Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.06.2017, Az. 4 B 48/16

4. Senat | REWIS RS 2017, 9286

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Gegenstand

Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde


Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

Der Verwaltungsgerichtshof hat die [X.]erufung der Klägerin aus mehreren Gründen zurückgewiesen. Ihre Anfechtungsklage sei bereits unzulässig, denn sie verfüge nicht über die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis. Dass die dem [X.]eigeladenen erteilte [X.]augenehmigung Rechte der Klägerin verletzte, sei offensichtlich ausgeschlossen ([X.] Rn. 30 - 39). Die Klage sei auch unbegründet. Die [X.]augenehmigung, die die Silos auf dem [X.] nicht umfasse, sondern sich nur auf die neu zu errichtende [X.]iogasanlage beziehe, verstoße nicht gegen das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 [X.]auG[X.] enthaltene [X.], denn die von der Anlage auf das Wohnhaus der Klägerin einwirkenden Immissionen würden das [X.] von 2 % nach Nr. 3.3 der [X.] mit 0,4 % weit unterschreiten ([X.] Rn. 43 - 46). Aber selbst wenn die [X.] auf dem [X.] zu berücksichtigen seien, würden durch die [X.]augenehmigung Rechte der Klägerin nicht verletzt. Auch dann seien die Immissionen noch nicht [X.]. Nr. 3.3 der [X.] relevant, denn die Zusatzbelastung für die Klägerin sei in diesem Fall mit rund 1,8 % anzusetzen ([X.] Rn. 47 - 52).

3

Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbstständig tragende [X.]egründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser [X.]egründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 10. Dezember 2015 - 4 [X.] - Rn. 2 m.w.N.). Denn ist nur bezüglich einer [X.]egründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese [X.]egründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 9. September 2009 - 4 [X.]N 4.09 - [X.] 2010, 67 = juris Rn. 5). Daran fehlt es hier. Jedenfalls in [X.]ezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, Rechte der Klägerin würden durch die [X.]augenehmigung nicht verletzt, weil die [X.] nicht mitgenehmigt seien und sie deshalb in [X.]ezug auf die zusätzliche Geruchsbelastung unberücksichtigt bleiben müssten, liegt kein Zulassungsgrund vor. Die von der Klägerin insofern geltend gemachten Verfahrensfehler sind nicht schlüssig dargetan.

4

1. Ohne Erfolg macht die [X.]eschwerde zunächst geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe seine richterliche Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) verletzt und eine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen.

5

Die Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von [X.] ([X.]VerwG, Urteil vom 11. November 1970 - 6 [X.] 49.68 - [X.]VerwGE 36, 264 <266 f.>; [X.]eschluss vom 4. Juli 2007 - 7 [X.] - juris Rn. 5). Folglich ist ein die § 108 Abs. 2, § 104 Abs. 1 und § 86 Abs. 3 VwGO verletzendes Überraschungsurteil dann gegeben, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der alle oder einzelne [X.]eteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten ([X.]VerwG, Urteil vom 19. Juli 1985 - 4 [X.] 62.82 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 170). Ansonsten besteht im Grundsatz keine Pflicht des Gerichts, den [X.]eteiligten seine Auffassung jeweils vor dem Ergehen einer Entscheidung zu offenbaren (vgl. z.[X.]. [X.], [X.]eschluss vom 5. November 1986 - 1 [X.]vR 706/85 - [X.]E 74, 1 <5>). Ein Gericht muss die [X.]eteiligten mithin grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden [X.]eratung ergibt (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 8. August 1994 - 6 [X.] 87.93 - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 335 = juris Rn. 5, vom 26. Juni 1998 - 4 [X.] 19.98 - juris Rn. 5, vom 28. Dezember 1999 - 9 [X.] 467.99 - [X.] 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 = juris Rn. 2, vom 13. März 2003 - 5 [X.] 253.02 - juris Rn. 17, vom 29. Januar 2010 - 5 [X.] 21.09 - [X.] 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 = juris Rn. 18 und vom 26. Februar 2013 - 4 [X.] 53.12 - juris Rn. 4).

