Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.06.2011, Az. 4 B 3/11

4. Senat | REWIS RS 2011, 5772

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Gegenstand

Zum Verhältnis von Baugenehmigung und fachaufsichtlichem Genehmigungsverfahren


Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 21. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde der [X.]eigeladenen hat keinen Erfolg.

2

1. Als grundsätzlich klärungsbedürftig wirft die [X.]eschwerde die Frage auf:

Müssen die für den Nachbarschutz notwendigen Regelungen auch dann einheitlich und abschließend in der [X.]augenehmigung getroffen werden, wenn sichergestellt ist, dass das [X.] in einem nachfolgenden fachaufsichtlichen Genehmigungsverfahren nochmals überprüft wird?

3

Mit dieser Rüge wendet sich die [X.]eschwerde gegen die Auffassung des [X.]erufungsgerichts, dass die Sicherung von Nachbarrechten bei einem Vorhaben, dessen Immissionen die für die Nachbarschaft maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze überschreiten würde, erfordere, dass Nutzungsmöglichkeiten des Vorhabens unter Umständen durch konkrete Regelungen beschränkt, maßgebliche Immissionsrichtwerte oder [X.]eurteilungspegel als Grenzwerte bereits in der [X.]augenehmigung festgelegt werden ([X.] Rn. 35). In tatsächlicher Hinsicht hat das [X.]erufungsgericht dazu festgestellt, es sei nicht zweifelhaft, dass die Immissionsrichtwerte zur Nachtzeit bei seltenen Ereignissen mit [X.]ezug zum Vorhaben der [X.]eigeladenen überschritten werden könnten; eine Überschreitung des [X.] für Mischgebiete von 45 d[X.](A) nachts (Nr. 6.1 Satz 1 [X.]uchst. [X.] Lärm) sei nach der Prognoseberechnung des [X.] der [X.]eklagten schon ohne die [X.]erücksichtigung seltener Ereignisse anzunehmen. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht von der [X.]eklagten in die angefochtene [X.]augenehmigung eingefügte einschränkende Regelung Nr. 8.2 habe zur Folge, dass die [X.]eigeladene bei größeren Veranstaltungen, die als seltene Ereignisse bezeichnet würden, die Möglichkeit habe, die Außenbewirtschaftung ohne [X.]eachtung der dem Nachbarschutz durch die Auflagen Nr. 5 bis 8.1 dienenden [X.]eschränkungen erheblich auszuweiten ([X.] Rn. 36).

4

Es bedarf nicht erst der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um die aufgeworfene Frage - soweit sie revisionsgerichtlicher Klärung zugänglich ist - zu beantworten. Soweit sie [X.]undesrecht betrifft, lässt sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres mit dem [X.]erufungsgericht bejahen.

5

Wie in der Rechtsprechung des [X.] anerkannt ist, regelt die (positive) bauaufsichtliche Genehmigung nach dem [X.]auordnungsrecht der Länder nicht nur, dass ein bestimmtes [X.]auvorhaben ausgeführt werden darf; neben diesem gestattenden Teil ([X.]aufreigabe) hat die [X.]augenehmigung vielmehr die umfassende Feststellung der Vereinbarkeit des [X.]auvorhabens einschließlich der ihm zugedachten Nutzung mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Inhalt, soweit sie für die baurechtliche Prüfung einschlägig sind (Urteil vom 17. Oktober 1989 - [X.]VerwG 1 [X.] 18.87 - [X.]VerwGE 84, 11 <13 f.>). Des Weiteren ist geklärt, dass wenn die von einer Gaststätte typischerweise zu erwartenden [X.]elästigungen nach der Art des [X.]augebiets im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 [X.] als zumutbar anzusehen sind, dies zugleich bedeutet, dass es sich dabei nicht um schädliche Umwelteinwirkungen oder sonstige erhebliche Nachteile, Gefahren oder [X.]elästigungen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.] handelt (Urteil vom 4. Oktober 1988 - [X.]VerwG 1 [X.] 72.86 - [X.]VerwGE 80, 259 <262>). Soweit die [X.]augenehmigungsbehörde zuständig ist, entfaltet die feststellende Regelung der [X.]augenehmigung im gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahren [X.]indungswirkung (Urteil vom 17. Oktober 1989 a.a.[X.] 14).

