Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2011, Az. 3 StR 374/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 195

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 374/11
vom
20. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen

wegen
besonders schwerer Vergewaltigung
u.a.

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Generalbundesanwalts
-
zu 2. auf dessen Antrag -
am 20.
Dezember 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 [X.] einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21.
Juni 2011 mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben, soweit
a) die Bildung einer Gesamtstrafe unterblieben ist,
b) im [X.].
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine [X.] des
[X.]s
Hildesheim zurück-verwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hatte gegen den Angeklagten am 23.
April 2010 wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverlet-zung auf eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren erkannt und ihn unter Einbe-ziehung der durch Urteil des [X.]s Hannover vom 16.
Juni 2006 ver-hängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten zu einer Gesamt-freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hatte es bestimmt, dass wegen der überlangen Verfahrensdauer sechs Monate Frei-heitsstrafe als vollstreckt gelten. Von der Anordnung einer Maßregel nach §
64 1
-
3
-
oder
§
66 StGB hatte es abgesehen. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft
hob der [X.] dieses Urteil im Strafausspruch und soweit die [X.] von der Anordnung einer Maßregel abgesehen hatte auf ([X.]sbeschluss vom 25.
November 2010 -
3 [X.], NStZ-RR 2011, 78). Das [X.] hat den Angeklagten nunmehr wegen der verfahrensgegenständlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeord-net. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verlet-zung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen
weitge-henden
Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 [X.].
1. Die Begründung, mit welcher das [X.] von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß §
55 StGB abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das [X.] hat für die am 7.
Mai 2003 begangene verfahrensge-genständliche Tat eine Freiheitsstrafe von acht Jahren für tat-
und schuldange-messen erachtet. An einer Gesamtstrafenbildung nach §
55 StGB unter Einbe-ziehung der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des [X.]s Hannover vom 16.
Juni 2006 hat es sich mit der Begründung,
gehindert gesehen, diese Strafe sei seit dem 10.
Mai 2010 vollständig voll-streckt und deshalb erledigt. Es hat sodann im Wege eines Härteausgleichs von der aus seiner Sicht schuldangemessen Freiheitsstrafe von acht Jahren einen Abschlag von zwei Jahren und drei Monaten vorgenommen und auf eine Frei-heitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten erkannt.
Die [X.] hat dabei verkannt, dass bei Aufhebung einer Gesamt-strafe durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung der Sache an das 2
3
4
5
-
4
-
Tatgericht in der neuen Verhandlung die Gesamtstrafe nach Maßgabe der [X.] zum [X.]punkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vor-zunehmen ist (st. Rspr.;
vgl. nur [X.], Beschluss vom 3.
November 2009
-
3 [X.]; [X.], StGB, 59. Aufl., §
55 Rn. 37). Danach hätte das [X.] seiner Prüfung die Vollstreckungssituation am 23.
April 2010 zu-grunde legen müssen. Zu diesem [X.]punkt war die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des [X.]s Hannover vom 16.
Juni 2006 aber noch nicht vollständig erledigt
und deshalb gemäß §
55 StGB gesamtstrafenfähig.
Der Rechtsfehler hat sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt. Das [X.] hat ersichtlich übersehen, dass der [X.]
den
Strafausspruch des Urteils
vom 23.
April 2010 gemäß §
301 [X.]
ausschließlich zugunsten des Angeklagten aufgehoben hat. Wegen des Verschlechterungsverbots (§
