Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.05.2021, Az. 2 StR 439/20

2. Strafsenat | REWIS RS 2021, 5541

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Gegenstand

Strafverfahren: Verminderte Schuldfähigkeit bei Spielsucht; Geständnisverwertung nach Aufhebung des auf einer Verständigung beruhenden Urteils


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 20. Mai 2020, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten nach einer Verständigung gemäß § 257c [X.] wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.099.513,83 [X.] angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte begann im Alter von 18 Jahren damit, an [X.] zu spielen. Er verbrauchte seine finanziellen Mittel, lieh sich Geld, bestahl seinen Vater und verspielte auch Geld, das er heimlich vom Konto seiner Freundin abgehoben hatte. Ab Oktober 2013 arbeitete er als Servicekraft in der Spielothek „M.       “. Im Oktober 2016 erlangte der Angeklagte eine Arbeitsstelle bei der                    - [X.][X.]. Ende 2017 wurde er dort Assistent der Geschäftsleitung. Als solcher hatte er Zugriff auf die bei der Spielbank erzielten Bareinnahmen im [X.]. Er machte sich rasch mit den Abläufen vertraut und erkannte die „systemischen Schwachstellen“ bei der Erfassung, Kontrolle und Weiterleitung von Tageseinnahmen. Zugleich steigerte sich die Spielleidenschaft des Angeklagten zu einem pathologischen Spielen. Am Spielen in einer Spielbank reizten ihn die dort möglichen hohen Gewinne. Damit wollte er zwar auch seine Schulden „auf einen Schlag“ begleichen können. Im Wesentlichen ging es ihm aber darum, sein Bedürfnis nach Glücksgefühlen zu befriedigen. Ab dem 12. Januar 2018 besuchte er regelmäßig die Spielbank in [X.]       . Nachdem dortige Spielgewinne bekannt geworden waren, machte der Angeklagte seinen Angehörigen und seiner Freundin teure Geschenke, glich das Soll auf seinem Girokonto aus und erwarb Luxusgegenstände.

4

a) [X.]:

5

Um in der Spielbank in [X.]      spielen zu können, stahl der Angeklagte Devisen aus dem [X.] der Spielbank [X.]. Dabei befand er sich in dem Irrglauben, die entnommenen Gelder durch Gewinne zurückzahlen zu können. Die im [X.] gelagerten Devisen stellten für ihn einen nahezu unerschöpflichen Vorrat dar. Entgegen seiner vordergründigen Absicht, die entnommenen Geldbeträge aus seinen Gewinnen auszugleichen und in den [X.] zurückzulegen, hielt er es für wahrscheinlich, dies nicht erreichen zu können. Das nahm er in Kauf. Spätestens am 26. Februar 2018 nahm der Angeklagte erstmals 5.000 [X.] [X.]n aus dem [X.], um sie für sich zu verwenden. Die Devisen tauschte er bei der [X.] im [X.] in 4.138,19 [X.] um und verspielte dieses Geld. Bei dem [X.] wurde er namentlich erfasst, weil der Betrag die registrierungspflichtige Höhe von 2.500 [X.] überschritt. Beim später wiederholt durchgeführten Umtausch von Devisen vermied er die Überschreitung dieser Grenze. Die Wegnahme von Devisen aus dem [X.] der Spielbank [X.], die auf das Konto der Spielbank bei der [X.] eingezahlt werden sollten, verschleierte der Angeklagte durch falsche Angaben gegenüber anderen Spielbankmitarbeitern und durch Manipulation von Devisenaufstellungen. Insgesamt entnahm er dem [X.] in der [X.] vom 2. Februar 2018 bis zum 5. Dezember 2018 Geld in ausländischer Währung im Gegenwert von 279.914,18 [X.]. Durch wie viele [X.] er dies verursachte, konnte das [X.] ebenso wenig feststellen, wie in welcher Höhe er beim Spielen zwischenzeitlich Gewinne erzielte.

