Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.02.2015, Az. 1 C 9/14

1. Senat | REWIS RS 2015, 15276

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Gegenstand

Geltende Visumpflicht keine neue Beschränkung im Sinne des Art. 41 Abs. 1 AssoziierungsAbkEWG/TURZProt; Visumpflicht selbständiger, im Bundesgebiet dienstleistender türkischer Unternehmer


Leitsatz

1. Weder bei Inkrafttreten des Art. 41 Abs. 1 ZP (juris: AssoziierungsAbkEWG/TURZProt) am 1. Januar 1973 noch zu einem späteren Zeitpunkt waren türkische Staatsangehörige, die als selbständige Unternehmer Dienstleistungen im Bundesgebiet für mindestens zwei Monate im Jahr erbringen wollten, berechtigt, ohne vorherige Einholung eines Visums in das Bundesgebiet einzureisen. Die nach aktuellem Recht geltende Visumpflicht stellt daher keine "neue Beschränkung" im Sinne des Art. 41 Abs. 1 ZP dar.

2. Unter der Geltung des Ausländergesetzes 1965 bedurften türkische Staatsangehörige, die als selbständige Unternehmer Dienstleistungen im Bundesgebiet nicht nur anbieten, sondern auch aktiv erbringen wollten, gemäß § 2 Abs. 3 AuslG 1965 (juris: AuslG) i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG 1965 (juris: AuslGDV) der Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks. Die in § 1 Abs. 2 Nr. 1 DVAuslG 1965 aufgeführte Befreiung von der Aufenthaltserlaubnispflicht galt nur für Besuchs- und Touristenaufenthalte sowie Kurzaufenthalte, die über eine Geschäftsanbahnung nicht hinausgingen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein [X.] Staatsangehöriger, ist als selbständiger Unternehmer auf dem Gebiet der Software-Beratung tätig und Inhaber einer in [X.] ansässigen Firma. Diese Firma hatte einen Dienstleistungsauftrag mit einer in [X.]/[X.] ansässigen Firma zu dem Zweck geschlossen, für ein [X.] Software-Unternehmen bei deren Kunden, einem [X.] Großunternehmen, "detaillierte technische Spezifikationen" auszuarbeiten.

2

Am 23. April 2010 beantragte der Kläger unter Vorlage einer Einladung des [X.] Großunternehmens bei dem [X.] Generalkonsulat in [X.] die Erteilung eines Schengen-Visums zu Geschäftsreisen für den Zeitraum von 45 Tagen. Gegen die Ablehnung dieses Antrags durch Bescheid des Generalkonsulats der [X.] in [X.] vom 27. April 2010 remonstrierte der Kläger. Er machte geltend, er dürfe nach Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen [X.]/[X.] i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 1965 visumfrei einreisen, um die genannten Dienstleistungen zu erbringen. Durch Remonstrationsbescheid vom 26. Mai 2010 teilte das Generalkonsulat dem Kläger mit, dass er nicht berechtigt sei, visumfrei zu Geschäftszwecken einzureisen, und wies den Antrag des [X.] auf Erteilung eines zustimmungsfreien Schengen-Visums zurück.

3

Hiergegen richtete sich die Klage des [X.], mit der er beantragte, festzustellen, dass er berechtigt sei, visumfrei für seine Firma zur Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen von [X.] nach [X.] einzureisen, hilfsweise, festzustellen, dass die Ablehnung des Visums durch den Remonstrationsbescheid des Generalkonsulats der [X.] in [X.] vom 26. Mai 2010 rechtswidrig gewesen ist.

4

Durch Urteil vom 12. März 2012 hat das Verwaltungsgericht dem Hilfsantrag des [X.] stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Sowohl der Kläger als auch die Beklagte legten gegen dieses Urteil Berufung ein. In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht nahm die Beklagte ihre Berufung zurück.

