Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 20.05.2010, Az. 6 AZR 481/09 (A)

6. Senat | REWIS RS 2010, 6427

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Gegenstand

Anderweitiges Vorabentscheidungsverfahren - Aussetzung


Leitsatz

Die Aussetzung des Verfahrens ist in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auch ohne gleichzeitiges Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union grundsätzlich zulässig, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung derselben Frage abhängt, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt wurde.

Tenor

Die Verhandlung wird bis zur Erledigung des [X.] nach Art. 267 AEUV im Revisionsverfahren [X.] (- 6 [X.] -) ausgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten [X.]. darüber, ob die Bemessung der Grundvergütung nach [X.] im Vergütungssystem des [X.] gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstößt und dem im Jan[X.]r 1976 geborenen Kläger für die Monate August 2007 bis Dezember 2008 Grundvergütung der Vergütungsgruppe II a [X.] nach der Lebensaltersstufe „nach vollendetem 45. Lebensjahr“ zusteht.

2

Der Kläger war vom 1. August 2005 bis zum 31. Dezember 2008 beim beklagten Land an der [X.] als Angestellter tätig, zuletzt aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 27. Juni 2007. In diesem ist [X.]. vereinbart, dass der Kläger ab dem 1. August 2007 bis zum 31. Dezember 2008 als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Angestellten weiterbeschäftigt wird, das Arbeitsverhältnis sich nach dem [X.]-Angestelltentarifvertrag([X.]) und den sonstigen einschlägigen Tarifverträgen für den Bereich der [X.] ([X.]) bestimmt, soweit keine abweichenden Vereinbarungen getroffen sind, und der Kläger in der Vergütungsgruppe II a [X.] eingruppiert ist. Das beklagte Land war mit Ablauf des 31. März 2004 aus der [X.] ausgetreten.

3

Der Kläger hat gemeint, die Bemessung der tariflichen Grundvergütung nach [X.] verstoße gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Ihm stehe Grundvergütung der höchsten Lebensaltersstufe der Vergütungsgruppe II a [X.] zu. Das beklagte Land ist der Ansicht, der Kläger habe nur Anspruch auf Grundvergütung der seinem Alter entsprechenden Lebensaltersstufe.

4

II. Die Verhandlung konnte in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO bis zur Erledigung des [X.] nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.]([X.]) ([X.] Nr. C 115 vom 9. Mai 2008 S. 47) im Revisionsverfahren [X.] (- 6 [X.] -) ausgesetzt werden.

5

1. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt ebenso wie die Entscheidung im Revisionsverfahren [X.] (- 6 [X.] -) von der vom Gerichtshof der [X.] ([X.]) zu treffenden Beurteilung ab, ob die in § 27 Abschn. A [X.] angeordnete Bemessung der [X.] in den Vergütungsgruppen des [X.] nach [X.] gegen das primärrechtliche Verbot der Ungleichbehandlung wegen des Alters verstößt und eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie des [X.] für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ([X.] 2000/78/[X.]) vom 27. November 2000 ([X.]. [X.] Nr. L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) darstellt. Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Mai 2010 in dem vorgenannten Revisionsverfahren dem [X.] gemäß Art. 267 [X.] folgende Frage vorgelegt:

        

Verstößt eine tarifliche Entgeltregelung für die Angestellten im öffentlichen Dienst, die wie § 27 [X.]-Angestelltentarifvertrag ([X.]) in Verbindung mit dem Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum [X.] die Grundvergütungen in den einzelnen Vergütungsgruppen nach [X.] bemisst, auch unter Berücksichtigung des primärrechtlich gewährleisteten Rechts der Tarifvertragsparteien auf [X.] (jetzt Art. 28 GRC) gegen das primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (jetzt Art. 21 Abs. 1 GRC) in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/[X.]?

6

Mit der Beantwortung dieser Vorlagefrage durch den [X.] wird auch für den vorliegenden Rechtsstreit geklärt, ob die Bemessung der [X.] nach [X.] im [X.] Nr. 35 zum [X.] wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters unwirksam ist.

7

2. § 148 ZPO regelt die Aussetzung der Verhandlung bei [X.]. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ist eine Aussetzung der Verhandlung auch bis zur Erledigung eines [X.] nach Art. 267 [X.] in einem anderen Rechtsstreit grundsätzlich zulässig.

