Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.05.2023, Az. 4 CN 10/21

4. Senat | REWIS RS 2023, 5441

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Gegenstand

Beeinträchtigungsverbot als Ziel der Raumordnung


Leitsatz

Das Verbot, die Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich eines Vorhabens wesentlich zu beeinträchtigen, ist als Ziel der Raumordnung unzulässig.

Tenor

Auf die Revision der Antragsgegnerin wird das auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2020 ergangene Urteil des [X.] aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Die Antragstellerin, eine [X.], wendet sich gegen einen Bebauungsplan ihrer Nachbargemeinde, der die Grundlage für einen großflächigen Lebensmitteleinzelhandel schafft. Sie fürchtet Nachteile für die Nahversorgung.

2

Antragstellerin und Antragsgegnerin, [X.]n mit knapp 2 000 und knapp 3 000 Einwohnern, bilden mit der [X.] [X.] den [X.]verwaltungsverband [X.]. Im [X.] vom 27. September 2013 ([X.]) ist [X.] als Kleinzentrum eingestuft. Antragstellerin und Antragsgegnerin haben keine zentralörtliche Funktion. Das [X.] auf dem Gebiet der Antragstellerin besteht im Wesentlichen aus einem ehrenamtlich betriebenen und finanziell von der [X.] gestützten Bürgermarkt mit einer Verkaufsfläche von 240 m² und einem Jahresumsatz von etwa 600 000 €.

3

Auf dem Gebiet der Antragsgegnerin ist der Einzelhandel im Plangebiet konzentriert. Den dort vorhandenen Gebäudekomplex nutzten zunächst ein kleinflächiger Lebensmittelmarkt, ein Getränkemarkt und eine Drogerie sowie Dienstleistungsbetriebe. Vor Beschluss des angegriffenen Bebauungsplans waren der Getränkemarkt und die Drogerie aufgegeben worden, die Antragstellerin befürchtete den Wegzug des Lebensmittelmarktes.

4

Der im März 2018 bekannt gemachte Bebauungsplan "Ortsmitte - 3. Änderung" soll die Ansiedlung eines großflächigen Lebensmittelmarktes ermöglichen. Er setzt für das Plangebiet als Art der baulichen Nutzung ein sonstiges Sondergebiet - Nahversorgungszentrum - fest, das vorwiegend der Unterbringung von Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben für die örtliche Nah- und Grundversorgung dient. [X.]ulässig ist u. a. ein Lebensmittelmarkt mit einer Verkaufsfläche von maximal 1 200 qm, der Verkaufsflächenanteil für Drogeriewaren und/oder [X.] muss mindestens 20 % betragen. [X.]ulässig ist auch ein selbständiger Backshop mit maximal 40 qm Verkaufsfläche, wenn die gesamte Verkaufsfläche 1 200 qm nicht überschreitet.

5

Im Juni 2019 genehmigte das Landratsamt die Errichtung eines Lebensmittelmarktes. Über den dagegen erhobenen Widerspruch der Antragstellerin ist noch nicht entschieden. Ein Antrag auf [X.] blieb erfolglos ([X.], Beschluss vom 6. März 2020 - 12 K 5237/19 - juris). Der Markt ist inzwischen errichtet und in Betrieb.

6

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Unwirksamkeit des Bebauungsplans festgestellt. Der Plan sei wegen eines Verstoßes gegen § 1 Abs. 4 BauGB insgesamt unwirksam. Er sei an die [X.]iele der Raumordnung nicht angepasst, weil er den [X.] aus [X.] ([X.]) des Landesentwicklungsplans (LEP) und Nr. 1.7.2.2 ([X.]) [X.] widerspreche. Die Antragsgegnerin habe keine zentralörtliche Funktion. Eine Ausnahme von diesem Gebot scheide aus, weil die Planung nicht - wie raumordnungsrechtlich gefordert - die übrigen [X.]ielvorgaben zur Steuerung des großflächigen Einzelhandels beachte. Wegen möglicher Auswirkungen auf den Bürgermarkt im Gebiet der Antragstellerin könne von einer Beachtung des [X.] ([X.].1 Satz 2 und [X.].2 Satz 1 <[X.]> LEP sowie Nr. 1.7.2.4 <[X.]> [X.]) nicht ausgegangen werden. Die verbleibende Prognoseunsicherheit gehe zu Lasten der Antragsgegnerin.

