Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2002, Az. 3 StR 274/02

3. Strafsenat | REWIS RS 2002, 796

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[X.] DES VOLKESURTEIL3 [X.]in der Strafsachegegenwegen Vergewaltigung u. [X.] 2 -Der 3. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.], an der teilgenommen haben:[X.] am [X.] Prof. Dr. Tolksdorf,[X.] am [X.] Dr. [X.], [X.], von [X.], [X.]als [X.],Oberstaatsanwalt beim [X.] als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger,Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklag-ten wird das [X.]eil der auswärtigen [X.] des [X.] in [X.] vom 8. Februar 2002a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte [X.] in vier Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwi-schen Verwandten sowie des [X.] zwischen [X.] in zwölf weiteren Fällen schuldig ist,b) in den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen [X.] bis 9, 12,13, 15 und 16 und im [X.] mit den zu-gehörigen Feststellungen aufgehoben.Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,an eine andere [X.] des [X.] zurückverwie-sen.2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vierFällen und wegen Nötigung in zwölf Fällen, in allen Fällen in Tateinheit [X.] zwischen Verwandten, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jah-ren verurteilt und ihn im übrigen [X.] 4 -I. 1. Nach den Feststellungen befanden sich im Haushalt des Angeklag-ten neben seiner Ehefrau acht eheliche Kinder, fünf Mädchen und drei Jungen,sowie eine von seiner Ehefrau in die Ehe mitgebrachte Tochter. Die familiärenVerhältnisse waren dadurch geprägt, daß der zu erheblichem Alkoholgenußneigende Angeklagte insbesondere unter Alkoholeinfluß und, wenn etwas nichtnach seinem Willen ging, manchmal auch ohne erkennbaren Anlaß, [X.] gegenüber Ehefrau und Kindern verübte, wobei er auch zu drasti-schen "Strafen" griff. Es entstand ein Klima ständiger Furcht, er könne gewalt-tätig werden, herumschreien oder sich sonst unkontrolliert verhalten. [X.] geborene Tochter [X.] mißbrauchte er seit deren dreizehntem [X.] und führte mit ihr in zahlreichen Fällen, die nicht Gegenstand [X.] sind, den Geschlechtsverkehr aus, bis diese im [X.] 1989 [X.] verließ. Darauf wandte er sich der am 16. November 1975 geborenenTochter [X.] zu und mißbrauchte diese als Sexualpartnerin bis zum [X.], wobei lediglich die Fälle in der [X.] von April 1999 bis Ende 2000angeklagt worden sind.2. In den Fällen [X.], 10, 11 und 14 hat das [X.] neben dem Tat-bestand des [X.] mit Verwandten den der Vergewaltigung nach § 177Abs. 1 Nr. 1 bzw. 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB angenommen, weil der Angeklagte ent-weder Gewalt angewandt hatte ([X.]: Beine auseinander gedrückt; [X.]0: [X.] geworfen) oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Le-ben gebraucht ([X.]1: er werde der von ihm geschwängerten Geschädigten"das Kind aus dem Bauch treten"; [X.]4: er werde dem - zwischenzeitlich gebo-renen - Kind "etwas antun"). Dagegen hat es in den Fällen [X.] bis 9, 12, 13, 15und 16 keine Gewaltanwendung oder Drohung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2StGB festzustellen vermocht, den Angeklagten aber gleichwohl nicht nur we-- 5 -gen [X.] zwischen Verwandten, sondern auch wegen Nötigung nach§ 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB verurteilt, weil die Geschädigte den [X.] gegen ihren Willen nur aus Angst vor unberechenbaren Ver-haltensweisen des Angeklagten geduldet habe, was diesem bewußt gewesensei. Die Annahme der Tatbestandsalternative des Ausnutzens einer schutzlo-sen Lage nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat die [X.] abgelehnt. [X.] 120 angeklagten Fällen hat sie ihn freigesprochen, weil sich die [X.] ausreichend hätten konkretisieren lassen.3. