Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.11.2010, Az. 3 StR 382/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 1011

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[X.]IM NAMEN DES VO[X.]ES URTEIL 3 StR 382/10 vom 25. November 2010 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a. - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 25. November 2010, an der teilgenommen haben: Vorsitzender [X.] am [X.] [X.], [X.] am [X.] [X.], [X.]in am [X.] Sost-Scheible, die [X.] am [X.] [X.], [X.]als beisitzende [X.], Oberstaatsanwalt beim [X.] in der Verhandlung, Oberstaatsanwalt beim [X.] bei der Verkündung als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 23. April 2010 im Strafausspruch und soweit das [X.] von einer [X.] abgesehen hat mit den zugehörigen Feststellungen aufgeho-ben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die dem Angeklagten und der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Straf-kammer des [X.]s zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Ver-gewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der durch Urteil des [X.] vom 16. Juni 2006 verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten zu einer Gesamtfreiheits-strafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner bestimmt, dass wegen der überlangen Verfahrensdauer sechs Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den [X.] beschränkte und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revi-sion der Staatsanwaltschaft. Obwohl die Beschwerdeführerin ausschließlich die 1 - 4 - unterbliebene Anordnung der Sicherungsverwahrung beanstandet, liegt keine wirksame Beschränkung des Rechtsmittels auf die [X.] der [X.] vor, da die [X.] einen ausdrücklichen Bezug zwischen der Siche-rungsverwahrung und der Höhe der verhängten Strafe hergestellt hat ([X.], Urteil vom 4. November 2009 - 2 StR 347/09, [X.], 77, 78). Vom Rechtsmittelangriff nicht erfasst ist hingegen der von der Strafe und der [X.] unabhängige Ausspruch über die Kompensation für eine ver-zögerte Verfahrensführung (vgl. [X.], Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, [X.]St 54, 135). Das Rechtsmittel, das vom [X.] vertreten wird, hat [X.]. 2 1. Nach den Feststellungen des [X.]s trat der zum Zeitpunkt des landgerichtlichen Urteils 64 Jahre alte Angeklagte seit seiner Jugend vielfach strafrechtlich in Erscheinung. [X.] wurde er wegen Mordes in Tatein-heit mit Unzucht mit einem Kind sowie wegen zwei weiteren Sexualdelikten zu neun Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Opfer des Tötungsdelikts war sein 22 Monate alter Neffe. Nach Verbüßung der Strafhaft bis Ende 1979 fiel er bis zum [X.] nur wegen geringfügiger Straftaten auf, die mit Geldstrafen ge-ahndet wurden. Ende 1997 erfolgte eine Verurteilung wegen versuchter [X.] zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Diese Strafe wurde in ein Urteil aus dem [X.] einbezogen, in welchem gegen den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, in einem Fall in [X.] mit Körperverletzung, auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren erkannt wurde. Opfer der Taten war die damalige Lebensgefährtin des Ange-klagten, die er seit 1995 kannte. Auch diese Strafe verbüßte der Angeklagte vollständig bis Mitte des Jahres 2002. 3 - 5 - Am 7. Mai 2003 beging er die verfahrensgegenständliche Tat zum Nach-teil einer Prostituierten. Der alkoholisierte Angeklagte, der mit dem Tatopfer die Durchführung des [X.] gegen Entgelt vereinbart hatte, wurde während Vornahme der sexuellen Handlungen zunehmend aggressiv und verlangte von der Geschädigten, mit ihm vaginal zu verkehren, was diese verweigerte. [X.] schlug er sie mehrfach mit der Hand und mit Fäusten u.a. wiederholt hef-tig in das Gesicht und bedrohte sie mit einer geladenen Gaspistole, um den [X.] [X.] zu erzwingen. Unter dem Eindruck der Schläge und der Drohung mit der Waffe kam das Opfer dem Verlangen des Angeklagten nach und führte mit ihm erneut den Oral- sowie den vaginalen Verkehr aus. Der Angeklagte befand sich wegen dieser Tat bis August 2003 in [X.]