7

Die Revision macht geltend, das Verbot, die Nahversorgung einer Nachbargemeinde wesentlich zu beeinträchtigen, sei keine raumordnungsrechtliche Regelung. Dies gelte jedenfalls, wenn die Nachbargemeinde kein zentraler Ort sei. [X.]udem dürfe es nicht zu Lasten der planenden [X.] gehen, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung der Nahversorgung nicht festgestellt werde, sondern sich lediglich nicht ausschließen lasse.

8

Die Antragstellerin verteidigt die vorinstanzliche Entscheidung. Nach ihrer Auffassung steht das [X.] dem Plan entgegen, weil der Lebensmittelmarkt den Bürgermarkt und damit die Nahversorgung ihrer älteren, nicht mobilen Bevölkerung wesentlich beeinträchtige.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die tatrichterlichen Feststellungen lassen nicht den Schluss zu, dass der Bebauungsplan gegen § 1 Abs. 4 [X.] verstößt.

1. Nach § 1 Abs. 4 [X.] sind die Bauleitpläne den [X.]ielen der Raumordnung anzupassen. Das landesplanerisch festgesetzte [X.]entralitätsgebot ist ein solches [X.]iel der Raumordnung. Es verbietet grundsätzlich die Ansiedlung eines großflächigen [X.] auf dem Gebiet der Antragsgegnerin. Davon geht der Verwaltungsgerichtshof zutreffend aus.

[X.]iele der Raumordnung sind nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 [X.] verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in [X.] zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind in [X.] für einen bestimmten Planungsraum und einen regelmäßig mittelfristigen [X.]eitraum Festlegungen als [X.]iele und Grundsätze der Raumordnung zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums zu treffen. [X.]iele und Grundsätze sind nach § 7 Abs. 1 Satz 4 [X.] als solche zu benennen. Ob eine raumordnerische Vorgabe die Qualität eines [X.]iels hat, hängt nicht von ihrer Bezeichnung ab, sondern richtet sich nach ihrem materiellen Gehalt ([X.], Urteile vom 18. September 2003 - 4 [X.]N 20.02 - [X.]E 119, 54 <59> und vom 10. November 2022 - 4 A 15.20 - NVw[X.] 2023, 678 Rn. 52).

Landesplanerische Festlegungen für die Antragsgegnerin trifft der Einheitliche Regionalplan [X.] ([X.]) als länderübergreifender Teilflächenplan (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 [X.]). Nach Nr. 1.7.2.2 Abs. 1 ([X.]) [X.] ([X.]entralitätsgebot) sind Einzelhandelsgroßprojekte in der Regel nur in den Ober-, Mittel- sowie in [X.] in den [X.] zulässig. Dieser [X.] ist nach seinem materiellen Gehalt ein [X.]iel der Raumordnung. Davon geht der Verwaltungsgerichtshof ohne Verstoß gegen [X.] Recht aus. Dass die landesplanerische Aussage im Weiteren eine Regel-Ausnahme-Struktur aufweist, steht ihrer Einordnung als [X.]iel der Raumordnung nicht entgegen. Denn eine landesplanerische Aussage mit einer solchen Struktur kann ein [X.]iel der Raumordnung sein, wenn der Planungsträger neben den Regel- auch die Ausnahmevoraussetzungen mit hinreichender tatbestandlicher Bestimmtheit oder doch wenigstens Bestimmbarkeit selbst festlegt ([X.], Urteil vom 18. September 2003 - 4 [X.]N 20.02 - [X.]E 119, 54 <60>).

Der geplante Lebensmitteleinzelhandel mit einer Verkaufsfläche von 1 200 m² ist ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb ([X.], Urteile vom 24. November 2005 - 4 [X.] 10.04 - [X.]E 124, 364 <366 f., 371, 374> und vom 9. November 2016 - 4 [X.] 1.16 - [X.] 406.11 § 34 [X.] Nr. 220 Rn. 10 f.) und damit ein Einzelhandelsgroßprojekt. Er ist nach Nr. 1.7.2.2 Abs. 1 ([X.]) [X.] auf dem Gebiet der Antragsgegnerin unzulässig, weil diese keine zentralörtliche Funktion wahrnimmt, auch nicht als Unterzentrum.

Nr. 3.3.7 Satz 1 ([X.]) [X.] als [X.]ielaussage des landesweiten [X.] nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] stimmt mit Nr. 1.7.2.2 Abs. 1 ([X.]) [X.] überein, so dass aus dieser Vorschrift nichts Abweichendes folgt.

