Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2012, Az. 5 StR 428/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 2571

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen



5 [X.]/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 9. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen

wegen Vergewaltigung u.a.

-
2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 9. Oktober 2012
beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil
des Land-gerichts [X.] vom 22. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a)
soweit der Angeklagte wegen der Taten 1 bis 3 (Verge-waltigung, vorsätzliche Körperverletzung in zwei Fällen) verurteilt worden ist, und

b)
im gesamten Rechtsfolgenausspruch.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.].

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und we-gen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheits-strafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Ferner hat es ihn verurteilt, an die h-tet sich die auf Verfahrensrügen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sie erzielt mit einer [X.]
-
3
-

rüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie un-begründet nach § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen des [X.] unterhielten der Ange-klagte und die Nebenklägerin seit Februar 2009 eine sich bis in [X.] 2010 erstreckende Intimbeziehung.

a) Bereits zu Anfang, nämlich zwischen dem 16. April und dem 19.
Juni 2009, schlug und trat der Angeklagte die Nebenklägerin gegen Kopf und Oberschenkel, weil sie einen Trennungswunsch ausgesprochen hatte; sie war wegen der Gewalttätigkeit des Angeklagten so sehr verängstigt, dass sie einnässte (Tat 1

Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate). Noch am Abend desselben Tages vergewaltigte der Angeklagte die Nebenklägerin und [X.] sie dabei so stark, dass sie kaum noch atmen konnte und Todesangst litt; abermals hatte die Nebenklägerin zuvor gesagt, sich vom Angeklagten tren-nen zu wollen (Tat 2

Einsatzstrafe von drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe).

b) Trotz der Taten blieb die Nebenklägerin mit dem Angeklagten zu-sammen. Grund war ihre Angst vor weiteren Gewalttätigkeiten, jedoch auch,
). Die weitere Beziehung war geprägt von häufigen [X.], teils auch unter Hinzuziehung weite-rer Sexualpartner, namentlich in Swingerclubs. In der Wohnung wurden Spiegelfliesen angebracht, um die Selbstbeobachtung beim Geschlechtsver-kehr zu ermöglichen. Beide ließen sich [X.] anbringen sowie den Vornamen des jeweils anderen auf den Rücken tätowieren. Die Nebenkläge-rin schenkte dem Angeklagten im [X.] 2009 eine teure Motorradjacke und finanzierte ihm im Frühjahr 2010 ein Motorrad im Wert von

Mitte des Jahres 2010 verschlechterten sich die Verhältnisse. Die [X.] erwirkte am 29. Juni 2010 eine Anordnung nach dem Gewalt-2
3
4
5
-
4
-

schutzgesetz gegen den Angeklagten und erstattete wegen verschiedener Vorfälle mehrfach Strafanzeige
gegen ihn. Dass sie von ihm im Früh-jahr
2009 schwer misshandelt und anschließend vergewaltigt worden war, erwähnte sie weder im Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz noch bei ihren Strafanzeigen. Sie offenbarte sich auch Vertrauenspersonen nicht. Trotz ihrer gegen den Angeklagten unternommen Maßnahmen hatte sie mit ihm weiterhin auch sexuelle Kontakte; Ende Juli 2010 verbrachten sie und der Angeklagte einen Urlaub in [X.]. Zuvor hatten sie eine Vielzahl lie-bevoller [X.] ausgetauscht. Nach Rückkehr aus dem Urlaub ver-schärften sich die Partnerschaftsprobleme. Gleichwohl verkehrten die [X.] und der Angeklagte geschlechtlich miteinander, so im Rahmen eines Besuchs in einem Swingerclub am 29. August 2010, und trafen sich ungeachtet von der Nebenklägerin im Rahmen des Gewaltschutzverfahrens danach unternommener Initiativen bis etwa Anfang November 2010 einver-nehmlich miteinander.

c) Am frühen Morgen des 12. November 2010 wartete der Angeklagte vor einem Club auf die Nebenklägerin, in dem
diese als Stripteasetänzerin arbeitete. Er geriet in Wut und biss die Nebenklägerin in die Nase, woraufhin diese ihm Reizgas ins Gesicht sprühte; er schlug mit den Fäusten auf sie ein, bis sie sich nach einem weiteren Sprühstoß retten konnte (Tat 3

[X.]). Einige Stunden später passte der Angeklagte die Nebenklägerin vor ihrem Wohnhaus ab und verfolgte sie bei einem Flucht-versuch; er stieß sie mit der Folge von Schürfwunden in eine Hecke (Tat 4

Einzelfreiheitsstrafe vier Monate) und schlug deren ihr zu Hilfe eilenden Bekannten gegen den Kopf, wodurch er Platzwunden verursachte und [X.] zerstörte (Tat 5

Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate).

d) Mit ihrem Bekannten erstattete die Nebenklägerin noch am 12. No-vember
2010 (erneut) Strafanzeige gegen den Angeklagten. Abermals teilte sie die Taten 1 und 2 nicht mit. Den Vergewaltigungsvorwurf erhob sie erst in einem Telefongespräch mit einer Polizeibeamtin am 30. November 2010.
6
7
-
5
-

e) Bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung behauptete die [X.], es habe nach der Vergewaltigung keinen freiwilligen Ge-schlechtsverkehr mit dem Angeklagten mehr gegeben; sie habe sich beim r-maßen und aus Angst vor dem Angeklagten fortgesetzt.