6

Zur Frage, welche [X.]ehörde die insoweit maßgebliche Entscheidung zu treffen hat, hat das [X.] den Grundsatz aufgestellt, dass diese danach zu bestimmen ist, zu welchem in die originäre Zuständigkeit der beteiligten [X.]ehörden fallenden Regelungsgegenstand der stärkere [X.]ezug besteht (Urteile vom 4. Juli 1986 - [X.]VerwG 4 [X.] 31.84 - [X.]VerwGE 74, 315 <324>; vom 4. Oktober 1988 a.a.[X.] 262 und vom 27. März 1990 - [X.]VerwG 1 [X.] 47.88 - [X.] § 33i GewO Nr. 9). Danach gilt: Soweit die typischerweise mit der bestimmungsgemäßen Nutzung einer Gaststätte in einer konkreten baulichen Umgebung verbundenen Immissionen zu beurteilen sind, besteht der stärkere [X.]ezug zur Zuständigkeit der [X.]aurechtsbehörde; denn diese typischen Immissionen hängen von Größe, [X.]eschaffenheit und Standort der baulichen Anlage ab, die Gegenstand der [X.]augenehmigung sind, und nicht vom jeweiligen Gastwirt, dem die Gaststättenerlaubnis - wenn auch in [X.]ezug auf bestimmte Räume - gerade für seine Person erteilt wird (Urteil vom 4. Oktober 1988 a.a.[X.] 262; vgl. auch [X.], [X.], 6. Aufl. 2002, § 4 Rn. 358; [X.]. a.a.O. § 5 Rn. 45). Lärmbeeinträchtigungen, die bei so genannten seltenen Ereignissen auftreten, stellen ebenfalls typische mit der Nutzung in der konkreten baulichen Situation verbundene Immissionen dar. Dementsprechend muss bereits die angegriffene [X.]augenehmigung sicher stellen, dass durch die mit ihr zusätzlich zugelassene Nutzung keine Lärmimmissionen hervorgerufen werden, die nach dem Gebot der Rücksichtnahme unzumutbar wären; sie muss die mit Rücksicht auf schutzwürdige nachbarschaftliche [X.]elange ggf. erforderlichen [X.]eschränkungen selbst klar und im sachlich gebotenen Umfang regeln. Unabhängig davon, dass bei bestimmten Veranstaltungen, die als seltene Ereignisse einzustufen sind, eine gaststättenrechtliche oder sicherheitsrechtliche Genehmigung einzuholen ist, hat - wie das [X.]erufungsgericht ausgeführt hat - die [X.]augenehmigungsbehörde daher unter [X.]erücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall einzuschätzen, in welcher Weise bei der Festsetzung der zulässigen Art und Zahl der seltenen Ereignisse den [X.]elangen der Anwohner unter [X.]erücksichtigung der gebotenen gegenseitigen Rücksichtnahme Rechnung getragen werden muss. Das schließt es nicht aus, dass Einzelheiten der [X.] im Einzelfall dem gaststättenrechtlichen Verfahren vorbehalten sein können ([X.]eschlüsse vom 28. November 1991 - [X.]VerwG 1 [X.] 152.91 - [X.] 451.41 § 4 [X.] Nr. 18 und vom 20. Oktober 1988 - [X.]VerwG 4 [X.] 195.88 - [X.]RS 48 Nr. 141). Darauf hebt der Senat auch ab in dem von der [X.]eschwerde in [X.]ezug genommenen Urteil vom 27. August 1998 - [X.]VerwG 4 [X.] 5.98 - ([X.] 406.11 § 34 [X.]auG[X.] Nr. 190 - juris Rn. 34), wenn er darauf hinweist, dass allein [X.]eeinträchtigungen, die einen unmittelbaren [X.]ezug zu einem Gaststättenbetrieb aufweisen, als Anknüpfungspunkt für gaststättenrechtliche Anordnungen in [X.]etracht kommen. Einen über diese Grundsätze hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die [X.]eschwerde nicht auf.

7

2. Als Verfahrensrüge im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO macht die [X.]eschwerde geltend, das Urteil stelle ein Überraschungsurteil dar, weil das [X.]erufungsgericht die Frage der Teilbarkeit der angefochtenen [X.]augenehmigung nicht mit den [X.]eteiligten erörtert, insbesondere keine entsprechende Nachfrage an die [X.]eklagte gerichtet habe. Sie wendet sich damit gegen die Feststellung des [X.]erufungsgerichts, eine Teilaufhebung nur der Nebenbestimmung Nr. 8.2 komme nicht in [X.]etracht, weil das zur Folge hätte, dass die gerichtliche Entscheidung zu einer [X.]augenehmigung führen würde, die dem Willen der [X.]eklagten nicht entspräche ([X.] Rn. 39). Auch diese Rüge führt nicht zur Zulassung der Revision.

