Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.06.2011, Az. I B 28/11

1. Senat | REWIS RS 2011, 5662

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Gegenstand

(Aussetzung der Vollziehung bei nicht eindeutiger Rechtslage - Bestimmung des Einspruchsführers bei Rechtsbehelf gegen Feststellungsbescheide nach § 18 AStG)


Tatbestand

1

I. Streitig ist im Rahmen eines Verfahrens auf Aussetzung der Vollziehung ([X.]) die Rechtmäßigkeit von [X.]escheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 18 des Gesetzes über die [X.]esteuerung bei [X.] ([X.]) für die Jahre 1994 und 1995 (Streitjahre) über die Hinzurechnung nach § 10 [X.] für die [X.]eteiligten einer [X.] Aktiengesellschaft.

2

Der Antragsteller und [X.]eschwerdegegner (Antragsteller) war --neben seinem Vater und seinem [X.]ruder (ebenfalls in [X.] unbeschränkt steuerpflichtigen Personen)-- in den Streitjahren Aktionär der [X.] [X.] (vormals [X.]) --[X.]--. Unternehmenszweck der [X.] war der [X.]rwerb, die Verwaltung und Veräußerung von [X.]eteiligungen; sie fungierte als Holdinggesellschaft und war in 1993 an acht Kapitalgesellschaften beteiligt (bis 1996 erhöhte sich die Anzahl der [X.]eteiligungen auf zwölf). Die [X.] galt als niedrig besteuert i.S. von § 8 [X.]. Der Antragsteller hielt seine [X.]eteiligung im Privatvermögen.

3

Nach einer Außenprüfung durch das [X.] ging das Finanzamt [X.] davon aus, dass die [X.] in den für die Streitjahre maßgebenden [X.]eiträumen vermögensverwaltend tätig war und deshalb eine im Wirtschaftsjahr 1993 bei der [X.]inkünfteermittlung angesetzte Teilwertabschreibung auf [X.]eteiligungen in Höhe von 8.726.201 [X.] (10.265.503 DM) nicht anzuerkennen sei. Im Wirtschaftsjahr 1994 seien die [X.]eteiligungseinkünfte der [X.] an einer GmbH als passive [X.]inkünfte zu berücksichtigen; außerdem sei eine Abschreibung der [X.] auf sonstige Finanzanlagen in Höhe von 628.256 [X.] (724.599 DM) zu versagen. Das Finanzamt [X.] erließ daraufhin unter dem 14. Dezember 2000 die streitbefangenen Feststellungsbescheide; [X.]en waren die drei Aktionäre.

4

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2000 legte die Steuerkanzlei [X.] u.a. gegen diese Feststellungsbescheide [X.]inspruch ein ("gegen die Feststellungsbescheide ... legen wir [X.]inspruch ein") verbunden mit einem Antrag auf [X.] In der [X.]etreffzeile des [X.]inspruchsschreibens führte die Steuerkanzlei den damaligen Namen der [X.] und deren Anschrift (in [X.]) auf. Mit Verfügung vom 28. Dezember 2000 erließ das Finanzamt [X.] einen "Verwaltungsakt nach § 361 AO für die [X.]" und setzte 10.261.843 DM für 1994 und 2.563.864 DM für 1995 von der Vollziehung aus.

5

In 2004 ging die [X.]uständigkeit für das Feststellungsverfahren einschließlich des anhängigen [X.]inspruchsverfahrens auf den Antragsgegner und [X.]eschwerdeführer (das Finanzamt C --[X.]--) über. Mit einer am 16. Dezember 2008 beim Prozessbevollmächtigten des Antragstellers eingegangenen [X.]inspruchsentscheidung (ohne Datum) wies das [X.] einen "[X.]inspruch der ... (AG) vom 21. Dezember 2000" als unbegründet zurück. [X.]ugleich hob es die [X.] auf.

6

[X.]ur [X.]egründung der hiergegen im Namen der [X.] beim Finanzgericht ([X.]) des [X.] erhobenen Klage (Az. 2 K 1817/08) trug diese vor, sie unterhalte einen gewerblichen [X.]etrieb und sei deshalb berechtigt, eine Teilwertabschreibung vorzunehmen. Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2009 wies der Prozessbevollmächtigte der [X.] darauf hin, dass die [X.]inspruchsentscheidung schon deshalb aufzuheben sei, weil die [X.] keinen [X.]inspruch eingelegt habe. Aus dem gesamten Verfahren ergebe sich, dass die Aktionäre [X.]inspruch eingelegt hätten.

