Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2014, Az. VI R 55/12

6. Senat | REWIS RS 2014, 6888

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Gegenstand

Winterdienst auf öffentlichen Gehwegen als haushaltsnahe Dienstleistung


Leitsatz

1. Auch die Inanspruchnahme von Diensten, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund geleistet werden, kann als haushaltsnahe Dienstleistung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG begünstigt sein (entgegen BMF-Schreiben vom 10. Januar 2014 IV C 4-S 2296-b/07/0003:004, 2014/0023765, BStBl I 2014, 75) .

2. Es muss sich dabei allerdings um Tätigkeiten handeln, die ansonsten üblicherweise von Familienmitgliedern erbracht und in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der Steuerpflichtige als Eigentümer oder Mieter zur Reinigung und Schneeräumung von öffentlichen Straßen und (Geh)Wegen verpflichtet ist .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Kosten der Schneeräumung auf öffentlichen Gehwegen entlang der Grundstücksgrenze als haushaltsnahe Dienstleistung gemäß § 35a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der bis zum Streitjahr geltend Fassung (EStG) zu berücksichtigen sind.

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) beauftragten die Firma [X.] mit der Schneeräumung der in öffentlichem Eigentum stehenden Straßenfront entlang des von ihnen bewohnten Grundstücks. Ausweislich der Rechnung vom 2. Juni 2008 entstanden ihnen hierfür Kosten in Höhe von 142,80 €. Den Rechnungsbetrag haben die Kläger im November 2008 auf ein Konto der Firma [X.] überwiesen.

3

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2008) machten sie diesen Betrag als Aufwendungen für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen gemäß § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) gewährte die beantragte Steuerermäßigung für die Kosten der [X.] jedoch nicht. Nach dem Schreiben des [X.] ([X.]) vom 15. Februar 2010 IV C 4-S 2296-b/07/0003, 2010/0014334 (BStBl I 2010, 140) seien Dienstleistungen (z.B. Straßen- und Gehwegreinigung, Winterdienst), soweit sie auf öffentlichem Gelände durchgeführt würden, nicht nach § 35a Abs. 2 EStG begünstigt, und zwar auch dann nicht, wenn eine konkrete Verpflichtung, z.B. zur Reinigung und Schneeräumung von öffentlichen Gehwegen und Bürgersteigen, bestehe.

4

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2013, 51 veröffentlichten Gründen statt.

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

6

Es beantragt,
den Gerichtsbescheid des [X.] Berlin-Brandenburg vom 23. August 2012  13 K 13287/10 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass den Klägern für die streitigen Kosten für den Winterdienst (Schneebeseitigung) die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG zu gewähren ist.

9

1. Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %, höchstens 600 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Dienstleistungen nach § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG sind und in einem in der [X.] oder dem [X.] liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht werden.

a) Der Begriff "haushaltsnahe Dienstleistung" ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Senats müssen die Leistungen eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung aufweisen bzw. damit im Zusammenhang stehen. Dazu gehören hauswirtschaftliche Verrichtungen, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen (Senatsurteil vom 13. Juli 2011 VI R 61/10, [X.], 391, [X.], 232). Auch die Reinigung von Straßen und Gehwegen sowie der Winterdienst sind nach allgemeiner Meinung hierzu zu zählen (vgl. BMF-Schreiben in [X.], 140, [X.]. 12, ersetzt durch BMF-Schreiben vom 10. Januar 2014 IV C 4-S 2296-b/07/0003:004, 2014/0023765, [X.], 75, [X.]. 9; [X.], E[X.] 2013, 52; [X.], in: [X.] [X.], EStG, § 35a Rz E 7; [X.]/[X.], EStG, 32. Aufl., § 35a Rz 4; [X.] in [X.], EStG, § 35a EStG Rz 92; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 35a Rz 20).

b) Die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG ist jedoch nur zu gewähren, wenn die haushaltsnahen Dienstleistungen in einem in der [X.] oder dem [X.] liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht werden.

aa) Unter einem "Haushalt" im Sinne dieser Vorschrift ist die Wirtschaftsführung mehrerer (in einer Familie) zusammenlebender Personen oder einer einzelnen Person zu verstehen, wobei die Wohnung der räumliche Bereich ist, in dem sich der Haushalt entfaltet (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2010 VI R 60/09, [X.], 420, [X.], 151, m.w.N.).

