Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.03.2017, Az. 9 B 64/16

9. Senat | REWIS RS 2017, 14604

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Gegenstand

Zweitwohnungssteuerpflicht bei unentgeltlicher Überlassung von Wohnungen an Familienangehörige


Leitsatz

Der Verleiher einer Wohnung kann sich der für die Zweitwohnungssteuerpflicht erforderlichen Verfügungsmacht außer durch Vereinbarung eines mietähnlichen Kündigungsschutzes auch durch eine im Einvernehmen mit dem Entleiher getroffene Zweckbestimmung der Leihe begeben. Unter solchen Umständen darf er die Wohnung gemäß § 604 Abs. 2 BGB grundsätzlich erst zurückfordern, nachdem der Entleiher den sich aus dem Zweck der Leihe ergebenden Gebrauch gemacht hat oder hätte machen können (wie BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2016 - 9 C 28.15).

Gründe

1

Die Klägerin ist Eigentümerin eines von ihr bewohnten Einfamilienhauses und darüber hinaus eines weiteren, rund 800 m entfernten Wohnhauses. Dieses verfügt über zwei Wohnungen, in denen seit 2001 die beiden Töchter der Klägerin samt ihren jeweiligen Familien mit Hauptwohnsitz leben. Schriftliche Miet- oder Leihverträge wurden seinerzeit nicht abgeschlossen. Für das zuletzt genannte Wohnhaus zog die [X.]eklagte die Klägerin für mehrere Steuerjahre zur Zweitwohnungssteuer heran. Das Oberverwaltungsgericht hat die Steuerbescheide aufgehoben und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2

Die zulässige [X.]eschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Die Revision ist weder wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 1.) noch wegen einer Abweichung von einer Entscheidung des [X.] oder des [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO; 2.) zuzulassen.

3

1. Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von [X.]edeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 2. August 2006 - 9 [X.] 9.06 - NVwZ 2006, 1290 Rn. 5 und vom 22. Januar 2014 - 9 [X.] 56.13 - juris Rn. 4). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

4

Die Frage,

ob bei der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung an Familienangehörige zum Zwecke der Nutzung als Wohnraum davon auszugehen ist, dass kein zweitwohnungssteuerpflichtiger Aufwand im Sinne von Art. 105 Abs. 2a Satz 1 [X.] betrieben wird,

lässt sich auf der Grundlage des inzwischen ergangenen Urteils des [X.] vom 11. Oktober 2016 - 9 [X.] 28.15 - (juris Rn. 13 f., 17, 28) beantworten, ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Danach ist die unentgeltliche Wohnungsüberlassung an Familienangehörige zu Wohnzwecken dann kein zweitwohnungssteuerpflichtiger Aufwand im Sinne von Art. 105 Abs. 2a Satz 1 [X.], wenn die Wohnung für unbestimmte Zeit im Rahmen eines Leihverhältnisses überlassen wird, das nur nach den [X.]estimmungen der §§ 573 ff. [X.]G[X.] für ein Mietverhältnis über Wohnraum gekündigt werden kann, oder wenn der Verleiher im Einvernehmen mit dem Entleiher eine Zweckbestimmung getroffen hat und die Wohnung daher nur nach Maßgabe von § 604 Abs. 2 [X.]G[X.] zurückfordern kann. Demgegenüber liegt zweitwohnungssteuerpflichtiger Aufwand vor, wenn dem Familienangehörigen die Wohnung nur tatsächlich oder im Rahmen eines [X.] überlassen worden ist, der eine Abrede über die Geltung mietrechtlicher Kündigungsvorschriften nicht enthält und bei dem die Dauer der Leihe weder bestimmt noch aus ihrem Zweck zu entnehmen ist.

5

Einen darüber hinausgehenden abstrakten Klärungsbedarf zeigt die Klägerin nicht auf. Es ist insbesondere geklärt, dass nicht jede unentgeltliche Überlassung einer Wohnung an einen Familienangehörigen einen Leihvertrag darstellt, der die für die Erhebung der Zweitwohnungssteuer notwendige Verfügungsmacht entfallen lässt. Vielmehr kommt es auf die konkrete Abrede zwischen den Familienangehörigen an, die anhand der im oben genannten Urteil genannten Kriterien zu bewerten ist.

