Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.01.2023, Az. 1 StR 288/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 829

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verständigung im Strafverfahren: Mitteilungspflicht zu Erörterung über eine Einziehung von Taterträgen im Hauptsacheverfahren im abgetrennten Verfahren über die Einziehung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. April 2022 aufgehoben, soweit 8,608 kg 10-Cent-Münzen, 16,995 kg 20-Cent-Münzen, 16,657 kg 50-Cent-Münzen, 27,939 kg 1-Euro- und [X.], 47 Geldscheine zu 20 Euro, 263 Geldscheine zu 50 Euro, 249 Geldscheine zu 100 Euro, 132 Geldscheine zu200 Euro und 24 Geldscheine zu 500 Euro eingezogen worden sind; der Ausspruch, dass ein Bargeldbetrag in Höhe von 15.100 Euro hiervon „ausgenommen“ ist, entfällt.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat im Verfahren gemäß §§ 422, 423 StPO diverse Wertgegenstände und Bargeld bei dem Angeklagten eingezogen, nachdem es diesen zuvor mit Urteil vom 26. Februar 2020 – rechtskräftig – wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in drei Fällen und wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt hatte. Gegen die Einziehungsentscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge hin den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Revision eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO beanstandet, bleibt ohne Erfolg.

3

a) Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Im Hauptsacheverfahren vor dem [X.] führten die Verfahrensbeteiligten [X.], deren Gegenstand u.a. eine Verfahrensbeschränkung nach § 421 StPO gewesen ist. Nachdem eine Verständigung nicht zustande gekommen war, trennte das [X.] das Verfahren über die Einziehung nach § 422 StPO ab. Nach Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung teilte der Vorsitzende am ersten Hauptverhandlungstag im Verfahren über die Einziehung mit, dass Erörterungen nicht stattgefunden hätten. Die [X.] im ursprünglichen Hauptsacheverfahren waren zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Einziehungsverfahrens.

5

b) Die Revision macht geltend, dass es im Verfahren über die Einziehung auch einer Mitteilung der [X.] bedurft habe, die im Hauptsacheverfahren geführt wurden (vgl. § 423 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO). Die Rüge ist unbegründet; eine Mitteilungspflicht bestand insoweit nicht.

6

aa) Die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO dient der Herstellung von Transparenz im verständigungsbasierten Erkenntnisverfahren (vgl. etwa [X.], Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., [X.]E 133, 168, 215 ff.). Da auch im Falle einer Verständigung allein der Inbegriff der Hauptverhandlung Grundlage der Urteilsfindung bleibt, müssen grundsätzlich sämtliche Vorgespräche und außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gespräche, die dem Ziel einer Verständigung dienen, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden. Gegenstand einer Verständigung können nach § 257c Abs. 2 StPO jedoch nur Rechtsfolgen oder sonstige strafprozessuale Maßnahmen sein, „die das Gericht verfügen kann“ (BT-Drucks. 16/12310, [X.]). Die Einziehung von [X.] gehört daher als zwingende Nebenfolge bereits nicht zu den einer Verständigung zugänglichen Rechtsfolgen gemäß § 257c Abs. 2 StPO (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Februar 2018 – 5 [X.], [X.]R StPO § 257c Abs. 2 Satz 1 Verständigungsgegenstand 1 Rn. 8). Kann jedoch die Einziehung nach §§ 73 bis 73c StGB von vornherein nicht Gegenstand einer Verständigung im Hauptsacheverfahren sein, besteht im abgetrennten Verfahren über die Einziehung insoweit auch keine Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO. Das abgetrennte Verfahren über die Einziehung umfasst gemäß § 422 Satz 1 StPO ausschließlich die Entscheidung über die Einziehung, die nicht im Ermessen des Gerichts steht, sondern – sofern nicht nach § 421 Abs. 1 StPO verfahren worden ist – zwingend vorgeschrieben ist.

