Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2007, Az. 3 StR 108/07

3. Strafsenat | REWIS RS 2007, 4335

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[X.] vom 11. April 2007 in der Strafsache gegen wegen schwerer Vergewaltigung u. a. - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] - zu 2. auf dessen Antrag - am 11. April 2007 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 8. Mai 2006, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben, a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte wegen Vergewalti-gung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung (Fall [X.] 3. der Urteilsgründe) verurteilt worden ist; b) im gesamten Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. 2. Das weitergehende Rechtsmittel wird verworfen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung, wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und wegen Ver-gewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberau-bung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die hiergegen 1 - 3 - gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit einer Verfahrensrüge einen Teilerfolg. 1. [X.] mit gefährlicher Körperverletzung (Fall [X.] 3. der Urteilsgründe) kann keinen Bestand haben; wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, ist die Überzeugungsbildung des [X.]s insoweit teilweise auf [X.] gestützt, der nicht zum Ge-genstand der Hauptverhandlung gemacht worden ist (§ 261 StPO). 2 a) Dem liegt Folgendes zu Grunde: 3 Der Angeklagte hatte diese Tat zunächst in Abrede gestellt und behaup-tet, das Tatopfer - der Nebenkläger - sei nach Zahlung von 100 • damit einver-standen gewesen, dass er - der Angeklagte - und der (nicht revidierende) [X.] Mitangeklagte [X.]sexuelle Handlungen an ihm vornehmen. "Nach er-folgter Beweisaufnahme" (vgl. [X.]) kam es auf Wunsch der Verteidiger gegen Ende des dritten Sitzungstages zu einem außerhalb der Hauptverhand-lung geführten "informellen Gespräch" zwischen diesen, den Richtern und der [X.]. Dessen Ablauf schildern die Staatsanwältin und die beiden Berufsrichter in dienstlichen Stellungnahmen wie folgt: Die Verteidiger hätten danach gefragt, welches Strafmaß im Falle von Geständnissen zu erwar-ten sei. Der Verteidiger des Angeklagten S.