. 4 Zuletzt wurde er am 16. Juni 2006 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu der einbezogenen Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der damals 60jährige Angeklagte hatte am 9. November 2005 nach dem Genuss von Alkohol einen ihm unbekannten Mann unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt, wo er ihn mit Faust-schlägen zum Oralverkehr zwang und die Durchführung des [X.] ver-suchte. In dieser Sache befand sich der Angeklagte bei Erlass des angefochte-nen Urteils in Strafhaft; die viereinhalbjährige Freiheitsstrafe hatte er zu diesem Zeitpunkt "fast vollständig" verbüßt. 5 2. Die [X.] der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Nach-prüfung nicht stand. 6 a) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 und 2 StGB vorliegen. [X.] beraten hat es 7 - 6 - vor dem Hintergrund einer auf einer dissozialen Persönlichkeitsstörung beru-henden charakterlichen Anlage zudem rechtsfehlerfrei einen Hang des Ange-klagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB festgestellt, aufgrund dessen zu besorgen ist, dass er weitere erhebliche Straftaten, namentlich sexuell getönte Aggressionsdelikte begehen wird. [X.] hat die [X.] dabei für die von ihr bejahte Gefährlichkeit des Angeklagten auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung abgestellt ([X.], Beschluss vom 13. März 2007 - 5 StR 499/06, [X.], 401; [X.]/[X.] in [X.], 12. Aufl., § 66 Rn. 207 [X.]). b) Damit stand die Anordnung der Sicherungsverwahrung im pflichtge-mäßen Ermessen des Tatrichters. Dies hat das [X.] zwar nicht ver-kannt. Indes weist die Ermessensentscheidung, mit der es die Anordnung der Maßregel abgelehnt hat, durchgreifende rechtliche Mängel auf. 8 Zur Begründung seiner Entscheidung hat es maßgeblich darauf abge-stellt, dass der Angeklagte nach Verbüßung der langjährigen Freiheitsstrafe im Zeitpunkt seiner voraussichtlichen Haftentlassung nahezu das 70. Lebensjahr vollendet haben wird. Es ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass in diesem Alter erfahrungsgemäß die Antriebsdynamik und die Tendenz [X.], sich in Konfliktsituationen zu begeben. Zudem verhalte sich der Ange-klagte in der Haft wenig auffällig, was - ebenso wie seine delinquenzfreie Zeit in den Jahren 1979 bis 1993 - dafür spreche, dass er unter stabilisierenden Le-bensbedingungen in der Lage sei, sich [X.] zu verhalten. Ein "wichtiger Schritt" zu einer straffreien Lebensführung sei allerdings seine Alkoholabsti-nenz. Aufgrund dieser Umstände ist das [X.] zu dem Ergebnis gelangt, dass bei einer sorgfältigen Entlassungsplanung und einer geeigneten Ausge-staltung der Führungsaufsicht, etwa bei Erteilung einer Therapieweisung zur Verhinderung eines Alkoholrückfalls, nach Ablauf der Haftzeit die Rückfallgefahr 9 - 7 - deutlich reduziert und deshalb die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht unerlässlich sei. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar entspricht es der ständi-gen Rechtsprechung des [X.], dass der Tatrichter bei seiner Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 StGB den Wirkungen eines lang-jährigen Strafvollzugs und dem Alter des Angeklagten nach der [X.] Bedeutung beimessen darf. Doch sind diese Umstände nur dann beachtlich, wenn zu erwarten ist, dass sie eine präventive Wirkung entfalten und beim [X.] zu einer Haltungsänderung führen werden. Diese Erwartung ist im Einzelfall in Bezug auf den Angeklagten und unter Berücksichtung aller Um-stände, die seine Gefährlichkeit begründen, zu erörtern und für das Revisions-gericht nachvollziehbar darzulegen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88 - und vom 28. Mai 1998 - 4 StR 17/98, [X.]R StGB § 66 Abs. 2, Ermessensentscheidung 3 und 6; Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 [X.], [X.], 211 jew. [X.]). 