Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.03.2012, Az. 2 AZR 167/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 7841

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Gegenstand

Ordentliche betriebsbedingte Kündigung - Sozialauswahl - Bildung von Altersgruppen


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. November 2010 - 14 [X.] 1068/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die [X.]arteien streiten über die Wirksamkeit einer auf betriebliche Gründe gestützten Kündigung sowie Ansprüche auf Weiterbeschäftigung und Zahlung von Weihnachtsgeld.

2

Der Kläger ist 1954 geboren, verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Zum Zeitpunkt der Kündigung war lediglich ein Kind auf der Lohnsteuerkarte eingetragen. Er ist gelernter Kfz-[X.]echaniker und Werkzeugmacher. Die [X.]eklagte betreibt ein Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Sie stellt [X.]. Spulen für die Drahtaufwicklung her.

3

Seit dem 12. [X.]ktober 1987 war der Kläger bei der [X.]eklagten als sogenannter Servicemitarbeiter in der Abteilung Vorrichtungsbau/[X.]echatronik tätig. Seine Tätigkeit bestand zu [X.] aus Servicedienstleistungen, einschließlich Reparaturtätigkeiten der bei der [X.]eklagten vorhandenen [X.]aschinen, [X.] seiner Tätigkeit entfielen auf Rüstvorgänge an den [X.]aschinen. Der Kläger durfte elektrische Arbeiten nur an [X.]aschinen mit Spannungen bis 220 Volt durchführen.

4

Aufgrund von Auftrags- und Umsatzrückgängen entschloss sich die [X.]eklagte im Jahr 2009, neben anderen [X.]aßnahmen der Kostenreduzierung in sämtlichen Unternehmensbereichen einen Stellenabbau durchzuführen. Sie vereinbarte unter dem 31. August 2009 mit dem bei ihr gebildeten [X.]etriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Dieser sieht unter Ziffer 4.3 die [X.]ildung folgender Altersgruppen für die Durchführung der [X.] vor:

        

„-    

Altersgruppe 1:

0 bis Lebensalter von 25 Jahren,

        

-       

Altersgruppe 2:

Lebensalter oberhalb von 25 Jahren

                          

bis 35 Jahren

        

-       

Altersgruppe 3:

Lebensalter oberhalb von 35 Jahren

                          

bis 45 Jahren

        

-       

Altersgruppe 4:

Lebensalter oberhalb von 45 Jahren

                          

bis 55 Jahren

        

-       

Altersgruppe 5:

Lebensalter oberhalb von 55 Jahren.“

5

Dabei erfolgte die Altersgruppenbildung in den Arbeitnehmergruppen Einrichter, Kleber, Logistik/Lager/Versand, Sachbearbeiter, Schichtführer, Spritzgießer, Vorrichtungsbau/[X.]echatronik sowie Werkzeugmacher.

6

Ziffer 4.3 des Interessenausgleichs und Sozialplans regelt sodann die Verteilung von sog. persönlichen Sozialpunkten für die nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgesehenen Kriterien für den Stichtag 31. Juli 2009.

7

Weiter ist in Ziffer 4.3 des Interessenausgleichs und Sozialplans bestimmt:

        

„In den [X.]ällen, in denen eine Altersgruppenbildung vorgenommen wurde, war diese erforderlich, um die Altersstruktur im [X.]etrieb zu erhalten. Die Anzahl der erforderlichen Entlassungen wurde prozent[X.]l auf die jeweiligen Altersgruppen verteilt. Innerhalb der Altersgruppe erfolgt eine [X.] Auswahl dergestalt, dass diejenigen Arbeitnehmer für personelle [X.]aßnahmen herangezogen wurden, die innerhalb der Altersgruppe die geringste [X.]unktzahl aufweisen.

        

Von der [X.]n Auswahl ausgenommen, wurden jeweils diejenigen [X.]itarbeiter, deren [X.]ortbeschäftigung aus betrieblichen Interessen erforderlich ist. Diese [X.]itarbeiter sind in der diesem Interessenausgleich beigefügten Anlage 1 namentlich benannt.

