Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.04.2011, Az. 1 AZR 507/09

1. Senat | REWIS RS 2011, 7721

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Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 1. April 2009 - 9 [X.]/09 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung.

2

Die zum Zeitpunkt der [X.]lageerhebung 28-jährige [X.]lägerin war seit dem [X.] bei der [X.] in deren Betrieb in [X.] beschäftigt. Bei der [X.] gilt seit dem Jahre 2001 eine Gesamtbetriebsvereinbarung ([X.] 2001), wonach betriebsbedingte Änderungskündigungen der Zustimmung des Betriebsrats unterliegen.

3

Im Dezember 2006 informierte die Beklagte ihre [X.]itarbeiter über die „endgültige und bindende“ Entscheidung ihrer Gesellschafter ua. die am Standort [X.] ausgeübten Tätigkeiten an andere Standorte zu verlagern. Die [X.]lägerin wurde hierüber in einem Abteilungstreffen in der ersten Jahreshälfte 2007 unterrichtet. Im Rahmen dieses Treffens bezeichnete die Abteilungsleiterin die Verlagerung nach [X.] als feststehend und unverrückbar.

4

Zwischen der [X.] und ihrem Gesamtbetriebsrat fanden ab Juli 2007 Gespräche über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans statt. Zeitgleich verhandelte die Beklagte mit [X.] über den Abschluss eines [X.] über die geplante Standortverlagerung.

5

Anfang September 2007 stellte eine Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat fest. Dies teilte die Beklagte ihren Arbeitnehmern in einer Informationsschrift vom 6. September 2007 mit. In dieser wies sie gleichzeitig darauf hin, dass sie nunmehr die [X.]öglichkeit habe, die [X.] zum 30. September 2008 umzusetzen. Zu den Verhandlungen mit [X.] über den Abschluss eines [X.] heißt es in dem Schreiben:

        

„Gestern Abend stimmten beide Seiten der Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel zu, einen Tarifsozialplan/Sozialplan zur Betriebsänderung der Standortschließung abzuschließen. …“

6

Am 15. Oktober 2007 wurde zwischen der [X.] und [X.] ua. der dann am 18. Oktober 2007 unterzeichnete Entwurf ua. eines [X.] endverhandelt. Nach Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan erhalten ua. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer im Zeitraum vom 15. Oktober 2007 bis zum 30. September 2008 ausgesprochenen Eigenkündigung beendet wird, eine Abfindung, die sich nach Abschnitt III Nr. 7.3 Tarifsozialplan berechnet. Die Beklagte vereinbarte - ebenfalls am 18. Oktober 2007 - mit dem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung ([X.] Sozialplan). Nach deren Nr. 2 sollten die Regelungen des [X.] für alle Arbeitnehmer der [X.] Anwendung finden. In Nr. 3 [X.] Sozialplan ist bestimmt, dass Ansprüche aus dem Tarifsozialplan mit Ansprüchen aus der [X.] Sozialplan verrechnet werden. Am selben Tag schloss die Beklagte mit den örtlichen [X.] eine „Betriebsvereinbarung zur Umsetzung personeller Einzelmaßnahmen der [X.]“ ([X.]). In dieser verzichteten die örtlichen Betriebsräte auf das Zustimmungserfordernis zum Ausspruch von Änderungskündigungen gemäß der [X.] 2001.

7

Die [X.]lägerin hat ihr Arbeitsverhältnis bereits mit Schreiben vom 29. August 2007 gekündigt. Sie hält die auf Eigenkündigungen bezogene Stichtagsregelung im Tarifsozialplan wegen eines Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz für unwirksam. Auch werde sie wegen ihres Alters benachteiligt. Ältere Arbeitnehmer hätten wegen ihrer längeren [X.]ündigungsfristen und dem [X.]ündigungstermin zum Ende eines [X.]alendervierteljahres weniger [X.]öglichkeiten, ihr Arbeitsverhältnis bis zur Umsetzung der Betriebsänderung am 1. Oktober 2008 zu beenden.