6

b) [X.]:

7

Nachdem das System der Devisenabrechnung bei der [X.]  umgestellt worden und der Angeklagte nicht mehr mit dem Transport von Devisen zur [X.] betraut war, entschloss er sich im Februar 2019, [X.] aus den Tageseinnahmen zu entwenden. Zwar ging er davon aus, die entnommenen Beträge nach [X.] zurücklegen zu können, was ihm aber auf Dauer nicht gelang.

8

Das aus Tageseinnahmen stammende Bargeld in [X.] wurde in sogenannten [X.] im [X.] der Spielbank [X.]gelagert und an drei Werktagen pro Woche von Mitarbeitern des Transportunternehmens I.  abgeholt. Von diesem Unternehmen wurde das Bargeld später zur [X.] gebracht und einem Konto der Spielbank gutgeschrieben. Im [X.]raum von Anfang Februar 2019 bis Mitte April 2019 öffnete der Angeklagte bei fünfzehn Gelegenheiten vor der Übergabe an Mitarbeiter des Transportunternehmens verschiedene [X.], entnahm deren Inhalt ganz oder teilweise und verpackte eventuelle Restbeträge oder aus [X.] zurückgeführtes Geld in neue [X.], die er passend beschriftete.

9

Im Einzelnen entnahm der Angeklagte aus dem [X.]

am 5. oder 6. Februar

10.000,00 [X.],

zwischen dem 9. und 11. Februar

10.000,00 [X.],

zwischen dem 10. und 11. Februar

192.884,20 [X.],

nach dem 18. Februar

20.000,00 [X.],

am 24. oder 25. Februar

140.067,20 [X.],

am 24. oder 25. Februar

148.486,50 [X.],

am 28. Februar oder 1. März

20.000,00 [X.],

zwischen dem 2. und 4. März     

164.061,00 [X.],

am 11. März

221.720,95 [X.],

bis zum 13. März

249.885,80 [X.],

am 18. März

50.000,00 [X.],

am 20. März

64.312,35 [X.],

am 25. März

60.000,00 [X.],

am 29. März

81.973,45 [X.]

 und

am  8. April

92.609,10 [X.].

In den beiden Tatkomplexen zusammen entwendete der Angeklagte Bargeld in Höhe von 1.805.012,73 [X.]. Nach Rückführung eines Teils der Beträge betrug der Verlust der Spielbank [X.]noch 1.099.513,83 [X.].

2. Das [X.] hat die Handlungen des Angeklagten als Diebstahl in zwei Fällen bewertet, wobei es die beiden Tatkomplexe jeweils zu einer „Bewertungseinheit“ zusammengefasst hat. Diese seien von einem „einheitlichen Stehlwillen“ getragen gewesen; zudem seien im [X.] die „vorgenommenen oder vorgetäuschten Rückführungen von Geldbeträgen miteinander so verzahnt, dass die Handlungen als eine Tat erschienen“. Bei der Begehung der Taten habe der Angeklagte gewerbsmäßig gehandelt, „da die [X.] dem Angeklagten von Anfang an längerfristig zur Finanzierung seiner Spielsucht und seines Lebensunterhalts dienten“. Im Rahmen der Strafzumessung hat das [X.] die Voraussetzungen des § 21 StGB als erfüllt angesehen und unter anderem deshalb nicht den Strafrahmen des § 243 Abs. 1, sondern denjenigen des § 242 Abs. 1 StGB zu Grunde gelegt.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Die tatbestandliche Einordnung der Handlungen des Angeklagten durch das [X.] ist allerdings nicht zu beanstanden.

a) Untreue, die gegebenenfalls tateinheitlich verwirklicht worden wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Juli 1962 - 1 StR 282/62, [X.]St 17, 360 f.), hat das [X.] nicht geprüft. Diese lag angesichts der unselbständigen Aufgaben des Angeklagten aber nicht nahe, weshalb kein Erörterungsmangel vorliegt.

b) Die [X.] hat den Tatbestand des Diebstahls zutreffend angewendet, da der Angeklagte den übergeordneten Gewahrsam der [X.]  durch Wegnahme von Bargeld gebrochen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Mai 1983 - 4 StR 265/83, [X.], 455).