7

Das [X.] meinte, die (undatierte) [X.]inspruchsentscheidung, die am 16. Dezember 2008 beim Prozessbevollmächtigten eingegangen sei, sei wegen eines Widerspruchs zwischen Tenor und Gründen auslegungsbedürftig. Die Auslegung ergebe, dass die Feststellungsbeteiligten und damit auch der Antragsteller [X.] dieser [X.]ntscheidung sei; daher sei die [X.]inspruchsentscheidung ordnungsgemäß bekannt gegeben worden. [X.]ine Aufhebung komme deshalb nicht in [X.]etracht. Im Übrigen sei auch die Klage der [X.] dahin auszulegen, dass diese von den Feststellungsbeteiligten erhoben worden sei. Diese Klage könne in der Sache keinen [X.]rfolg haben. Die [X.] habe den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten.

8

Der Klage hat das [X.] des [X.] mit Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2011 entsprochen (ob das [X.] einen rechtswirksamen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat, ist aus den im [X.]eschwerdeverfahren vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich): Die Feststellungsbeteiligten hätten [X.]inspruch eingelegt, über den das [X.] noch nicht entschieden habe. Dagegen habe das [X.] --insoweit unzutreffend-- über einen [X.]inspruch der [X.] entschieden, den jene nicht eingelegt habe. [X.]ine Auslegung, dass sich die [X.]inspruchsentscheidung an die eigentlichen [X.]en des Feststellungsbescheides richte, komme nicht in [X.]etracht, weil die [X.]inspruchsentscheidung nicht auslegungsbedürftig gewesen sei. Das [X.] habe die [X.] sowohl im Tenor als auch in den Gründen der [X.]inspruchsentscheidung durchgängig als [X.]inspruchsführerin bezeichnet. Die [X.] sei durch die [X.]inspruchsentscheidung beschwert.

9

Der Antragsteller hat beim [X.] des [X.] eine [X.] der Feststellungsbescheide beantragt. [X.]uvor hatte er beim [X.] Düsseldorf erfolglos um [X.] der [X.]inkommensteuerbescheide 1994 und 1995 als Folgebescheide der hier streitigen Feststellungsbescheide nachgesucht. Dazu hatte der Antragsteller ausweislich des dortigen [X.]-[X.]eschlusses vorgetragen, dass die zunächst durch das [X.] [X.] gewährte [X.] nicht aufgehoben worden sei, weil sich die [X.]inspruchsentscheidung des [X.] nicht an die Feststellungsbeteiligten, sondern an die [X.] richte. Das [X.] Düsseldorf hat seine ablehnende [X.]ntscheidung ([X.]eschluss vom 18. Mai 2010  14 V 608/10 A([X.])) damit begründet, dass die [X.]inspruchsentscheidung/Aufhebung der [X.] durch das [X.] als an die einzelnen Feststellungsbeteiligten als [X.]en gerichteter [X.]escheid auszulegen sei, weil bei der ursprünglichen [X.]inspruchseinlegung/Antragstellung auf [X.] die [X.] benannt worden sei und in Anknüpfung hieran das damalige [X.] [X.] gewährt habe. Da die [X.] des [X.] aufgehoben worden sei, habe das Wohnsitzfinanzamt die [X.] der [X.]inkommensteuerbescheide als Folgebescheide zu Recht aufgehoben. [X.] der [X.]inkommensteuerbescheide sei auch nicht zu gewähren, wenn man davon ausgehe, dass die [X.] [X.]inspruch eingelegt habe, weil dieser als unzulässig anzusehen wäre. In diesem Falle läge kein wirksamer [X.]escheid über [X.] vor, und die [X.]eendigung der [X.] der [X.]inkommensteuerbescheide als Folgebescheide der Feststellungsbescheide wäre schon aus diesem Grunde rechtmäßig.

Das [X.] hat den beim [X.] des [X.] gegen die Feststellungsbescheide gerichteten (hier streitgegenständlichen) [X.]-Antrag des Antragstellers für unzulässig gehalten. Im Gegensatz zum Klageverfahren ging das [X.] davon aus, dass nicht die Feststellungsbeteiligten, sondern die [X.] gegen die [X.]inspruchsentscheidung geklagt habe. Gegen den Feststellungsbescheid sei deshalb kein Rechtsbehelf des Antragstellers anhängig. Das [X.] ging ferner davon aus, dass alle die [X.] betreffenden [X.]escheide den Feststellungsbeteiligten ordnungsgemäß bekannt gegeben worden seien. [X.]s sei widersprüchlich, wenn der Antragsteller nun vortrage, die [X.] sei ihm gegenüber durch die [X.]inspruchsentscheidung nicht ordnungsgemäß aufgehoben worden. Denn entweder habe er, der Antragsteller, "unter derselben Adresse, unter der die Aussetzung der Vollziehung beendet wurde, Aussetzung der Vollziehung erhalten, oder ihm sei nie wirksam Aussetzung der Vollziehung gewährt worden". In der Sache bestünden nach Auffassung des [X.] keine ernstlichen [X.]weifel an der Rechtmäßigkeit der Feststellungsbescheide.

