Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.04.2023, Az. 3 StR 10/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2560

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Gegenstand

Relativer Revisionsgrund im Strafverfahren: Nichtgewährung des letzten Wortes nach zeitweiser Abwesenheit des Angeklagten


Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der [X.] wird das Urteil des [X.] vom 14. Juni 2022 aufgehoben

a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit die Angeklagte S.    verurteilt worden ist,

b) unter Aufrechterhaltung der jeweils zugehörigen Feststellungen im Ausspruch über die

aa) den Angeklagten Sh.     betreffende Strafe,

bb) die [X.] betreffende Einziehung des Wertes von Taterträgen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen des Angeklagten und der [X.] werden verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte S.    wegen unerlaubten Erbringens von Zahlungsdiensten und den Angeklagten Sh.     wegen Anstiftung dazu jeweils zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen die [X.] hat es die Einziehung des Wertes von [X.]n in Höhe von 1.048.067,70 € angeordnet. Von weiteren Tatvorwürfen hat es die Angeklagten freigesprochen. Die beiden Angeklagten und die [X.] beanstanden mit ihren Revisionen die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts. Das Rechtsmittel der Angeklagten S.    hat insgesamt, diejenigen des Angeklagten Sh.     und der [X.]n haben den aus der [X.] ersichtlichen teilweisen Erfolg.

2

1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen war die Angeklagte Geschäftsführerin der [X.] Dass der Angeklagte faktischer Mitgeschäftsführer war, ist nicht festgestellt. Auf seine Veranlassung nahm die [X.] im Auftrag anderer Gesellschaften Anlegergelder entgegen und transferierte diese nach Abzug von Provision weiter. Zwischen dem 11. Oktober und dem 6. Dezember 2017 gingen insgesamt 4.009.237,90 € auf vier Konten der [X.]n ein. Sie verfügte über keine in- oder ausländische Erlaubnis zur Erbringung von Zahlungsdiensten. Dies war beiden Angeklagten ebenso bekannt wie der Umstand, dass die Tätigkeit der [X.]n als Zahlungsdienstleister in [X.] erlaubnispflichtig war. Gegen die [X.] wurde am 17. November 2017 ein Vermögensarrest in Höhe von 1.048.067,70 € vollzogen.

3

2. Die Revision der Angeklagten S.    dringt mit der Verfahrensbeanstandung durch, ihr sei entgegen § 258 Abs. 2 [X.] nicht das letzte Wort gewährt worden.

4

a) Der Rüge liegt im Wesentlichen das folgende Geschehen zugrunde:

5

Die Angeklagte war am 21. Tag der Hauptverhandlung nicht erschienen. Nach einem entsprechenden Beschluss des [X.]s gemäß § 231 Abs. 2 [X.] wurde die Verhandlung ohne sie fortgesetzt. Am selben Tag erhielten die Verteidiger beider Angeklagter und der Mitangeklagten das Wort für ihre Schlussvorträge sowie der Angeklagte und die Mitangeklagten das letzte Wort. Am nächsten [X.] war die Angeklagte von Beginn an anwesend. Der Vorsitzende verkündete einen Kammerbeschluss und nach Unterbrechung der Verhandlung das Urteil, ohne der Angeklagten das letzte Wort zu erteilen.

6

b) Diese Verfahrensweise entsprach nicht § 258 Abs. 2 [X.], nach dem der Angeklagten das letzte Wort gebührt.

