Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.08.2017, Az. 4 StR 317/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5931

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:310817B4STR317.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 317/17

vom
31. [X.]ugust
2017
in der Strafsache
gegen

wegen schwerer Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf [X.]ntrag des Generalbundes-anwalts und nach [X.]nhörung des Beschwerdeführers am 31. [X.]ugust 2017 ge-mäß §
349
[X.]bs.
2 StPO beschlossen:

Die Revision des [X.]ngeklagten gegen das Urteil des [X.] ([X.]) vom 5.
Januar 2017 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwen-digen [X.]uslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hatte
den [X.]ngeklagten im ersten Rechtsgang wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, das Verfahren wegen mehrerer [X.]nklagevorwürfe eingestellt und den [X.]ngeklagten im Übrigen freigesprochen. [X.]uf Revision des [X.] hob der [X.] mit Urteil vom 14.
Januar 2016 das erstinstanzliche Urteil auf, soweit der [X.]ngeklagte vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung (Fall
6 der [X.]) freigesprochen worden war, sowie im [X.] und so-weit von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden war.
1
-
3
-
Im zweiten Rechtsgang hat das [X.] den [X.]ngeklagten nunmehr wegen schwerer Körperverletzung und wegen Bedrohung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der [X.]ngeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.
I.
Das [X.] hat bezüglich der Tat zum Nachteil des [X.]
(Fall
6 der [X.]nklage) nunmehr im Wesentlichen folgende Feststellungen getrof-fen:
In der Nacht vom 15. auf den 16.
[X.]ugust 2015 befand sich der [X.] [X.].

. Gegen 2:30
Uhr kam es dort zu einem klei-
neren Konflikt zwischen dem Nebenkläger und einem Bekannten des [X.]ngeklag-ten, dem [X.].

. Dieser versetzte dem Nebenkläger einen Stoß oder
leichten Schlag, was
der etwas entfernt stehende [X.]ngeklagte beobachtete. Er fühlte sich durch das aggressive Verhalten seines Bekannten animiert, gleich-falls körperlich auf den Nebenkläger einzuwirken. Er nahm [X.]nlauf, sprang in Richtung des [X.] und schlug diesen mit der Faust gegen die Schläfe. Der Nebenkläger fiel hierdurch rücklings auf den asphaltierten Boden, wo er mit dem Hinterkopf aufschlug.
Durch den Sturz zog sich der Nebenkläger ein Schädelhirntrauma mit frontobasal beidseitiger Kontusionsblutung und eine Schädelfraktur zu. Dies führte zu einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma
([X.] F07.2), welches sich bis heute in erheblicher Weise auf das Leben des [X.] auswirkt. Er leidet an einer signifikanten Einschränkung des Kon-2
3
4
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4
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zentrationsvermögens und der [X.]ufmerksamkeitszuwendung, einer gesteigerten Vergesslichkeit, einer Beeinträchtigung des [X.]rbeitsgedächtnisses, einer gestei-gerten Ermüdbarkeit, einer Reduktion der Frustrations-
und [X.] sowie einem reduzierten [X.]ntriebsniveau. Zudem zeigt sich der Nebenkläger deutlich persönlichkeitsverändert, was insbesondere gekennzeichnet ist durch eine erhöhte Reizbarkeit mit teils paranoiden Zügen und durch eine Nivellierung der Emotionen. Weitere Folgeerscheinungen sind häufige, teils
migräneartige Kopfschmerzen, ein Tinnitus, eine erhebliche Schädigung des Geruchssinns sowie gelegentliche Taubheitsgefühle in den [X.] und im Oberschenkel. Durch die genannten Beeinträchtigungen ist die [X.]rbeitsfähigkeit des Nebenklä-gers in seinem erlernten Beruf des Ingenieurs um mehr als 50
%, seine Er-werbsfähigkeit insgesamt jedoch um weniger als 50
% reduziert, ohne dass der [X.] eine genauere Bezifferung möglich gewesen wäre. Für die Zu-kunft sind allenfalls noch geringfügige Besserungen der Symptomatik zu erwar-ten. Der Eintritt dieser schweren Folgen war für den [X.]ngeklagten voraussehbar.
II.
Das Rechtsmittel des [X.]ngeklagten
ist unbegründet (§
349 [X.]bs.
2 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
1.
Die Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung im Sinne von
§
226 [X.]bs.
1 Nr.
3 [X.] hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Nebenkläger in eine geistige Krank-heit verfallen ist (§
226 [X.]bs.
1 Nr.
3, 4.
Var. [X.]), nicht dagegen in
Siechtum (2.
Var.) oder eine geistige Behinderung (5.
Var.).
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-
5
-
a)
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen das Vorliegen einer geistigen Krankheit im Sinne von §
226 [X.]bs.
1 Nr.
3, 4.
Var. [X.].
Da §
226 [X.] allein die Folgen für das Tatopfer in den Blick nimmt, ist eine an medizinischen Kriterien orientierte [X.]uslegung des Begriffs der geistigen Krankheit angezeigt, wonach im [X.]usgangspunkt sämtliche krankheitswertige Schäden an der psychischen Gesundheit erfasst werden [X.], [X.],
60.
[X.]ufl., §
226 Rn.
13, MüKo-[X.]/Hardtung, 2.
[X.]ufl., §
226 Rn.
40; ders., [X.], 1060, 1063). Dagegen widerspräche es dem Sinn und Zweck der [X.] der krankhaften seelischen Störung im Sinne des §
20 [X.] aus-zurichten, da hier allein die tatbezogene Schuldfähigkeit des [X.] in Rede steht (anders jedoch: NK-[X.]/Paeffgen/Böse, 5.
[X.]ufl., §
226 Rn.
35; [X.]/
[X.], 8.
[X.]ufl., 141.
Lfg., §
226 Rn.
15; [X.], [X.], 31, 38

dagegen [X.], aaO,
§
226 Rn.
13). Das bei dem Nebenkläger diagnostizierte organi-sche Psychosyndrom

welches nach der [X.]-Klassifikation als psychische Krankheit eingeordnet wird (vgl. auch [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Leygraf/[X.], Handbuch der
forensischen Psychiatrie, Band
2, 2010, S.
52
ff.)