2. Jedoch hält die konkurrenzrechtliche Wertung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Verletzt „dieselbe Handlung“ mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt (§ 52 Abs. 1 StGB). Der [X.] knüpft dabei vor allem an den Vollzug eines Verhaltens im natürlichen Sinn an, also praktisch an willensgesteuerte Körperbewegungen. Die Verknüpfung einer mehrfachen Tatbestandserfüllung zur Tateinheit ist gegebenenfalls in einer Überlagerung von mehreren [X.] zu sehen.

Eine Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB ist zunächst bei einer einzigen Handlung im natürlichen Sinn gegeben. Darüber hinaus kann von einer Tat [X.] sein, wenn mehrere Handlungen zu einer „natürlichen Handlungseinheit“ zusammengefasst werden, weil zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als [X.] darstellt und die [X.] durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Juli 2017 ‒ [X.], [X.]St 63, 1, 5; [X.], Beschluss vom 24. November 2010 - 2 [X.], [X.], 111; Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 2 StR 48/17, [X.], 228). Eine weitere Fallgruppe des § 52 Abs. 1 StGB ist die tatbestandliche Handlungseinheit bei mehraktigen oder zusammengesetzten Delikten sowie bei [X.]. Darüber hinaus kann bei Delikten mit pauschalierenden Handlungsbeschreibungen oder fortlaufenden Tatbestandsverwirklichungen eine Tat im Rechtssinne vorliegen. Der Sache nach stellt auch die „Bewertungseinheit“ eine Zusammenfassung einer Mehrzahl natürlicher Handlungen zu einer Tat dar (vgl. [X.] aaO, [X.]St 63, 1, 6). Dabei geht es regelmäßig um einen Tatbestand, der typischerweise im Gesetz in [X.], weit gefasster und verschiedene natürliche Handlungen zusammenfassender Weise beschrieben ist und der dementsprechend trotz mehrerer - nicht wegen teilweisen Zusammenfallens von Tathandlungen oder wegen eines auch räumlich und zeitlich engen Zusammenhangs tateinheitlich verbundener - derartiger Handlungen als nur einmal erfüllt angesehen wird (vgl. [X.], Urteil vom 17. März 2011 - 1 [X.], NJW 2011, 2448, 2449).

Das trifft auf Diebstahl regelmäßig nicht zu. Bei dem als Wegnahme fremder beweglicher Sachen definierten [X.] kommt es konkurrenzrechtlich vor allem darauf an, ob eine natürliche Handlung oder mehrere Wegnahmehandlungen vorliegen. Im letzteren Fall können verschiedene natürliche Handlungen derart in einem engen zeitlichen, räumlichen und situativen Zusammenhang stehen, dass sie sich objektiv als [X.] darstellen, das gegebenenfalls auch auf einer einheitlichen Willensentschließung beruht. Andernfalls folgt aus der Mehrzahl tatbestandsmäßiger Handlungen eine Tatmehrheit im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB.

b) Nach diesen Maßstäben ist die Konkurrenzbewertung des [X.]s rechtsfehlerhaft.

aa) Soweit der Angeklagte durch eine einzige Handlung eine Mehrzahl von Geldscheinen und Münzen weggenommen hat, liegt eine Tat vor, weil sie sich in einer natürlichen Handlung erschöpft. Hat der Angeklagte unmittelbar nacheinander aus mehreren [X.] jeweils Geldscheine und Münzen weggenommen, kann eine natürliche Handlungseinheit vorliegen. In Fällen der Wegnahme von Geldscheinen und Münzen an verschiedenen Tagen ist dagegen grundsätzlich von Tatmehrheit auszugehen.

