Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2005, Az. IX ZR 281/03

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2005, 3927

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.] ZR 281/03
Verkündet am: 21. April 2005 [X.] als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: ja

[X.] § 1 Satz 1, §§ 35, 85; ZPO § 240

a) Der Verwalter ist auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesell-schaft befugt, einen Massegegenstand freizugeben.
b) Erklärt der Verwalter die Freigabe eines vom Schuldner rechtshängig gemachten Anspruchs, wird dadurch der [X.] aufgehoben mit der Folge, daß die Unterbrechung des Verfahrens endet.

[X.], Urteil vom 21. April 2005 - [X.] OLG [X.]

[X.] - 2 -

- 3 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2005 durch [X.] [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.]

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Zwischenurteil des Ober-landesgerichts [X.] - 14. Zivilsenat in [X.] - vom 25. Juli 2003 aufgehoben.

Der Rechtsstreit ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr unterbrochen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die klagende GmbH und [X.] hat die Beklagte auf Ersatz eines ihr angeblich durch die Pressemitteilung eines Beamten der [X.] verursach-ten Schadens von mehr als 6 Mio. DM sowie auf Feststellung des Bestehens weiterer Schadensersatzansprüche ab Beginn des Geschäftsjahres 2000 in Anspruch genommen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen.

Nach Eingang der Berufungsbegründung ist über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter hat gegenüber den Geschäftsführern der Komplementär-GmbH der Klägerin er-- 4 - klärt, er gebe den Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte frei. Daraufhin hat die Klägerin die Aufnahme des Rechtsstreits erklärt und [X.], unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach ihren erstinstanzli-chen Anträgen zu erkennen. Das Berufungsgericht hat nach mündlicher Ver-handlung durch Zwischenurteil ausgesprochen, daß der Rechtsstreit infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen sei (veröffentlicht in [X.], 1510). Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision (Beschl. v. 8. Juni 2004 - [X.], 1656) begehrt die Klägerin, die angefochtene Ent-scheidung aufzuheben.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Die Klägerin ist befugt, den Rechtsstreit im ei-genen Namen fortzusetzen.

[X.]

Das Berufungsgericht meint, das Berufungsverfahren sei nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin weiterhin unterbro-chen. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Personengesellschaft, deren persönlich haftende Gesellschafterin weder eine natürliche Person noch eine nicht insolvente juristische Person sei, könne der Verwalter keine streitbe-fangenen Massegegenstände freigeben. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle das Vermögen einer solchen Gesellschaft vollständig abgewickelt wer-den, so daß sich an das Insolvenzverfahren keine gesellschaftsrechtliche Li-- 5 - quidation anschließe. Es sei zudem mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens, eine maximale Gläubigerbefriedigung zu erzielen, nicht vereinbar, dem [X.] das Freigaberecht zu geben. Der Verwalter sei bei Verneinung einer Frei-gabemöglichkeit auch nicht gezwungen, wenig aussichtsreiche Prozesse fort-zuführen; denn er könne die Klage zurücknehmen oder ein Verzichtsurteil er-wirken.

I[X.]