8

a) Hält ein Gericht eine Norm für verfassungswidrig, auf die es bei der Entscheidung ankommt, so muss es die Verhandlung nach Art. 100 GG aussetzen und die Entscheidung des zuständigen Verfassungsgerichts einholen. Ohne Vorlage an das Verfassungsgericht aussetzen darf ein Gericht in analoger Anwendung von § 148 ZPO dann, wenn es die Norm, wegen der bereits ein Kontrollverfahren beim Verfassungsgericht anhängig ist, nicht für verfassungswidrig hält([X.] 25. März 1998 - [X.] - NJW 1998, 1957).

9

b) Die Aussetzung wegen Verfassungswidrigkeit einer Norm unterscheidet sich von der Aussetzung zur Auslegung einer Norm durch den [X.] nicht grundlegend. In beiden Fällen geht es nicht um die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 148 ZPO ist eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder zu Gegenständen([X.] 25. März 1998 - [X.] - NJW 1998, 1957). Die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ist ebenso wie die Wirksamkeit einer Tarifvorschrift kein Rechtsverhältnis in diesem Sinne, sondern eine Rechtsfrage. Die Rechtsfrage, ob eine Regelung anzuwenden ist oder nicht, stellt sich nicht nur bei einer möglichen Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift, sondern auch bei einem möglichen Verstoß gegen das primärrechtliche Verbot der Ungleichbehandlung wegen des Alters. Die entsprechende Anwendung des § 148 ZPO ist deshalb durch eine gleichartige Interessenlage gerechtfertigt. Die Vorschrift will nach einhelliger Auffassung eine doppelte Prüfung derselben Frage in mehreren Verfahren verhindern. Das dient der Prozesswirtschaftlichkeit und der Vermeidung sich widersprechender Entscheidungen. Wegen dieser Vorteile nimmt das Gesetz den zeitweiligen Stillstand und die hierdurch bewirkte Verzögerung des Verfahrens in Kauf. Dieser Gesetzeszweck kommt gleichermaßen zum Tragen, wenn die Frage eines Verstoßes gegen ein Diskriminierungsverbot bereits Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens an den [X.] oder zur Frage der Verfassungswidrigkeit einer Norm bereits ein Kontrollverfahren beim zuständigen Verfassungsgericht anhängig ist.

3. Ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren mit derselben Vorlagefrage würde entgegen der Ansicht des [X.] nicht zu einer Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage für den [X.] führen. Der Senat hat die Argumente und Erwägungen des [X.], die dieser für den von ihm angenommenen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot wegen des Alters vorgebracht hat, bei dem Vorlagebeschluss berücksichtigt. Für die Aussetzung spricht auch, dass das Verfahren dadurch nicht verzögert wird. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass zwei Vorabentscheidungsverfahren mit derselben Vorlagefrage deren Beantwortung durch den [X.] beschleunigen würden. Für die Entscheidung des Senats, den [X.] nicht im vorliegenden, sondern im Revisionsverfahren [X.] (- 6 [X.] -) um die Beantwortung der Vorlagefrage zu ersuchen, war maßgebend, dass die Parteien bei Abschluss des Arbeitsvertrags vom 27. Juni 2007 nicht tarifgebunden waren. Demgegenüber war das [X.] an den Tarifvertrag zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes vom 31. Juli 2003 gebunden. Dieser Tarifvertrag regelte [X.]., dass sich die Arbeitsverhältnisse der Angestellten mit bestimmten Maßgaben nach den Vorschriften des [X.] in der Fassung vom 31. Jan[X.]r 2003 und den Anlagen zum [X.] Nr. 35 zum [X.] für den Bereich des [X.] und der [X.] richten. Da sich die Vorlagefrage auch zum primärrechtlich gewährleisteten Recht der Tarifvertragsparteien auf [X.] (Art. 28 GRC) verhält, hat der Senat mangels Tarifbindung der Parteien bei Abschluss des Arbeitsvertrags vom 27. Juni 2007 von einem Vorabentscheidungsersuchen im vorliegenden Revisionsverfahren abgesehen und den [X.] im Revisionsverfahren [X.] (- 6 [X.] -) um die Beantwortung der Vorlagefrage ersucht.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    Oye    

        

    B. Schipp    

                 

Meta

6 AZR 481/09 (A)

20.05.2010

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Marburg, 26. September 2008, Az: 2 Ca 183/08, Urteil

Art 267 AEUV, § 148 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 20.05.2010, Az. 6 AZR 481/09 (A) (REWIS RS 2010, 6427)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6427

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