ist als krank-heitswertiger psychischer Schaden somit vom Tatbestand erfasst.
Das bei dem Nebenkläger festgestellte Krankheitsbild weist auch den
im Rahmen von §
226 [X.]bs.
1 Nr.
3 [X.] erforderlichen Schweregrad auf.

sonstigen [X.] des §
226 [X.] ergibt sich, dass die geistige Krankheit nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend sein darf ([X.],

8
9
10
11
-
6
-
aaO, §
226 Rn.
10; LK-[X.]/[X.], 12.
[X.]ufl., §
226 Rn.
22; MüKo-[X.]/
Hardtung, aaO, §
226 Rn.
35 + 40; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 29.
[X.]ufl., §
226 Rn.
7

vgl. zur entsprechenden [X.]uslegung des Begriffs [X.], Beschlüsse vom 16.
Dezember 2008

3
StR
453/08, [X.], 284; vom 31.
[X.]ugust 2016

4
StR
340/16, [X.], 282). [X.]ngesichts der gravierenden Folgen des sich nachhaltig auf ver-schiedene Lebensbereiche des [X.] auswirkenden und zudem über-dauernden [X.] sind diese Voraussetzungen erfüllt.
b)
Die [X.] hat die Tatbestandsvariante des [X.] im Sinne von §
226 [X.]bs.
1
Nr.
3, 2.
Var. [X.] dagegen tragfähig verneint, da ausweislich des angefochtenen Urteils nicht zu erwarten
ist, dass sich das Krankheitsbild des [X.] verschlechtert, er nach wie vor zu eigenständiger Lebens-führung in der Lage ist und seine allgemeine Erwerbsfähigkeit um weniger
als
50
% gemindert ist (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 22.
Januar 1997

3
StR 522/96, [X.], 188; Beschluss vom 19.
Juli 1994

4
StR
348/94, [X.]R [X.] §
224 [X.]bs.
1 Siechtum
1).
c)
Für die zusätzliche [X.]nnahme einer geistigen Behinderung im Sinne von §
226 [X.]bs.
1 Nr.
3, 5.
Var. [X.] ist ebenfalls kein Raum, da hierunter nur solche Störungen der Gehirntätigkeit fallen, die nicht bereits

wie hier

als geistige Krankheit zu qualifizieren sind ([X.], Beschlüsse
vom 16.
Dezember 2008

3
StR
453/08,
aaO; vom 31.
[X.]ugust
2016

4
StR
340/16,
aaO; SSW-[X.]/[X.]/[X.]-Pflanz, 3.
[X.]ufl., §
226 Rn.
22).
12
13
-
7
-
2.
[X.]uch der Strafausspruch hält im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nach-prüfung stand.
Zwar hat das [X.] dem [X.]ngeklagten im Rahmen der Strafzumes-

be-gerichtet habe. Dass das Opfer keinen [X.]nlass zur
Tat geboten hat, darf jedoch

als Fehlen eines Strafmilderungsgrundes

nicht strafschärfend berücksichtigt werden ([X.], Beschlüsse vom 13.
Juni 2017

3
StR
106/17, juris Rn.
3; vom 15.
September 2015

2
StR
21/15, NStZ-RR
2016, 40). Überdies hat die [X.] in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt, dass die [X.] des an einer [X.] Psychose leidenden [X.]ngeklagten bei Tatbegehung in [X.] beeinträchtigt war in Form einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit im Sinne des §
21 [X.]. Tatmodalitäten und Tatmotive dürfen jedoch dann nicht uneingeschränkt straf-schärfend berücksichtigt werden, wenn sie ihre Ursache in einem psychischen Defekt finden, der seinerseits die [X.] mindert ([X.], Beschlüsse vom 16.
Juli 2003

1
StR
251/03, [X.], 362; vom 21.
[X.]ugust 1991

2
StR
447/90, NStZ 1991, 581; [X.], aaO, §
46 Rn.
27 mwN).
[X.]ngesichts der weiteren

bei der [X.] der [X.] ersichtlich im Vordergrund stehenden

erheblichen Strafschär-fungsgründe, insbesondere des
Umstands, dass der [X.]ngeklagte mehrfach [X.] vorbestraft ist und bei Tatbegehung unter zwei laufenden Bewährun-gen stand, kann der [X.] jedoch ausschließen, dass die Höhe der moderat
14
15
16
-
8
-
bemessenen [X.] (zwei Jahre und sieben Monate Freiheitsstrafe) auf der genannten rechtlich bedenklichen Erwägung beruht.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Ri[X.] [X.] ist urlaubs-bedingt abwesend und daher an der Unterschrift gehindert.
Sost-Scheible
Franke
Quentin

Meta

4 StR 317/17

31.08.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.08.2017, Az. 4 StR 317/17 (REWIS RS 2017, 5931)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5931

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