vom 3.
Mai 2000 -
1 [X.], [X.], 494, 495). Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewähr-leistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein [X.] befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus der [X.] noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung -
und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der Angeklagte erstmals einlässt -
nach-teilige Schlüsse gezogen werden (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 22.
Februar 2001 -
3
StR 580/00, [X.], 72 bei [X.]; Beschluss vom 28.
Mai
2014 -
3 [X.], [X.], 666, 667 jeweils mwN).
Erst recht darf aus dem Zeitpunkt, zu dem ein Verteidiger einen Beweis-antrag anbringt, nichts zum Nachteil des bis dahin schweigenden Angeklagten hergeleitet werden. Der Verteidiger ist neben dem Angeklagten selbständig [X.], Beweisanträge zu stellen. Er kann einen solchen Antrag auch gegen den offenen Widerspruch des Angeklagten vorbringen, der Antrag muss nicht mit der Einlassung des Angeklagten übereinstimmen, die unter Beweis gestellte 4
5
6
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5
-
Behauptung kann auch einem Geständnis des Angeklagten widersprechen. Dementsprechend darf der Antrag des Verteidigers sowie die hierzu abgege-bene Begründung oder weitergehende Erläuterung nicht als Einlassung des Angeklagten behandelt werden, es sei denn der Angeklagte erklärt (eventuell auf Befragen), er mache sich das Vorbringen als eigene Einlassung zu eigen ([X.], Beschluss vom 29.
Mai 1990 -
4 [X.], [X.] 1990, 394; Urteil vom 24.
Juli 1991 -
4 [X.], [X.]R [X.], §
243 Abs.
4 Äußerung 4;
Beschluss
vom 7.
August 2014 -
3 [X.], [X.], 207, 208; [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., § 244 Rn. 118).
Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass sich die Angeklagten das Vorbringen in den Beweisanträgen der Verteidiger als Einlassung zu Eigen gemacht
hätten. Aus einer Gesamtschau des Urteils ergibt sich jedoch, dass sich die Angeklagten -
mit Ausnahme des Angeklagten T.

-
auch im Ermitt-lungsverfahren nicht zum Tatvorwurf eingelassen haben. Der Fehler ist deshalb auf Sachrüge hin zu beachten (vgl.
[X.], Beschluss vom 28. Mai 2014 -
3 [X.], [X.], 666, 667).
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die fehlerhafte Überlegung im Rahmen der Beweiswürdigung für die Überzeugung des Gerichts von der Unrichtigkeit der [X.] ursächlich war. Sie ergreift, da ein bestätigtes Alibi der drei Angeklagten die alle Beschwerdeführer belastende Aussage des Angeklagten T.

in Zweifel gezogen hätte, die Beweiswürdigung zu diesem Fall insgesamt. Über diesen Tatvorwurf muss daher bezüglich aller Angeklag-ten erneut verhandelt und entschieden werden.
2. [X.] betreffend den Angeklagten [X.].

I.

im [X.] [X.] hält hingegen rechtlicher Nachprüfung stand. Die hiergegen erhobenen Einwände sind aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] 7
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-
6
-
unbehelflich. Die gegen den Angeklagten verhängte einheitliche Jugendstrafe sowie der daneben angeordnete [X.] sind aufzuheben. Ihnen ist bereits aufgrund der Aufhebung der Verurteilung im Fall [X.] die Grundlage entzogen.
3. Der Schuld-
und Strafausspruch betreffend den Angeklagten [X.]

im [X.] [X.] der Urteilsgründe ist ohne Rechtsfehler. Der Senat schließt aus, dass sich die weggefallene Einzelstrafe aus dem Fall [X.] der Urteilsgründe auf die Höhe der hier erkannten Strafe ausgewirkt hat. Die Gesamtstrafe muss indes aufgehoben werden.
[X.] Pfister Schäfer

Gericke

Spaniol
10

Meta

3 StR 11/15

17.09.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.09.2015, Az. 3 StR 11/15 (REWIS RS 2015, 5257)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5257

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3 StR 11/15

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