7

Danach ist sie gemäß § 258 Abs. 3 [X.] auch dann zu befragen, ob sie selbst noch etwas zu ihrer Verteidigung anzuführen habe, wenn ein Verteidiger für sie gesprochen hat. Die zeitweise Verhandlung in ihrer Abwesenheit nach § 231 Abs. 2 [X.] enthebt das [X.] nicht von der Pflicht, der wieder anwesenden Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Kehrt sie in die Hauptverhandlung zurück, nimmt sie ihre Stellung mit allen ihren Rechten wieder ein. Das Recht zur Ausübung des letzten Wortes hat sie nicht dadurch verwirkt, dass sie während eines [X.] abwesend war, in dem Mitangeklagte Gelegenheit zum letzten Wort hatten. Dem Recht der Angeklagten auf das letzte Wort entspricht die Verpflichtung des Gerichts, nach § 258 Abs. 3 [X.] den Angeklagten von Amts wegen Gelegenheit zu geben, sich als Letzte persönlich abschließend zur Sache zu äußern. Das ist angesichts der Bedeutung dieses Rechts selbst dann erforderlich, wenn das Gericht das Beweisergebnis schon abschließend beraten hat und zur Verkündung des Urteils bereit ist (s. insgesamt [X.], Beschluss vom 27. Februar 1990 - 5 StR 56/90, [X.]R [X.] § 258 Abs. 3 Letztes Wort 2 mwN; [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 258 Rn. 20).

8

Diese Anforderungen wurden nicht eingehalten.

9

c) Soweit das Urteil die Angeklagte betrifft, beruht es im Sinne des § 337 Abs. 1 [X.] auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler; denn es ist nicht auszuschließen, dass sie bei Erteilung des letzten Wortes noch Ausführungen gemacht und dies sich auf die Entscheidung des [X.]s ausgewirkt hätte (vgl. zum [X.] etwa [X.], Beschlüsse vom 7. Mai 2002 - 3 StR 499/01, [X.], 308; vom 11. März 2014 - 5 StR 70/14, [X.], 251; vom 20. August 2008 - 5 [X.], [X.], 50; vom 2. Mai 1989 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 258 Abs. 3 Letztes Wort 1; [X.], Beschluss vom 13. Mai 1980 - 2 BvR 705/79, [X.]E 54, 140, 142; KK-[X.]/Tiemann, 9. Aufl., § 258 Rn. 35 f.). Allein daraus, dass die in [X.]     lebende Angeklagte zu dem auf den Schlussvortrag des Staatsanwalts folgenden [X.] nicht erschien, ist nicht zu folgern, sie habe wie zuvor von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und sich nicht äußern wollen. So ließ sich etwa der ebenfalls zuvor schweigende Angeklagte erst im Rahmen seines letzten Wortes zur Sache ein.

d) Danach ist die Verurteilung der Angeklagten S.    insgesamt mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben.

3. Das Rechtsmittel des Angeklagten Sh.     hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als es zur Aufhebung des ihn betreffenden Strafausspruchs führt. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.

a) Die vom Angeklagten - ebenso wie von der [X.]n - erhobene Rüge, ein Antrag auf Vernehmung einer Auslandszeugin sei zu Unrecht abgelehnt worden, ist jedenfalls unbegründet. Die [X.] hat den Antrag durch Beschluss rechtsfehlerfrei nach § 244 Abs. 5 Satz 1 und 2 [X.] abgelehnt.

b) Die vom [X.] getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch der Anstiftung zum unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten und sind durch die Beweiswürdigung belegt. Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand, da die zwingende Strafrahmenmilderung nach § 28 Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB nicht in Bedacht genommen worden ist.

aa) Nach der gemäß § 2 Abs. 3 StGB anzuwendenden, im Tatzeitraum geltenden Fassung des § 31 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] waren Normadressaten nur Unternehmen, nicht aber natürliche Personen (s. [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2015 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 31 Abs. 1 Nr. 2 Zahlungsdienste 1 Rn. 5 mwN; demgegenüber zur aktuellen Rechtslage [X.], Beschluss vom 28. Juni 2022 - 3 StR 403/20, ZInsO 2022, 2120 Rn. 22 mwN). Eine Strafbarkeit als Täter setzt daher eine Zurechnung nach § 14 StGB voraus (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2015 - 5 [X.], aaO Rn. 8). Fehlen besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 14 Abs. 1 StGB, welche die Strafbarkeit des [X.] begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfen), ist dessen Strafe gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu mildern (vgl. [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], § 63 Rn. 104).

bb) Demgemäß war der für den Angeklagten eröffnete Strafrahmen des § 31 Abs. 1 [X.] aF herabgesetzt. Da der Angeklagte weder vertretungsberechtigtes Organ der [X.]n noch deren Beauftragter war, lagen bei ihm die Strafbarkeit des [X.] begründende besondere persönliche Merkmale nicht vor. Danach ist die Strafe aufzuheben; denn es ist nicht auszuschließen, dass das [X.] diese bei Annahme eines gemilderten Strafrahmens geringer bemessen hätte. Die zugrundeliegenden Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 [X.]).

