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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 388/12
Verkündet am:
10. Juli 2013
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 575 Abs. 1 Satz 2
Zur
ergänzenden Vertragsauslegung im Falle der Unwirksamkeit einer Befristung des Mietvertrags.
BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 -
VIII ZR 388/12 -
LG Waldshut-Tiengen
AG Waldshut-Tiengen
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Der VIII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 19. Juni 2013 durch den Richter Dr. Frellesen als Vorsitzenden,
die Richte-rin Dr.
Milger
sowie die Richter Dr. Achilles, Dr. Schneider und
Dr.
Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des
Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 8. November 2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben,
als zum Nachteil des Be-klagten entschieden worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte mietete von der Klägerin ab 1. November 2004 eine Woh-nung. Zur Mietzeit enthält der Vertrag folgende individualvertraglich vereinbarte Bestimmung:
"Das Mietverhältnis ist
auf Verlangen des Mieters auf bestimmte Zeit abgeschlossen. Es beginnt am 1. 11.
2004 und endet am 31. 10. 2011, wenn es nicht verlängert wird mit 2 x 3-jähriger Verlängerungsoption."
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Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 kündigte die Klägerin das Mietver-hältnis wegen Eigenbedarfs zum 31. August 2011, ferner im Laufe des Rechts-streits mit Schreiben vom 2. Oktober 2012 fristlos.
Das Amtsgericht hat der
Räumungsklage stattgegeben. Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Der Beklagte sei zur Räumung der von der Klägerin angemieteten Woh-nung verpflichtet, weil die mit Schreiben vom 28. Februar 2011 erklärte Eigen-bedarfskündigung das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis zum 31. August 2011 beendet habe.
Die im Mietvertrag vorgesehene Befristung des Mietverhältnisses stehe der Kündigung nicht entgegen. Denn die Befristung sei wegen Verstoßes gegen § 575 BGB unwirksam, so dass die Parteien einen unbefristeten und somit or-dentlich kündbaren Mietvertrag abgeschlossen hätten. Dass die Befristung auf Wunsch des Beklagten in den Vertrag aufgenommen worden sei und die Be-stimmung des § 575 BGB dem Schutz des Mieters diene, ändere an dieser Rechtslage nichts.
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Die Befristung könne angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht dahin ausgelegt werden, dass ein beiderseitiger Kündigungsausschluss vereinbart sei, zumal eine derart lange Bindungsdauer -
unter der Berücksichtigung der zweimaligen Option 13 Jahre -
auch bei der hier vorliegenden Individualverein-barung mit der Konzeption
des Gesetzes
nicht vereinbar sei.
Es verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, wenn sich die Klägerin auf die Unwirksamkeit der Befristung berufe. Zwar sei nicht zu verkennen, dass § 575 BGB dem Mieterschutz diene und der Verstoß gegen diese Norm dazu führe, dass das Mietverhältnis gegen den Willen des Mieters beendet werde. Gleichwohl sei der Klägerin die Berufung auf § 575 BGB nicht versagt, denn anderenfalls wäre durch die unwirksame Befristung nur die Kündigung des Vermieters ausgeschlossen, was nicht dem Willen der Vertragsparteien bei Ab-schluss des Mietvertrags entspreche. Dass der von der Klägerin geltend ge-machte Eigenbedarf nicht bestehe, habe
der Beklagte in der Berufungsinstanz nicht vorgebracht. Auf die Wirksamkeit der weiteren, kurz vor der Berufungs-verhandlung erklärten fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs komme es deshalb nicht an.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Klägerin auf Räumung der dem Beklagten vermieteten Wohnung nicht bejaht werden. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass durch die Unwirksamkeit der vereinbarten Befristung des Mietvertrages eine
ausfüllungsbedürftige Lücke im Vertrag ent-standen ist. Diese Lücke ist
durch eine
ergänzende Vertragsauslegung dahin zu schließen, dass anstelle der unwirksamen Befristung für deren Dauer ein
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derseitiger Kündigungsverzicht
tritt. Die während der Dauer dieses Kündi-gungsausschlusses ausgesprochene Kündigung der Klägerin ist daher unwirk-sam.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die im Mietvertrag vorgesehene Befristung unwirksam ist.
Denn die Befris-tung eines Mietvertrags über Wohnraum ist gemäß § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zulässig, wenn der Vermieter die Räume nach Ablauf der
Mietzeit als Wohnraum für sich oder
seine Familien-
oder Haushaltsangehörigen nutzen will oder die Absicht hat, die Räume zu beseitigen oder so wesentlich zu verändern oder instand zu setzen, dass die Maßnahmen durch eine Fortsetzung des Miet-verhältnisses erheblich erschwert würden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, so dass die Befristung unwirksam ist. Gemäß § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt der Vertrag deshalb als auf unbestimmte Zeit geschlossen.
2. Infolge der
Unwirksamkeit der vereinbarten Befristung ist eine planwid-rige Vertragslücke entstanden, die im Wege einer ergänzenden
Vertragsausle-gung zu schließen ist.
a) Die Parteien haben
mit der Befristung des Vertrages eine beiderseitige
langfristige Bindung
bezweckt. Dies ergibt sich daraus, dass die Befristung auf Wunsch des Beklagten aufgenommen worden ist, der sich durch eine feste Ver-tragslaufzeit mit Verlängerungsoption eine lange Mietzeit sichern wollte und deshalb in Kauf genommen hat, dass er während der festen Vertragslaufzeit auch selbst nicht ordentlich kündigen kann. Mit diesem Wunsch des Beklagten nach einer beiderseitigen Bindung für die Dauer von sieben Jahren (mit einer zweimaligen Verlängerungsmöglichkeit um jeweils drei Jahre) hat sich die Klä-gerin durch die Aufnahme der Befristung in den Mietvertrag einverstanden er-klärt.