2. Der Bebauungsplan ist an das [X.]entralitätsgebot als [X.]iel der Raumordnung nur angepasst im Sinne des § 1 Abs. 4 [X.], wenn die Antragsgegnerin sich auf die Ausnahme der Nr. 1.7.2.2 Abs. 2 ([X.]) [X.] berufen kann. Nach dieser Vorschrift kommen für Einzelhandelsgroßprojekte andere Standortgemeinden in Betracht, wenn dies ausschließlich zur Sicherung der Nahversorgung geboten ist und keine negativen Auswirkungen auf [X.]iele der Raumordnung zu erwarten sind. Die Nr. 1.7.2.3 ([X.]) [X.] ([X.]), Nr. 1.7.2.4 ([X.]) [X.] ([X.]) und Nr. 1.7.2.5 ([X.]) [X.] ([X.]) gelten entsprechend. Diese Ausnahmeregelung konkretisiert nach der für die auf die Revision ergehende Entscheidung gemäß § 173 Satz 1 VwGO und § 560 [X.]PO maßgebenden Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs die Anforderung der Nr. 3.3.7 Satz 2 1. Spiegelstrich ([X.]) [X.], die eine Ausnahme gestattet, wenn dies nach den raumstrukturellen Gegebenheiten zur Sicherung der Grundversorgung geboten ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat eine Ausnahme für ausgeschlossen gehalten, weil das Vorhaben mit dem als [X.] bezeichneten [X.] Nr. 1.7.2.4 ([X.]) [X.] nicht in Einklang stehe. Dies steht mit Bundesrecht nicht in Einklang. Der [X.] verbietet u. a., die Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich wesentlich zu beeinträchtigen (a). Die Festlegung überschreitet die [X.] (b). Sie ist als raumordnungsrechtliches [X.]iel auch unzulässig, wenn sie - wie hier - eine Ausnahme zum [X.]entralitätsgebot beschränkt (c).

a) Nach Nr. 1.7.2.4 ([X.]) [X.] dürfen Einzelhandelsgroßprojekte - erstens - die städtebauliche Entwicklung, Ordnung und Funktionsfähigkeit der Stadt- und Ortskerne der Standortgemeinde, - zweitens - anderer [X.]entraler Orte sowie - drittens - die Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich nicht wesentlich beeinträchtigen. Der [X.] Nr. 1.7.2.4 ([X.]) [X.] errichtet damit drei voneinander zu unterscheidende [X.]e. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich nur zum dritten Verbot geäußert und eine wesentliche Beeinträchtigung der Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich angenommen. Das Verbot ist nach seiner Auffassung verletzt, wenn die Geschäftsaufgabe eines raumordnungsrechtlich nicht unbeachtlichen, für eine Gemeinde wesentlichen Betriebs der Grund- und Nahversorgung droht. Der Landesentwicklungsplan regelt nichts Anderes. Denn Nr. 1.7.2.4 ([X.]) [X.] stimmt nach der für den Senat bindenden Auffassung der Vorinstanz mit den [X.]en in Nr. 3.3.7.1 Satz 2 ([X.]) und Nr. 3.3.7.2 ([X.]) [X.] überein.

b) Das auf die Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich bezogene [X.] ist als [X.]iel der Raumordnung unzulässig, wenn ein Bezug zum System [X.]entraler Orte fehlt. Davon geht der Verwaltungsgerichtshof zutreffend aus ([X.]) (ähnlich [X.], [X.]fBR 2015, 124 <127>; [X.], in: [X.]/[X.]inkahn/[X.]/[X.], [X.], Stand: Oktober 2022, § 1 Rn. 59; [X.]., in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2018, § 4 Rn. 193; zweifelnd Kuschnerus/Bischopink/[X.], Der standortgerechte Einzelhandel, 2. Aufl. 2018, Rn. 471; weitergehend [X.], in: [X.]/[X.] , Raumordnungsplanung quo vadis?, 2012, 103 <125>; a. A. möglicherweise Grotefels, in: [X.], [X.], 2019, § 13 Rn. 118).