5

Mit Urteil vom 26. März 2014 hat das Oberverwaltungsgericht das Berufungsverfahren der Beklagten eingestellt sowie auf die Berufung des [X.] das Urteil des [X.] geändert und festgestellt, dass der Kläger berechtigt ist, unter Beibehaltung seines gewöhnlichen Aufenthalts in der [X.] im Rahmen von [X.] visumfrei für seine Firma mit Sitz in [X.]/[X.] zur Erbringung von Dienstleistungen an Personen im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes einzureisen und sich zu diesem Zweck nicht länger als drei Monate in [X.] aufzuhalten. Entgegen der Auffassung des [X.] sei der Kläger aufgrund von Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll berechtigt, zur Ausübung der von ihm beabsichtigten Beratungstätigkeiten visumfrei einzureisen. Die bei Inkrafttreten dieses Verschlechterungsverbots geltende nationale Rechtslage hätte vorgesehen, dass die Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in Form eines Sichtvermerks von Ausländern einzuholen gewesen sei, die im Geltungsbereich des Ausländergesetzes eine Erwerbstätigkeit hätten ausüben wollen (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] 1965). Gemäß § 2 Abs. 3 AuslG 1965 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 1965 hätten Staatsangehörige der in der Anlage zu dieser Verordnung aufgeführten [X.], zu der die [X.] seinerzeit noch gehört habe, und die Inhaber von [X.] gewesen seien, keiner Aufenthaltserlaubnis bedurft, wenn sie sich nicht länger als drei Monate im Geltungsbereich des Ausländergesetzes hätten aufhalten und keine Erwerbstätigkeit hätten ausüben wollen. Ferner sei der Aufenthalt gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 [X.] 1965 erlaubnisfrei gewesen, wenn [X.] Staatsangehörige als Inhaber von [X.] sich im Dienst eines nicht im Geltungsbereich des Ausländergesetzes ansässigen Arbeitgebers zu einer ihrer Natur nach vorübergehenden Dienstleistung als Arbeitnehmer im Geltungsbereich des Ausländergesetzes aufgehalten hätten, sofern die Dauer des Aufenthaltes zwei Monate nicht überstieg.

6

Der Begriff der Erwerbstätigkeit sei in Nr. 14 und 15 der [X.] ([X.]) definiert. Es sei unstreitig, dass die vom Kläger beabsichtigten Dienstleistungen die Definition der Erwerbstätigkeit im Sinne von Nr. 14 [X.] zu § 2 AuslG 1965 erfüllten. Entgegen der Auffassung des [X.] könne sich der Kläger aber auf die Ausnahmedefinition der Nr. 15 [X.] zu § 2 AuslG 1965 berufen, die ihren Anwendungsbereich dem Wortlaut nach nicht auf Arbeitnehmer eines ausländischen Unternehmens beschränke, so dass auch eine entsprechende Tätigkeit des Unternehmers selbst erfasst gewesen sei. Die Wortbedeutung des in Nr. 15 [X.] enthaltenen Begriffs "anbieten" lasse es zu, das Angebot und dessen Erfüllung als eine Einheit anzusehen. Es sei kein sachgerechter Grund ersichtlich, warum Arbeitnehmer eines ausländischen Unternehmers berechtigt gewesen sein sollten, visumfrei einzureisen, um für ihren Arbeitgeber Dienstleistungen zu erbringen, dies andererseits aber dem Arbeitgeber selbst nicht möglich gewesen sein sollte.

7

Die Beklagte hat die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Sie macht einen Bundesrechtsverstoß geltend. Das Oberverwaltungsgericht habe zu Unrecht einen Anspruch des [X.] auf visumfreie Einreise in das [X.] auf der Grundlage des § 2 Abs. 3 AuslG 1965 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 1965 angenommen. Zentrale Regelung der [X.] 1965 sei § 5 Abs. 1 Nr. 1, wonach Ausländer, die im Geltungsbereich des Ausländergesetzes eine Erwerbstätigkeit ausüben wollten, vor der Einreise einer Aufenthaltserlaubnis in der Form des Sichtvermerks bedurften. Als Erwerbstätigkeit in diesem Sinne sei in Rechtsprechung und Literatur jede selbständige oder unselbständige Tätigkeit verstanden worden, die auf Erzielung von Gewinn gerichtet oder für die ein Entgelt vereinbart oder den Umständen nach zu erwarten ist. Nach dieser Definition sei die vorübergehende Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt, wie sie der Kläger beabsichtige, stets eine Erwerbstätigkeit. Etwas anderes folge auch nicht aus Nr. 15 [X.] zu § 2 AuslG 1965. Die extensive Auslegung dieser Bestimmung durch das Oberverwaltungsgericht sei begrifflich nicht überzeugend, widerspreche der Systematik der [X.] 1965 sowie den Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz und sei nicht mit der historischen Auslegung des Begriffs der Erwerbstätigkeit in Einklang zu bringen. Auch aus § 1 Abs. 2 Nr. 2 [X.] 1965 folge kein Anspruch auf visumfreie Einreise, weil sich diese Vorschrift ihrem eindeutigen Wortlaut nach ausschließlich auf Arbeitnehmer beziehe, die im Dienst eines im Ausland ansässigen Arbeitgebers stehen. Selbständige seien von der Regelung nicht erfasst gewesen.

