Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2012, Az. VII ZB 60/09

7. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9758

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Gegenstand

Entschädigung der Prozesspartei: Anspruch auf Zeitversäumnisentschädigung für die notwendige Wahrnehmung eines Gerichtstermins an einem bezahlten Urlaubstag


Leitsatz

Einer Partei, die zur notwendigen Wahrnehmung von Terminen (hier: Gerichts- und Ortstermine) bezahlten Urlaub genommen hat, steht kein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 22 JVEG, sondern nur ein Anspruch auf Zeitversäumnisentschädigung gemäß § 20 JVEG zu.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 4. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

1

Die Beklagten begehren im [X.] nach § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 22 [X.] für die Wahrnehmung von Gerichts- und [X.].

2

Im zugrunde liegenden Rechtsstreit, in dem die Klägerin restlichen Werklohn für ihre Arbeiten an dem Neubauvorhaben der Beklagten geltend gemacht hat, haben am 8. März 2006, 18. September 2006 und 10. März 2008 Gerichtstermine stattgefunden, wobei hinsichtlich der ersten beiden Termine das persönliche Erscheinen der Beklagten angeordnet worden ist. Weiterhin haben am 7. März 2007, 18. September 2007 und 3. Oktober 2007 Ortstermine mit dem gerichtlich bestellten Sachverständigen stattgefunden. Die Beklagten waren zu allen Terminen persönlich erschienen und hatten sich nach ihrem Vortrag hierfür jeweils einen Tag (bezahlten) Urlaub genommen. Nachdem die Klage abgewiesen worden ist, haben die Beklagten im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren für die Wahrnehmung von den Gerichts- und [X.] unter anderem Verdienstausfallentschädigung mit einem Stundensatz von 17 €/Stunde nach § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 22 [X.] geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des [X.] hat die begehrte Verdienstausfallentschädigung abgelehnt und stattdessen jeweils eine [X.]entschädigung gemäß § 20 [X.] mit einem Stundensatz von 3 €/Stunde angesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie ihr Begehren weiter.

II.

3

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht lehnt eine Verdienstausfallentschädigung mit der Begründung ab, ein Arbeitnehmer erleide bei bezahltem Urlaub - anders als im Fall des unbezahlten Urlaubs, bei dem ein Verdienstausfall immer gegeben sei - keinen Verdienstausfall, weil er seinen Lohn bzw. sein Gehalt während des Urlaubs weiter erhalte. Die "Zweckentfremdung" von bezahltem und für die Erholung zum Erhalt der Arbeitskraft bestimmtem Urlaub für die Wahrnehmung eines Termins sei zwar für sich genommen ein Nachteil, der unter allgemeinen Gesichtspunkten des Schadensersatzrechts ausgleichsfähig sei. Im Rahmen der Anwendung des [X.] gehe es jedoch nicht um Schadensersatz, sondern nur um den im Gesetz besonders geregelten Ausgleich bestimmter Nachteile wegen der Heranziehung als Zeuge. Dem während seines bezahlten Urlaubs herangezogenen Zeugen könne nach der überwiegend vertretenen Auffassung lediglich eine [X.]entschädigung nach § 20 [X.] gewährt werden. Diese Grundsätze seien gemäß § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO auch auf die Entschädigung von [X.]en für die durch notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene [X.] anzuwenden.

5

2. Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.

6

Einer [X.], die zur notwendigen Wahrnehmung von Terminen bezahlten Urlaub genommen hat, steht kein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung nach § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 22 [X.], sondern nur auf [X.]entschädigung gemäß § 20 [X.] zu.

7

a) Die Frage, ob eine erstattungsberechtigte [X.], die zur Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen bezahlten Urlaub genommen hat, Entschädigung für Verdienstausfall oder nur für [X.] erhält, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Während die überwiegend vertretene Ansicht nur eine [X.]entschädigung anerkennt (vgl. [X.], [X.] 1997, 1070 f.; [X.], [X.] 1992, 123 [Zeugenentschädigung]; [X.], [X.] 1992, 686 und 813; [X.], [X.] 1991, 545 f.; [X.], Rpfleger 1991, 266 f.; [X.], [X.] 1986, 328 f.; KG, [X.] 1983, 738 ff.; [X.], [X.] 1983, 1180 f.; [X.], [X.] 1981, 163; [X.], [X.] 1973, 349 ff.; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], GKG etc., 2. Aufl., § 22 [X.] Rn. 3; [X.], Kostengesetze, 38. Aufl., § 22 [X.] Rn. 19 f.; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 25. Aufl., § 22 Rn. 22.20; [X.], [X.], 1. Aufl., § 22 Rn. 26; [X.], [X.], 1. Aufl., § 22 Rn. 6 ff.; [X.]/[X.], ZPO, 29. Aufl., § 91 Rn. 13 "[X.]"), hält die Gegenansicht die Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung für gerechtfertigt (vgl. [X.], Die Justiz 1987, 156; [X.], [X.] 1982, 107 f.; [X.], [X.] 1981, 1700 ff.; [X.], [X.] 1993, 89; [X.], Rpfleger 1995, 127).

8

b) Zu Recht hat sich das Beschwerdegericht der erstgenannten Meinung angeschlossen.

9

aa) Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen ist der Wortlaut von § 22 [X.]. Diese Vorschrift ist auf den Anspruch einer erstattungsberechtigten [X.] entsprechend anwendbar, weil die Verweisung in § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO entgegen ihrem Wortlaut nicht nur die "[X.]" nach § 20 [X.], sondern auch den "Verdienstausfall" nach § 22 [X.] umfasst (dazu [X.], Beschluss vom 2. Dezember 2008 - [X.], [X.] 2009, 230, 231; [X.], [X.], 270, 275).