4. Eine von der [X.]n allgemein geltend gemachte Verletzung materiellen Rechts liegt vor, weil die Urteilsfeststellungen die Einziehungsentscheidung zu ihren Lasten nicht tragen. Die auf Konten der [X.]n eingegangenen Beträge stellen nicht in voller Höhe [X.] im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB aus dem unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten dar, sondern lediglich in Bezug auf erzielte Provisionen. Mithin kommt die Einziehung des Wertes von [X.]n nach § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 73c Satz 1 StGB nur in Höhe erlangter Provisionen, nicht aber hinsichtlich der im Rahmen von Finanztransfergeschäften entgegengenommenen Geldbeträge insgesamt in Betracht.

a) Geldbeträge, die im Rahmen von erbrachten Zahlungsdiensten erlangt sind und auf die sich die tatbestandliche Tätigkeit nach § 31 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 2 Nr. 6 [X.] aF (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 [X.] nF) bezieht, stellen Tatobjekte im Sinne des § 74 Abs. 2 StGB dar, so dass insoweit die Einordnung zugleich als [X.] ausscheidet (s. im Einzelnen [X.], Beschlüsse vom 28. Juni 2022 - 3 StR 403/20, ZInsO 2022, 2120 Rn. 36; vom 21. Februar 2023 - 3 StR 278/22, juris Rn. 15 ff.; [X.], Beschluss vom 24. Oktober 2022 - [X.], [X.] 2023, 69 Rn. 16; entsprechend zu Bankgeschäften nach dem KWG [X.], Urteil vom 20. Juli 2022 - 3 StR 390/21, NJW 2022, 2701 Rn. 11 ff.; demgegenüber zur früheren Rechtslage - ohne Abgrenzung zum Tatobjekt - [X.], Beschluss vom 11. Juni 2015 - 1 StR 368/14, [X.]R StGB § 73 Erlangtes 18 Rn. 26 ff.). Soweit Gelder als Tatobjekte im Zusammenhang mit Straftaten nach dem [X.] einzuordnen sind, scheidet eine Einziehung aus, weil insofern keine sondergesetzliche Regelung gemäß § 74 Abs. 2 StGB gegeben ist.

b) Dagegen sind für das - strafbare - Erbringen von Zahlungsdiensten erzielte Entgelte [X.] nach § 73 Abs. 1 StGB und können daher, ebenso wie gegebenenfalls ihr Wert (§ 73c StGB), eingezogen werden (s. [X.], Beschlüsse vom 28. Juni 2022 - 3 StR 403/20, ZInsO 2022, 2120 Rn. 34; vom 21. Februar 2023 - 3 StR 278/22, juris Rn. 15 f., 23). Da die [X.] Provisionen für das erbrachte Finanztransfergeschäft erhielt, kommt demnach grundsätzlich eine Einziehung in Frage.

Allerdings ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, in welcher genauen Höhe Provisionen tatsächlich angefallen sind. Die Sache bedarf daher neuer tatgerichtlicher Prüfung. Zu den rechtsfehlerfrei getroffenen bisherigen Feststellungen, die bestehen bleiben können, sind ergänzend weitere zu den tatsächlich erlangten Vergütungen geboten.

Schäfer     

  

Paul     

  

Hohoff

  

Anstötz     

  

Voigt     

  

Meta

3 StR 10/23

18.04.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Koblenz, 14. Juni 2022, Az: 4 KLs 2050 Js 70047/17

§ 231 Abs 2 StPO, § 258 Abs 2 StPO, § 258 Abs 3 StPO, § 337 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.04.2023, Az. 3 StR 10/23 (REWIS RS 2023, 2560)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2560

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 368/14

3 StR 390/21

3 StR 278/22

3 StR 403/20

5 StR 189/15

5 StR 70/14

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