8

Der Kläger bezieht sich auf die Ausführungen des Berufungsgerichts und trägt ergänzend vor: Das Berufungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger sich auf Nr. 15 [X.] zu § 2 AuslG 1965 berufen könne. Die Durchführung seiner Dienstleistung im Rahmen des Geschäftsbetriebes seines [X.] Auftraggebers sei nicht als Erwerbstätigkeit im Sinne der einschlägigen Vorschriften anzusehen. Bereits der Auffassung der Beklagten, § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 1965 regele nur Kurzaufenthalte zu nichtgeschäftlichen Besuchszwecken, könne nicht gefolgt werden. Vielmehr würden von dieser Vorschrift auch Geschäftsreisende erfasst, die im Rahmen des sogenannten kleinen Geschäftsverkehrs oder als Geschäftsreisende in das [X.] einreisen wollten. Somit sei § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 1965 im Zusammenhang mit Nr. 14 und 15 [X.] zu lesen, da die Nr. 15 [X.] ansonsten ihres Anwendungsbereichs beraubt würde. Das Berufungsgericht sei ferner zu Recht davon ausgegangen, dass unter "Dienstleistung ... anbieten" im Sinne von Nr. 15 [X.] auch die Dienstleistungserbringung zu verstehen sei. Es liege schließlich auch kein Verstoß gegen § 88 VwGO vor. Da der Kläger die Rechtsgrundlage für sein Begehren (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 1965) genannt habe und sich hieraus eine Aufenthaltszeit von drei Monaten ergebe, habe das Berufungsgericht wie erfolgt entscheiden können.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil [X.]uht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass er [X.]echtigt ist, visumfrei für seine Firma mit Sitz in der [X.] zur Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen von [X.] nach [X.] einzureisen und sich zu diesem Zweck bis zu drei Monaten in [X.] aufzuhalten. Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und das die Feststellungsklage abweisende Urteil des [X.] wiederherzustellen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

1. Zwar hat das Berufungsgericht nicht gegen Verfahrensrecht verstoßen. Es hat § 88 VwGO (ne ultra petita) nicht missachtet. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht ü[X.] das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist a[X.] an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Das Berufungsgericht hat § 88 VwGO nicht dadurch verletzt, dass es feststellte, der Kläger sei zu einem dreimonatigen Aufenthalt in [X.] [X.]echtigt. Das Gericht ist gemäß § 88 VwGO an das Klagebegehren gebunden, d.h. an den aus dem Gesamtvorbringen des [X.] im Wege der Auslegung zu ermittelnden Klageantrag, der den Streitgegenstand bestimmt. Es darf dem Kläger weder mehr (quantitativ) noch der Art nach etwas anderes (aliud) zusprechen. [X.] ist das Gericht nur an das erkennbare Klageziel. Wesentlich ist der geäußerte [X.], wie er sich aus der prozessualen Erklärung und sonstigen Umständen ergibt (Kopp/[X.], VwGO, 19. Aufl. 2013, § 88 Rn. 1, 3). Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger im Verfahren zum Ausdruck gebracht, dass er sich auch länger als zwei Monate im [X.] aufhalten will. Denn er beantragte, festzustellen, dass er [X.]echtigt sei, zur Erbringung von Dienstleistungen visumfrei einzureisen und sich zu diesem Zweck "mindestens" zwei Monate im Jahr in [X.] aufzuhalten. Im Übrigen entsprach es dem erkennbaren Rechtsschutzziel des [X.], dass eine Berechtigung zum Aufenthalt im gesetzlich zulässigen zeitlichen Umfang ausgesprochen wird.