habe hierbei erklärt, er stelle sich eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren vor. Demgegenüber habe die Staatsanwältin geäußert, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne aus ihrer Sicht "eine Gesamtfreiheitsstrafe von unter 4 Jahren nicht in Betracht kommen". Nach interner Beratung der Kammer habe diese mitgeteilt, dass sie die Auffassung der Staatsanwältin teile. Der Verteidiger des Angeklagten [X.] habe daraufhin um Bedenkzeit bis zum nächsten Sitzungstag gebeten, um die Sache mit seinem Mandanten erörtern zu können. 4 - 4 - [X.] hat der Verteidiger für den Ange-klagten zu Protokoll "das Tatgeschehen – eingeräumt"; der Angeklagte hat die Angaben seines Verteidigers "als zutreffend anerkannt" ([X.]). Das Land-gericht hält die durch den Verteidiger abgegebene, vom Angeklagten bestätigte Erklärung bezüglich sämtlicher Tatvorwürfe für glaubhaft. Sie liefere für die [X.] Tat (Fall [X.] 3. der Urteilsgründe) "zumindest für die Durchführung der körper-lichen Misshandlungen" ein glaubhaftes Motiv; der Angeklagte habe wegen des Drogenkonsums des [X.] - seines Schwagers - erzieherisch tätig werden wollen, da er sich für ihn verantwortlich gefühlt habe. Damit habe er seine frühere Einlassung überzeugend korrigiert. Dieser stünden im Übrigen auch die Angaben des [X.] und das Geständnis des Mitangeklagten ent-gegen. 5 b) Mit Recht rügt der Beschwerdeführer, dass das [X.] damit sei-ne Überzeugung teilweise nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ge-schöpft hat. Denn der Mitangeklagte hat sich dort zur Sache nicht erklärt. Dies wird durch die Sitzungsniederschrift bewiesen. Danach hat er zu Beginn der Hauptverhandlung über seinen Verteidiger mitgeteilt, er werde sich nicht zur Sache einlassen. Dass er sich später dennoch zu dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf geäußert hätte, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen (zur Protokol-lierungspflicht s. [X.] NStZ 1995, 560 f.). Dieses weist lediglich aus, dass er im Rahmen des letzten Wortes äußerte, es tue ihm leid und er nehme die Strafe so hin, wie sie komme. Ein Geständnis des Mitangeklagten, das geeignet sein könnte, die frühere Einlassung des Angeklagten zu widerlegen, ist damit nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung geworden. 6 Zwar ist [X.] am [X.] Sp. , der in der Hauptverhand-lung den Vorsitz führte, in seiner dienstlichen Erklärung insoweit von dem Inhalt 7 - 5 - des von ihm [X.] abgerückt. Der Mitangeklagte [X.]habe "im Rahmen der Hauptverhandlung" gestan-den. Allerdings sei ihm nicht mehr erinnerlich, "wann und in welcher Verhand-lungssituation dies der Fall war". Das Geständnis habe aber "von Anfang an außer Frage gestanden". Diese Erklärung ist indes nicht geeignet, die [X.] der Sitzungsniederschrift (§ 274 Satz 1 StPO) zu erschüttern. Dabei kann dahinstehen, ob eine entsprechende Protokollberichtigung durch den [X.] und die Protokollführerin der Rüge des Beschwerdeführers den Boden hätte entziehen können (vgl. den Vorlagebeschluss des 1. Strafsenats des [X.] vom 23. August 2006 (NJW 2006, 3582 [X.] Wid-maier); denn eine solche ist nicht vorgenommen worden. Lediglich die einseitige Erklärung einer der Urkundspersonen beseitigt die Beweiskraft des Protokolls dagegen nicht, wenn damit die tatsächliche Grundlage für eine Verfahrensrüge des Angeklagten entfällt (vgl. [X.] NStZ 2005, 46). Hier kommt hinzu, dass die dienstliche Erklärung derart vage gehalten ist, dass es zweifelhaft erscheint, ob der den Vorsitz führende Richter im Zeitpunkt ihrer Abgabe noch eine aktuelle Erinnerung an den Ablauf der Hauptverhandlung hatte. Zu den Umständen und dem Inhalt des "informellen Gesprächs" hat er selbst eingeräumt, dass erst die Lektüre der Stellungnahme der [X.] seine undeutliche Erin-nerung aufgefrischt habe. Der Inhalt der dienstlichen Erklärungen der Staats-anwältin und des beisitzenden Richters zur Abgabe eines Geständnisses des Mitangeklagten in der Hauptverhandlung sind ebenfalls ohne Bedeutung; denn da die Beweiskraft des Protokolls insoweit nicht erschüttert ist, findet eine frei-beweisliche Feststellung des Ablaufs der Hauptverhandlung hierzu nicht statt (s. demgegenüber unten c). c) Auf dem dargestellten Verfahrensmangel beruht der Schuldspruch zum Fall [X.] 3. der Urteilsgründe. Der [X.] kann angesichts der [X.] - 6 - ten der hier gegebenen Beweiskonstellation nicht ausschließen, dass das [X.] ohne Berücksichtigung der nicht zum Gegenstand der [X.] gewordenen Sacheinlassung des Mitangeklagten dem "Geständnis" des Angeklagten zu dieser Tat nicht geglaubt hätte. Der Erklärung des Verteidigers und deren Bestätigung durch den Ange-klagten lag eine Verfahrensabsprache zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidiger zu Grunde. Dies hat der [X.] aufgrund der erwähnten dienstli-chen Erklärungen freibeweislich festgestellt. Dem stand nicht entgegen, dass die Absprache nicht - wie geboten ([X.]St 43, 195, 205; 50, 40, 47) - in der Hauptverhandlung offen gelegt und in das Sitzungsprotokoll aufgenommen wurde. Durch das Schweigen des Protokolls wird hier nicht bewiesen, dass eine derartige Absprache (außerhalb der Hauptverhandlung) nicht stattfand. Dabei kann dahinstehen, ob dies schon deswegen der Fall ist, weil sich die negative Beweiskraft des Protokolls hierauf von vornherein nicht erstreckt (s. [X.]St 45, 227, 228; vgl. aber auch [X.], 3; [X.] NStZ 2004, 342 m. w. N.); denn jedenfalls hat die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden, der den ent-sprechenden Revisionsvortrag zugunsten des Beschwerdeführers bestätigt hat, dem Protokoll in diesem Punkt die Beweiskraft entzogen ([X.] NStZ 1988, 85). 