Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.10.2014, Az. III R 19/13

3. Senat | REWIS RS 2014, 1875

STEUERRECHT BUNDESFINANZHOF (BFH) EINKOMMENSTEUER FAHRTKOSTEN

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Gegenstand

Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätten bei Selbständigen - Gleichbehandlung des Betriebsausgabenabzugs mit dem entsprechenden Werbungskostenabzug bei Arbeitnehmern


Leitsatz

1. Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG ist der Ort, an dem ein selbständig Tätiger seine Leistung gegenüber den Kunden erbringt (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung) .

2. Aus der mit der Begrenzung des Fahrtkostenabzugs in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG angestrebten Gleichbehandlung des Betriebsausgabenabzugs u.a. von Selbständigen mit dem entsprechenden Werbungskostenabzug bei Arbeitnehmern folgt, dass die für die Arbeitnehmer geltenden Ausnahmen von den Abzugsbeschränkungen der Fahrtkosten im Falle gleichliegender Sachverhalte bei den selbständig Tätigen grundsätzlich ebenso gelten .

3. Fahrtkosten einer selbständig tätigen Musiklehrerin sind zum uneingeschränkten Betriebsausgabenabzug zuzulassen, soweit sie zwischen Wohnung und ständig wechselnden Unterrichtseinrichtungen anfallen und keiner dieser Beschäftigungsstätten eine besondere zentrale Bedeutung zukommt .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erteilte im Streitjahr 2008 als freiberuflich tätige Musiklehrerin im Auftrag einer kommunalen Musikschule in mehreren Schulen und Kindergärten Musikunterricht. Im Regelfall suchte sie jede dieser Einrichtungen außerhalb der Schulferien einmal wöchentlich auf und benutzte hierfür ihr privates Kfz. Zusätzlich unternahm sie sieben Fahrten zur Musikschule und neun Fahrten zu anderen Zielen, die sie jeweils nur einmal aufsuchte. In ihrer Wohnung unterhielt sie ein Arbeitszimmer, in dem sie den Unterricht vorbereitete, Musikinstrumente lagerte und Büroarbeiten erledigte.

2

In der Einkommensteuererklärung für 2008 ermittelte die Klägerin den Gewinn aus ihrer Lehrtätigkeit nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Als Betriebsausgaben machte sie u.a. Fahrtkosten in Höhe von 1.137 € geltend. Dabei setzte sie für jeden der gefahrenen Kilometer pauschal 0,30 € an.

3

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) erkannte die geltend gemachten Fahrtkosten nur zur Hälfte (568,50 €), nämlich in Höhe von 0,30 € pro Entfernungskilometer an, weil es sich bei allen Fahrten um solche zwischen Wohnung und Betriebsstätte handele.

4

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren gab das Finanzgericht ([X.]) der Klage statt. Zur Begründung führte es aus, der Betriebsausgabenabzug sei nicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Sätze 1 und 2 EStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der im Streitjahr 2008 geltenden Fassung begrenzt. Zwar sei die bisherige Rechtsprechung davon ausgegangen, dass ein Steuerpflichtiger mehrere Betriebsstätten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG haben könne. Da diese Vorschrift eine Gleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften und von Arbeitnehmern bezwecke, sei jedoch die Rechtsprechung, wonach ein Arbeitnehmer nicht mehrere regelmäßige Arbeitsstätten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG haben könne, auch auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu übertragen.

5

Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2013, 839 veröffentlicht.

6

Mit der Revision macht das [X.] geltend, das Urteil beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Entgegen der Auffassung des [X.] könne die Rechtsprechung zur regelmäßigen Arbeitsstätte nicht auf den Betriebsstättenbegriff übertragen werden.

7

Das [X.] beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) als unbegründet zurückzuweisen.

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der steuerrechtliche Abzug der im Streit stehenden Fahrtkosten nicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG durch die Entfernungspauschale begrenzt ist.

1. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG dürfen Aufwendungen für die Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nicht mindern, soweit in den folgenden Sätzen nichts anderes bestimmt ist. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG ordnet die entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG an. Danach sind Fahrten eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte mit der Entfernungspauschale von 0,30 € für jeden vollen Entfernungskilometer, höchstens 4.500 € im Kalenderjahr, abgegolten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG).

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ist der Begriff einer Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG weiter zu fassen als im Rahmen des § 12 der Abgabenordnung, der eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen über die von ihm genutzte Einrichtung voraussetzt (vgl. [X.]-Urteil vom 4. Juni 2008 I R 30/07, [X.]E 222, 14, [X.], 922, unter [X.], m.w.N.). Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG ist der Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 15. April 1993 IV R 5/92, [X.]/NV 1993, 719, unter 1.; vom 29. April 2014 VIII R 33/10, [X.]E 246, 53, [X.], 777, Rz 25, m.w.N.). Auch ein durch die Art der Tätigkeit bedingter häufiger Wechsel der Einsatzstelle schließt nicht aus, dass die jeweilige Beschäftigungsstelle eine Betriebsstätte des Unternehmers i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG ist ([X.]-Urteil vom 18. September 1991 XI R 34/90, [X.]E 165, 411, [X.] 1992, 90, unter II.2.). Nach diesen Grundsätzen stellen etwa Unterrichtsräume, an denen ein selbständig Tätiger seine Leistungen gegenüber Kunden erbringt, Betriebsstätten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG dar (vgl. [X.]-Urteil vom 27. Oktober 1993 I R 99/92, [X.]/NV 1994, 701, unter II.A.2.).

b) Danach könnte die Klägerin bei der Ermittlung ihres Gewinns ihre Aufwendungen für die Fahrten zwischen der Wohnung und den jeweiligen Schulen bzw. Kindergärten als Betriebsstätten nur in Höhe von 0,30 € je Entfernungskilometer gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG als Betriebsausgaben absetzen.

2. Durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Sätze 1 und 2 EStG sollen jedoch die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte bei der Ermittlung von Gewinneinkünften mit den Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei der Ermittlung von [X.] gleich behandelt werden (vgl. [X.]-Urteile vom 15. Juli 1986 VIII R 134/83, [X.]E 147, 169, [X.] 1986, 744; vom 13. Juli 1989 IV R 55/88, [X.]E 157, 562, [X.] 1990, 23, unter 2.; jeweils unter Hinweis auf die Gesetzesentwicklung bzw. -begründung [Steueränderungsgesetz 1966 vom 23. Dezember 1966, [X.] 1966, 702, BTDrucks 7/1470, S. 250] und den Beschluss des [X.] vom 2. Oktober 1969  1 BvL 12/68, [X.] 27, 58, 70). Diese durch den Gesetzgeber beabsichtigte Gleichbehandlung wird durch die gesetzlich normierte Verweisung auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG deutlich. Der hierin zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers ist bei der Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu berücksichtigen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 9. November 1988  1 BvR 243/86, [X.] 79, 106, unter [X.], m.w.N.).

a) Wenn nach dem Zweck des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG beim Abzug der dort genannten Fahrtkosten die Gewerbetreibenden und selbständig Tätigen den Arbeitnehmern gleichzustellen sind, dann müssen auch die für die Arbeitnehmer geltenden Ausnahmen der Abzugsbeschränkungen im Falle gleichliegender Sachverhalte bei den Gewerbetreibenden und den selbständig Tätigen grundsätzlich ebenso gelten ([X.]-Urteil vom 5. November 1987 IV R 180/85, [X.]E 151, 413, [X.] 1988, 334, unter 2.).

Kommt es danach auf die Gleichbehandlung gleichliegender Sachverhalte an, so geht der vom [X.] mit der Revision im Einzelnen begründete Einwand ins Leere, die Begriffe "Betriebsstätte" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG und "regelmäßige Arbeitsstätte" i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG müssten "differenziert" ausgelegt werden.

b) Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]-Urteil vom 11. Juli 1980 VI R 198/77, [X.]E 131, 64, [X.] 1980, 654) ist die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG dann nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer auf ständig wechselnden auswärtigen Tätigkeitsstätten (Einsatzstellen) tätig ist, und zwar unabhängig vom sog. Einzugsbereich ([X.]-Urteile vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07, [X.]E 224, 111, [X.] 2009, 475, unter II.2.; VI R 47/07, [X.]/NV 2009, 751, unter II.2.). In diesen Fällen sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten und nicht nur die Entfernungspauschale absetzbar.

aa) Als Arbeitnehmer wird nur derjenige typischerweise an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten tätig, der im Betrieb seines Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte innehat, die für ihn den (ortsgebundenen) Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit darstellt. Eine Einsatzwechseltätigkeit i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG ist demnach anzunehmen, wenn es an einem solchen Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des Satzes 2 der Vorschrift fehlt (z.B. [X.]-Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 16/04, [X.]E 209, 518, [X.] 2005, 789). Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte jedenfalls dann nicht aus, wenn der Steuerpflichtige fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten des Arbeitgebers aufsucht; der regelmäßigen Arbeitsstätte muss vielmehr eine hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren [X.] zukommen (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 55/10, [X.]E 234, 164, [X.] 2012, 38, Rz 14, m.w.N.; vom 19. Januar 2012 VI R 36/11, [X.]E 236, 353, [X.] 2012, 503, Rz 11; vom 15. Mai 2013 VI R 44/11, [X.]E 241, 369, [X.], 589, Rz 13).

Liegt keine regelmäßige Arbeitsstätte in diesem Sinne vor, sind die Kosten für beruflich veranlasste Fahrten zu den einzelnen [X.] gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zum Abzug zuzulassen (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 20. März 2014 VI R 74/13, [X.]E 245, 56, [X.], 854, Rz 11).

bb) Entscheidend ist daher, ob eine der Tätigkeitsstätten, an denen die Klägerin ständig wechselnd beruflich tätig war, eine hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den anderen [X.] hatte, so dass diese mit einer nach der neueren Rechtsprechung anzunehmenden (einen) regelmäßigen Arbeitsstätte gleichzusetzen ist.

Das war nicht der Fall. Soweit sich die Klägerin zu den verschiedenen Unterrichtseinrichtungen begeben hat, kommt keiner dieser Einrichtungen eine besondere zentrale Bedeutung zu, die sich mit einer "regelmäßigen Arbeitsstätte" vergleichen ließe. Dies hat das [X.] in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt und wird vom [X.] auch nicht gerügt.

Die Klägerin ist daher mit einem Arbeitnehmer vergleichbar, der sich zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten begeben muss.

cc) Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von [X.] und Betriebsausgabenabzug ist es geboten, die von der Rechtsprechung für den [X.] von Arbeitnehmern entwickelten Grundsätze auch auf den Regelungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu übertragen und Fahrtkosten zum uneingeschränkten Betriebsausgabenabzug zuzulassen, soweit sie zwischen Wohnung und ständig wechselnden Beschäftigungsstätten angefallen sind (so auch [X.]-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 5/95, [X.]/NV 1997, 279, unter II.2., m.w.N.).

Meta

III R 19/13

23.10.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 22. März 2013, Az: 4 K 4834/10 E, Urteil

§ 4 Abs 5 S 1 Nr 6 EStG 2002 vom 20.04.2009, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG 2002 vom 20.04.2009, EStG VZ 2008, § 9 Abs 1 S 1 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.10.2014, Az. III R 19/13 (REWIS RS 2014, 1875)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1875

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