2. Das Berufungsurteil [X.]uht a[X.] in sachlicher Hinsicht auf einem Verstoß gegen [X.] Recht.

Im Ergebnis zutreffend ist das Berufungsgericht zwar zunächst davon ausgegangen, dass der Kläger nach derzeit gültiger Rechtslage visumpflichtig ist. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. Art. 1 Abs. 1 sowie Anhang I der Verordnung ([X.]) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der [X.], deren Staatsangehörige beim Ü[X.]schreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der [X.], deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind ([X.]. Nr. L 81 [X.]), bedürfen [X.] Staatsangehörige für die Einreise in die Bundesrepublik [X.] grundsätzlich der vorherigen Erteilung eines Visums. Für den von dem Kläger angestrebten Aufenthalt von nicht mehr als drei Monaten je Sechsmonatszeitraum benötigt er ein Schengen-Visum (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.] i.V.m. der Verordnung <[X.]> Nr. 810/2009 des [X.] und des Rates vom 13. Juli 2009 ü[X.] einen Visakodex der [X.] (Visakodex) ([X.]. Nr. L 243 [X.], [X.]. [X.]. 2013 Nr. L 154 [X.]0).

3. Das Berufungsgericht hat a[X.] zu Unrecht angenommen, dass der Kläger aufgrund von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. Septem[X.] 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der [X.] und der [X.] für die Ü[X.]gangsphase der Assoziation ([X.] [X.]) - [X.] - [X.]echtigt ist, zur Ausübung der von ihm beabsichtigten entgeltlichen Beratungstätigkeiten visumfrei einzureisen und sich zu diesem Zweck nicht länger als drei Monate in [X.] aufzuhalten.

3.1 Art. 41 Abs. 1 [X.] bestimmt, dass die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ist die in Art. 41 Abs. 1 [X.] enthaltene [X.] zwar nicht aus sich heraus geeignet, [X.]n Staatsangehörigen allein auf der Grundlage des [X.]srechts ein Niederlassungsrecht und ein damit [X.] Aufenthaltsrecht zu verleihen, und kann ihnen auch weder ein Recht auf freien Dienstleistungsverkehr noch ein Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verschaffen ([X.], Urteile vom 11. Mai 2000 - [X.]/98 [[X.]:[X.]:C:2000:224], [X.] - Rn. 64 und 71 dritter Gedankenstrich und vom 21. Okto[X.] 2003 - [X.]/01, [X.]/01 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] u.a. - Rn. 62). Diese Bestimmung verbietet jedoch allgemein die Einführung neuer Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs durch einen [X.]n Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls, hier also am 1. Januar 1973, in dem betreffenden Mitgliedstaat galten ([X.], Urteile vom 19. Februar 2009 - [X.]/06 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] - [X.] und Rn. 47 und vom 10. Juli 2014 - [X.]/13 [[X.]:[X.]:C:2014:2066], [X.] - Rn. 26). Zudem kann die [X.] des Art. 41 Abs. 1 [X.] nur im Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit die Voraussetzungen für die Einreise [X.]r Staatsangehöriger in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und ihren dortigen Aufenthalt betreffen ([X.], Urteile vom 24. Septem[X.] 2013 - [X.]/11 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] - Rn. 55 und vom 10. Juli 2014 - [X.]/13 [[X.]:[X.]:C:2014:2066], [X.] - Rn. 28). Die dynamisch zu verstehende [X.] verfestigt denjenigen Rechtszustand, der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens am 1. Januar 1973 bestand bzw. später eingeführte Vergünstigungen. Die Mitgliedstaaten dürfen sich nicht von dem mit Art. 41 Abs. 1 [X.] verfolgten Ziel entfernen, günstigere Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zu schaffen, indem sie Bestimmungen ändern, die sie in ihrem Gebiet nach Inkrafttreten des Zusatzprotokolls zugunsten [X.]r Staatsangehöriger erlassen haben ([X.], Urteile vom 9. Dezem[X.] 2010 - [X.]/09 und [X.]/09 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] und [X.] - Rn. 49 ff.). Da von Art. 41 Abs. 1 [X.] auch Regelungen ü[X.] die erstmalige Aufnahme [X.]r Staatsangehöriger in einem Mitgliedstaat ([X.], Urteil vom 20. Septem[X.] 2007 - [X.]/05 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.] und [X.] - Rn. 57, 59, 63) umfasst sind, fallen auch Regelungen bezüglich einer Visumpflicht in den Anwendungs[X.]eich dieser [X.].

Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Verschlechterungsverbot des Art. 41 Abs. 1 [X.] ist darauf abzustellen, ob die von den zuständigen Behörden angewandte innerstaatliche Regelung die rechtliche Situation des [X.]n Staatsangehörigen im Verhältnis zu den Vorschriften, die beim Inkrafttreten des Zusatzprotokolls galten oder zu späteren Vergünstigungen, erschwert, für ihn also ungünstiger ist ([X.], Urteil vom 21. Okto[X.] 2003 - [X.]/01, [X.]/01 [[X.]:[X.]:[X.]] [X.] u.a. - Rn. 116). Hierbei sind die Rechtsprechung zu den damaligen Vorschriften und eine mit dieser in Einklang stehende Verwaltungspraxis zu [X.]ücksichtigen (BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 19).

3.2 Gemessen an diesen Maßstäben stellt die nach aktuellem Recht für den Kläger geltende Visumpflicht keine "neue Beschränkung" im Sinne des Art. 41 Abs. 1 [X.] dar. Weder bei Inkrafttreten des Zusatzprotokolls am 1. Januar 1973 noch zu einem späteren Zeitpunkt waren [X.] Staatsangehörige, die, wie der Kläger, als selbständige Unternehmer Beratungsleistungen für Auftragge[X.] im [X.] für mindestens zwei Monate im Jahr erbringen wollten, [X.]echtigt, ohne vorherige Einholung eines Visums in das [X.] einzureisen.

3.2.1 Gemäß § 2 Abs. 1 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 ([X.] [X.] 353) - [X.] 1965 -, vor dem maßgeblichen Stichtag (1. Januar 1973) zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. August 1972 ([X.] I [X.]393), bedurften Ausländer, die in den Geltungs[X.]eich dieses Gesetzes einreisen und sich darin aufhalten wollten, einer Aufenthaltserlaubnis. § 2 Abs. 3 [X.] 1965 ü[X.]trug dem Verordnungsge[X.] die Befugnis, bestimmte Ausländergruppen durch Rechtsverordnung von dem Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis zu befreien, soweit durch diesen Verzicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht beeinträchtigt wurde.

Dieser Ermächtigung war der Verordnungsge[X.] mit der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 10. Septem[X.] 1965 ([X.] I [X.]341) - [X.] 1965 - vor dem Stichtag zuletzt geändert durch Verordnung vom 13. Septem[X.] 1972 ([X.] I [X.]743) - nachgekommen. Gemäß § 2 Abs. 3 [X.] 1965 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 1965 waren Staatsangehörige der in der Anlage zu dieser Verordnung aufgeführten [X.], zu denen auch die [X.] zählte, als Inha[X.] von [X.], von dem Erfordernis der Aufenthaltserlaubnis befreit, wenn sie sich nicht länger als drei Monate im Geltungs[X.]eich des Ausländergesetzes aufhalten und keine Erwerbstätigkeit ausüben wollten. Ferner war gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 [X.] 1965 der Aufenthalt erlaubnisfrei, wenn [X.] Staatsangehörige als Inha[X.] von [X.] sich im Dienst eines nicht im Geltungs[X.]eich des Ausländergesetzes ansässigen Arbeitge[X.]s zu einer ihrer Natur nach vorü[X.]gehenden Dienstleistung als Arbeitnehmer im Geltungs[X.]eich des Ausländergesetzes aufhalten wollten, sofern die Dauer des Aufenthalts zwei Monate nicht ü[X.]stieg und sofern nicht ein Reisegewerbe gemäß § 55 [X.] ausgeübt werden sollte. § 5 Abs. 1 [X.] 1965 erlegte jedem Ausländer, der eine Erwerbstätigkeit im Geltungs[X.]eich des Ausländergesetzes ausüben wollte, die Verpflichtung auf, die Aufenthaltserlaubnis vor der Einreise in der Form eines Sichtvermerks einzuholen. Eine generelle Visumpflicht für [X.] Staatsangehörige wurde dagegen erst 1980 (Elfte Verordnung zur Änderung der [X.] vom 1. Juli 1980, [X.] [X.] 782) eingeführt.