6

Auf einen grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich des revisiblen Rechts führt auch nicht der von der [X.]eschwerde eingeführte [X.]egriff des steuerrechtlichen Fremdvergleichs. Die Rechtsprechung des [X.]undesfinanzhofs macht die steuerliche Anerkennung von Vertragsverhältnissen zwischen nahestehenden Personen zwar regelmäßig davon abhängig, dass die Verträge bürgerlich-rechtlich wirksam vereinbart worden sind und sowohl in ihrer Gestaltung als auch in ihrer tatsächlichen Durchführung dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (s. nur [X.]FH, Urteil vom 4. Oktober 2016 - [X.]/16 - [X.]FHE 255, 259 Rn. 19 m.w.N.). Rechtsgrundlage des Fremdvergleichs sind aber vornehmlich die §§ 85, 88 AO ([X.]FH a.a.[X.] Rn. 20), die in [X.]ezug auf die [X.] nicht als [X.]undesrecht, sondern - vermittelt über das jeweils anwendbare Kommunalabgabengesetz (hier § 11 Abs. 1 KAG SH) - als irrevisibles Landesrecht Anwendung finden (in diesem Sinne bereits [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 5. März 1996 - 8 [X.] 2.96 - juris Rn. 12 f., vgl. auch allgemein Urteil vom 27. Juni 2012 - 9 [X.] 7.11 - [X.]VerwGE 143, 222 Rn. 10 m.w.N.). Ob und inwieweit die vom [X.]undesfinanzhof für andere Steuerarten, namentlich die Einkommensteuer, entwickelten Anforderungen an den Fremdvergleich auf die Zweitwohnungssteuer übertragbar sind, ist daher zuvörderst eine Frage des Landesrechts. Nach dem bundesrechtlichen Aufwandsbegriff des Art. 105 Abs. 2a [X.] ist entscheidend, dass als Wohnungsinhaber nur zweitwohnungssteuerpflichtig ist, wer sich der Verfügungsmacht über die Wohnung nicht rechtsverbindlich begeben hat. Letzteres kann nach den jeweiligen Umständen und etwaigen landesrechtlichen Maßgaben bei einem langfristigen Leihverhältnis ebenso der Fall sein wie bei einem Wohnraummietvertrag.

7

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

8

Das angefochtene Urteil weicht nur dann von einer Entscheidung des [X.] oder des [X.] ab, wenn das Oberverwaltungsgericht sich in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der herangezogenen Entscheidung des [X.] oder des [X.] aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 20. Februar 2002 - 9 [X.] 63.01 - NVwZ 2002, 1235). Dass diese Voraussetzungen erfüllt wären, lässt sich dem [X.]eschwerdevorbringen nicht entnehmen.

9

Das Oberverwaltungsgericht hat in [X.]ezug auf die in der [X.]eschwerde im Einzelnen genannten Entscheidungen des [X.] ([X.]eschluss vom 6. Dezember 1983 - 2 [X.]vR 1275/79 - [X.]VerfGE 65, 325 <347>) und des [X.] (Urteil vom 26. September 2001 - 9 [X.] 1.01 - [X.]VerwGE 115, 165 <168, 170>, [X.]eschluss vom 20. Dezember 2012 - 9 [X.] 25.12 - [X.]uchholz 401.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 29 Rn. 4) keine abweichenden abstrakten Rechtssätze aufgestellt. Die [X.]eschwerde erkennt selbst an, dass das Oberverwaltungsgericht die obergerichtlichen Maßstäbe "abstrakt zutreffend" wiedergegeben hat. Soweit es anschließend dennoch davon ausgeht, das Oberverwaltungsgericht habe "in einem Dreischritt" den abweichenden Rechtssatz aufgestellt, dass eine unentgeltliche Wohnungsüberlassung für den persönlichen Lebensbedarf von Familienangehörigen, d.h. zum Zwecke der Nutzung als Wohnraum, stets dazu führe, dass die betreffende Wohnung zweitwohnungssteuerfrei sei, so lässt sich ein solcher Rechtssatz dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht - ausgehend von seiner Rechtsauffassung, es bedürfe einer umfassenden Würdigung aller Tatsachen und Gegebenheiten des Einzelfalles in [X.]ezug auf die Zweckbestimmung der Zweitwohnung ([X.]) - angenommen, dass die Klägerin ihren Töchtern "im Rahmen der verwandtschaftlichen [X.]eziehung Wohnraum verschaffen wollte", dass die Töchter "sich bereits vom Zeitpunkt ihres Einzugs an darauf verlassen (konnten), die ihnen angebotenen Räume auf Dauer für sich und ihre Familien als Wohnungen nutzen zu können, ohne etwa willkürlich Räumungsverlangen ihrer Mutter ausgesetzt zu sein" und dass "dieses nicht formbedürftige Leihverhältnis (...) wegen der beschriebenen Zweckbestimmung nicht einseitig und ohne Vorliegen eines wichtigen dies rechtfertigenden Grundes beendbar (war)" ([X.] f.). Hiervon ausgehend weicht das Urteil des [X.] auch nicht vom Urteil des [X.] vom 11. Oktober 2016 - 9 [X.] 28.15 - (juris) ab. Denn es ist in Übereinstimmung damit davon ausgegangen, dass es maßgeblich auf die konkrete Abrede zwischen den Familienangehörigen über den Zweck der betreffenden Wohnungsüberlassung ankommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Meta

9 B 64/16

07.03.2017

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 22. Juli 2016, Az: 2 LB 12/16, Urteil

§ 604 Abs 2 BGB, Art 105 Abs 2a S 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.03.2017, Az. 9 B 64/16 (REWIS RS 2017, 14604)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14604

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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