8

Die richterliche Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (Urteil vom 11. November 1970 - [X.]VerwG 6 [X.] 49.68 - [X.]VerwGE 36, 264 <266 f.>). Das [X.]erufungsgericht darf deshalb seine Entscheidung nicht auf Tatsachen oder Rechtsgründe stützen, die für einen erstinstanzlich erfolgreichen [X.]eteiligten in Ansehung der [X.]egründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils überraschend sind ([X.]eschluss vom 4. Juli 2007 - [X.]VerwG 7 [X.] 18.07 - juris Rn. 5). Die Hinweispflicht bezieht sich auf die tragenden ("wesentlichen") Erwägungen des Gerichts. Ein Gericht ist aber grundsätzlich nicht verpflichtet, die [X.]eteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden [X.]eratung ergibt (stRspr; vgl. nur [X.]eschlüsse vom 26. Juni 1998 - [X.]VerwG 4 [X.] 19.98 - [X.]RS 60 Nr. 187 und vom 6. April 2004 - [X.]VerwG 4 [X.] 2.04 - insoweit nicht veröffentlicht in [X.] 310 § 137 Abs. 2 VwGO Nr. 12 - juris Rn. 25). Unzulässig sind nur Überraschungsentscheidungen, bei denen die Entscheidung auf neue Gesichtspunkte gestützt wird, ohne dass die [X.]eteiligten damit rechnen konnten.

9

Es erscheint schon zweifelhaft, ob das [X.]erufungsgericht als verpflichtet angesehen werden könnte, die beigeladene [X.]auherrin auf die Rechtsfolgen der Rechtswidrigkeit der von einer Nachbarin angefochtenen [X.]augenehmigung hinzuweisen und zu erörtern, ob - unter Abweisung der Klage im Übrigen - eine Teilaufhebung in [X.]etracht käme. Dass das [X.]erufungsgericht - an[X.] als das Verwaltungsgericht - Zweifel an der Rechtmäßigkeit der [X.]augenehmigung hatte, dürfte sich der [X.]eigeladenen im Rahmen des in der Sitzungsnie[X.]chrift dokumentierten Rechtsgesprächs ohne Weiteres erschlossen haben. Da sich die Klägerin nicht auf eine isolierte Anfechtung der nachträglich eingefügten Nr. 8.2 beschränkt hat und das [X.]erufungsgericht der Klägerin gegenüber auch keine solche [X.]eschränkung nahegelegt hat, musste die [X.]eigeladene damit rechnen, dass das Gericht - wie von der Klägerin beantragt - den rechtswidrigen Verwaltungsakt insgesamt aufheben werde.

Unabhängig davon genügt es unter dem [X.]lickwinkel des [X.]eruhenserfordernisses nicht, lediglich darauf zu verweisen, dass auf entsprechenden Hinweis vorgetragen worden wäre, dass auch ein [X.]escheid ohne die Nebenbestimmung Nr. 8.2 dem Willen der [X.]eklagten entsprochen hätte, was sich auch daran zeige, dass die Nebenbestimmung in dem ursprünglichen Ausgangsbescheid nicht enthalten gewesen sei. Die [X.]eigeladene beachtet insofern nicht, dass bei der [X.]eurteilung von Verfahrensfehlern vom materiell-rechtlichen Standpunkt des Gerichts auszugehen ist. Nach Auffassung des [X.]erufungsgerichts müssen - wie dargelegt - auch im Hinblick auf so genannte seltene Ereignisse bereits in der [X.]augenehmigung Regelungen im Hinblick auf Lärmbeeinträchtigungen enthalten sein. Der Umstand, dass die Nebenbestimmung Nr. 8.2 nachträglich eingefügt worden war, beruhte dagegen auf der vom [X.]erufungsgericht verworfenen Auffassung, es genüge, für solche Ereignisse gaststättenrechtliche oder sicherheitsrechtliche Genehmigungen einzuholen. Der Ausgangsbescheid enthielt also nur deswegen keine Einschränkung, weil die [X.]eklagte der - auch vom Verwaltungsgericht vertretenen - Auffassung war, Ereignisse im Sinne der [X.] TA Lärm seien nicht Regelungsgegenstand der [X.]augenehmigung. Vor diesem Hintergrund hätte es der substantiierten Darlegung bedurft, dass die [X.]eklagte einen [X.]etrieb genehmigen wollte, bei dem die Nebenbestimmungen Nr. 5 bis 8.1 - insbesondere die [X.]eschränkung des [X.]etriebs nur tagsüber bis 22.00 Uhr sowie das Verbot von Musikdarbietungen jeglicher Art - uneingeschränkt auch im Fall so genannter seltener Ereignisse gelten sollten. Dass die [X.]eklagte bei Erlass des [X.]escheids einen solchen Regelungswillen hatte, zeigt die [X.]eschwerde nicht auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 3/11

14.06.2011

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 21. Oktober 2010, Az: 14 B 08.1267, Urteil

§ 15 BauNVO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.06.2011, Az. 4 B 3/11 (REWIS RS 2011, 5772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5772

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