Entsprechend § 22 [X.] erhalten [X.]en, "denen ein Verdienstausfall entsteht", eine Entschädigung, die sich nach dem regelmäßigen Bruttoverdienst richtet und die für jede Stunde höchstens 17 € beträgt. Der Gesetzeswortlaut setzt damit einen tatsächlich entstandenen Verdienstausfall voraus, woran es im Fall des bezahlten Urlaubs fehlt, weil die [X.] während dieses Zeitraums ihren Lohn bzw. ihr Gehalt ungeschmälert weiter erhält ([X.], [X.], 1. Aufl., § 22 Rn. 8). Tritt ein Verdienstausfall nicht ein, kommt folglich nur eine [X.]entschädigung nach § 20 [X.] in Betracht.

bb) Dies entspricht auch der Gesetzesbegründung zu §§ 20, 22 [X.], die auf die früher für die Zeugenentschädigung geltenden Regelungen in § 2 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen ([X.]) verweist (BT-Drucks. 15/1971, [X.] f.). Den Gesetzesmaterialien zu dieser Vorschrift wiederum ist zu entnehmen, dass ein Zeuge für seinen Verdienstausfall nur dann entschädigt wird, wenn er einen solchen tatsächlich erlitten hat (vgl. BT-Drucks. 2/2545, [X.]; BT-Drucks. 10/5113, [X.]). Auch vor der Einführung des [X.] hat nichts anderes gegolten. Bereits in der Begründung für die bis dahin geltende Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige (nachgewiesen in [X.], [X.] Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige, 8. Aufl. [1934], § 2 Rn. 8, 11) wurde ausgeführt, dass die Erwerbsversäumnis bei der Bemessung der Zeugenentschädigung nur dann berücksichtigt wird, wenn sie tatsächlich angefallen ist.

cc) Es besteht kein Anlass, § 22 [X.] über dessen Wortlaut hinaus dahingehend erweiternd auszulegen, dass dieser auch dann eine Verdienstausfallentschädigung ermöglicht, wenn ein Verdienstausfall - wie im Fall des bezahlten Urlaubs - tatsächlich nicht eintritt.

(1) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine solche Auslegung nicht schon deshalb geboten, weil die nutzlos aufgewendete Urlaubszeit unter schadensersatzrechtlichen Gesichtspunkten als ausgleichspflichtiger Vermögensschaden - vgl. z.B. § 651f Abs. 2 BGB - anerkannt ist.

Das Entschädigungssystem des [X.] kann nach seinem Sinn und Zweck nicht mit einer Schadensersatzregelung gleichgestellt werden (vgl. [X.], [X.] 1991, 545 f.; [X.], [X.] 1986, 328 f.; [X.], [X.] 1973, 349, 350 - jeweils noch zum [X.]). Der Gesetzgeber erstrebt keinen vollen Ausgleich des an einem Verfahren teilnehmenden Zeugen; dieser erfüllt mit seiner Teilnahme am Termin vielmehr eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht und erhält dafür aus Billigkeitsgründen eine Entschädigung für die ihm erwachsenen Nachteile (BT-Drucks. 2/2545, [X.]). Daher begrenzt das [X.] den Verdienstausfall auf einen Höchstbetrag, der jedenfalls für die weniger verdienenden Arbeitnehmer einen vollen Ausgleich ermöglichen soll (BT-Drucks. 15/1971, [X.]), und mutet damit zugleich einem großen Teil der Zeugen aus staatsbürgerlicher Verpflichtung einen Verdienstausfall zu (vgl. [X.], [X.] 1981, 163, noch zum [X.]). Diese Beschränkungen des Entschädigungsanspruchs sind im Rahmen der entsprechenden Anwendung auf notwendige [X.]en einer Prozesspartei nach § 91 Abs. 1 Satz 2 ZPO ebenfalls zu beachten.

(2) Soweit darauf hingewiesen wird, [X.]en und Zeugen, die sich zur [X.] bezahlten Urlaub genommen hätten, müssten im Rahmen von § 22 [X.] so entschädigt werden, dass sie sich davon in gleichem Umfang Freizeit in Form von unbezahltem Urlaub "erkaufen" könnten (vgl. [X.], [X.] 1982, 107, 108; [X.], [X.] 1981, 1700, 1701; [X.], Rpfleger 1995, 127 - jeweils noch zum [X.]), rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Bei dieser allein auf [X.] gestützten Auslegung geht es letztlich nicht mehr um einen Ausgleich für tatsächlich eingetretenen Verdienstausfall, sondern um den Ersatz für verbrauchte Urlaubszeit ([X.], [X.], 1. Aufl., § 22 Rn. 10). Der Ausgleich eines solchen "fiktiven" Verdienstausfalls ist weder mit dem Gesetzeswortlaut (vgl. KG, [X.] 1983, 738, 740; [X.], [X.] 1981, 163; [X.], [X.], 1. Aufl., § 22 Rn. 10) noch mit dem bereits dargestellten Gesetzgeberwillen zu vereinbaren.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Kniffka                                                 Bauner                                                [X.]

                           Halfmeier                                                [X.]

Meta

VII ZB 60/09

26.01.2012

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Bamberg, 4. Mai 2009, Az: 5 W 27/09

§ 91 Abs 1 S 2 ZPO, § 20 JVEG, § 22 JVEG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2012, Az. VII ZB 60/09 (REWIS RS 2012, 9758)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9758

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Wird zitiert von

4 K 1131/16.NW

XII ZB 630/12

VII ZB 60/09

L 15 RF 38/15

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