        

Die nach dem vorstehenden Auswahlverfahren von personellen [X.]aßnahmen betroffenen [X.]itarbeiter sind namentlich in der Anlage 2 zu diesem Interessenausgleich aufgeführt. Die Anlage 2 ist nicht [X.]estandteil dieses Interessenausgleiches und wird von den [X.]etriebsparteien auch nicht unterzeichnet.“

8

In der Abteilung Vorrichtungsbau/[X.]echatronik waren zuletzt elf Arbeitnehmer beschäftigt. Davon gehörten der Altersgruppe 1 allein der Arbeitnehmer [X.], der Altersgruppe 2 die Arbeitnehmer S und [X.], der Altersgruppe 3 die Arbeitnehmer A, [X.], [X.] und E, der Altersgruppe 4 die Arbeitnehmer [X.]a, [X.] und [X.] und der Altersgruppe 5 allein der Kläger an. Nachdem sich die nötigen Rüstvorgänge 2009 reduziert hatten und darüber hinaus regelmäßige Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten fremdvergeben worden waren, verringerte sich der [X.] in der Abteilung Vorrichtungsbau/[X.]echatronik auf sechs Vollzeitstellen. Insgesamt wurde die Gesamtbelegschaft von 181 [X.]itarbeitern um 48 [X.]itarbeiter verkleinert.

9

Neben dem Kläger waren die Arbeitnehmer [X.], A, [X.] und [X.]a in der Anlage 2 zum Interessenausgleich vom 31. August 2009 aufgeführt. Der [X.]itarbeiter [X.] war [X.]etriebsratsmitglied. Die [X.]itarbeiter [X.], [X.] und [X.] gehörten zu den in der Anlage 1 zum Interessenausgleich vom 31. August 2009 aufgeführten [X.]itarbeitern, die wegen besonderer Kenntnisse aus der [X.] ausgenommen wurden.

Nach Anhörung des [X.]etriebsrats kündigte die [X.]eklagte das Arbeitsverhältnis des [X.] mit Schreiben vom 26. [X.]ktober 2009 ordentlich zum 31. [X.]ai 2010.

Die [X.]eklagte zahlte in der Vergangenheit ein Weihnachtsgeld von [X.] einer [X.]ruttomonatsvergütung. In den Aushängen der Jahre 2003 bis 2005 war ausgeführt, gekündigte [X.]itarbeiter seien von der [X.] ausgenommen. [X.] unterzeichneten fast alle [X.]elegschaftsangehörigen, darunter der Kläger, einen Änderungsvertrag, der neben einer Arbeitszeitverlängerung von 37,5 auf 40 Wochenstunden einen [X.]reiwilligkeitsvorbehalt für jegliche Art von Gratifikationen enthielt. Im Dezember 2009 teilte die [X.]eklagte durch Aushang mit, dass sie im laufenden Jahr nur „ein Weihnachtsgeld in [X.]öhe von 400,00 Euro (incl. der ausstehenden Einmalzahlung in [X.]öhe von 100,00 Euro)“ zahle. [X.]itarbeiter, die zum 1. Dezember 2009 „im [X.]“ stünden, seien von der Zahlung ausgenommen. Der Kläger erhielt kein Weihnachtsgeld.

[X.]it seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 26. [X.]ktober 2009 gewandt. Er hat diese für sozialwidrig iSd. § 1 KSchG gehalten und die [X.] Auswahl gerügt. Der Kläger hat gemeint, er sei sozial schutzwürdiger als [X.]. der [X.]itarbeiter [X.]. Es bestünden keine Gründe, diesen aus der [X.] herauszunehmen. Die Altersgruppenbildung sei unzulässig. Er hat ferner geltend gemacht, ihm stehe zumindest ein Weihnachtsgeld in [X.]öhe von 400,00 Euro nach [X.]aßgabe des Aushangs aus dem Dezember 2009 zu. Dieses sei mit der Abrechnung für November 2009 fällig gewesen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der [X.]arteien durch die Kündigung der [X.]eklagten vom 26. [X.]ktober 2009 nicht beendet worden ist;

