Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.04.2022, Az. 2 StR 21/22

2. Strafsenat | REWIS RS 2022, 9512

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Gegenstand

Minder schwerer Fall des Totschlags: Prüfungsanforderungen bei brutaler Tatausführung und Persönlichkeitsstörung des Täters


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. Juli 2021 im Einzelstrafausspruch zu Fall 3 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafausspruch aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten in einem ersten Rechtsgang wegen Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu neun Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Senat hat dieses Urteil mit Beschluss vom 27. März 2019 (2 [X.]) mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tathergang aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen. Dieses hat den Angeklagten nun erneut wegen Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu neun Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, die er auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt, hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuldspruch und zu den Einzelstrafaussprüchen in den [X.] (gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des [X.]) und 2 der Urteilsgründe (Bedrohung und Beleidigung zum Nachteil des [X.]) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten ist rechtsfehlerfrei begründet.

3

2. Indes kann die Einzelstrafe im Fall 3 der Urteilsgründe (Tötung des G.    ) keinen Bestand haben.

4

a) Bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall nach der zweiten Alternative des § 213 StGB vorliegt, hat die [X.], wie der [X.] zutreffend dargelegt hat, schon nicht die gebotene (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 - 2 StR 17/19, [X.], 409 mwN) Prüfungsreihenfolge beachtet und nicht erkennbar erwogen, ob das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes - hier des § 21 StGB - allein oder zusammen mit anderen Umständen das Vorliegen eines minder schweren Falls begründet.

5

b) Hinzu kommt, dass die Erwägungen, mit denen die [X.] das Vorliegen eines minder schweren Falls verneint hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.

6

aa) Das [X.] hat ausgeführt, dass gegen die Annahme eines minder schweren Falles bereits die mehrfache erhebliche Gewalteinwirkung gegen den Kopf des Geschädigten (nach dem ersten mindestens sechs weitere heftige Schläge bzw. Stöße auf Kopf und Hals des Opfers) spreche, wobei der Angeklagte diese stanzartig ausgeführt habe; die hierdurch hervorgerufenen Verletzungen hätten alsbald zum Tod des [X.]s geführt.

7

bb) Dies lässt besorgen, dass die [X.] dem Angeklagten die Tatbegehung als solche straferschwerend angelastet hat, was gegen § 46 Abs. 3 StGB verstößt.

8

cc) Zu besorgen ist ferner, dass dem straferschwerend herangezogenen Verhalten des Angeklagten ein zu großes Gewicht beigemessen worden ist. Denn die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, ob sich die [X.] des Umstands bewusst war, dass Tatmodalitäten einem Angeklagten strafschärfend nur zur Last gelegt werden dürfen, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer vom Täter nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. Senat, Beschluss vom 30. April 2015 - 2 StR 444/14, [X.], 634; vom 8. Januar 2014 - 2 StR 514/13; vom 18. Juni 2013 - 2 [X.]; [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 636 mwN). Dies in den Blick zu nehmen bestand deshalb Anlass, weil beim Angeklagten ausweislich der getroffenen Urteilsfeststellungen unter anderem eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung ([X.]: [X.]) bestand, derentwegen seine Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt erheblich eingeschränkt war. Die der Tötung vorausgehende Auseinandersetzung mit dem [X.] hatte - so die Urteilsfeststellungen - beim Angeklagten Emotionen hervorgebracht, die als Triggerfaktoren für die Aktivierung traumaassoziierter Gedächtnisinhalte verantwortlich waren und er sich erneut einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt sah; er missinterpretierte krankheitsbedingt die Konfliktsituation und entwickelte auf der Grundlage der verinnerlichten Doktrin, sich stets wehren zu müssen, eine Zerstörungswut, um sein Gegenüber auszulöschen. Damit, ob dem Angeklagten trotz dieser krankhaften Persönlichkeitsänderung, die seine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit begründet hat, die Brutalität seines Vorgehens uneingeschränkt angelastet werden kann, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander.

9

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die aufgezeigten Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben.

3. Die Aufhebung des Strafausspruchs zu Tat 3 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Folge.

4. Die der Strafzumessung zu Grunde liegenden rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind von den aufgezeigten [X.] nicht berührt und können daher aufrechterhalten bleiben; ergänzende, zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen bleiben zulässig.

Franke     

        

Krehl     

        

Meyberg

        

Grube     

        

Schmidt     

        

Meta

2 StR 21/22

11.04.2022

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 2. Juli 2021, Az: 5/22 Ks 7/19

§ 21 StGB, § 46 Abs 3 StGB, § 212 Abs 1 StGB, § 213 Alt 2 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.04.2022, Az. 2 StR 21/22 (REWIS RS 2022, 9512)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9512

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2 StR 444/14

2 StR 17/19

2 StR 382/18

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