bb) Darauf, dass der Angeklagte von vornherein den Entschluss gefasst hatte, wiederholt Bargeld aus dem [X.] wegzunehmen, um damit in der Spielbank [X.]       zu spielen, kommt es nicht an. Allein der Umstand, dass der Täter vorab den Entschluss zur Begehung einer Mehrzahl von Taten fasst und ein einheitliches Ziel verfolgt, kann weder die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit noch eine Tateinheit begründen, sofern sich die tatbestandsmäßigen [X.] nicht überschneiden (vgl. [X.], Beschluss vom 7. März 2017 - 1 StR 41/17, [X.], 342, 343). Erst recht besteht kein Grund zur Annahme einer „Bewertungseinheit“.

Auch die Tatsache, dass der Angeklagte in der Absicht gehandelt hat, sich durch wiederholte Wegnahme von Bargeld aus dem [X.] der Spielbank [X.]eine fortlaufende Einnahmequelle von erheblichem Umfang zu verschaffen, ändert nichts an der Handlungsmehrheit.

Schließlich kommt der späteren Rückgabe von anderen als den zuvor weggenommenen Geldscheinen und Münzen keine konkurrenzrechtliche Bedeutung zu. Sie lässt als Schadensminderung den zuvor beendeten [X.] unberührt.

c) Das [X.] durfte jedenfalls nicht ohne weiteres in Anwendung des [X.] davon ausgehen, dass der Angeklagte in beiden Tatkomplexen nur jeweils eine Tat begangen habe.

Nimmt der Täter über einen längeren [X.]raum hinweg durch eine Mehrzahl gleichartiger Handlungen unbefugt Geldbeträge an sich, deren Gesamtsumme später feststellbar ist, nicht aber die [X.], so kann „in dubio pro reo“ von einer Handlung ausgegangen werden (vgl. [X.], Beschluss vom 7. September 1995 - 1 [X.]). Das kommt aber nur in Betracht, wenn sich das Gericht nach Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweismittel nicht davon überzeugen kann, dass wenigstens im Sinne einer Mindestfeststellung eine Zahl von [X.] bestimmt werden kann.

Das [X.] hat zum [X.] im Urteil bereits verschiedene Handlungen dargestellt, die, soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt, als Tatmehrheit zu bewerten sind. Im [X.] hat es die Möglichkeit, im Sinne von Mindestfeststellungen eine Handlungsmehrheit festzustellen, nicht in Betracht gezogen. Jedenfalls ist aus den Urteilsgründen nicht nachzuvollziehen, warum das [X.] nicht aus den zur Berechnung des Gesamtschadens dienenden Daten, die im Urteil auch nicht mitgeteilt werden, eine Mindestzahl von [X.] ermittelt hat. Zumindest die erste Wegnahme von 5.000 [X.] [X.]n ist als solche festgestellt.

3. Die fehlerhafte Bewertung der Konkurrenzen zwingt zur Aufhebung des Schuldspruchs. Der [X.] kann diesen nicht selbst ändern, weil weitere Feststellungen möglich sind und die wertende Bestimmung der Anzahl von rechtlich selbständigen Handlungen auch zuvörderst der Beurteilung des Tatrichters obliegt (vgl. [X.], Urteil vom 25. September 1997 - 1 StR 481/97, [X.], 68, 69).

III.

Rechtsfehlerhaft ist auch die Beweiswürdigung zu den Voraussetzungen des § 21 StGB.

