Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.12.2012, Az. IX B 121/12

9. Senat | REWIS RS 2012, 617

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Gegenstand

Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Nichtberücksichtigung eines Antrags auf Terminsverlegung


Leitsatz

NV: Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs wird verletzt, wenn das FG mündliche Verhandlung ohne den krankheitsbedingt verhinderten Geschäftsführer der nicht durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater vertretenen Klägerin durchführt, obwohl eine amtsärztliche Untersuchung des Geschäftsführers ergeben hat, dass dieser nicht reisefähig und verhandlungsfähig ist und dem FG das Ergebnis des amtsärztlichen Gutachtens von der behandelnden Amtsärztin rechtzeitig fernmündlich ermittelt wurde .

Tatbestand

1

I. In dem von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) angestrengten Klageverfahren gegen den Schätzungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes für 2008 bestimmte das Finanzgericht ([X.]) unter dem 16. Mai 2012 Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2012 um 10.00 Uhr. Da der Geschäftsführer der nicht durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater vertretenen Klägerin bereits an zwei zu einem früheren Zeitpunkt terminierten mündlichen Verhandlungen wegen einer --durch einen schweren Unfall verursachten und durch fachärztliche Atteste belegten-- "absoluten Reiseunfähigkeit" nicht teilnehmen konnte, wies das [X.] in seiner erneuten Terminsbestimmung darauf hin, dass im Falle des Ausbleibens nach § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) auch ohne einen Vertreter der Klägerin entschieden werden könne und "eine weitere Terminsverlegung nur nach Vorlage eines amtsärztlichen Attests erfolgen wird".

2

Am 4. Juni 2012 teilte die Amtsärztin dem [X.] in einem von ihr persönlich geführten fernmündlichen Gespräch mit, dass der Geschäftsführer der Klägerin wegen des anstehenden Termins zur mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2012 vorstellig geworden sei und die amtsärztliche Untersuchung ergeben habe, dass dieser wegen der bekannten Unfallfolgen für einen weiteren Zeitraum von mindestens drei Wochen nicht reise- und verhandlungsfähig sei. Die schriftliche Ausfertigung des fernmündlich übermittelten amtsärztlichen Gutachtens vom 4. Juni 2012 ging am 6. Juni 2012 um 15.00 Uhr bei dem [X.] ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte das [X.] den Termin zur mündlichen Verhandlung bereits in Abwesenheit des Vertreters der Klägerin durchgeführt und das angefochtene Urteil verkündet. Im Urteil des [X.] ist hierzu ausgeführt, dass dem [X.] der Klägerin weder ein ärztliches noch ein amtsärztliches Gutachten beigelegen habe und die Ankündigung der Übersendung eines solchen Gutachtens nicht ausreiche.

3

Mit der hiergegen gerichteten Beschwerde rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 [X.]O, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes).

Entscheidungsgründe

4

II. [X.] ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O i.V.m. § 116 Abs. 6 [X.]O). Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 119 Nr. 3 [X.]O) einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt vor.

5

Zu Unrecht hat das [X.] trotz amtsärztlich bescheinigter Reise- und Verhandlungsunfähigkeit des Geschäftsführers der Klägerin deren Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung abgelehnt und diese durchgeführt. Zwar obliegt es dem Beteiligten, der erst kurz vor dem anberaumten Termin einen Terminsänderungsantrag stellt, die Gründe für seine Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob er verhandlungs- und reiseunfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann (vgl. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 19. November 2009 IX B 160/09, [X.], 454, m.w.N.). Dem ist die Klägerin jedoch hinreichend nachgekommen. Schon aus den von der Klägerin zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegten fachärztlichen Bescheinigungen waren dem [X.] die Gründe der Reise- und Verhandlungsunfähigkeit des Geschäftsführers der Klägerin hinreichend bekannt. Jedenfalls aber musste das [X.] das fernmündlich am 4. Juni 2012 von der behandelnden Amtsärztin übermittelte Ergebnis des amtsärztlichen Gutachtens, aus welchem sich zweifelsfrei ergab, dass der Geschäftsführer der Klägerin nicht in der Lage sein werde, den anberaumten Gerichtstermin wahrzunehmen, als hinreichende Begründung des Terminsverlegungsantrags anerkennen. Denn wenn der Amtsarzt --zwar fernmündlich aber doch explizit-- mitteilt, dass der begutachtete Patient einen Gerichtstermin an einem bestimmten Tag nicht wahrnehmen könne, bedarf es keiner weiteren Information zur geltend gemachten Verhinderung (vgl. [X.] vom 10. August 2011 IX B 175/10, [X.], 1912).

6

Im Streitfall kann die Klägerin auch nicht darauf verwiesen werden, sie habe nicht dargelegt, warum es nicht (mehr) möglich war, einen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung des Termins zu beauftragen (vgl. [X.] vom 24. Mai 1988 IV B 125/87, [X.] 1989, 175; vom 31. August 1995 VII B 160/94, [X.] 1996, 228). Denn das [X.] hat in seiner Terminsbestimmung vom 16. Mai 2012 selbst in Aussicht gestellt, dass "eine weitere Terminsverlegung (nur) nach Vorlage eines amtsärztlichen Attests erfolgen" werde; das Gericht verletzt das Recht der Klägerin auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, wenn es in einem solchen Fall gleichwohl das ihm bekannte Ergebnis eines angeforderten amtsärztlichen Attestes nicht genügen lassen will.

7

Auf den Verfahrensfehler ist das [X.]-Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang nach Durchführung der mündlichen Verhandlung über den Streitfall erneut zu entscheiden haben.

Meta

IX B 121/12

07.12.2012

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 6. Juni 2012, Az: 6 K 6310/10, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 91 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 119 Nr 3 FGO, § 227 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.12.2012, Az. IX B 121/12 (REWIS RS 2012, 617)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 617

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