10 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil aber nicht gerecht; denn das [X.] hat die Ablehnung der [X.] nicht [X.] begründet und sich mit einem wesentlichen Umstand, der eine an-dere Entscheidung nahe legen könnte, nicht auseinandergesetzt. Im Einzelnen: 11 Die [X.] hat - den [X.]en folgend - eine Alkoholab-stinenz als maßgebliches Prognosekriterium für eine straffreie Lebensführung des Angeklagten nach seiner Haftentlassung angesehen, eine Rückfallgefahr jedoch durch eine entsprechende Therapieweisung im Rahmen der Führungs-aufsicht für beherrschbar erachtet. Letzteres widerspricht jedoch der [X.], mit welcher das [X.] die Anordnung einer Unterbringung des [X.] in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat. Denn in diesem [X.] - 8 - menhang hat es - für sich genommen rechtsfehlerfrei - dargelegt, die Anord-nung einer Maßregel nach § 64 StGB sei "von vorneherein aussichtslos", da die Wurzel des vom Angeklagten langjährig betriebenen erheblichen Alkoholmiss-brauchs dessen nicht behandel- und korrigierbare, verfestigte dissoziale Per-sönlichkeitsstörung sei. Zudem streite der Angeklagte eine Missbrauchsproble-matik konsequent ab. Diese Ausführungen legen jedoch nahe, dass der Alko-holmissbrauch des Angeklagten einer therapeutischen Aufarbeitung nicht zu-gänglich ist. Sie stehen damit in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu der bei der Prognoseentscheidung zur Sicherungsverwahrung vertretenen und nicht näher begründeten Auffassung der [X.], dem Alkoholproblem des [X.] könne nach seiner Haftentlassung mit einer Therapieweisung [X.] begegnet werden. Darüber hinaus hat sich das [X.] nicht erkennbar mit dem für die Prognose wesentlichen Gesichtspunkt auseinandergesetzt, dass weder der mehrfache, jeweils langjährige Strafvollzug in der Vergangenheit noch der [X.] von nahezu der Hälfte der im angefochtenen Urteil verhängten [X.] beim Angeklagten zu einer Haltungsänderung geführt hat. Vor dem Hintergrund, dass die [X.] noch bei Erlass des Urteils - mithin zu ei-nem Zeitpunkt, als der Angeklagte schon viereinhalb Jahre der erkannten Strafe verbüßt und bereits das 64. Lebensjahr vollendet hatte - aufgrund der verfestig-ten Persönlichkeitsstörung eine fortdauernde Gefährlichkeit des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht hat, war dies indes unerlässlich. Denn unter den hier gegebenen Umständen versteht es sich nicht von selbst, dass - anders als dies bei einem Täter, der erstmals eine langjährige Strafe zu [X.] hat, der Fall sein kann ([X.], Urteil vom 20. Juli 1988 - 2 StR 348/88 und Beschluss vom 4. Januar 1994 - 4 StR 718/93, [X.]R StGB § 66 Abs. 2 Er-messensentscheidung 3 und 5) - die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe und 13 - 9 - das fortschreitende Alter eine ausreichende Grundlage für die Erwartung sind, der Angeklagte werde sich nunmehr allein die weitere [X.] zur War-nung dienen lassen. Die [X.] hätte dies erwägen und in nachvollzieh-barer Weise über die vorgenannten allgemeinen Prognosekriterien hinaus [X.] Umstände darlegen müssen, weshalb eine solche Erwartung hier gleich-wohl gerechtfertigt ist. Hieran fehlt es. 3. Nach alledem muss über die Anordnung der Sicherungsverwahrung neu befunden werden. Da die [X.] einen Bezug zur Höhe der Strafe hergestellt hat und nicht auszuschließen ist, dass die Gesamtstrafe bei Anord-nung der Sicherungsverwahrung niedriger ausgefallen wäre, hebt der Senat - insoweit zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - auch den [X.] auf. Der neue Tatrichter wird zudem erneut über die Frage einer [X.] nach § 64 StGB zu entscheiden haben. 14 [X.] [X.] Sost-Scheible [X.] [X.]

Meta

3 StR 382/10

25.11.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.11.2010, Az. 3 StR 382/10 (REWIS RS 2010, 1011)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1011

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