Als Erwerbstätigkeit im Sinne des hier maßgeblichen § 1 Abs. 2 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] 1965 wurde in der Rechtsprechung jede selbständige oder unselbständige Tätigkeit angesehen, die auf die Erzielung von Gewinn gerichtet oder für die ein Entgelt vereinbart oder den Umständen nach zu erwarten war (BVerwG, Beschluss vom 6. Mai 1983 - 1 [X.] - [X.] 402.24 § 5 [X.] Nr. 2; [X.]/[X.], [X.] Ausländerrecht, 2. Aufl., [X.] § 1 [X.] Nr. 7; siehe auch [X.] [X.] zur Ausführung des Ausländergesetzes - [X.] - vom 7. Juli 1967 in der Fassung vom 10. Mai 1972 zu § 2 [X.] 1965). Das Berufungsgericht geht im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass die Dienstleistung, zu deren Zweck der Kläger in das [X.] einreisen will, die Begriffsbestimmung einer Erwerbstätigkeit in diesem Sinne erfüllt. Denn die vom Kläger beabsichtigte entgeltliche Erbringung von Beratungsdienstleistungen im Software[X.]eich einschließlich der Erarbeitung technischer Spezifikationen ist eine selbständige Tätigkeit, die auf die Erzielung von Gewinn gerichtet ist. Sie geht ü[X.] die bloße Durchführung geschäftlicher Besprechungen und die Unterbreitung von Angeboten als Anbahnung von Geschäften hinaus, denn sie umfasst [X.]eits die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung. Sie unterscheidet sich auch deutlich von wirtschaftlich bedeutungslosen Einzelvorgängen, wie etwa der gelegentlichen Entgegennahme von Dienstleistungen durch Touristen, die seinerzeit von der Visumpflicht ausgenommen war (vgl. [X.]/[X.], [X.] Ausländerrecht, 2. Aufl., [X.] § 1 [X.] Nr. 7).

3.2.2 Indes verstößt die Annahme des Berufungsgerichts, dass die von dem Kläger beabsichtigte Beratungstätigkeit nach Nr. 15 [X.] zu § 2 [X.] 1965 ausnahmsweise nicht als Erwerbstätigkeit anzusehen sei und der Kläger daher gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] 1965 von der Aufenthaltserlaubnispflicht befreit gewesen sei, gegen Bundesrecht. Sie steht nicht im Einklang mit den Bestimmungen des § 2 Abs. 3 [X.] 1965 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] 1965.

Nach Nr. 15 [X.] zu § 2 [X.] 1965 war es nicht als Ausübung einer Erwerbstätigkeit im [X.] anzusehen, wenn Ausländer unter Beibehaltung ihres gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland für ausländische Unternehmen Besprechungen oder Verhandlungen im [X.] führten oder wenn sie Waren oder Dienstleistungen im [X.] nur Personen anboten, die im Rahmen ihres Geschäftsbetriebes aufgesucht wurden. Das Berufungsgericht legt diese Verwaltungsvorschrift dahingehend aus, dass vom Begriff des "Anbietens" von Dienstleistungen auch das Erbringen der Dienstleistungen und demnach nicht nur das [X.] von Geschäften, sondern die gesamte aktive Dienstleistungserbringung umfasst gewesen sei.

