Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2009, Az. 1 StR 618/08

1. Strafsenat | REWIS RS 2009, 5532

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[X.] vom 22. Januar 2009 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 22. Januar 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des [X.] vom 17. Juni 2008 aufgehoben. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung und die notwendigen Auslagen des [X.] fallen der Staatskasse zur Last. Die Entscheidung über die Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem [X.] vorbehalten. Gründe: 1. Das [X.] hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hierge-gen richtet sich die Revision des Verurteilten. Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an. 1 - 3 - 2. Nach den landgerichtlichen Feststellungen wurde gegen den bis dahin unbestraften Verurteilten durch das [X.] Augsburg mit rechtskräftigem Urteil vom 20. März 2003 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung (Fall 1), wegen vorsätzlichen Ein-griffs in den Straßenverkehr (Fall 2), vorsätzlicher Körperverletzung in Tatein-heit mit Beleidigung (Fall 3) sowie wegen Beleidigung in drei Fällen (Fälle 4 bis 6) eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten verhängt. 2 Dem lag zugrunde, dass der Verurteilte am 16. Juli 2002 eine ihm unbe-kannte Frau in einem Gebüsch mit Gewalt zu [X.], oralem und vaginalem Geschlechtsverkehr gezwungen hatte (Fall 1; Einzelstrafe: fünf Jahre Freiheits-strafe). Zuvor hatte er in einem Zeitraum von etwa zwei Monaten in Telefonaten mit Frauen, die sich bei ihm gemeldet hatten, nachdem er jeweils seine Tele-fonnummer an ihrem Auto hinterlassen hatte, sexualbezogene Reden geführt und dadurch vier von ihnen beleidigt (Fälle 3 bis 6), eine davon hierdurch zu-dem körperlich beeinträchtigt (Fall 3). Eine Frau hatte mit dem Verurteilten ein Treffen vereinbart, bei dem ihn jedoch ihr Freund zur Rede stellen wollte. Als der Freund sich deshalb dem Fahrzeug des Verurteilten näherte, fuhr dieser mit quietschenden Reifen davon, wobei der Freund der Frau von der noch offenen Beifahrertür gestreift und durch das Fahrmanöver gefährdet wurde (Fall 2). 3 3. Das [X.] hat mit dem angegriffenen Urteil das Vorliegen von vor dem Ende des Strafvollzugs erkennbaren Tatsachen, die auf eine erhebli-che Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hindeuten, bejaht (§ 66 b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 StGB). Als derartige —[X.] hat es [X.]: 4 - 4 - a) Am 26. März 2006 beschimpfte der Verurteilte einen Mithäftling mit —Du Türkensaufi. Auf dessen Erwiderung holte er zum Schlag aus, konnte [X.] durch [X.] zurückgedrängt werden. 5 b) Am 1. Juli 2006 trat der Verurteilte im Rahmen eines Fußballspiels ei-nem Mitgefangenen —mit voller Wucht den Fuß in die [X.] Als er daraufhin von einem [X.]n des Feldes verwiesen wurde, —baute er sich vor diesem [X.], so dass dieser befürchtete, er werde —augenblicklich zum Schlag gegen ihn ausholenfi; jedoch wurde er von Mitgefangenen abgedrängt. Nach dem Ende der Sportveranstaltung drohte er noch verbal dem Bedienste-ten sowie dem von ihm getretenen Mitgefangenen. 6 Der Verurteilte war auf die beiden Mitgefangenen eifersüchtig, weil diese seiner Ansicht nach mehr Zeit als er bei der Therapeutin, in die er sich —[X.] hatte, verbringen durften. 7 c) Am 21. Juli 2006 äußerte er gegenüber dem Leiter der sozialtherapeu-tischen Abteilung für Sexualtäter lautstark, dass —es gleich krachen würdefi. 8 d) Am 27. September 2005 schrieb er einen Brief an eine [X.], in dem er sexuelle Vorstellungen darlegte und entsprechende Fragen stell-te. 9 e) Am 14. Dezember 2005 wünschte er sich brieflich von einer anderen Frau —ein paar schöne Fotos, wenn möglich bitte oben ohnefi. Diesem Wunsch wurde entsprochen. Zudem thematisierte er sexuelle Vorstellungen. 10 f) Am 30. Juli 2006 bat er seine Schwester, ihm —ein sommerbezogenes aktuelles Fotofi von sich zu schicken. 