bb) "In" einem Haushalt wird die haushaltsnahe Dienstleistung erbracht, wenn sie "im räumlichen Bereich des vorhandenen Haushalts" geleistet wird (Senatsurteil in [X.], 391, [X.], 232, unter [X.]). Hierzu gehört zunächst die Wohnung des Steuerpflichtigen, aber auch der dazugehörige Grund und [X.]n, weil Arbeiten "auf dem Grundstück" ebenfalls begünstigt werden sollen (vgl. BTDrucks 16/643, 10, sowie Senatsurteil vom 6. Mai 2010 VI R 4/09, [X.], 534, [X.], 909). Nach Auffassung des Senats ist der Begriff "im Haushalt" daher [X.] auszulegen (vgl. Kratzsch in [X.], EStG, [X.] 2011, § 35a Rz 77; [X.] in [X.], EStG, § 35a EStG Rz 92; [X.], E[X.] 2013, 52; [X.], in: [X.][X.], EStG, § 35a Rz E 7; [X.]/[X.], EStG, 32. Aufl., § 35a Rz 4; [X.] Baden-Württemberg vom 12. September 2012  3 K 3887/11, E[X.] 2013, 125).

cc) Deshalb werden die Grenzen des Haushalts i.S. des § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG nicht ausnahmslos --unabhängig von den [X.] durch die Grundstücksgrenzen abgesteckt (entgegen BMF-Schreiben in [X.], 140, [X.]. 15, ersetzt durch BMF-Schreiben in [X.], 75, [X.]. 15). Vielmehr kann auch die Inanspruchnahme von Diensten, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund geleistet werden, nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG begünstigt sein. Es muss sich dabei allerdings um Tätigkeiten handeln, die ansonsten üblicherweise von Familienmitgliedern erbracht und in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen ([X.]/ [X.], EStG, 32. Aufl., § 35a Rz 4). Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn der Steuerpflichtige als Eigentümer oder Mieter zur Reinigung und Schneeräumung von öffentlichen Straßen und (Geh)Wegen verpflichtet ist. Denn entsprechende Dienstleistungen sind notwendiger Annex zur Haushaltsführung ([X.], in: [X.][X.], EStG, § 35a Rz E 7; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], [X.], Kommentar, § 35a Rz 20; [X.], E[X.] 2013, 52 f.) und deshalb nicht nur anteilig (entgegen BMF-Schreiben in [X.], 140, [X.]. 12, ersetzt durch BMF-Schreiben in [X.], 75, [X.]. 9), soweit sie auf Privatgelände entfallen, sondern in vollem Umfang nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG begünstigt ([X.]/[X.], EStG, 32. Aufl., § 35a Rz 4; [X.], in: [X.][X.], EStG, § 35a Rz E 7; [X.] in [X.], EStG, § 35a EStG Rz 92; [X.], E[X.] 2013, 52; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 35a Rz 20; [X.] in [X.]/[X.], § 35a EStG Rz 300 f.; a.[X.] in Kirchhof, EStG, 12. Aufl., § 35a Rz 7; Durst in Korn, § 35a EStG Rz 41; [X.]/[X.], § 35a EStG Rz 23; [X.]/Görn, [X.], 1804 <1805>).

[X.]) Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG stehen dieser Auslegung der Vorschrift nicht entgegen.

Ausweislich der Gesetzesbegründung sollten Garten- und Wegebauarbeiten im Haushalt durch § 35a EStG begünstigt werden. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber selbst den Begriff "Haushalt" nicht nur als Räumlichkeit, sondern darüber hinaus als funktionalen Bezugspunkt im Sinne von "in der Nähe des Haushalts" begriffen hat (vgl. Kratzsch in [X.], EStG, [X.] 2011, § 35a Rz 77; [X.] in [X.], EStG, § 35a EStG Rz 92; [X.], E[X.] 2013, 52).

Zudem spricht der Normzweck des § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG, die Bekämpfung der Schwarzarbeit (BTDrucks 15/91, 19) dafür, Aufwendungen für Dienstleistungen, die ansonsten üblicherweise von Familienmitgliedern erbracht und in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen (z.B. Straßen- und Gehwegreinigung, Winterdienst) auch insoweit zu begünstigen, als sie auf fremdem oder öffentlichem Gelände durchgeführt werden. Denn Steuerpflichtiger und Dienstleistungsunternehmen könnten sich einig werden, nur noch den Winterdienst bezüglich des auf dem Grundstück liegenden Hauszugangs zum Gegenstand einer (steuererheblichen) Rechnung zu machen, die Reinigung oder Räumung des öffentlichen Gehweges dagegen "schwarz" zu bezahlen ([X.], E[X.] 2013, 52 <53>).

2. Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] die streitigen Aufwendungen der Kläger für den Winterdienst zu Recht als haushaltsnahe Dienstleitungen i.S. des § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG beurteilt und den Klägern die streitige Steuermäßigung gewährt. Damit war die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Meta

VI R 55/12

20.03.2014

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 23. August 2012, Az: 13 K 13287/10, Gerichtsbescheid

§ 35a Abs 2 S 1 EStG 2002, EStG VZ 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.03.2014, Az. VI R 55/12 (REWIS RS 2014, 6888)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6888

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 K 1200/17

11 K 2998/16

13 K 1736/17

4 K 16/17

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