Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2007, Az. 1 StR 391/07

1. Strafsenat | REWIS RS 2007, 2068

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] vom 12. September 2007 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung - 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 12. September 2007 be-schlossen: Die Revision des Betroffenen gegen das Urteil des [X.] vom 12. April 2007 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen. Gründe: Das [X.] hat die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Betroffenen mit der Rüge der Verletzung sachli-chen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. 1 I. 1. Der Betroffene war vom [X.] München II am 22. November 2001 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 245 Fällen sowie versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Miss-brauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. [X.] Gegenstand des Urteils waren sexuelle Übergriffe des Betroffenen auf seine am 9. September 1982 geborene Tochter [X.]und die am 5. Mai 1987 geborene Tochter [X.]

im Zeitraum zwischen September 1988 und März 2001. Der Betroffene führte die Taten in jeweils ähnlicher Weise 2 - 3 -aus. Seine Töchter mussten mehrfach sein Glied in den Mund nehmen, muss-ten ihn oral und mit der Hand befriedigen. Der Betroffene onanierte auch vor den Mädchen, küsste [X.] , leckte ihre Scheide und versuchte auch sein Glied in ihre Scheide einzuführen. Die Vorfälle fanden jeweils in der elterlichen Woh-nung statt. Die [X.] hatte zugunsten des Betroffenen das umfassende, von [X.] getragene Geständnis berücksichtigt. Dieses Geständnis erfolgte von Anfang an bereits vor der Polizei und wurde vom Betroffenen in der Hauptverhandlung voll aufrechterhalten. Er brachte von vornherein zum Aus-druck, dass er seinen Töchtern eine belastende Vernehmung in der [X.] unbedingt ersparen wollte. Der Betroffene zeigte eine [X.] in einem Umfange, wie sie bei derartigen Delikten selten vorkommt. Außerdem hatte die [X.] berücksichtigt, dass der Betroffene bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war und auch ihn die Folgen der Straftaten schwer getroffen hatten, weil seine Ehe zerstört war und er seine Arbeitsstelle verloren hatte. 3 2. Nach den Feststellungen der nunmehr befassten [X.] be-gann der Betroffene am 2. Oktober 2002 eine Therapie auf der sozialtherapeu-tischen Abteilung der [X.], die er am 21. Oktober 2003 abbrach. Nach seiner Rückverlegung in die [X.] wurde der Betroffene am 19. Juli 2004 in die dortige sozialtherapeutische Abteilung aufgenommen. Am 2. Juni 2005 wurde er aus der Behandlungsmaßnahme abgelöst und am 14. Juni 2005 in die [X.] verlegt. 4 Zum Verlauf der therapeutischen Maßnahmen hat die [X.] folgende Feststellungen getroffen: In der sozialtherapeutischen Abteilung der [X.] arbeitete der Betroffene zunächst in den Gruppensitzungen und 5 - 4 -den Einzelgesprächen engagiert mit. Nach etwa einem halben Jahr begann er, die Therapiesitzungen zunehmend zu sexualisieren. Seine Missbrauchsphanta-sien nahmen zu und gewannen verstärkt an Bedeutung. Er weigerte sich immer mehr, sich auf gruppentherapeutische Prozesse einzulassen und sich aktiv mit dem Bedeutungsgehalt seiner sexuellen Phantasien auseinanderzusetzen und Strategien zur Vermeidung künftiger [X.] zu entwickeln. Im Gegenteil nahm er die Hausaufgabe an, sich binnen einer Woche mit den abgeurteilten Taten auf mindestens einer Seite schriftlich auseinanderzusetzen. Dies nahm er zum Anlass, über mehrere Wochen einen etwa 400-seitigen Bericht zu fertigen. Neben den abgeurteilten Taten beschrieb er ausführlich sexuelle Erlebnisse und Phantasien mit kleinen Kindern und Mädchen. Dieser Bericht diente dem Betroffenen nicht zur Aufarbeitung der von ihm begangenen Straftaten, sondern als Mittel zur sexuellen Erregung, mit der er auch vor anderen Mitgefangenen aus der [X.] kokettierte, obwohl diese daran kein Interesse hatten. Im weiteren Therapieverlauf erklärte er mehrfach, dass er sich nicht mehr recht entscheiden könne, ob er seine Phantasien überhaupt loslassen wolle, wobei er angab, seine Phantasien selbst steuern zu können. Er eröffnete seiner Thera-peutin, die, wie auch der Leiter der sozialtherapeutischen Abteilung, ihn [X.] motivieren wollte, dass er definitiv den Abbruch und die sofortige Rückver-legung in die [X.] wünsche. In der sozialtherapeutischen Abteilung der [X.] war der [X.] anfangs einsichtig bezüglich des [X.] und er war interessiert und motiviert. Seine Bereitschaft nahm jedoch ab Februar 2005 kontinuierlich ab. Absprachen hielt er nicht ein und begann zunehmend, den Therapieinhalt zu sexualisieren, um sich dadurch auch zu stimulieren. In seiner [X.] zweimal ein Ordner mit Bildern spärlich bekleideter Kinder bzw. unbekleide-ter junger Mädchen und junger pubertierender Frauen gefunden. Diese Bilder dienten dem Betroffenen zur sexuellen Stimulation. Auch erledigte der [X.] - 5 -ne seine therapeutischen Hausaufgaben nicht, er brachte vielmehr zum Aus-druck, dass er durch seinen dicken Panzer nichts durchdringen lasse. Im Ver-laufe des Vollzuges in der [X.] äußerte der Betroffene gegenüber einem Mitgefangenen zweimal: —Ich stehe auf kleine Kinder und werde [X.] auch nach der Haft erneut mit Kindern einlassenfi. In der [X.] erklärte der Betroffene im Juli 2005 gegenüber [X.], nachdem ihn diese in der [X.] nach seinen Straftaten [X.] hatten: "Ich sitze wegen Kindesmissbrauch, stehe dazu und wenn ich rauskomme, mache ich weiter". Im Januar 2006 wurde ein Brief des Betroffenen angehalten, weil auf dem Briefumschlag ein vom Verurteilten selbst gezeichne-ter (durchgepauster) Säugling (sog. "Windel [X.]") unter einer Bettdecke mit erigiertem Penis (in Form einer eingezeichneten spitzen Erhebung in der [X.] am entsprechenden Körperbereich des Kindes) dargestellt war. 7 In der Hauptverhandlung erklärte der Betroffene, dass er nicht ohne eine Therapie "auf die Menschheit losgelassen werden wolle", auch wenn er [X.], "niemanden mehr anzurühren". 