Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.06.2015, Az. 2 B 31/14

2. Senat | REWIS RS 2015, 8890

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Gegenstand

Rüge unterlassener Sachaufklärung bei Verwendung tatsächlicher Feststellungen aus einem Strafbefehl


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 12. November 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf einen Verfahrensmangel gestützte [X.]eschwerde des [X.]eklagten gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und § 66 Abs. 1 des [X.] Disziplinargesetzes - ThürDG -) ist unbegründet.

2

1. Der 1953 geborene [X.]eklagte stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand zum 1. Februar 2014 als Polizeihauptmeister im Dienst des [X.]. Mitte 2010 verurteilte das Amtsgericht den [X.]eklagten durch Strafbefehl wegen Verfolgung Unschuldiger, [X.]etruges, Körperverletzung im Amt und [X.]edrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten. Das Amtsgericht legte den folgenden Sachverhalt zugrunde: Der [X.]eklagte habe im Juli 2009 außerhalb des Dienstes bei einer Fahrt auf der Autobahn mit seinem privaten Pkw einen [X.] Staatsangehörigen angehalten und habe gegen diesen eine Verwarnung von 100 € mit der unwahren [X.]egründung ausgesprochen, der Fahrzeugführer sei nicht angeschnallt gewesen und sei zu schnell gefahren. Anschließend habe er gegenüber dem Vater des Fahrzeugführers vorgetäuscht, dass dieser einen Verkehrsverstoß begangen habe, sodass der Vater dem [X.]eklagten irrtümlicherweise 80 € und 100 [X.] ausgehändigt habe. Zudem habe der [X.]eklagte den Vater des Fahrzeugführers durch einen [X.]iss in den Unterarm verletzt, als dieser Fahrzeugpapiere und Ausweisdokumente sowie die Geldscheine zurückverlangt habe, und habe anschließend mit seiner Dienstwaffe aus einer Entfernung von 30 cm auf dem Kopf des Vaters des Fahrzeugführers gezielt.

3

Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den [X.]eklagten aus dem Dienst entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die [X.]erufung des [X.]eklagten zurückgewiesen. Zur [X.]egründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

4

Der [X.]eklagte habe vorsätzlich ein schwerwiegendes, aus vier innerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen bestehendes Dienstvergehen begangen, das zur endgültigen Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zum Dienstherrn geführt habe. Zwar entfalte ein rechtskräftiger Strafbefehl für das Disziplinarverfahren keine [X.]indungswirkung. Die tatbestandlichen Feststellungen des Strafbefehls könnten aber der disziplinarrechtlichen Würdigung ohne nochmalige Prüfung durch das Gericht zugrunde gelegt werden. Die Feststellungen beruhten auf dem dem Strafbefehl zugrunde liegenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und damit einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren. Der [X.]eklagte habe gegen diese Feststellungen keine substanziierten Einwendungen erhoben. Zudem komme dem Strafbefehl, den der [X.]eklagte habe rechtskräftig werden lassen, Indizwirkung zu.

5

2. Der [X.]eklagte rügt zu Unrecht, dass das Oberverwaltungsgericht dem Disziplinarverfahren die im Strafbefehl zusammengefassten Feststellungen ohne nochmalige eigene Prüfung zugrunde gelegt und von einer [X.]eweisaufnahme, insbesondere durch die Vernehmung des Fahrers und des [X.]eifahrers zum Verhalten des [X.]eklagten anlässlich des Vorfalls vom Juli 2009, abgesehen hat.

6

Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 ThürDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für die [X.] bindend. Diese Regelung ist hier nicht anwendbar, weil ein rechtskräftiger Strafbefehl insoweit einem rechtskräftigen Urteil im Strafverfahren nicht gleichgestellt ist ([X.]VerwG, Urteil vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - juris Rn. 37). Nach § 16 Abs. 2 ThürDG sind die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht bindend, können aber der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden. Hiermit wird dem Anliegen, divergierende Entscheidungen von Straf- und Disziplinargerichten über dieselbe Tatsachengrundlage nach Möglichkeit zu vermeiden, Rechnung getragen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. März 2013 - 2 [X.] 22.12 - NVwZ-RR 2013, 557 Rn. 14).