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer auf den Schuldspruch inden Fällen [X.] bis 9, 12, 13, 15 und 16 sowie auf den gesamten [X.] beschränkten Revision mit der Sachrüge, daß das [X.] in [X.] [X.]2 und 13 sowie 15 und 16 nicht die Fortdauer der Drohungen ausden Fällen [X.]1 und 14 angenommen und im übrigen für sämtlich abgeurteil-ten Fälle § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint habe. Der Angeklagte erstrebt mitder Sachrüge die Aufhebung des [X.]eils insgesamt.[X.] Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, [X.] insoweit nach § 301 StPO zu Gunsten des Angeklagten, führen zur Ände-rung des Schuldspruchs in den Fällen [X.] bis 9, 12, 13, 15 und 16. Dies be-dingt die Aufhebung der zugehörigen Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. [X.] bleiben die Rechtsmittel beider Beschwerdeführer ohne Erfolg.1. Die Verurteilung wegen Nötigung hält rechtlicher Nachprüfung [X.], weil die [X.] das Vorliegen einer Nötigungshandlung und derenUrsächlichkeit für die Duldung der sexuellen Handlungen nicht festgestellt [X.] 6 -a) Der Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB setzt ebenso wie§ 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB grundsätzlich voraus, daß der Täter eine Nöti-gungshandlung vornimmt. Er muß Gewalt anwenden oder mit einem [X.] Übel drohen. Liegt Gewalt vor oder hat die Drohung zur Erzwingung se-xueller Handlungen zum Inhalt, daß gegenwärtige Gefahr für Leib oder Lebenin Aussicht gestellt wird, sind ohnehin die Nötigungsmittel der [X.] nach § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ge-geben. Nur wenn der Täter die Zufügung eines Übels androht, das hinter einerqualifizierten Drohung zurückbleibt, aber gleichwohl noch als [X.] zu werten ist, kommt § 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB in [X.]) Die [X.] hat bei der rechtlichen Würdigung zu dieser Fall-gruppe lediglich pauschal ausgeführt, daß der Tatbestand der Nötigung gege-ben sei, nicht aber, in welchen konkreten Verhaltensweisen sie eine Nöti-gungshandlung gesehen hat. Daß bei diesen Taten eine Drohung ausgespro-chen worden wäre, ist nicht festgestellt. Bei derartigen von vorangegangenenGewalthandlungen und Drohungen geprägten [X.] allerdings in Betracht, daß früher angewandte Gewalt in dem Sinne [X.] fortwirkt, daß der Täter durch schlüssiges Verhalten erneute [X.] androht und etwa allein schon durch sein Verlangen nach [X.] sexuellen Handlung konkludent zu verstehen gibt, er werde andernfallsgegen das Opfer vorgehen (vgl. [X.]R StGB § 177 Abs. 1 Drohung 2, 8). [X.] aber nicht immer davon ausgegangen werden, daß bei [X.] stets ein Nötigungsmittel eingesetzt wird (vgl. [X.], 107, 111).