9 Da das Geständnis Ergebnis einer Verfahrensabsprache war, musste es vom [X.] in besonderer Weise auf seine Zuverlässigkeit überprüft wer-den ([X.]St 50, 40, 49). Dies hat das [X.] im Ansatz auch nicht ver-kannt; denn es setzt sich in den Urteilsgründen durchaus mit der Frage der Glaubwürdigkeit des in Form einer bestätigten Verteidigererklärung abgegebe-nen "Geständnisses" auseinander. Aus den entsprechenden Ausführungen er-gibt sich aber, dass dieses zu Fall [X.] 3. der Urteilsgründe im Wesentlichen [X.] war und lediglich für die Körperverletzungshandlung ein Motiv dar-10 - 7 - zutun versuchte. Vor diesem Hintergrund kam der Erwägung des [X.]s, dass die frühere abweichende Einlassung des Angeklagten auch durch die An-gaben des [X.] und das Geständnis des Mitangeklagten widerlegt sei, durchaus tragende Bedeutung zu. Die Aussage des [X.] war hierbei aber offenbar für sich allein nicht geeignet, die Überzeugung des [X.]s in jede Richtung abzusichern. Denn anders ist es nicht zu erklären, dass es trotz der aus seiner Sicht abgeschlossenen Beweisaufnahme überhaupt Anlass sah, noch in "informelle Gespräche" über ein einverständliches Verfahrenser-gebnis einzutreten und dem Angeklagten für die Abgabe eines Geständnisses Strafmilderung zuzusagen. Wenn es bei dieser Sachlage seine Beweiswürdi-gung auch auf ein Geständnis des Mitangeklagten stützt, das nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war, so ist nicht auszuschließen, dass es ohne dessen Verwertung zu einer abweichenden Überzeugung gelangt wäre. d) Der Schuldspruch in den Fällen [X.] und 2. der Urteilsgründe hat da-gegen Bestand. Für diese Fälle ist der dargestellte Verfahrensfehler ohne Be-deutung. Einen Sachmangel in der Beweiswürdigung sieht der [X.] insoweit nicht. Er kann aber auch ausschließen, dass sich eine abweichende Würdigung des [X.]s zu Fall [X.] 3. auf seine Überzeugungsbildung zu den beiden anderen Tatvorwürfen ausgewirkt hätte. 11 2. [X.] ist insgesamt aufzuheben. Die Einzelstrafen für die Fälle [X.] und 2. können schon deshalb keinen Bestand haben, weil es sich bei der für Fall [X.] 3. verhängten und durch die [X.] weggefallenen Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten um die [X.] handelte und der [X.] nicht auszuschließen vermag, dass die Bemessung der übrigen Einzelstrafen durch die Höhe der [X.] beein-flusst worden ist. 12 - 8 - Die Einzelstrafen für die beiden weiteren Taten könnten aber auch [X.] nicht bestehen bleiben, weil sie im Hinblick auf eine unzulässig als Punktstrafe zugesagte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren festgelegt worden sind. Nach den dienstlichen Erklärungen soll Ergebnis der Absprache gewesen sein, dass gegen den Angeklagten im Falle eines Geständnisses eine Gesamt-freiheitsstrafe von nicht unter vier Jahren verhängt wird. Danach hätte das [X.] nicht - wie im Rahmen einer Verfahrensabsprache geboten ([X.]St 43, 195, 207 ff.) - eine Strafobergrenze, sondern eine Mindeststrafe zugesagt. Dass dies im wörtlichen Sinne tatsächlich so gemeint gewesen sein sollte, glaubt der [X.] nicht. Es ist völlig lebensfremd, dass sich ein Angeklagter auf eine solche "Zusage" einlässt. Mit Blick auf die Interessen des Angeklagten und der [X.] kann die erzielte Verständigung daher nur dahin verstanden wer-den, dass - gegebenenfalls verklausuliert durch die Bezeichnung als "Mindest-strafe" - alle an der Absprache Beteiligten darüber einig waren, es solle eine Gesamtfreiheitsstrafe von genau vier Jahren verhängt werden. Es wurde [X.] eine nicht zulässige Punktstrafe versprochen und verhängt; entgegen dem durch die Urteilsgründe erweckten Anschein fand daher weder zu der [X.] zu den ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen eine an den Maß-stäben des § 46 StGB ausgerichtete Strafzumessung statt. Dies muss [X.] werden. Für ein Vorgehen nach § 354 Abs. 1 a StPO (vgl. [X.] NJW 2006, 3362) sah der [X.] hier keinen Anlass. 13 - 9 - 3. Der [X.] macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO Gebrauch. 14 Tolksdorf Ri[X.] Miebach und Ri[X.] [X.] sind urlaubsbe- dingt an der Unterzeichnung gehindert.

[X.] [X.]

Meta

3 StR 108/07

11.04.2007

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.04.2007, Az. 3 StR 108/07 (REWIS RS 2007, 4335)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 4335

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