8

Die [X.]lägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die [X.]lägerin 53.777,48 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2008 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat [X.]lageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen. Das [X.] hat ihn auf die Berufung der [X.] abgewiesen. [X.]it der Revision beantragt die [X.]lägerin die Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.]lägerin ist unbegründet. Das [X.] hat die [X.]lage zu Recht abgewiesen.

I. Die [X.]lägerin hat keinen Anspruch auf eine Abfindung aus Nr. 2 [X.] iVm. Abschnitt III Nr. 7.1, Nr. 7.3 Tarifsozialplan.

Nach seinem Wortlaut bestimmt Nr. 2 [X.] ua. die Anwendung der Regelungen des [X.] für alle Arbeitnehmer der [X.]. Mit dieser Formulierung haben die Betriebsparteien die Regelungen des [X.] in Bezug genommen und zum Inhalt der [X.] gemacht. Die [X.]lägerin fällt zwar in den persönlichen Geltungsbereich der [X.]. Bei Abschluss der Vereinbarung am 18. Oktober 2007 war sie Arbeitnehmerin der [X.] iSd. Nr. 1 [X.]. Die [X.]lägerin erfüllt aber nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan iVm. § 2 [X.]. Ihr Arbeitsverhältnis hat nicht aufgrund einer zwischen dem 15. Oktober 2007 und dem 30. September 2008 ausgesprochenen Eigenkündigung geendet. Die [X.]lägerin hat ihr Arbeitsverhältnis schon am 29. August 2007 gekündigt.

II. Die Stichtagsregelung in Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG.

1. Der auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrundes ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck ([X.] 1. Februar 2011 - 1 [X.] - Rn. 17).

2. Vorliegend haben die Betriebsparteien eine Gruppenbildung vorgenommen, indem sie den Anspruch auf eine Sozialplanabfindung nur für solche von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen haben, die ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer nach dem 15. Oktober 2007 ausgesprochenen Eigenkündigung beendet haben. Damit haben sie diejenigen Mitarbeiter ausgenommen, die vor dem Abschluss der Tarifsozialplanverhandlungen ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben. Diese Gruppenbildung ist sachlich gerechtfertigt.

a) Sie ist am Zweck des Sozialplans ausgerichtet, der keine Entschädigung für geleistete Dienste gewähren, sondern konkret absehbare oder eingetretene betriebsänderungsbedingte Nachteile ausgleichen soll ([X.] 20. April 2010 - 1 [X.] - Rn. 21, [X.] 1972 § 112 Nr. 208 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 37). Die Betriebsparteien können zur Herstellung von Rechtssicherheit ein Verfahren oder einen Stichtag bestimmen und auf diese Weise festlegen, ob eine Eigenkündigung durch die konkrete Betriebsänderung veranlasst wurde oder nicht. Dazu kann die Ausgleichspflicht an einen Zeitpunkt anknüpfen, in dem die Art und Weise der durchzuführenden Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer feststeht. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise dürfen die Betriebsparteien in einem solchen Fall davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die auf eigene Veranlassung ihr Arbeitsverhältnis beenden, bevor das Ausmaß einer sie treffenden Betriebsänderung konkret absehbar und der Umfang der daran knüpfenden wirtschaftlichen Nachteile prognostizierbar ist, ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Betriebsänderung beenden.

b) Der in § 2 [X.] iVm. Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan bestimmte Stichtag ist danach nicht zu beanstanden. Vor dem 15. Oktober 2007 stand für die betroffenen Arbeitnehmer der Zeitpunkt und der Umfang der betriebsändernden Maßnahmen noch nicht fest. Erst nach der Unterzeichnung der [X.] konnte die Beklagte betriebsbedingte Änderungskündigungen aussprechen und die geplante Standortkonsolidierung umsetzen.