        

2.    

im [X.]alle des [X.]bsiegens mit dem Antrag zu 1. die [X.]eklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen [X.]edingungen als [X.]itarbeiter der Abteilung Vorrichtungsbau/[X.]echatronik weiter zu beschäftigen;

        

3.    

die [X.]eklagte zu verurteilen, an ihn 400,00 Euro brutto nebst Zinsen in [X.]öhe von fünf [X.]rozentpunkten über dem [X.]asiszinssatz ab dem 1. Dezember 2009 zu zahlen.

Die [X.]eklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für berechtigt gehalten. Sie habe fünf Arbeitsplätze aus der Gruppe Vorrichtungsbau/[X.]echatronik abbauen müssen. [X.]ierbei habe sie alle Altersgruppen gleichmäßig behandelt und aus jeder Altersgruppe einen Arbeitnehmer entlassen. Im [X.]ereich der Altersgruppe 1 sei das nicht möglich gewesen, da der aus der [X.]n Auswahl herausgenommene [X.]itarbeiter [X.] der einzige Vertreter seiner Altersgruppe sei. Dessen [X.]erausnahme sei wegen seiner Ausbildung als [X.]echatroniker gerechtfertigt. Er sei in der Lage, alle elektrischen Anlagen oder Steuerungseinheiten zu reparieren, während der Kläger über solche vertieften Kenntnisse eines [X.]echatronikers nicht verfüge. Aufgrund dieser [X.]erausnahme habe sie in der ohnehin überrepräsentierten Altersgruppe 3 zwei Arbeitnehmer entlassen. Die Altersgruppe 5 sei allein durch den Kläger repräsentiert worden, so dass sie dessen Arbeitsverhältnis habe kündigen müssen. Eine Altersgruppenbildung sei grundsätzlich zulässig. Dies gelte auch für die konkrete Ausgestaltung im vorliegenden [X.]all. Von einem legitimen Ziel der Altersgruppenbildung sei bei einer [X.]etriebsänderung auszugehen. Die Gruppenbildung sei auch nicht willkürlich und unter [X.]erücksichtigung sachfremder Erwägungen oder gar zufällig erfolgt. Vor dem 30. September 2009 habe der Altersdurchschnitt der [X.]elegschaft 45,7 Jahre betragen, nach den Entlassungen sei er mit 45,5 Jahren annähernd gleich geblieben.

Ein Anspruch des [X.] auf Weihnachtsgeld bestehe nicht. [X.] [X.]itarbeiter seien von dieser Leistung ausgeschlossen gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat ihr im noch rechtshängigen Umfang stattgegeben. [X.]it der Revision verfolgt die [X.]eklagte ihr [X.]egehren weiter, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die Kündigung vom 26. Oktober 2009 zu Recht als sozial ungerechtfertigt angesehen ([X.]). [X.] fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an (I[X.]). Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der Sondervergütung von 400,00 Euro für das [X.] (II[X.]).

[X.] Die Kündigung vom 26. Oktober 2009 ist sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2, Abs. 3 [X.]. Die Beklagte hat bei der Auswahl des [X.] [X.] Gesichtspunkte gem. § 1 Abs. 3 [X.] nicht ausreichend berücksichtigt. Ob die Auswahl zudem grob fehlerhaft iSd. § 1 Abs. 5 Satz 2 [X.] war, bedarf keiner Entscheidung. § 1 Abs. 5 [X.] findet im Streitfall keine Anwendung. Die Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer in der Anlage 2 zum Interessenausgleich ist ausdrücklich nicht dessen Bestandteil.

1. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] ist eine Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse iSd. Abs. 2 sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Der Arbeitgeber hat in die [X.] diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, die miteinander vergleichbar sind. Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse sowie nach dem Inhalt der von ihnen vertraglich geschuldeten Aufgaben austauschbar sind (st. Rspr., [X.] 15. Dezember 2011 - 2 [X.] - Rn. 41; 23. Oktober 2008 - 2 [X.]  - Rn. 64, AP [X.] 1969 § 1 Namensliste Nr. 18 = EzA [X.] § 1 Interessenausgleich Nr. 16). Nach dem Gesetzeswortlaut ( § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] ) sind die [X.]n Gesichtspunkte „ausreichend“ zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber kommt damit bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss sozial vertretbar sein, muss aber nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich [X.] Erwägungen hätte anstellen sollen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der [X.]n Auswahl rügen können ([X.] 31. Mai 2007 - 2 [X.] - Rn. 64, [X.]E 123, 1; 18. Januar 2007 - 2 [X.] - Rn. 32, AP [X.] 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 89 = EzA [X.] § 2 Nr. 64).

2. Das [X.] hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Beklagte selbst unter Berücksichtigung dieses Wertungsspielraums bei der Auswahl des [X.] [X.] Gesichtspunkte nicht ausreichend iSd. § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] berücksichtigt hat. Der Kläger ist deutlich schutzwürdiger als der Arbeitnehmer [X.], dessen Arbeitsverhältnis nicht gekündigt wurde.

a) Der Arbeitnehmer [X.] gehört zu der Gruppe der mit dem Kläger vergleichbaren und daher in die [X.] nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] grundsätzlich einzubeziehenden Arbeitnehmer.

b) Der Kläger ist deutlich schutzwürdiger. Er ist verheiratet, ist zumindest einem Kind zum Unterhalt verpflichtet und war am maßgeblichen Stichtag 55 Jahre alt sowie 22 Jahre bei der [X.] beschäftigt. Der ebenfalls verheiratete und einem Kind gegenüber unterhaltspflichtige Arbeitnehmer [X.] war zum Stichtag 24 Jahre alt und seit sieben Jahren bei der [X.] beschäftigt. Nach dem im Interessenausgleich vom 31. August 2009 vereinbarten [X.] erreichte er 47 Sozialpunkte, der Kläger dagegen - selbst bei Berücksichtigung nur eines unterhaltsberechtigten Kindes - 92 Punkte. Die Würdigung des [X.]s, angesichts dieser Unterschiede sowohl bei der Beschäftigungsdauer als auch beim Lebensalter, die sich ebenso in der Anzahl der erreichten Sozialpunkte ausdrückten, sei der Kläger als deutlich schutzwürdiger anzusehen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsurteil kann in dieser [X.]insicht vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob es den Inhalt der Norm selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist ([X.] 31. Mai 2007 - 2 [X.] - Rn. 63, [X.]E 123, 1; 6. Juli 2006 -  2 [X.]  - zu [X.] 3 a der Gründe, AP [X.] 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 82 = EzA [X.] § 1 Soziale Auswahl Nr. 69). Dem hält das angefochtene Urteil stand. Der Kläger war mehr als doppelt so alt wie der Arbeitnehmer [X.], zudem mehr als dreimal so lang bei der [X.] beschäftigt. Er erzielte nach Ziffer 4.3 des Interessenausgleichs etwa doppelt so viele Sozialpunkte wie der Mitarbeiter [X.]. Das [X.] durfte unter diesen Umständen ohne rechtliche Bedenken annehmen, der Kläger sei der sozial deutlich schutzwürdigere.