358 Abs. 2 Satz 1 [X.]) war das [X.] deshalb gehindert, die Höhe der Rechtsfolgen der Tat zum Nachteil des Angeklagten zu ändern ([X.], [X.], 54.
Aufl., §
358 Rn.
11). Dies ist hier jedoch trotz des vorgenommenen Härteausgleichs geschehen. Denn die für die verfahrensgegenständliche Tat festgesetzte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und die gesamt-strafenfähige Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil vom 16.
Juni 2006 übersteigen zusammengenommen die Höhe der im ersten Durchgang verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs [X.].
Der [X.] kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da sich die Grundlagen für die Bemessung der neuen Gesamtstrafe geändert haben. Der
neue Tatrichter wird der Gesamtstrafenbildung neben der Strafe aus dem Urteil vom 16.
Juni 2006 die für die verfahrensgegenständliche Tat nunmehr verhäng-te Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten
zugrunde zu legen haben.
Zwar ist die Berücksichtigung eines Härteausgleichs bei Bemessung dieser 6
7
-
5
-
Strafe rechtsfehlerhaft vorgenommen worden. Dieser Rechtsfehler hat sich aber ausschließlich zugunsten des Angeklagten ausgewirkt und ist daher auf seine Revision nicht zu beanstanden. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass aus den oben genannten Gründen auch die vom [X.] als schuld-
und tatan-gemessen angesehene Freiheitsstrafe von acht Jahren gegen das Verschlech-terungsverbot des §
358 Abs. 2 Satz
1 [X.] verstieße, da im ersten Durchgang für die verfahrensgegenständliche Tat lediglich eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren festgesetzt worden war.
Bei Bildung der Gesamtstrafe wird der neue Tatrichter als Obergrenze die im Urteil vom 23.
April 2011 gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von neun [X.] und sechs Monaten zu beachten haben.
2. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach §
66 Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB hat ebenfalls keinen Bestand.
a) Das [X.] hat bei der vorrangig anzustellenden Prüfung, ob der Gefährlichkeit des Angeklagten nicht allein durch eine andere Maßregel begeg-net werden kann (§
72 Abs. 1 StGB),
dessen Unterbringung in einer Entzie-hungsanstalt gemäß §
64 StGB mit rechtlich unzureichender Begründung [X.].
Die Delinquenz des mittlerweile 66-jährigen, seit 1972 u.a. mehrfach we-gen Sexual-
und Gewaltdelikten vorbestraften Angeklagten ging nach den Fest-stellungen des [X.]s
in den hier relevanten Fällen stets mit [X.] bzw. Alkoholmissbrauch einher. Auch bei der verfahrensgegenständlichen Tat stand er unter erheblichem
Alkoholeinfluss.
Das sachverständig beratene [X.] hat rechtsfehlerfrei eine erheb-lich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des §
21 StGB 8
9
10
11
12
-
6
-
infolge eines Zusammenwirkens der Alkoholbeeinflussung bei Tatbegehung und einer diagnostizierten dissozialen Persönlichkeitsstörung auszuschließen vermocht. Die Voraussetzungen des §
64 StGB hat es abgelehnt. Es ist, dem Sachverständigen folgend, zu dem Ergebnis gelangt, dass der [X.] des Angeklagten nicht den Grad einer manifesten psychischen oder gar körperlichen Abhängigkeit erreicht habe, da der Angeklagte in den letzten ein-einhalb Jahren vor seiner letzten Inhaftierung während seines Zusammenle-bens mit seiner Verlobten in der Lage gewesen sei, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren und es in jener [X.] zu keinem schwerwiegenden [X.] gekommen sei. Allein unter Hinweis auf diesen Umstand hat das Land-gericht auch eine intensive Neigung des Angeklagten, immer wieder [X.] im Übermaß zu sich zu nehmen, ausgeschlossen.
Diese Begründung trägt die Ablehnung eines Hanges im Sinne des §
64 StGB nicht. Das [X.] hat zwar seinen Ausführungen zu den [X.] an einen Hang im Ansatz einen zutreffenden
Maßstab zugrunde gelegt. Es ist zu Recht
davon ausgegangen, dass die Feststellung
eines Hangs im Sin-ne des §
64 StGB nicht das Vorliegen eines manifesten
Abhängigkeitssyndroms erfordert, sondern hierfür bereits eine intensive Neigung, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ausreichend ist ([X.] aaO, §