Das [X.] des [X.] hat eine [X.] ausgesprochen, soweit für den Antragsteller in den angefochtenen [X.]escheiden ein Hinzurechnungsbetrag von mehr als 50 DM (1994) bzw. mehr als 5.205 DM (1995) festgestellt wurde ([X.]eschluss vom 27. Januar 2011  2 V 817/10).

Das [X.] beantragt mit der vom [X.] zugelassenen [X.]eschwerde, den angefochtenen [X.]eschluss vom 27. Januar 2011 aufzuheben und den Antrag auf [X.] abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt, die [X.]eschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Es bedarf weiterer Sachaufklärung zur Tätigkeit der [X.], um feststellen zu können, ob diese auf der Grundlage einer gewerblichen Tätigkeit und einer damit verbundenen Gewinnermittlung Teilwertabschreibungen auf Finanzanlagen einkünftewirksam (und damit die Hinzurechnungsbeträge mindernd) ansetzen kann. Davon hängt es ab, ob bzw. inwieweit die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ernstlich zweifelhaft i.S. des § 69 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) ist.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 [X.]O kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O). Das wiederum ist nach ständiger Rechtsprechung des [X.] (BFH) der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken ([X.] vom 11. Juni 2003 [X.], [X.], 53, [X.] 2003, 663, m.w.N.). Dabei setzt eine AdV nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen ([X.] vom 25. August 2009 [X.]/09, [X.], 85, [X.] 2009, 826).

2. Der Antrag ist zulässig.

Das [X.] hat den Antrag auf AdV als zulässig beurteilt. Der Einspruch und der damit verbundene Antrag auf AdV vom 21. Dezember 2000 sei zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes als von den Feststellungsbeteiligten eingelegt bzw. erhoben auszulegen. Dieser Antrag sei (ebenso wie der Einspruch) ohne Mitteilung von Gründen noch nicht beschieden worden. Denn der Bescheid über die AdV vom 28. Dezember 2000 habe sich ebenso wenig an die Feststellungsbeteiligten gerichtet wie die mit der Einspruchsentscheidung verbundene Aufhebung der AdV.

Dieser Einschätzung des [X.], der das [X.] im Beschwerdeverfahren nicht entgegengetreten ist, ist auf der Grundlage der im hier anhängigen Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage beizupflichten.

3. Ob der Antrag ganz oder teilweise begründet ist, kann auf der Grundlage des bisherigen [X.] nicht entschieden werden. Der Beschluss der Vorinstanz ist aufzuheben. Es bedarf für eine abschließende Entscheidung umfangreicher weiterer Sachaufklärung zu der zu prüfenden Frage danach, ob die [X.] tatsächlich gewerblich oder aber nur vermögensverwaltend tätig war. Davon --und von einer aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlichen Ermittlung des [X.] hängt die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Der [X.] hält es angesichts der vom [X.] formulierten Einschätzung, dass im (offensichtlich noch nicht rechtskräftig entschiedenen) Hauptsacheverfahren --d.h. beim [X.]-- "zu prüfen sein (wird), ob sich aus diesen Unterlagen eine gewerbliche Tätigkeit der AG ergibt" (II.2. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses), für sachgerecht, die Sache an das [X.] zurückzuverweisen (zur Zurückverweisung im Verfahren auf AdV s. z.B. [X.] in Beermann/[X.], [X.], § 69 [X.]O Rz 309; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 69 [X.]O Rz 998 ff.; [X.] in Tipke/[X.], [X.], § 69 [X.]O Rz 159, jeweils m.w.N.). Die besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens auf AdV steht der Zurückverweisung im Streitfall nicht entgegen.

Meta

I B 28/11

16.06.2011

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 27. Januar 2011, Az: 2 V 817/10, Beschluss

§ 69 Abs 3 S 1 FGO, § 69 Abs 2 S 2 FGO, § 18 AStG, § 10 AStG, § 347 AO, §§ 347ff AO, Art 19 Abs 4 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.06.2011, Az. I B 28/11 (REWIS RS 2011, 5662)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5662

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