3. Das [X.] hat ferner ohne Rechtsfehler angenommen, der Arbeitnehmer [X.] habe nicht deshalb von der [X.]n Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] ausgenommen werden dürfen, weil seine Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse gelegen hätte (§ 1 Abs. 3 Satz 2 [X.]).

a) Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] sind in die [X.] Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] ua. diejenigen Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.

b) Die vom Arbeitgeber mit der [X.]erausnahme verfolgten Interessen müssen auch im Kontext der [X.] berechtigt sein. Das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers ist im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] gegen das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der [X.]erausnahme des sog. Leistungsträgers abzuwägen. Je schwerer dabei das [X.] Interesse wiegt, desto gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein. An dieser Ansicht, die er zu § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] in seiner vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1998 geltenden Fassung vertreten hat ([X.] 12. April 2002 - 2 [X.] 706/00 - zu II 4 b bb (1) der Gründe, AP [X.] 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 56 = EzA [X.] § 1 Soziale Auswahl Nr. 48), hält der Senat für die seit dem 1. Januar 2004 geltende - identische - Fassung der Bestimmung fest. Aus dem Umstand, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] von 1999 bis 2003 mit einem anderen Wortlaut galt, folgt entgegen der Auffassung der [X.] nichts für das Verständnis der Vorschrift in ihrer früheren und wieder aktuellen Fassung.

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.] für die [X.]erausnahme des Arbeitnehmers [X.] aus der [X.] ein berechtigtes betriebliches Interesse iSv. § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] verneint hat.

aa) Es ist von der zutreffenden fachlichen Qualifikation des Arbeitnehmers ausgegangen. Es hat dessen Ausbildung als Mechatroniker ebenso berücksichtigt wie dessen Qualifikation in der Bedienung und Optimierung der sog. [X.]andlinger und der Fehlerbehebung in diesem Bereich. Es hat ferner dessen Qualifikation im Bereich der „[X.] und des „Reinraums“ beachtet. Die Revision erhebt insoweit keine Einwände.

bb) Das [X.] hat den Begriff des „berechtigten betrieblichen Interesses“ in § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] nicht verkannt. Es hat ihn - anders als die Beklagte meint - nicht dahin ausgelegt, ein berechtigtes betriebliches Interesse in diesem Sinne könne nur dann gegeben sein, wenn die Weiterbeschäftigung des aus der [X.] herausgenommenen Arbeitnehmers „notwendig“ sei. Es hat lediglich den Umstand, dass die Beklagte die betriebliche Notwendigkeit einer Weiterbeschäftigung von [X.]errn [X.] nicht dargelegt habe, bei der erforderlichen Abwägung mit den Belangen des [X.] berücksichtigt. Es hat angenommen, damit sei der betriebliche Nutzen einer Weiterbeschäftigung von [X.]errn [X.] nicht so erheblich, dass er das [X.] Schutzbedürfnis des [X.] überwiegen könne. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Den betrieblichen Vorteil einer Beschäftigung des breiter qualifizierten und damit flexibler einsetzbaren Arbeitnehmers [X.] hat das [X.] gewürdigt. Diejenigen Tätigkeiten, die Qualifikationen voraussetzten, über die der Kläger nicht verfüge, könnten aber auch von anderen Arbeitnehmern mit bzw. anderweitig erledigt werden. Gegen diese Feststellungen hat die Beklagte keine Verfahrensrügen erhoben.

4. Die Auswahl des [X.] ist ebenso wenig unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs iSv. § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] ordnungsgemäß. Zwar ist regelmäßig vom Vorliegen berechtigter betrieblicher Interessen an einer Abweichung von der [X.] nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] auszugehen, wenn Massenkündigungen aufgrund einer Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG erfolgen. In diesen Fällen ist die bestehende Altersstruktur der Belegschaft in der Regel gefährdet und liegt zu deren Erhaltung eine Auswahl unter Bildung von Altersgruppen grundsätzlich im berechtigten betrieblichen Interesse ([X.] 6. November 2008 - 2 [X.] 523/07 - Rn. 54, [X.]E 128, 238). Die konkrete Altersgruppenbildung muss aber zur Sicherung der bestehenden Altersstruktur der Belegschaft auch geeignet sein. Daran fehlt es im Streitfall.