Das Berufungsgericht folgt einer in der Literatur insbesondere von [X.] ([X.] 1994, 309 ff; [X.], 1913, 1916 f; ebenso [X.], [X.]. Rn. 133 ff; [X.]/[X.], [X.] § 35 Rn. 148) ver-tretenen Auffassung. Der Senat hat dagegen bereits in dem noch zur [X.] ergangenen Urteil vom 5. Juli 2001 ([X.] 148, 252, 258 f) zum Ausdruck gebracht, daß die nach früherem Recht allgemein aner-kannte generelle Freigabebefugnis des Verwalters durch die [X.] nicht beseitigt worden sei. Diese in Rechtsprechung und Schrifttum ganz über-wiegend vertretene Auffassung ([X.] ZIP 2004, 2145, 2147; OLG Naum-burg Z[X.] 2000, 154, 155; OLG Rostock Z[X.] 2000, 604, 605; OLG Stuttgart OLGR 2004, 89, 90; [X.]/Prütting/Lüke, [X.] § 80 Rn. 9 f, § 85 Rn. 69 f; MünchKomm-[X.]/[X.], § 35 Rn. 107 ff; MünchKomm-[X.]/[X.], § 85 Rn. 26 ff; [X.]/[X.]/[X.], [X.] § 36 Rn. 48 ff; [X.]/Uhlen-bruck, Insolvenzrecht Rn. 494; [X.], [X.] 2. Aufl. § 80 Rn. 30, § 85 Rn. 18; [X.], [X.] 12. Aufl. § 35 Rn. 24; [X.], Festschrift für [X.] S. 291, 300 ff; [X.]/[X.] WM 1999, 2336, 2345 f) erweist sich auch unter Be-rücksichtigung der Argumentation des Berufungsgerichts als zutreffend. Im [X.] 6 - solvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person ist der [X.] ebenfalls befugt, einzelne Gegenstände aus der Masse freizu-geben.
1. Diese Befugnis mit der Folge, daß der [X.] erlischt und der Schuldner die Verfügungsbefugnis zurück erhält, ist in der Insolvenzord-nung nicht näher geregelt. Wie die Vorschrift des § 32 Abs. 3 [X.] zeigt, geht das Gesetz allerdings ohne weiteres davon aus, daß dem Insolvenzverwalter ein solches Recht zusteht. Im Grundsatz wird das Freigaberecht demzufolge in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt.
2. Die ein Freigaberecht des Insolvenzverwalters bei juristischen Perso-nen leugnende Auffassung beruft sich insbesondere auf die im [X.] zur [X.] in § 1 Abs. 2 Satz 3 vorgesehene Vorschrift. [X.] tritt das Insolvenzverfahren bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit an die Stelle der gesellschafts- oder organisations-rechtlichen Abwicklung. In der Begründung dazu heißt es, ein gegebenenfalls verbleibendes Restvermögen solle unter den an der Schuldnerin beteiligten Personen verteilt werden ([X.]. 12/2443, [X.]). Diese Bestimmung wurde später vom Rechtsausschuß des [X.] gestrichen, um die Vorschrift zu straffen und auf ihre wesentlichen Ziele zurückzuführen ([X.]. 12/7302, [X.]). Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Entschließung eine Änderung des vom Gesetzgeber dem § 1 [X.] zunächst zugewiesenen Inhalts zur Folge hat (vgl. dazu [X.] 148, 252, 258; [X.], aaO; [X.] aaO Rn. 135); denn auch aus der ursprünglich geplanten Gesetzesfassung hätte sich nicht herlei-ten lassen, daß dem Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer [X.] versagt ist. - 7 -

Das Insolvenzverfahren dient vorrangig dazu, die Gläubiger des [X.] gemeinschaftlich zu befriedigen, indem dessen Vermögen verwertet und der Erlös verteilt wird (§ 1 Satz 1 [X.]). Dieser Grundsatz galt auch nach der zunächst beabsichtigten gesetzlichen Fassung ohne jede Einschränkung. Die Begründung des [X.] hebt deshalb die bestmögliche Befriedi-gung der Gläubiger als Hauptziel des Verfahrens besonders hervor ([X.]. 12/2443, [X.]). Daraus folgt, daß das Ziel einer Vollbeendigung der [X.] im Insolvenzverfahren jedenfalls dort zurücktreten muß, wo es in [X.] zu den Belangen der Gläubigergesamtheit gerät. Das berechtigte Interesse der Gläubiger, aus der Masse eine Befriedigung ihrer Ansprüche zu erhalten und deshalb möglichst die Entstehung von Verbindlichkeiten zu [X.], die das zur Verteilung zur Verfügung stehende Vermögen schmälern, hat im Rahmen der insolvenzrechtlichen Abwicklung unbedingten Vorrang.