64 Rn. 7 mwN). Die [X.] hat sich jedoch nicht dazu verhalten, weshalb der vorüberge-hend
kontrollierte Alkoholkonsum des Angeklagten in der [X.] vor seiner Inhaf-tierung nicht nur den Ausschluss eines
Abhängigkeitssyndroms rechtfertigt, sondern auch gegen eine intensive Neigung des Angeklagten,
Alkohol
im Übermaß zu sich zu nehmen, spricht.
Eine Auseinandersetzung mit dieser [X.] war geboten, weil der Sachverständige, dem die [X.] im Übrigen uneingeschränkt gefolgt ist, die kontrollierte Alkoholaufnahme des Angeklagten in der [X.] des Zusammenlebens mit seiner Verlobten lediglich als ausreichen-des Indiz für eine fehlende körperliche oder psychische Abhängigkeit angese-13
-
7
-
hen hat. Nach den Urteilsgründen hat sich der Sachverständige hingegen
nicht zu der Intensität eines missbräuchlichen Alkoholkonsums des Angeklagten un-terhalb der Schwelle einer Abhängigkeit geäußert.
Hinzu kommt, dass im [X.] Urteil mehrfach auf den vom Angeklagten betriebenen "[X.]" bzw. auf dessen "Alkoholproblematik", deren Bearbeitung angezeigt sei, abgestellt wird. Vor diesem Hintergrund erschließt sich ohne weitere Be-gründung die Annahme der [X.]
nicht, beim Angeklagten liege auch keine "intensive Neigung"
zum übermäßigen Alkoholkonsum
vor.
b) Erweist sich danach die Ablehnung einer [X.] nach §
64 StGB als rechtsfehlerhaft, so ist damit zugleich der Unterbringung des [X.] in der Sicherungsverwahrung die Grundlage entzogen (§
72 Abs. 1 StGB). Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die [X.], wäre sie vom Vorliegen eines Hanges im Sinne des §
64 StGB ausgegangen und hätte sie der [X.] für den Hang zugeschrieben, nicht nur die Ge-fährlichkeitsprognose, sondern auch eine hinreichend konkrete Aussicht auf eine erfolgreiche Suchtbehandlung und eine damit einhergehende deutliche Verringerung der Tätergefährlichkeit bejaht hätte.
c) Danach muss die Frage der [X.] nach §
66 und § 64 StGB ebenfalls neu verhandelt und entschieden werden. Der neue Tatrichter wird dabei zum einen
zu beachten haben, dass Unsicherheiten
über den Erfolg allein der milderen Maßnahme zur kumulativen Anordnung von [X.] ([X.], Beschluss vom 19.
Mai 2009 -
3 StR 191/09,
NStZ 2010, 83). Zum anderen
wird er der Prüfung einer [X.] nach §
66 StGB den vom [X.] ([X.], Urteil vom 4.
Mai 2011 -
2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) geforderten strengen Maßstab einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" zugrunde zu legen haben. Dabei wird er insbe-sondere die Frage der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer schwerer 14
15
-
8
-
Gewalt-
oder [X.] eingehender als bisher geschehen zu erörtern (Se-natsbeschlüsse vom 2.
August
2011 -
3 StR 208/11
und vom 4.
August 2011

-
3 [X.], [X.], 672)
und sich hierbei vor allem auch mit dem fortge-schrittenen Alter des Angeklagten und einer etwa damit einhergehenden gerin-geren Gefährlichkeit auseinanderzusetzen haben.
3. Der [X.] hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes [X.] zurückzuverweisen (§
354 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

Becker [X.] Sost-Scheible

Hubert Mayer
16

Meta

3 StR 374/11

20.12.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2011, Az. 3 StR 374/11 (REWIS RS 2011, 195)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 195

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 374/11 (Bundesgerichtshof)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach Aufhebung der Gesamtstrafe und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht; Feststellung eines Hangs; kumulative …


5 StR 421/09 (Bundesgerichtshof)


4 StR 316/08 (Bundesgerichtshof)


3 StR 382/10 (Bundesgerichtshof)


3 StR 95/18 (Bundesgerichtshof)

Tateinheit bei mehreren Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

3 StR 374/11

3 StR 382/10

2 BvR 2365/09

3 StR 208/11

3 StR 175/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.