1. Pathologisches Spielen stellt für sich genommen keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB dar; vielmehr kommt es auf den Grad und das Ausmaß psychopathologischer Symptome und deren konkrete Auswirkungen auf das Verhalten des [X.] bei der Begehung der jeweiligen Tat an. Die Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei der Begehung der konkreten Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der jeweiligen [X.] ausgewirkt hat. Maßgeblich ist bei einer Spielsucht, ob der Betroffene dadurch gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn eine Spielsucht diagnostiziert ist und zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei [X.] unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein (vgl. [X.], Urteil vom 25. November 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 365, 369 f.; Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 597/12, [X.]St 58, 192, 194; [X.], Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 2 [X.], [X.], 181, 182; [X.], Urteil vom 7. November 2013 - 5 StR 377/13, [X.], 80; Beschluss vom 30. September 2014 - 3 StR 351/14, [X.], 206; Urteil vom 13. März 2019 - 1 [X.], BeckRS 2019, 8407, Rn. 23).

2. Nach diesem Maßstab bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB.

a) Die [X.] hat sich den Blick auf die Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtung bereits durch die fehlerhafte Annahme von [X.] statt einer Vielzahl rechtlich selbständiger Handlungen verstellt, bei denen im gesamten Tatzeitraum vom 26. Februar 2018 bis zum 8. April 2019 stets eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorgelegen habe. Dabei ist das Vorliegen dieser Voraussetzungen des § 21 StGB bei rechtlich selbständigen Taten im Sinne des § 53 StGB grundsätzlich tatbezogen zu prüfen. Unbeschadet der Problematik der Feststellung konkreter Einzelheiten wäre eine differenzierende Bewertung zumindest insoweit in Betracht gekommen, als unterschiedliche [X.]en oder Lebensverhältnisse zu berücksichtigen gewesen wären, etwa auch im Hinblick auf erhebliche Geldgewinne, die nicht nur zur Verdeckung der Diebstähle in den [X.] zurückgeführt, sondern auch für teure Geschenke oder Einkäufe verwendet wurden (vgl. [X.], Urteil vom 13. März 2019 - 1 [X.], BeckRS 2019, 8407, Rn. 24).

b) Im Übrigen ist die Gesamtwürdigung aller Umstände im Urteil lückenhaft.

Der Angeklagte hat lange [X.] seine Arbeitstätigkeit ausgeführt, ohne aufzufallen. Dabei sprechen die genauen Tatvorbereitungen durch Analyse und Ausnutzung der „systemischen Schwächen“ im Betriebsablauf der [X.]  sowie die Komplexität der [X.] der Diebstähle indiziell gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (vgl. [X.], Urteil vom 7. November 2013 - 5 StR 377/13, [X.], 80). Dieses Leistungsverhalten hat das [X.] nicht erörtert.

IV.

Der [X.] hebt wegen der genannten Rechtsfehler auch die Feststellungen auf.

Die Aufhebung der gesamten Feststellungen ist keine zwingende Folge der [X.]. Nach § 353 Abs. 2 [X.] werden die tatrichterlichen Feststellungen aufgehoben, soweit sie von der Gesetzesverletzung betroffen sind, die zur [X.] geführt hat. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift folgt aber nur, dass die Feststellungen jedenfalls bei Betroffenheit im Sinne der Vorschrift aufzuheben sind, nicht aber, dass sie nicht in einem weiteren Umfang aufgehoben werden könnten, wenn es dafür im Einzelfall wichtige Gründe gibt. Dabei ist einerseits der Gedanke der [X.] zu beachten, andererseits auch die Gefahr einer Verfälschung der Wahrheitsfindung zu berücksichtigen, die entstehen kann, wenn das neue Tatgericht andere Tatsachenfeststellungen treffen könnte, aber wegen der Bindungswirkung nicht aufgehobener Feststellungen daran gehindert ist (vgl. LR/[X.], [X.], 26. Aufl., § 353 Rn. 19). Bei [X.], die vor allem die innere Tatseite betreffen, muss auch in Betracht gezogen werden, dass die Mängel zur subjektiven Seite auf Feststellungen zum objektiven Geschehen durchschlagen können (vgl. MüKo[X.]/[X.]/[X.], 2019, § 353 Rn. 31). Die Aufhebung der gesamten Feststellungen ist daher geboten, um dem neuen Tatrichter auf umfassend neuer Grundlage eine widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Oktober 2016 - 1 [X.], Rn. 5). Im vorliegenden Fall genügt es auch angesichts der unzureichenden Feststellungen zu rechtlich selbständigen Diebstählen, deren Tatentschluss jeweils durch Spielsucht mehr oder weniger stark beeinflusst gewesen sein kann, nicht, den neuen Tatrichter darauf zu verweisen, er könne zusätzliche Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen treffen.