3. Ein rechtlich schutzwürdiges Bedürfnis, dem Verwalter die Möglichkeit der Freigabe einzuräumen, besteht regelmäßig dort, wo zur Masse Gegen-stände gehören, die wertlos sind oder Kosten verursachen, welche den zu [X.] Veräußerungserlös möglicherweise übersteigen. Dies hat insbeson-dere bei [X.] belasteten oder erheblich kontaminierten Grundstücken große praktische Bedeutung. Es wäre mit dem Zweck der Gläu-bigerbefriedigung nicht zu vereinbaren, wenn der Insolvenzverwalter in solchen Fällen gezwungen wäre, Gegenstände, die nur noch geeignet sind, das Schuldnervermögen zu schmälern, allein deshalb in der Masse zu behalten, um eine Vollbeendigung der Gesellschaft zu bewirken ([X.], aaO S. 302 f; MünchKomm-[X.]/[X.], aaO Rn. 114; [X.], aaO; vgl. auch [X.] aaO). - 8 - 4. Der Ausschluß des [X.] ließe sich zudem nicht mit § 85 Abs. 2 [X.] vereinbaren. Nach dieser Vorschrift steht es dem Insolvenzverwal-ter generell frei, die Aufnahme eines bei Verfahrenseröffnung anhängigen [X.] abzulehnen. In diesem Falle kann aber der Schuldner den Rechtsstreit aufnehmen. Die Ablehnung der Aufnahme des Prozesses ist da-nach notwendigerweise mit der Freigabe des streitgegenständlichen [X.] verbunden; denn der Schuldner erhält die gesetzliche Prozeßfüh-rungsbefugnis nur zurück, sofern der Streitgegenstand wieder zum massefreien Vermögen gehört (vgl. [X.], aaO S. 303 f).

5. Die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung führt auch im hier vorliegenden Rechtsstreit zu keinem sachgerechten Ergebnis. Wie das [X.] im Ansatz zutreffend ausführt, bliebe dem Verwalter, der die Aufnahme des Prozesses nicht ablehnen kann, nur die Möglichkeit, die Klage mit Zustimmung des Gegners zurückzunehmen oder ein Verzichtsurteil zu [X.]. Damit wäre er jedoch in die Verantwortlichkeit für den Prozeß einge-treten, womit die gesamten Kosten des Rechtsstreits eine Masseverbindlichkeit darstellen würden ([X.]/[X.], [X.] § 55 Rn. 21; MünchKomm-[X.]/He-fermehl, § 55 Rn. 45 [X.]. 86). Dies bestätigt die Wertung, daß das Prinzip der Vollbeendigung einer juristischen Person sich mit dem Ziel der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung ebensowenig vereinbaren läßt wie mit der in § 85 Abs. 2 [X.] normierten verfahrensrechtlichen Regel. Den schutzwürdigen Belangen aller Beteiligten ist dadurch ausreichend Rechnung getragen, daß der [X.], sofern er von der Freigabebefugnis in schuldhaft pflichtwidriger Weise Gebrauch macht, gemäß § 60 Abs. 1 [X.] auf Schadensersatz haftet.

- 9 - II[X.]

Der Insolvenzverwalter hat ausdrücklich klargestellt, daß seine Erklä-rung eine echte Freigabe enthalte, die zum Erlöschen des [X.]s und zur Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis durch die Schuldnerin führe. Ein eventuell von ihr im [X.] erzieltes Vermögen fällt daher nicht ge-mäß § 35 [X.] in die Masse (vgl. dazu [X.], aaO S. 296 ff). Damit besteht das in § 240 ZPO geregelte [X.] nicht mehr. Der Rechtsstreit ist fortzuführen.

[X.]

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind Teil der Kosten der [X.] (vgl. [X.]/Prütting, 2. Aufl. § 280 Rn. 13).
[X.] [X.]

[X.]

[X.]

[X.]

Meta

IX ZR 281/03

21.04.2005

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2005, Az. IX ZR 281/03 (REWIS RS 2005, 3927)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 3927

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