Diese Aussage und eine Reihe von der Nebenklägerin in diesem Zu-sammenhang gemachter Einzelangaben hat das [X.] nach [X.] widerlegt. Die Unwahrheiten stellten die Glaubhaftigkeit ihrer Be-kundungen insbesondere zu den Taten 1 und 2 jedoch nicht in Frage. Sie beträfen nicht das Kerngeschehen. Das [X.] der Nebenkläge-r-drängungsmechanismen, die zu Erinnerungslücken bzw. zu der Unfähigkeit geführt haben, sich (und der Kammer) die noch lange Zeit nach der [X.] 69).

2. Die Revision dringt im Umfang der Aufhebung mit einer Verfahrens-rüge durch.

a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:

-psycho-n-klägerin, auf deren Aussage die Feststellungen zu den Taten 1 und 2 aus-schließlich beruhen, an einer psychischen Störung leide, die ihre Aussage-tüchtigkeit in Frage stelle. Zur Begründung führte sie das wechselvolle [X.] der Nebenklägerin im Rahmen der Beziehung sowie die Widersprüche in deren [X.] auf. Den

durch die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin befürworteten

Beweisantrag hat das [X.] wegen e-richtsbekannt, dass ambivalentes Beziehungsverhalten

insbesondere in 8
9
10
11
12
-
6
-

einer bereits mehrere Monate anhaltenden Trennungsphase

nicht unüblich ist und damit für sich gesehen keine Grundlage für die Annahme einer psy-

b) Mit dem [X.] geht der Senat trotz Nichtvorlage ei-niger im Beweisantrag benannter Schriftstücke von der Zulässigkeit der [X.] im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO aus. Denn das Urteil befasst sich eingehend mit den maßgebenden, auch von der Verteidigerin benannten Anknüpfungstatsachen in Bezug auf eine Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin, womit dem Senat die [X.] [X.] eröffnet ist (vgl. [X.], Urteil vom 20. März 1990

1 [X.], [X.]St 36, 384, 385 mwN, [X.] vom 23. Mai 2012

5 [X.], StraFo 2012,
268).

c) Die Rüge hat in der Sache Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden. Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht ([X.], Beschlüsse vom 1. März 1994

5 StR 62/94, StV
1994, 634, vom 29. Oktober 1996

4 StR 508/96, [X.], 106, vom 28. Oktober 2008

3 [X.], [X.], 346, 347, und vom 28.
Oktober 2009

5 [X.], [X.], 100, 101). Solche Umstände liegen hier vor.

Die [X.] legt ihrer Beweiswürdigung zugrunde, dass der [X.] der Zugang zu ihrer Erinnerung in Bezug auf die weitere Bezie-hung mit dem Angeklagten sowie hinsichtlich einiger sehr markanter Gege-hin zu vollständiger Amnesie verschlossen war. Betroffen ist insoweit unter anderem der gemeinsame Besuch im Swingerclub im August 2010, den die Nebenklägerin sogar noch bestritten hatte, nachdem ihr die Aufzeichnung 13
14
15
-
7
-

eines Telefongesprächs vorgespielt worden war, in dem sie sich beim [X.] bedankt und es als besonders wichtig be-

im Urteil nicht dargeleg-ter

besonderer Sachkunde durfte das [X.] aber nicht davon ausge-hen, ein Zustand gänzlicher Erinnerungslosigkeit an derartige Ereignisse bei andererseits voll erhaltenem Erinnerungsvermögen betreffend die Details viel weiter zurückliegender Ereignisse sei möglich und bei der Nebenklägerin eingetreten. Das [X.] hätte daher entsprechend dem [X.] des Angeklagten sachverständige Hilfe zuziehen müssen, um diesen Aspekt in Verbindung mit den weiteren Auffälligkeiten im (Aussage-) Verhal-ten der Nebenklägerin und dessen Auswirkungen auf die Beurteilung der Aussagetüchtigkeit insgesamt sachgerecht beurteilen zu können.