- 7 -Hier ist zu berücksichtigen, daß auch nach der Einschätzung des [X.] Angeklagte nur "in seinem allgemeinen Verhalten gewalttätig gewesen sei"und seine Kinder oft geschlagen habe, während es in Zusammenhang mit sei-nen sexuellen Übergriffen in der Regel nicht zu Gewalttätigkeiten oder Dro-hungen mit Gewalt gekommen sei ([X.]). Damit übereinstimmend hat die[X.] für die [X.] vor Beginn der abgeurteilten [X.] eine konkreteAnwendung körperlicher Gewalt gegenüber der Geschädigten zur [X.] nicht festgestellt. Die zur Begründung einer Drucksi-tuation herangezogenen Verhaltensweisen des Angeklagten lassen eine kon-kludente Drohung nicht so auf der Hand liegend erscheinen, daß eine nähereBegründung entbehrlich gewesen wäre. Der Wurf einer Limonadenflasche ge-gen einen Schrank und die Drohung, die inzestuöse Beziehung "überall [X.] erzählen" ([X.]), konnten zeitlich nicht eingegrenzt werden und lagendaher möglicherweise schon länger zurück. Auch der [X.] aus der Fa-milienwohnung für eine Nacht im Jahre 1997 oder 1998 ([X.], 23) fandebenfalls mindestens ein Jahr vor dem Tatzeitraum der angeklagten Tatenstatt, so daß es - auch angesichts des zwischenzeitlichen Auszugs der [X.] aus der Familienwohnung - fernliegt, daß er noch eine aktuelle Be-deutung hatte. Bei dieser Sachlage reicht die allgemeine Feststellung nichtaus, daß aus der Sicht des Angeklagten seine Tochter [X.] die Durchfüh-rung des Geschlechtsverkehrs nur duldete, weil sie "Angst vor ihm und seinenunkontrollierten Verhaltensweisen" hatte ([X.]). Im übrigen wäre auch zuerörtern gewesen, ob in den Fällen, in denen [X.] ihren Vater in ihre eigeneWohnung gelassen hatte, weil sie befürchtete, er werde andernfalls im [X.] "randalieren", ein nötigendes Handeln des Angeklagten und nicht nur einebloße Befürchtung auf Seiten der Geschädigten vorlag. Denn ein nötigendes- 8 -Verhalten des [X.] würde insoweit voraussetzen, daß er beim Begehren [X.] zu verstehen gegeben hat, er werde andernfalls "randalieren".2. Dies gilt auch für die Fälle [X.]2, 13, 15 und 16, denen massive Dro-hungen in den Fällen [X.]1 ("Kind aus dem Bauch treten") und 14 ("dem Kindetwas antun") vorausgegangen waren und bei denen daher die Annahme einerkonkludenten Drohung mit entsprechendem Inhalt, die dann als qualifizierteDrohung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu bewerten gewesen wäre,näher lag. Doch hat die [X.] nicht feststellen können, daß der Ange-klagte eine entsprechende Drohung gebraucht hätte. Sie hat dies damit [X.], daß die Geschädigte solches nicht nur nicht bekundet, sondern imGegenteil erklärt hat, im Zusammenhang mit den sexuellen Übergriffen sei [X.] der Regel nicht zu Drohungen oder Gewaltanwendungen gekommen ([X.]. 36, 37). Zu den Fällen [X.]2 und 13 hat die [X.] sogar ausdrücklichausgeführt, daß ein Zusammenhang zwischen der Duldung des Geschlechts-verkehrs mit der im Fall [X.]1 gebrauchten Drohung sich nicht hat feststellenlassen ([X.]). Bei den Fällen [X.]5 und 16 hat sie ebenfalls nur die allge-meine Angst der Geschädigten vor ihrem Vater als Ursache der Duldung fest-gestellt ([X.]). Daß sie dabei die Prüfung der Möglichkeit einer konkludenterneuerten Drohung wie im Fall [X.]4 unterlassen haben könnte, ist angesichtsder ausdrücklichen Erörterung dieser Frage bei den vorausgegangenen Fällennicht zu besorgen.Im übrigen scheidet nach ständiger Rechtsprechung des [X.] die Gleichsetzung von Gewalt und Ausnutzung der Angst vor [X.] Sinne einer konkludenten Drohung in der Regel aus, wenn zwischen [X.] und dem späteren Geschlechtsverkehr Wochen oder sogar- 9 -Monate liegen ([X.], [X.]