8 3. Das [X.] hat die Voraussetzungen der nachträglichen Siche-rungsverwahrung bejaht (§ 66b Abs. 1 StGB). Als neue Tatsachen im Sinne der Vorschrift hat es die konkrete Erweiterung des sexuellen Suchverhaltens auf Opfer außerhalb des engen [X.] gewertet. Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene bereits damals ein Kind außerhalb des engsten Familien-kreises missbraucht hatte, habe es im Ausgangsverfahren bis zu dessen [X.] nicht gegeben. Auch eine Wiederholungsgefahr sei für die damalige [X.] nur für die damals bestehende Familienbeziehung oder ähnlich gelagerte familiäre Konstellationen erkennbar gewesen. Beide Sachverständige hätten ausgeführt, dass die Erweiterung des sexuellen Suchverhaltens auf [X.] - 6 -te in einem das Rückfallrisiko deutlich erhöhenden "prognoserelevanten sym-ptomatischen Zusammenhang" stehe. Neu sei aber vor allem die zunehmende Dominanz der [X.] im Laufe des Strafvollzuges. Auch wenn dem Betroffenen im Ausgangsverfahren eine Vielzahl von Taten zur Last gelegt worden seien, hätten sich die [X.] erst im Verlauf des [X.] derart intensiviert und verselbständigt, dass sie als suchtartig zu be-zeichnen seien. Es könne deshalb letztlich dahinstehen, ob bei der Anlassverur-teilung eine Form der Pädophilie erkennbar gewesen wäre. Neue Tatsachen lägen dann vor, wenn ausreichende tatsächliche Anknüpfungstatsachen beleg-ten, dass sich eine bekannte oder erkennbare Störung in nicht vorhersehbarer Weise so vertieft und verändert habe, dass sie die Gefährlichkeit des Betroffe-nen in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lasse. Keine neuen Tatsachen stellten dagegen der zweimalige Abbruch bzw. die Ablösung des Betroffenen aus der Therapie dar, weil im Anlassverfahren die Notwendigkeit einer Sexualtherapie überhaupt nicht thematisiert worden sei und der Betroffene keine Therapiewilligkeit bekundet habe. 10 In seiner Gesamtwürdigung kommt das [X.] sachverständig be-raten zu der Einschätzung, dass beim Betroffenen zwar keine Kernpädophilie zu diagnostizieren sei, sich das Rückfallrisiko aufgrund der Entwicklung zu suchtartigen [X.] und die Ankündigung gleichartiger [X.] Straftaten [X.] ausgehend von einer statistischen [X.] von etwa 35 % - als doppelt so hoch anzuse-hen sei. Die [X.] hat auch angenommen, dass der Betroffene in [X.] nach seiner Haftentlassung erhebliche einschlägige Straftaten begehen werde. Damit sei die geforderte konkrete erhebliche Wahrscheinlich-keit schwerer Schädigung von Personen auch gegenwärtig. 11 - 7 -4. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand. 12 a) Das [X.] hat die Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 1 StGB zu Recht bejaht. 13 b) Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung setzt [X.] voraus, dass nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allge-meinheit hinweisen ([X.], 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562; 2006, 155 f.). Demgegenüber scheiden Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren oder die er hätte erkennen und erforderlichenfalls aufklären müssen, als "neue" Tatsachen aus. Das Verfahren nach § 66b Abs. 1 und 2 StGB dient nicht der Korrektur früherer Entscheidungen, in denen derartige Tatsachen bei der Entscheidung über die Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB unberück-sichtigt geblieben sind. 14 - 8 - Nach diesen Kriterien ist das [X.], ohne dass der Senat hierzu weitere Ausführungen machen müsste, rechtsfehlerfrei vom Vorliegen "neuer" Tatsachen im Sinne des § 66b StGB ausgegangen und hat im Rahmen einer durchgeführten Gesamtwürdigung rechtsfehlerfrei die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ausgesprochen. 15 [X.]Wahl Boetticher Kolz Elf

Meta

1 StR 391/07

12.09.2007

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2007, Az. 1 StR 391/07 (REWIS RS 2007, 2068)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 2068

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 37/05 (Bundesgerichtshof)


1 StR 40/10 (Bundesgerichtshof)

Nachträgliche Sicherungsverwahrung: Psychiatrische Befundtatsachen als "neue" Tatsachen und Erfordernis einer individuellen Gefährlichkeitsprüfung anstelle des Zurückgreifens …


1 StR 595/09 (Bundesgerichtshof)

Nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung: Vorliegen neuer Tatsachen bei Therapieunfähigkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten …


3 StR 394/10 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverwahrung: Anordnung der Maßregel im Nachverfahren nach fehlerhaftem Vorbehalt


1 StR 40/10 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.