7

Wegen des im Wortlaut angelegten [X.] und des systematischen Zusammenhangs mit der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 und § 60 Abs. 2 Satz 1 ThürDG ist für die Anwendung des § 16 Abs. 2 ThürDG nur Raum, wenn die Richtigkeit der anderweitig festgestellten Tatsachen vom [X.]eamten im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht substanziiert angezweifelt wird ([X.]VerwG, Urteil vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - juris Rn. 39 und [X.]eschlüsse vom 4. September 2008 - 2 [X.] 61.07 - [X.] 235.1 § 58 [X.] Nr. 4 Rn. 8, vom 27. Oktober 2008 - 2 [X.] 48.08 - Rn. 3 und zuletzt vom 26. September 2014 - 2 [X.] 14.14 - Rn. 10 m.w.N.). Das pauschale Vorbringen des [X.]eamten, der festgestellte Sachverhalt entspreche nicht dem tatsächlichen Geschehensablauf, reicht nicht aus. Erforderlich ist eine von den gerichtlich getroffenen Feststellungen abweichende Schilderung des [X.], die plausibel und nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist.

8

In der [X.]eschwerdebegründung wird nicht dargelegt, dass das Oberverwaltungsgericht aufgrund des Vorbringens des [X.]eklagten im Disziplinarverfahren nach den dargestellten Grundsätzen zu § 16 Abs. 2 ThürDG gehindert war, im Disziplinarverfahren von dem Sachverhalt auszugehen, der in dem dem Strafbefehl zugrunde liegenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren festgestellt worden ist. Aus der [X.]eschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass der [X.]eklagte diese Feststellungen substanziiert angezweifelt hat.

9

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der [X.]eklagte zentral, dass das [X.]erufungsurteil ergangen sei, ohne dass zuvor eine nach seiner Ansicht erforderliche [X.]eweisaufnahme durchgeführt worden sei. Insbesondere seien die Zeugen [X.], [X.] und [X.] zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen vom Oberverwaltungsgericht nicht vernommen worden. Diese Verfahrensrüge geht ins Leere, weil der [X.]eklagte vor dem Oberverwaltungsgericht keine entsprechenden förmlichen [X.]eweisanträge gestellt hat. Von Amts wegen hat sich dem Oberverwaltungsgericht eine [X.]eweiserhebung durch Zeugenvernehmung nicht aufdrängen müssen, weil mangels substanziierter Angriffe und ebensolcher Darstellung eines abweichenden Geschehensablaufs seitens des [X.]eklagten keine hinreichenden objektiven Anknüpfungspunkte für die vom [X.]eklagten nunmehr vermisste [X.]eweisaufnahme erkennbar waren. Die vom [X.]eklagten nunmehr verlangte [X.]eweiserhebung wäre deshalb ins [X.]laue hinein gerichtet und daher unzulässig gewesen.

Vor dem Oberverwaltungsgericht hat der [X.]eklagte zwar zur Sache ausgesagt. Auch hat er dort eingeräumt, dass der von ihm geforderte [X.] von 100 € überhöht war. Gegen die Richtigkeit seiner Darstellung, er habe die [X.] für seinen Dienstherrn vereinnahmen wollen, spricht der Umstand, dass der [X.]eklagte nicht den für das Verwarngeld vorgesehenen Vordruck ausgefüllt und Zug um Zug gegen Entgegennahme des Geldes ausgehändigt hat. Ferner spricht gegen die Glaubhaftigkeit der Darstellung der Geschehnisse das Verhalten des [X.]eklagten auf der Autobahnraststätte im [X.] an die Auseinandersetzung auf dem Seitenstreifen der Autobahn. Denn dort hat der [X.]eklagte gegenüber einem Kollegen wahrheitswidrig behauptet, nicht über die Autobahn gefahren zu sein und von dem Vorfall nichts mitbekommen zu haben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 73 Satz 1 ThürDG. Nach § 77 Abs. 5 ThürDG sind die Verfahren nach diesem Gesetz gebührenfrei.

Meta

2 B 31/14

30.06.2015

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Thüringer Oberverwaltungsgericht, 12. November 2013, Az: 8 DO 537/13, Urteil

§ 16 Abs 2 DG TH, § 53 Abs 1 S 1 DG TH, § 60 Abs 2 S 1 DG TH

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.06.2015, Az. 2 B 31/14 (REWIS RS 2015, 8890)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8890

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