. vom 2. Oktober 2002 - 2 [X.]; [X.] NStZ1986, 409; [X.]R StGB § 177 Serienstraftaten 5; NStZ-RR 1998, 105). Für denFall einer konkludent wiederholten Drohung kann nichts anderes gelten. [X.] die Fälle [X.]2 und 13 sowie [X.]5 und 16 zu nicht näher feststellbaren[X.]punkten innerhalb von [X.]spannen von mehr als neun Monaten, bzw. [X.] drei Monaten nach den jeweils vorausgegangenen Drohungen statt. [X.] enge zeitliche Zusammenhang ist somit nicht festgestellt.3. Der Staatsanwaltschaft ist zuzugeben, daß die [X.] bei [X.] der Voraussetzungen einer schutzlosen Lage nach § 177 Abs. 1 Nr. 3StGB lediglich auf die örtlichen Gegebenheiten der Tatorte abgestellt und [X.] einen zu engen Maßstab angelegt hat. Es ist unerheblich, auf welche Um-stände die schutzlose Lage zurückzuführen ist. Die verminderten Schutz- [X.] können sich sowohl aus den äußeren Gegeben-heiten als auch aus in der Person des Opfers liegenden Umständen ergeben([X.]St 45, 253, 256). Solche hätten hier grundsätzlich in der [X.] Einbindung der Geschädigten in den Familienverband gesehen werdenkönnen, der durch ein fortwährendes Klima der Gewalt und [X.] war, sofern hierdurch ihre Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten ineinem Maße vermindert waren, daß sie dem ungehemmten Einfluß des [X.]preisgegeben war, wobei eine gänzliche Beseitigung jeglicher Verteidigungs-möglichkeiten nicht gefordert werden kann ([X.]St 45, 253, 255 f.; 44, 228,231). Allerdings erscheint zweifelhaft, ob die vom [X.] festgestellte Si-tuation diese Kriterien erfüllt. Denn die Geschädigte hatte ebenso wie ihre zu-vor über einen längeren [X.]raum vom Angeklagten mißbrauchte Schwester[X.] erklärt, daß der Angeklagte wohl in seinem allgemeinen [X.] war und seine Kinder oft geschlagen hat, aber in der Regel bei sei-nen sexuellen Übergriffen nicht zu Gewalttätigkeiten und Drohungen gegriffen- 10 -hatte ([X.]). Jedenfalls hat die [X.] bei der Prüfung einer schutz-losen Lage auf Grund entsprechender örtlicher Gegebenheiten (z. B. im [X.]) ohne Rechtsfehler verneint, daß der Vorsatz des Angeklag-ten gerade auf die Ausnutzung dieser schutzlosen Lage gerichtet gewesen wä-re und dabei darauf abgestellt, daß die Geschädigte den Geschlechtsverkehrauch in Situationen duldete, in denen - wie etwa auf dem Campingplatz - un-schwer Hilfe hätte erlangt werden können ([X.]). Der [X.] kann daherausschließen, daß das [X.] einen entsprechenden Vorsatz bejaht [X.], wenn es in der genannten Einbindung in den von Gewalt geprägten [X.] eine schutzlose Lage gesehen hätte.4. Dagegen erweist sich die Revision des Angeklagten als offensichtlichunbegründet, soweit er in den Fällen [X.], 10, 11 und 14 wegen Vergewalti-gung in Tateinheit mit Beischlaf unter Verwandten verurteilt worden ist. [X.] der [X.] zu diesen konkret geschilderten Einzelfäl-len weist keinen Rechtsfehler auf.I[X.] Der [X.] hat in den Fällen [X.] bis 9, 12, 13, 15 und 16 davon ab-gesehen, den Schuldspruch aufzuheben und die Sache insoweit zurückzuver-weisen, da auszuschließen ist, daß in einer neuen Hauptverhandlung entspre-chende Nötigungshandlungen noch festgestellt werden können. Dabei hat erberücksichtigt, daß die [X.] ersichtlich bemüht war, [X.] und [X.] nach Möglichkeit herauszuarbeiten. [X.] wurde daher insoweit auf zwölf Fälle des [X.] zwischenVerwandten geändert. Dies führt zur Aufhebung der betroffenen [X.] und der Gesamtstrafe. Dagegen haben die Einzelstrafen in [X.] [X.], 10, 11 und 14 Bestand.- 11 -Tolksdorf [X.] [X.] von [X.] [X.]

Meta

3 StR 274/02

07.11.2002

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2002, Az. 3 StR 274/02 (REWIS RS 2002, 796)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2002, 796

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