Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.05.2013, Az. 2 B 20/12

2. Senat | REWIS RS 2013, 5824

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Gegenstand

Gerichtliches Disziplinarverfahren; Aufklärungsmangel; Bindungswirkung eines Strafurteils


Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 5. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

[X.]ie auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 66 Abs. 1 Thür[X.]G) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. [X.]ie 1963 geborene [X.] wurde 1988 in den Polizeidienst der [X.] eingestellt. Seit 1997 ist sie Polizeiobermeisterin. [X.]urch Urteil des [X.] aus dem Jahre 2004 wurde die [X.] wegen Unterschlagung verurteilt. [X.]as Amtsgericht stellte fest, dass die [X.] im Vorjahr bei einem Einsatz mit einem Kollegen in der Wohnung einer verstorbenen Person aus einer dort aufgefundenen Geldbörse einen 20-€-Schein und einen 10-€-Schein sowie aus einem Umschlag in einer Tasche einen 100-€-Schein entnommen und sich zu Unrecht angeeignet habe. Auf die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der [X.]n wurde das Strafmaß vom [X.] im Berufungsurteil aus dem Jahre 2005 auf eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50 € reduziert. Ein Wiederaufnahmeantrag der [X.]n blieb erfolglos.

3

Im Jahre 2006 hat der Kläger wegen dieses und weiterer Anschuldigungspunkte [X.]isziplinarklage erhoben und diese im Jahre 2008 mittels einer Nachtragsklage erweitert, die eine Verurteilung der [X.]n durch das Amtsgericht S. wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung in Tatmehrheit mit Beleidigung zum Gegenstand hatte.

4

[X.]as Verwaltungsgericht hat die [X.] aus dem [X.]ienst entfernt, ihre Berufung beim Oberverwaltungsgericht blieb erfolglos.

5

2. [X.]er geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 66 Abs. 1 Thür[X.]G wegen Verstoßes gegen § 86 Abs. 1 VwGO, § 21 Thür[X.]G liegt nicht vor.

6

[X.]ie [X.] rügt der Sache nach, dass das Oberverwaltungsgericht sich auf die Feststellungen im Strafurteil gestützt habe, statt weitere Ermittlungen anzustellen und Beweise zu erheben; hierin sieht sie einen Aufklärungsmangel.

7

Gemäß § 53 Abs. 1 Thür[X.]G erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. [X.]emnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des [X.]ienstvergehens und die Bemessung der [X.]isziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (vgl. auch BT[X.]rucks 14/4659, [X.] zu § 58 [X.]). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der [X.]inge aufdrängen. [X.]ies gilt gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 Thür[X.]G auch für die Berufungsinstanz.

8

[X.]iese Aufklärungspflicht wird durch § 16 Abs. 1 Satz 1 Thür[X.]G eingeschränkt. [X.]anach sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im [X.]isziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend. Nach Satz 2 hat das Gericht jedoch die nochmalige Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, deren Richtigkeit seine Mitglieder mit Stimmenmehrheit bezweifeln. [X.]ie gesetzliche Bindungswirkung dient der Rechtssicherheit. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. [X.]aher sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten "sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. [X.]ies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. [X.]arüber hinaus entfällt die Bindungswirkung, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen (vgl. Urteile vom 29. November 2000 - BVerwG 1 [X.] 13.99 - BVerwGE 112, 243 <245> = [X.] 235 § 18 [X.] Nr. 2 S. 5 f. und vom 16. März 2004 - BVerwG 1 [X.] 15.03 - [X.] 232 § 54 Satz 3 [X.] Nr. 36 S. 81 f.; Beschlüsse vom 24. Juli 2007 - BVerwG 2 [X.] - [X.] 235.2 L[X.]isziplinarG Nr. 4 Rn. 11, vom 26. August 2010 - BVerwG 2 [X.] - [X.] 235.1 § 57 [X.] Nr. 3 Rn. 5 und vom 15. März 2013 - BVerwG 2 B 22.12 - juris Rn. 6 ff., zur [X.] in der Entscheidungssammlung [X.] vorgesehen).

9

Wird dies geltend gemacht, so sind die Verwaltungsgerichte erst dann befugt, dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung nach der entsprechenden Norm zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist. Pauschale Behauptungen oder bloßes Bestreiten genügen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit ergeben kann (Beschlüsse vom 26. August 2010 a.a.[X.] Rn. 6, vom 28. [X.]ezember 2011 - BVerwG 2 [X.] - juris Rn. 13 und vom 14. März 2012 - BVerwG 2 B 5.12 - juris Rn. 5).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Oberverwaltungsgericht die Feststellungen der [X.] nach § 16 Abs. 1 Thür[X.]G als im [X.]isziplinarverfahren bindend angesehen und unter ausführlicher Würdigung der vorgebrachten Einwände die Möglichkeit einer Lösung von der Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 Thür[X.]G zu Recht verneint. [X.]ie [X.] hat keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die Feststellungen der Strafgerichte hinsichtlich der Unterschlagung offenbar unrichtig waren oder unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Im Einzelnen:

Soweit die [X.] die Aussagekraft des eingeholten kriminaltechnischen Gutachtens hinsichtlich der Spuren an dem sichergestellten 10-€-Schein in Frage gestellt hat, spielte die Herkunft des bei der [X.]n sichergestellten Geldes und der Aussagewert des eingeholten kriminaltechnischen Gutachtens keine tragende Rolle bei der Urteilsfindung; die Feststellungen des Strafgerichts beruhten nicht auf der Würdigung dieser Spur, sondern maßgeblich auf der Würdigung von Zeugenaussagen. Hierauf hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend hingewiesen. Soweit die [X.] geltend macht, es sei bereits zweifelhaft, ob überhaupt Geld der Verstorbenen gefehlt habe, hat sie damit angesichts der Berechnung der Staatsanwaltschaft im Wiederaufnahmeverfahren und der konkreten Wahrnehmung des Kollegen beim fraglichen Einsatz die strafgerichtliche Feststellung, die sich maßgeblich auf die Wahrnehmung dieses Zeugen gestützt hat, nicht ernsthaft in Frage stellen können. [X.]ie von der Beschwerde (erneut) vorgebrachten Einwände wegen (von ihr gesehener) "Ungereimtheiten" dieser Zeugenaussage hat das Oberverwaltungsgericht ebenfalls bereits zutreffend als nicht durchgreifend gewürdigt ([X.] 16 unten).

[X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 73 Satz 1 Thür[X.]G. Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil die Verfahren nach dem Thüringer [X.]isziplinargesetz gerichtsgebührenfrei sind (§ 77 Abs. 4 Thür[X.]G).

Meta

2 B 20/12

15.05.2013

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

§ 86 Abs 1 VwGO, § 21 DG TH, § 16 Abs 1 S 1 DG TH, § 16 Abs 1 S 2 DG TH

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.05.2013, Az. 2 B 20/12 (REWIS RS 2013, 5824)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5824

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Referenzen
Wird zitiert von

16a D 15.368

16a D 14.991

16a D 14.1158

16a D 13.1904

Zitiert

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