Ein so formuliertes [X.] überschreitet die durch Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG eröffnete Kompetenz für das Raumordnungsrecht. Raumordnung ist die zusammenfassende, übergeordnete Planung und Ordnung des Raums. Sie ist übergeordnet, weil sie überörtliche Planung ist und weil sie vielfältige Fachplanungen zusammenfasst und aufeinander abstimmt (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 7 [X.]; [X.], Gutachten vom 16. Juni 1954 - 1 [X.] - [X.]E 3, 407 <425>). Maßgeblich ist eine räumlich-funktionale Abgrenzung ([X.], in: [X.]., [X.], 2019, Grundlagen, Rn. 47). Die Raumordnung hat im Interesse der räumlichen Gesamtentwicklung alle auftretenden Nutzungsansprüche an den Raum und alle raumbedeutsamen Belange zu koordinieren und in diesem [X.]usammenhang unter anderem verbindliche Vorgaben für nachgeordnete Planungsstufen zu schaffen ([X.], Urteil vom 17. September 2003 - 4 [X.] 14.01 - [X.]E 119, 25 <38 f.>). Es kommt auf den [X.] an, den etwa ein konkretes Vorhaben im Hinblick auf überörtliche und damit raumbedeutsame Belange auslöst ([X.], Urteil vom 15. Mai 2003 - 4 [X.]N 9.01 - [X.]E 118, 181 <186>). Der zu bewältigenden Aufgabe muss ein Gewicht zukommen, das über das Gebiet einer Gemeinde hinausreicht ([X.], in: [X.], 1995, 201 <218>). Diese am [X.] orientierte Abgrenzung lässt es nicht zu, einen Sachverhalt schon dann für raumordnungsrechtlich regelungsfähig zu halten, wenn er nur in irgendeiner Weise über das Gebiet einer Gemeinde hinausreicht ([X.], [X.]fBR 2011, 436 <438 f.>; a. A. Lieber NVw[X.] 2011, 910 <911>) und so einen in der Abwägung zu bewältigenden Bedarf nach interkommunaler Abstimmung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 [X.] auslöst.

Der Schutz der Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich durch einen Schutz vorhandener Betriebe ungeachtet ihrer Größe und Lage löst weder stets noch zumindest regelhaft Bedarf nach raumordnerischer Koordinierung aus. So mag der Bürgermarkt auf dem Gebiet der Antragstellerin zwar der wesentliche, weil einzige Nahversorger sein. Er ist aber - so auch die Einschätzung der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung - weder nach Umsatz noch nach [X.]uschnitt geeignet, den Bedarf der dort lebenden Bevölkerung nach Lebensmitteln, Getränken, Drogeriewaren und Kosmetik vollständig oder zumindest überwiegend zu befriedigen. Es mag allenfalls angenommen werden, dass er für die Nahversorgung einer älteren, nicht-mobilen Bevölkerung im fußläufig zu erreichenden Umfeld von herausgehobener Bedeutung ist. Dies genügt für sich genommen noch nicht, um einen raumordnerischen [X.] auszulösen.

Dem Begriff der Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich fehlt darüber hinaus der Raumbezug. [X.]war nennt er den Einzugsbereich als räumliche Grenze, lässt die Siedlungsstruktur aber im Übrigen außer Betracht. Darin unterscheidet er sich von den anderen [X.]en der Nr. 1.7.2.4 ([X.]) [X.]. Diese verbieten die wesentliche Beeinträchtigung von Stadt- und Ortskernen der Standortgemeinde und anderer [X.]entraler Orte. Sie schützen zentrale Versorgungsbereiche und damit bestimmte oder jedenfalls bestimmbare Gebiete, die eine raumordnerisch erwünschte Struktur bilden (vgl. [X.], Begründung zu Nr. 1.7.2.4 <[X.]>, [X.] mit dem Hinweis auf [X.], Urteil vom 11. Oktober 2007 - 4 [X.] 7.07 - [X.]E 129, 307). Dem Begriff der Nahversorgung in der Lesart des Verwaltungsgerichtshofs fehlt ein solcher Bezug zum Raum und seinen Funktionen, er erfasst vielmehr auch Betriebe, deren Standort zu [X.]ielen oder Grundsätzen der Raumordnung in Wi[X.]pruch oder einem Spannungsverhältnis steht.