V.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der [X.] auf folgendes hin:

1. Das [X.] hat die Frage einer Maßregelanordnung nicht erörtert. Eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB kommt aber aus Rechtsgründen nicht in Betracht (vgl. [X.], Urteil vom 25. November 2004 - 5 [X.], [X.]St 49, 365, 367 ff.; [X.] aaO S. 161). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB wäre zwar rechtlich möglich. Sie ist bei Vorliegen einer „Spielsucht“ aber auch bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 63 StGB aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur in besonderen Ausnahmefällen anzuordnen (vgl. [X.], Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 597/12, [X.]St 58, 192, 197; [X.] aaO S. 163 f.).

2. Das in der ersten Hauptverhandlung abgelegte Geständnis des Angeklagten ist nicht zu seinem Nachteil zu verwerten, wenn das neue Tatgericht den Rahmen der mit dem Erstgericht getroffenen Verständigung gemäß § 257c [X.] verlassen will.

Zwar ist die neue Tatsacheninstanz nicht an eine Verständigung gebunden, die in der Vorinstanz zustande gekommen war (vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 2016 − 3 [X.], [X.], 373, 374). Ein verständigungsbasiertes Geständnis wird auch nicht unverwertbar, wenn ein Angeklagter in einem Verfahren, in dem nur eine Revision zu seinen Gunsten eingelegt ist, durch das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 [X.] geschützt wird (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Februar 2010 - 5 StR 38/10, [X.], 470). Es würde nach Auffassung des [X.]s aber dem [X.] widersprechen, wenn nach einer [X.] und Zurückverweisung der Sache aufgrund einer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision eine Verschlechterung des Urteils für den Angeklagten unter Überschreitung der Obergrenze des in der Verständigung zugesagten „kleinen Strafrahmens“ im Sinne von § 257c Abs. 3 Satz 2 [X.] erfolgt (vgl. SSW-[X.]/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 257c Rn. 116; MüKo[X.]/[X.]/[X.], 2016, § 257c Rn. 177; [X.], [X.], 27. Aufl., § 257c Rn. 77; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 257c Rn. 37; SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 257c Rn. 48; [X.], [X.], 471, 473). Was insoweit nach verbreiteter Auffassung für ein Berufungsgericht nach einer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Berufung der Staatsanwaltschaft gegen ein auf einer Verständigung beruhendes Urteil gilt (vgl. [X.], Beschluss vom 7. März 2014 − 3 (6) [X.] 642/13 - AK 242/13, [X.], 294, 295; [X.] [X.]/[X.], [X.]., § 257c Rn. 47; KK-[X.]/[X.]/[X.], 8. Aufl., § 257c Rn. 42; [X.], [X.] 2015, 1, 4; [X.], [X.], 137, 142), muss auch nach der revisionsgerichtlichen [X.] und Zurückverweisung der Sache aufgrund einer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision der Staatsanwaltschaft für das neue Tatgericht gelten.

[X.]     

        

Appl     

        

Krehl 

        

[X.]     

        

[X.]     

        

Meta

2 StR 439/20

26.05.2021

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 20. Mai 2020, Az: 5/17 KLs 28/19

§ 21 StGB, § 257c Abs 3 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.05.2021, Az. 2 StR 439/20 (REWIS RS 2021, 5541)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5541

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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