Sie hat damit gleichfalls eine langfristige Bindung beider Seiten gewollt.
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b) Durch die Unwirksamkeit der vereinbarten Befristung ist im vertragli-chen Regelungsgefüge eine Lücke eingetreten, weil die bezweckte langfristige Bindung beider Parteien entfallen ist. Das dispositive Recht, nach
dem
das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gilt
(§ 575 Abs. 1 Satz 2 BGB)
und
somit innerhalb der Fristen des § 573c BGB ordentlich gekündigt werden
kann, wird dem
Willen der Parteien nicht gerecht.
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung enthält § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB keine abschließende, eine ergänzende Vertragsauslegung verbie-tende
gesetzliche Regelung
der Folgen einer unwirksamen Befristung. Denn mit der Neuregelung des Zeitmietvertrages verfolgte der Gesetzgeber nicht das Ziel, die Möglichkeit einer langfristigen Bindung der Mietparteien an den Vertrag zu beschränken.
Es ging vielmehr darum, dass
durch die Beschränkung der Befristungsgründe ein Missbrauch zur Umgehung der dem Mieterschutz die-nenden Kündigungs-
und Mieterhöhungsvorschriften ausgeschlossen werden sollte. Langfristige Bindungen der Vertragsparteien, zum Beispiel durch einen Kündigungsausschluss,
sollten hingegen weiterhin möglich sein (BT-Drucks. 14/4553,
S. 69; Senatsurteil vom 22. Dezember 2003 -
VIII ZR 81/03, NJW 2004, 1448 unter II 2).
c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine planwidrige Regelungslücke unter Berücksichtigung dessen zu schließen, was die Parteien redlicherweise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der vereinbar-ten Vertragsbestimmung bekannt gewesen wäre (Senatsurteile vom 12. Juli 1989 -
VIII ZR 297/88, NJW 1990, 115 unter III 1 c, sowie vom 14. März 2012
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VIII ZR 113/11, BGHZ 192, 372 Rn. 24).
Danach ist die Lücke
hier dahin zu schließen,
dass an die Stelle der unwirksamen Befristung ein
beiderseitiger
Kündigungsverzicht in der Weise tritt, dass eine Kündigung frühestens zum Ab-lauf der vereinbarten Mietzeit (beziehungsweise bei Ausübung der Option zum 14
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Ablauf
des entsprechenden zusätzlichen Zeitraums) möglich ist. Auf diese Wei-se wird das von beiden Parteien erstrebte Ziel der langfristigen Bindung er-reicht.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann ein Kündigungs-ausschluss im Wege der Individualvereinbarung auch für einen Zeitraum ver-einbart
werden, der über die bei einer allgemeinen Geschäftsbedingung
höchs-tens
zulässige Frist von vier Jahren deutlich hinausgeht (vgl. Senatsurteil vom 22. Dezember 2003 -
VIII ZR 81/03, aaO
sowie vom 13. Oktober 2010 -
VIII ZR 98/10, NJW 2011, 59 Rn. 25). Insoweit gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der auch eine langfristige Bindung
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wie hier
der
Klägerin
von bis zu 13 Jahren bei Ausübung der Optionen durch den Beklagten -
ermöglicht, soweit nicht -
wofür hier keine Anhaltspunkte bestehen -
die Grenze des § 138 BGB über-schritten ist. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist das Eigen-tumsgrundrecht des Vermieters nicht tangiert, wenn er sich mit einer Individual-vereinbarung
auf eine Bindung von bis zu 13 Jahren einlässt, die nur unter den Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung vorzeitig beendet werden kann.
III.
Nach alledem kann des Urteil des Berufungsgerichts insoweit, als
zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist, keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das
Berufungsgericht -
von seinem Standpunkt aus folgerichtig
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keine Feststellungen zu der weiteren (fristlosen) Kündigung der Klägerin getroffen hat. Der Rechtsstreit ist daher zur neuen Verhandlung und 17
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Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Waldshut-Tiengen, Entscheidung vom 29.06.2012 -
7 C 280/11 -
LG Waldshut-Tiengen, Entscheidung vom 08.11.2012 -
2 S 39/12 -
Meta
10.07.2013
Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat
Sachgebiet: ZR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.07.2013, Az. VIII ZR 388/12 (REWIS RS 2013, 4245)
Papierfundstellen: REWIS RS 2013, 4245
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
VIII ZR 388/12 (Bundesgerichtshof)
Wohnraummiete: Ergänzende Vertragsauslegung bei Unwirksamkeit einer Befristung
VIII ZR 235/12 (Bundesgerichtshof)
Wohnraummietvertrag: Ergänzende Vertragsauslegung bei Unwirksamkeit eine Befristungsvereinbarung
Ergänzende Vertragsauslegung bei unwirksamer Befristung des Mietvertrages
VIII ZR 235/12 (Bundesgerichtshof)
VIII ZR 243/16 (Bundesgerichtshof)