Bei der Abgrenzung der Raumordnung vom Städtebaurecht ist zu berücksichtigen, welche Organe oder Stellen über die besten Voraussetzungen für eine möglichst sachgerechte Entscheidung verfügen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 2015 - 2 BvR 1282/11 - [X.]E 139, 321 Rn. 125). Im Gebiet des Einheitlichen Regionalplans [X.] und des Landesentwicklungsplans nimmt eine Vielzahl von Betrieben Aufgaben der Nahversorgung wahr. Eine raumordnerische [X.]ielvorgabe, welche vorhandene Betriebe der Nahversorgung vor existenzbedrohenden Beeinträchtigungen durch Einzelhandelsgroßprojekte in anderen Gemeinden schützt, müsste für eine kaum überschaubare Vielzahl von Fallgestaltungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 [X.] abschließend abgewogen erscheinen. Eine solche Abwägung auf der Planungsebene der Raumordnung (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 [X.]) erscheint schwerlich sachgerecht möglich, wenn die planende Stelle nicht auf ein analytisches Modell wie das der zentralen Orte ([X.]/[X.], in: [X.], [X.], 9. Aufl. 2019, § 1 Rn. 100) zurückgreifen kann.

Der Senat hat erwogen, ob das Verbot einer wesentlichen Beeinträchtigung der Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich so ausgelegt werden kann, dass die der Raumordnung kompetenzrechtlich gesetzten Grenzen gewahrt werden. Für eine solche Auslegung ist indes nichts ersichtlich. Insbesondere geben weder die Begründung des Einheitlichen Regionalplans [X.] (dort [X.]) noch des Landesentwicklungsplans (dort [X.]) Anhaltspunkte, welche raumordnerischen Vorstellungen der Plangeber mit dem Verbot verbunden haben könnte.

c) Nach Auffassung der Vorinstanz ist das Verbot einer wesentlichen Beeinträchtigung der Nahversorgung der Bevölkerung zu beachten, wenn es für eine Ausnahme vom [X.]entralitätsgebot von Bedeutung ist. In diesem Fall sei es mit einem Grundpfeiler des [X.]entrale-Orte-Systems verknüpft und gehe über den Bereich interkommunaler Abstimmung hinaus ([X.]). Das steht mit Bundesrecht nicht in Einklang.

Das Verbot, die Nahversorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich wesentlich zu beeinträchtigen, ist als [X.]iel der Raumordnung unzulässig. Dies gilt auch, wenn es einer nicht zentral-örtlichen Gemeinde entgegengehalten wird, die sich auf eine Ausnahme zum [X.]entralitätsgebot beruft. Denn in diesem Fall schränkt das Verbot ebenso die gemeindliche Planungshoheit ein (vgl. [X.], Urteil vom 10. November 2011 - 4 [X.]N 9.10 - [X.]E 141, 144 Rn. 12), ohne sich auf eine auf raumordnerischen Erwägungen beruhende und abschließende Abwägung stützen zu können. Das Verbot erscheint in diesem Fall nicht deswegen raumordnungsrechtlich zulässig, weil es die Ansiedlung von [X.] in nicht zentral-örtlicher Lage erschwert. Dies mag als Reflex dem Schutz zentraler Orte dienen, lässt das [X.] aber nicht zu einer zulässigen raumordnerischen Regelung werden. Auf die von der Antragsgegnerin zur Beweislast aufgeworfenen Frage kommt es daher nicht an.

Der Senat kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen nicht entscheiden, ob der Bebauungsplan den [X.]ielen der Raumordnung, insbesondere dem [X.]entralitätsgebot, angepasst ist. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, ob der Lebensmittelmarkt im Sinne von Nr. 1.7.2.2 Abs. 2 Satz 1 ([X.]) [X.] ausschließlich zur Sicherung der Nahversorgung geboten ist. Die tatrichterlichen Feststellungen erlauben ferner keine Entscheidung, ob der Plan an anderen Mängeln leidet, die zu seiner Unwirksamkeit führen. Die Sache ist daher nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen.

Meta

4 CN 10/21

23.05.2023

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: CN

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 20. Oktober 2020, Az: 3 S 559/19, Urteil

§ 1 Abs 4 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.05.2023, Az. 4 CN 10/21 (REWIS RS 2023, 5441)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5441


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 3 S 559/19

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 3 S 559/19, 20.10.2020.


Az. 4 BN 5/21, 4 BN 5/21 (4 CN 10/21)

Bundesverwaltungsgericht, 4 BN 5/21, 4 BN 5/21 (4 CN 10/21), 24.11.2021.


Az. 4 CN 10/21

Bundesverwaltungsgericht, 4 CN 10/21, 23.05.2023.


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