7

bb) Dafür spricht auch, dass das Gericht die Entscheidung über die Einziehung gemäß § 423 Abs. 1 Satz 1 StPO erst nach Rechtskraft des Urteils in der Hauptsache trifft. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu der Aussetzung des Verfahrens, bei dem in der neu begonnenen Hauptverhandlung eine Pflicht zur Mitteilung von [X.]n, die in der ausgesetzten Hauptverhandlung geführt wurden, besteht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. Dezember 2021 – 1 [X.] Rn. 8 f. und vom 24. April 2019 – 1 [X.], [X.]R StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 12 Rn. 10). Anders als bei der Aussetzung des Verfahrens, bei der die Hauptverhandlung insgesamt von neuem beginnt, ist das Hauptverfahren bei der Entscheidung über die Einziehung bereits abgeschlossen. Weder der Angeklagte noch die Schöffen oder die Öffentlichkeit haben vor diesem Hintergrund ein berechtigtes Interesse, (erneut) über vorangegangene [X.] in dem rechtskräftig abgeschlossenen Hauptsacheverfahren informiert zu werden. Eine Mitteilung verfahrensfremder Erörterungen ist auch aus Transparenzgründen nicht geboten.

8

2. Die Einziehungsentscheidung ist rechtsfehlerhaft, soweit das [X.] die (erweiterte) Einziehung der sichergestellten Euro-Münzen und -Scheine angeordnet und davon einen Betrag in Höhe von 15.100 Euro „ausgenommen“ hat.

9

Das [X.] konnte nicht ausschließen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Sicherstellung rechtmäßig über einen Bargeldbetrag in Höhe von 15.100 Euro verfügte. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist davon auszugehen, dass es zu einer Vermischung (§ 948 BGB) des legal erworbenen Bargelds des Angeklagten mit dem inkriminierten Bargeld gekommen ist, sodass die sichergestellten Euro-Münzen und -Scheine bereits deswegen „aus anderen Gründen“ im Sinne des § 73c Satz 1 StGB nicht mehr gegenständlich eingezogen werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 17. August 2022 – 5 [X.] Rn. 4; Urteil vom 21. November 2018 – 2 [X.] Rn. 8); sie unterliegen damit insgesamt vielmehr der (erweiterten) Einziehung des Wertes von [X.] gemäß § 73 Abs. 1, § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB. Das neue Tatgericht hat von dem zu ermittelnden Wert der [X.] einen Betrag von 15.100 Euro in Abzug zu bringen.

Jäger     

  

Bär     

  

Leplow

  

Allgayer     

  

Munk     

  

Meta

1 StR 288/22

25.01.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Baden-Baden, 25. April 2022, Az: 2 KLs 304 Js 12182/19

§ 234 Abs 4 S 1 StPO, § 243 StPO, § 257c Abs 2 StPO, § 421 StPO, § 422 StPO, § 423 StPO, § 73 StGB, § 73a StGB, § 73b StGB, § 73c StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.01.2023, Az. 1 StR 288/22 (REWIS RS 2023, 829)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 829

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 455/22 (Bundesgerichtshof)

Pflicht zur erneuten Mitteilung über Verständigungsgespräch


5 StR 199/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Mitteilungspflicht über die Erörterung der Verständigungsmöglichkeit


5 StR 288/19 (Bundesgerichtshof)

Mitteilung über ein außerhalb der Hauptverhandlung geführtes Verständigungsgespräch: Anforderungen an die Erfüllung der Protokollierungspflicht


5 StR 484/20 (Bundesgerichtshof)

Verständigung im Strafverfahren: Wegfall der Bindung des Gerichts an die Verständigung bei Verfahrensaussetzung; Unverwertbarkeit des …


1 StR 211/23 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung: Mitteilungspflicht über Rechtsgespräch zur Verfahrenserledigung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvR 2628/10

5 StR 600/17

1 StR 418/21

1 StR 153/19

2 StR 262/18

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.