Dabei verkennt das Berufungsgericht, dass eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift wie Nr. 15 [X.] zu § 2 [X.] 1965 mangels Rechtsnormqualität die Gerichte bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Erwerbstätigkeit" in § 1 Abs. 2 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] 1965 nicht bindet (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 1 B 1.11 - [X.] 402.242 § 3 [X.] Nr. 1 Rn. 6). Diese nur inneradministrativ wirkende Verwaltungsvorschrift kann Rechtssätzen des verbindlichen Gesetzes- und Verordnungsrechts keinen Inhalt zuschreiben, der sich mit der objektiven Rechtslage als unvereinbar erweist (BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 14.11 - BVerwGE 143, 314 Rn. 30). Mangels Rechtsnormqualität ist eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift daher prinzipiell nicht der Auslegung zugänglich, so dass dahinstehen kann, ob - wofür ihr Wortlaut spricht - die genannte Verwaltungsvorschrift die [X.] auf die Durchführung von Besprechungen, Verhandlungen und das Angebot von Waren und Dienstleistungen beschränkt hat oder ob ihr der vom Berufungsgericht zugesprochene weitergehende Inhalt zukam. Eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die in einer bestimmten Auslegung - wie hier - eindeutig nicht in Einklang mit höherrangigem Recht steht, ist auch nicht geeignet, insoweit eine tatsächliche Verwaltungspraxis zu indizieren, die für die Vergleichsbetrachtung im Rahmen einer Standstillklausel beachtlich wäre; abzustellen ist allein auf einen auch tatsächlich gesetzeskonformen Verwaltungsvollzug.

3.2.3 Die Erlaubnispflicht der Einreise und des Aufenthalts des [X.] zum Zweck der von ihm beabsichtigten Tätigkeit entfiel auch nicht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 [X.] 1965. Nach dieser Vorschrift waren Ausländer von der Erlaubnispflicht befreit, wenn sie sich im Dienst eines nicht im Geltungs[X.]eich des Ausländergesetzes ansässigen Arbeitge[X.]s zu einer ihrer Natur nach vorü[X.]gehenden Dienstleistung als Arbeitnehmer im Geltungs[X.]eich des Ausländergesetzes aufhielten, sofern die Dauer des Aufenthalts zwei Monate nicht ü[X.]stieg. Diese Befreiung war durch die Erwägung begründet, dass ein sehr kurzfristiger Aufenthalt von Arbeitnehmern im [X.] keine fühlbare Einwirkung auf die [X.] Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage zur Folge hatte (Kanein, [X.], 1966, § 2 D.3 S. 53). Von § 1 Abs. 2 Nr. 2 [X.] 1965 wurden demnach nur Arbeitnehmer erfasst, nicht a[X.] selbständige Unternehmer wie der Kläger. Der Verordnungsge[X.] hatte sich bei dieser Bestimmung im Wesentlichen an dem Personenkreis orientiert, der gemäß § 9 Nr. 3 und 4 der Verordnung ü[X.] die Arbeitserlaubnis für nicht[X.] Arbeitnehmer (Arbeitserlaubnisverordnung) vom 2. März 1971 ([X.] I [X.]52) auch von dem Erfordernis der Arbeitserlaubnis befreit war ([X.]/[X.], [X.] Ausländerrecht, 2. Aufl., [X.] § 1 [X.] Nr. 9). Da selbständige Unternehmer somit nicht vom persönlichen Anwendungs[X.]eich des § 1 Abs. 2 Nr. 2 [X.] erfasst waren, hat der Kläger auch nach dieser Bestimmung keinen Anspruch auf visumfreie Einreise in das [X.].

4. [X.] [X.]uht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

1 C 9/14

19.02.2015

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 26. März 2014, Az: OVG 11 B 10.14, Urteil

Art 41 Abs 1 AssoziierungsAbkEWG/TURZProt, § 4 Abs 1 S 1 AufenthG, § 6 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 2 Abs 1 AuslG 1965, § 2 Abs 3 AuslG 1965, § 1 Abs 2 Nr 1 AuslGDV 1965, § 1 Abs 2 Nr 2 AuslGDV 1965, § 5 Abs 1 AuslGDV 1965

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.02.2015, Az. 1 C 9/14 (REWIS RS 2015, 15276)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15276

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