a) Inwieweit Kündigungen Auswirkungen auf die Altersstruktur des Betriebs haben und welche Nachteile sich daraus ergeben, hängt von den betrieblichen Verhältnissen ab und kann nicht abstrakt für alle denkbaren Situationen beschrieben werden. Dementsprechend muss der Arbeitgeber, wenn er sich auf § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] berufen will, zu diesen Auswirkungen und möglichen Nachteilen konkret vortragen ( [X.] 15. Dezember 2011 - 2 [X.] - Rn. 65; 18. März 2010 - 2 [X.] 468/08  - Rn. 23, AP [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 184 = EzA [X.] § 1 Soziale Auswahl Nr. 83). Jedenfalls dann, wenn die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 [X.] erreicht, kommen ihm dabei Erleichterungen zugute; in diesem Fall ist ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur - widerlegbar - indiziert ( [X.] 15. Dezember 2011 - 2 [X.] - aaO; 18. März 2010 - 2 [X.] 468/08  - Rn. 24, aaO; 6. November 2008 -  2 [X.] 523/07  - Rn. 54, [X.]E 128, 238 ).

b) Im Streitfall ist der Schwellenwert gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] bezogen auf die insgesamt entlassenen Arbeitnehmer überschritten. Die Gesamtbelegschaft von 181 Mitarbeitern wurde um 48 Mitarbeiter reduziert. Mit Blick auf die Anzahl der fünf Arbeitnehmer, die in der Gruppe der mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmer zu entlassen waren, war der Schwellenwert des § 17 [X.] bezogen auf die Anzahl aller Arbeitnehmer im Betrieb hingegen nicht erreicht. Ob die Erleichterung bei der Darlegung des berechtigten betrieblichen Interesses an einer Altersgruppenbildung iSv. § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.], die dem Arbeitgeber bei einer Massenkündigung gewährt wird, auch in einem solchen Fall berechtigt ist, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn dies anzunehmen wäre, war die Altersgruppenbildung im Streitfall zur Erhaltung der Altersstruktur ungeeignet und deshalb eine Abweichung von den Grundsätzen nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht gerechtfertigt.

c) Nicht zu beanstanden ist, dass Arbeitgeber und Betriebsrat in Ziffer 4.3 des Interessenausgleichs vom 31. August 2009 die Bildung von Altersgruppen für die untereinander vergleichbaren Arbeitnehmer vereinbart haben. In die [X.] sind nur miteinander vergleichbare Arbeitnehmer einzubeziehen. Auch die Altersgruppen sind dementsprechend innerhalb der Gruppen der vergleichbaren Arbeitnehmer zu bilden. Es dient auch gerade der Erhaltung der Altersstruktur, dass nach Ziffer 4.3 des Interessenausgleichs die Anzahl der in den einzelnen Bereichen erforderlichen Entlassungen auf die jeweiligen Altersgruppen proportional zu deren Stärke verteilt werden sollten.

d) Die konkrete Ausgestaltung der Altersgruppen war im Streitfall zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur dennoch nicht geeignet. Sind mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer von den Entlassungen betroffen, muss auch innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe eine proportionale Berücksichtigung der Altersgruppen an den Entlassungen möglich sein. Die betriebsweite Sicherung der bestehenden Altersstruktur muss die Folge der proportionalen Beteiligung der Altersgruppen an den Entlassungen innerhalb der einzelnen Vergleichsgruppen sein. Eine vergleichsgruppenübergreifende Anwendung des Altersgruppenschemas ist rechtlich ausgeschlossen. Es ist das Wesen der [X.], dass sie innerhalb der Vergleichsgruppen zu erfolgen hat. Nur dort kann deshalb eine Sicherung der Altersstruktur - mit positiven Effekten für den Betrieb insgesamt - angestrebt werden.