3. Die Ablehnung des Beweisantrags führt zur Aufhebung der Schuldsprüche hinsichtlich der Taten 1 und 2. [X.] wegen der Körperverletzung vom frühen Morgen des 12. Novem-ber
2010, die sich hinsichtlich des äußeren Ablaufs ebenfalls ausschließlich auf die Aussage der Nebenklägerin stützt. Den hierfür zugemessenen Ein-zelstrafen ist damit die Grundlage entzogen, ebenso der Verurteilung zur (300

4. Die Schuldsprüche wegen der Taten 4 und 5 werden von dem Rechtsfehler hingegen nicht berührt. Insoweit vermochte sich die [X.] auf Aussagen weiterer Zeugen zu stützen. Auch die insoweit verhängten rechtlich nicht zu beanstanden. Gleichwohl hebt der Senat den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf, um dem neuen Tatrichter eine ausgewogene Gewichtung der Rechtsfolgen zu ermöglichen.

16
17
-
8
-

5. Für die neue Hauptverhandlung wird auf Folgendes hingewiesen:

a) Sollte der Tatrichter abermals zu einer Verurteilung des Angeklag-ten wegen Vergewaltigung gelangen, wird er sich bei der [X.] und der im Ergebnis schwer nachvollziehbaren konkreten Strafbemessung sorgfältiger als bisher geschehen mit dem Umstand zu befassen haben, dass sich die Nebenklägerin mit dem Angeklagten nach den Taten aus dem [X.] offensichtlich vollständig ausgesöhnt hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. Juli 1996

2 [X.], [X.]R StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 13, und vom 29. August 2012

5 StR 332/12).

b) Die im angefochtenen Urteil angeordnete Unterbringung des Ange-klagten in der Sicherungsverwahrung erscheint auch für sich genommen durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Das Urteil stützt die Anordnung auf § 66 Abs. 1 StGB aF. Für die [X.] Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF sowie
die Annahme dadurch begründete erhebliche Gefahr weiterer schwerer Sexualstraftaten zieht es maßgebend eine Vorverurteilung wegen dreier [X.] aus dem [X.] heran ([X.]: [X.] und vier [X.] und zweimal [X.]). Indessen bedarf die Annahme des Hangs und der dadurch bedingten Gefährlichkeit

was das Urteil im Ansatz nicht ver-kennt

bei verschiedenartigen Delikten besonders sorgfältiger Prüfung (vgl. [X.], Beschluss vom 26. September 2007

5 [X.], [X.], 633; LK/[X.]/[X.], 12. Aufl., § 66 Rn. 219; jeweils mwN). Liegen den Taten

wie hier

ganz andersartige Beweggründe und seelische Ein-stellungen zugrunde, werden Hangtätereigenschaft und Gefahr dabei nur sehr selten bejaht werden können ([X.]/[X.] aaO). Ein sol-cher Ausnahmefall ist vorliegend nicht ersichtlich. Aus dem bloßen Hinweis darauf, dass die Begehung der Betäubungsmitteldelikte Ausprägung der dis-sozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten sei ([X.]), lässt sich 18
19
20
21
-
9
-

deren Symptomwert für die Begehung künftiger schwerer Sexualstraftaten keinesfalls herleiten.

Bei der im angefochtenen Urteil für die Vergewaltigung verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten in Verbindung mit den [X.] von einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs wider-standsunfähiger Personen und von einem Jahr und neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß Urteil des [X.] [X.] vom 7.
April 2003 wäre die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsver-wahrung nach § 66 Abs. 2 StGB grundsätzlich in Betracht gekommen. Ihr würden indessen jedenfalls wegen des durch das Urteil des [X.] vom 4. Mai 2011 ([X.] 128, 326) vorgegebenen Grund-satzes strikter Verhältnismäßigkeit durchgreifende Bedenken entgegenste-hen.

[X.] Dölp

König Bellay

22

Meta

5 StR 428/12

09.10.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.10.2012, Az. 5 StR 428/12 (REWIS RS 2012, 2571)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2571

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 428/12 (Bundesgerichtshof)

Ablehnung von Beweisanträgen im Strafverfahren wegen Vergewaltigung: Eigene Sachkunde des Gerichts bei auffälligem Aussageverhalten einer …


5 StR 332/12 (Bundesgerichtshof)


5 StR 174/12 (Bundesgerichtshof)


5 StR 174/12 (Bundesgerichtshof)

Ablehnung von Beweisanträgen im Strafverfahren: Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit bei Vorwegnahme des Beweisergebnisses; eigene Sachkunde des …


3 StR 302/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Vergewaltigung: Tatrichterliche Sachkunde bezüglich der Aussagetüchtigkeit des Tatopfers; Beweiswürdigung bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellation


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 428/12

5 StR 174/12

5 StR 332/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.