11 - 5 - g) Ende 2005 wurde im Rahmen der Exploration durch einen psychiatri-schen Sachverständigen festgestellt, dass der Verurteilte —sexuelle Wünsche und Phantasien gegenüber seiner ehrenamtlichen [X.] hegte. 12 h) Anlässlich einer in anderer Sache am 27. April 2006 durchgeführten Vernehmung äußerte der Verurteilte gegenüber einem Polizeibeamten auf [X.] entsprechende Frage, dass —es – auch anders hätte kommen können, bis zur Tötung des [X.], wenn dieses bei der verurteilten Vergewaltigung (Fall 1) geschrien oder sich gewehrt hätte. 13 4. Diese Tatsachen haben - auch in der Gesamtschau - entgegen der Ansicht des [X.]s nicht das für die Anwendung des § 66b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB erforderliche Gewicht. Denn nach der gesetzlichen Konzeption soll die zeitlich unbefristete, außerordentlich beschwerende nachträgliche Siche-rungsverwahrung (BGHSt 51, 191, 196) nur bei einer geringen Anzahl denkba-rer Fälle in Betracht kommen, bei denen der Verurteilte zum Entlassungszeit-punkt als hochgefährlich einzustufen ist. Deshalb muss es sich bei den —[X.] um Tatsachen jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle handeln (vgl. BGHSt 50, 121, 124 f.; 51, 191, 195; BTDrucks. 15/2887 [X.], 12), d.h. sie müssen ungeachtet der notwendigen Gesamtwürdigung bereits für sich Ge-wicht haben, weil sie nur dann auf eine relevante Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen können (vgl. [X.], 29). 14 Vorfälle im Vollzug können die nachträgliche Anordnung der Sicherungs-verwahrung daher nur rechtfertigen, wenn sie auf eine Bereitschaft des [X.] hinweisen, schwere Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unver-sehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer zu begehen. Verhaltensweisen, die sich auf die [X.] zurückführen lassen und sich für Strafgefangene als typisch oder doch weit verbreitet darstellen, fallen 15 - 6 - nicht darunter ([X.], Kammer, [X.]. vom 23. August 2006 - 2 BvR 226/06; BGHSt 50, 284, 297 f.). Daran gemessen überschreiten die vom [X.] festgestellten, teil-weise auf dem Gefühl der Eifersucht beruhenden Verhaltensweisen des [X.] gegenüber Mitgefangenen und [X.]n die [X.] nicht. Dasselbe gilt für die vom Verurteilten geführte Korrespondenz, in der er sexuelle Wünsche und Phantasien äußerte, auf die zumindest eine Frau durch Übersendung der erbetenen Fotos einging. Es ist auch nicht er-kennbar, inwiefern es auf eine zukünftige gravierende Gefährlichkeit des [X.] hindeuten können soll, dass dieser gegenüber einem psychiatrischen Sachverständigen sich über sexuelle Wünsche und Phantasien hinsichtlich [X.] Betreuerin geäußert hat. Ungeachtet der Frage, ob diese Angaben [X.] sind, ergibt sich auch nichts anderes aus der Einschätzung des Verurteilten gegenüber dem Polizeibeamten über den möglichen Verlauf der [X.] zurückliegenden, ohnehin bereits ausgesprochen schwerwiegenden Vergewal-tigungstat, da sich ihr für die vorzunehmende Einschätzung der Wahrschein-lichkeit zukünftiger gewichtiger Straftaten nichts entnehmen lässt. Es bedarf danach keiner Entscheidung mehr, ob das [X.] den Umstand, dass der Verurteilte seit dem letzten als relevant bewerteten Geschehen am 30. Juli 2006 (Brief an seine Schwester) nicht mehr aufgefallen ist, zutreffend gewichtet hat. 16 5. Der Senat schließt aus, dass bei einer neuen Hauptverhandlung [X.] festgestellt werden könnten, die die Anordnung der nachträgli-chen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten und hat deshalb auf den Wegfall der Anordnung erkannt. 17 - 7 - 6. Die Entscheidung über eine Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen muss dem [X.] überlassen bleiben (vgl. [X.], 156, 159 m.w.N.). 18 [X.]Wahl Graf Jäger Sander

Meta

1 StR 618/08

22.01.2009

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2009, Az. 1 StR 618/08 (REWIS RS 2009, 5532)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 5532

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