aa) Die Beklagte war bis zum Scheitern der mit dem Gesamtbetriebsrat über den Abschluss eines Interessenausgleichs geführten Verhandlungen betriebsverfassungsrechtlich nicht berechtigt, die geplanten betriebsändernden Maßnahmen umzusetzen. Aus diesem Grund waren die bereits im Dezember 2006 und in der ersten Jahreshälfte 2007 verlautbarten Ankündigungen der [X.] oder einzelner ihrer Mitarbeiter über die von ihren Gesellschaftern getroffenen Beschlüsse und ihrer Verhandelbarkeit nicht geeignet, die vor dem Stichtag ausgesprochenen Eigenkündigungen als durch die Betriebsänderung veranlasst anzusehen. Jedoch stand auch nach dem Scheitern des Interessenausgleichs wegen der von der [X.] Anfang September angekündigten Verhandlungen über den Abschluss eines [X.] weder der Umfang der betriebsändernden Maßnahmen noch der Zeitpunkt ihrer Umsetzung fest. Nach dem Inhalt ihrer gegenüber den Arbeitnehmern verlautbarten Schreiben sollten Gegenstand der Verhandlungen auch die für eine Übergangszeit am Standort [X.] verbleibenden Arbeitsplätze sein. Daneben wäre die Beklagte aufgrund der Regelungen in der [X.] 2001 zumindest bis zum 31. Dezember 2011 an der Umsetzung der geplanten Standortverlagerung gehindert gewesen. Hierzu hätte es des Ausspruchs von betriebsbedingten Änderungskündigungen gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern bedurft, die nach der [X.] 2001 dem Zustimmungserfordernis der örtlichen Betriebsräte nach § 102 Abs. 6 BetrVG unterlagen. Es ist weder ersichtlich noch von der [X.]lägerin vorgetragen, dass die Beklagte die in § 3 [X.] 2001 vereinbarten [X.]ündigungsbeschränkungen vor dem 15. Oktober 2007 in Frage gestellt hat oder mit der Erteilung der Zustimmung durch die örtlichen Betriebsräte rechnen konnte.

bb) [X.] ist, dass der in Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan festgelegte Stichtag nicht taggenau mit dem Abschluss des [X.] bzw. der [X.] übereinstimmt. Am 15. Oktober 2007 waren die endgültige Fassung ua. des [X.], der Protokollnotiz und der freiwilligen Tarifvereinbarung abschließend ausgehandelt. Dass bis zur Unterzeichnung weitere Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien stattfanden, ist weder festgestellt noch von der [X.]lägerin behauptet worden. Vor diesem Hintergrund orientierte sich die Festlegung des Stichtags am gegebenen Sachverhalt und war sachlich vertretbar.

III. Die Stichtagsregelung ist entgegen der erstmalig in der Revision von der [X.]lägerin geäußerten Ansicht nicht gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

1. Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen dieses Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der Begriff der Benachteiligung bestimmt sich nach § 3 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine mittelbare Benachteiligung ist nach § 3 Abs. 2 AGG gegeben, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, [X.]riterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, [X.]riterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

2. Eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Benachteiligung ist nicht gegeben, weil die in Abschnitt III Nr. 7.1 Tarifsozialplan enthaltene Stichtagsregelung nicht unmittelbar an das Merkmal des Alters anknüpft. Eine mittelbare Benachteiligung liegt nicht vor, weil die [X.]lägerin gegenüber jüngeren Arbeitnehmern mit kürzeren [X.]ündigungsfristen nicht weniger günstig behandelt wird. Bei einer Eigenkündigung kommt es für den Abfindungsanspruch auf den Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses nicht an. Eine Abfindung erhalten alle Arbeitnehmer, die im Zeitraum vom 15. Oktober 2007 bis zum 30. September 2008 ihr Arbeitsverhältnis durch eine Eigenkündigung beenden.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    [X.]och    

        

        

        

    Rath    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 AZR 507/09

12.04.2011

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Köln, 30. Oktober 2008, Az: 11 Ca 248/08, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.04.2011, Az. 1 AZR 507/09 (REWIS RS 2011, 7721)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7721


Verfahrensgang

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Az. 1 AZR 507/09

Bundesarbeitsgericht, 1 AZR 507/09, 12.04.2011.


Az. 11 Ca 248/08

Arbeitsgericht Köln, 11 Ca 248/08, 30.10.2008.


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