aa) In der Gruppe der mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmer war eine proportionale Beteiligung der Altersgruppen an den Entlassungen nicht möglich. Als rechnerische Größe ergab sich bei der Ermittlung der Anzahl der in den jeweiligen Altersgruppen betroffenen Arbeitnehmer teilweise ein Wert unter 1. Nach ihrer Stärke entfielen auf die drei mittleren Altersgruppen insgesamt vier zu entlassende Arbeitnehmer, während aus den Altersgruppen 1 und 5 rechnerisch gleichermaßen je 0,45 Arbeitnehmer zu entlassen gewesen wären. Damit war eine proportionale Berücksichtigung der Altersgruppen nicht möglich. Tatsächlich sank das Durchschnittsalter in dieser Vergleichsgruppe durch die ausgesprochenen Kündigungen um 2,66 Jahre. Ein freies Ermessen, ob dem Kläger als einzigem Vertreter der Altersgruppe 5 oder dem Arbeitnehmer [X.] als alleinigem Vertreter der Altersgruppe 1 zu kündigen war, stand der [X.] nicht zu. Bei § 1 Abs. 3 Satz 2 [X.] handelt es sich um eine Ausnahmeregelung zu Satz 1 der Vorschrift ([X.] 31. Mai 2007 - 2 [X.] 306/06 - zu [X.] 2 a der Gründe, [X.]E 123, 20; [X.]/Griebeling 9. Aufl. § 1 [X.] Rn. 628, 630; [X.]/[X.] 12. Aufl. § 1 [X.] Rn. 342). Liegen die Voraussetzungen für eine Abweichung von den Grundsätzen der [X.] nach § 1 Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht vor, verbleibt es bei diesen.

bb) Die Auswahl des [X.] war auch nicht dann ordnungsgemäß, wenn - wie die Beklagte geltend macht - der Altersdurchschnitt im Betrieb nach Durchführung des Personalabbaus nur um 0,2 Jahre gesunken sein sollte. Dies wäre nicht die Folge einer proportionalen Beteiligung der Altersgruppen innerhalb der einzelnen Vergleichsgruppen, sondern das betriebsweite arithmetische Ergebnis aus den verschiedenen Disproportionalitäten bei der Beteiligung der Altersgruppen an den Entlassungen. So waren von den 48 zu entlassenden Arbeitnehmern nur 39 überhaupt von der Altersgruppenbildung betroffen. Bei den übrigen neun Arbeitnehmern erfolgte keine Altersgruppenbildung, weil in deren Vergleichsgruppen jeweils entweder nur ein Arbeitnehmer oder alle Arbeitnehmer zu entlassen waren. In den acht Vergleichsgruppen, auf welche sich die 39 von der Altersgruppenbildung betroffenen Arbeitnehmer verteilten, waren zudem überwiegend jeweils nur drei und demnach weniger Arbeitnehmer zu entlassen, als Altersgruppen - fünf - zu bilden waren. Auch in der Vergleichsgruppe des [X.] war, wie ausgeführt, eine proportionale Berücksichtigung der Altersgruppen nicht möglich.

I[X.] [X.] fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.

II[X.] Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung des [X.] in [X.]öhe von 400,00 Euro für das [X.]. Der Anspruch folgt aus § 611 Abs. 1 BGB iVm. der im Aushang vom Dezember 2009 liegenden [X.]. Da der Kläger in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, erfüllt er die darin genannten Voraussetzungen. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Zahlung mit der Abrechnung für November 2009 fällig wurde.

IV. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor     

        

        

        

    Beckerle    

        

    [X.]     

                 

Meta

2 AZR 167/11

22.03.2012

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Detmold, 15. Juni 2010, Az: 1 Ca 1383/09, Urteil

§ 1 Abs 2 S 1 Alt 3 KSchG, § 1 Abs 3 S 1 KSchG, § 1 Abs 3 S 2 KSchG, § 17 Abs 1 S 1 Nr 2 KSchG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.03.2012, Az. 2 AZR 167/11 (REWIS RS 2012, 7841)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7841


Verfahrensgang

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Az. 2 AZR 167/11

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 167/11, 22.03.2012.


Az. 14 Sa 1068/10

Landesarbeitsgericht Hamm, 14 Sa 1068/10, 09.11.2010.


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