6

Die Klägerin macht geltend, das [X.]erufungsgericht sei fehlerhaft und mit einer nicht tragfähigen Argumentation davon ausgegangen, dass die [X.] auf dem Grundstück des [X.]eigeladenen nicht Gegenstand der angefochtenen [X.]augenehmigung und daher nicht zu berücksichtigen seien. Diese im Urteil geäußerte Rechtsmeinung sei völlig überraschend gewesen und stehe im direkten Widerspruch zu den Hinweisen des früher für das Verfahren zuständigen 15. Senats des Verwaltungsgerichtshofs sowie mit dessen Rechtsprechung. Die im Protokoll über die mündliche Verhandlung festgehaltene Äußerung des Gerichts zu den [X.] genüge zur Erfüllung der gerichtlichen Hinweispflicht nicht. Einen Verfahrensfehler zeigt die [X.]eschwerde damit nicht auf.

7

Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2016 ([X.]) hat der Vorsitzende nicht nur darauf hingewiesen, dass die [X.] in der [X.]augenehmigung vom 5. Oktober 2005 nicht "auftauchen", sondern auch darauf, dass diese nur in der [X.]etriebsbeschreibung als [X.]estand erwähnt würden. Aus diesem Hinweis ergibt sich hinreichend deutlich, dass das [X.]erufungsgericht die [X.] als nicht mitgenehmigt und damit für die durch das Vorhaben ausgelöste zusätzliche Immissionsbelastung des Wohnhauses der Klägerin als irrelevant ansehen könnte; das genügt den Anforderungen nach § 104 Abs. 1 und § 86 Abs. 3 VwGO. Die entsprechende Annahme im Urteil war folglich nicht überraschend i.S.d. dargestellten Maßstäbe.

8

Auch aus den (diversen) Hinweisschreiben des [X.]erichterstatters des früher zuständigen 15. Senats des Verwaltungsgerichtshofs, die u.a. auf den [X.]eschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. März 2004 - 15 [X.]S 03.2891 - (juris) rekurrierten, folgt nichts anderes. Denn das Verbot, eine Überraschungsentscheidung zu erlassen, schützt keinen [X.]eteiligten davor, dass sich ein Gericht auf der Grundlage weiterer Ermittlung des Sachverhalts und der Erörterung der Rechtslage von einer vom [X.]erichterstatter nur vorläufig gefassten Einschätzung löst und im Ergebnis zu Ungunsten eines [X.]eteiligten entscheidet, der zuvor eine für ihn günstigere Entscheidung erhofft hatte ([X.]VerwG, Urteil vom 27. Oktober 2004 - 10 [X.] 2.04 - NVwZ 2005, 828 = juris Rn. 16; [X.]eschlüsse vom 23. Dezember 1991 - 5 [X.] 80.91 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 241 und vom 5. Dezember 2001 - 4 [X.] 82.01 - juris Rn. 6).

9

Soweit die Klägerin in der [X.]eurteilung der Lagerkapazitäten der Silos durch das [X.]erufungsgericht ([X.] Rn. 50) eine Überraschungsentscheidung erblickt, ist die Rüge schon deshalb unbegründet, weil die von ihr wiedergegebene Textpassage sich auf den dritten [X.]egründungsstrang bezieht, der mit Rn. 47 des Urteilsabdrucks beginnt.

2. Die Klägerin zeigt auch nicht auf, dass der Verwaltungsgerichtshof seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht nachgekommen ist.

Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in [X.]etracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Antragsteller günstigeren Entscheidung hätte führen können. Maßgeblich ist dabei der materiell-rechtliche Standpunkt des Tatsachengerichts, auch wenn dieser rechtlichen [X.]edenken begegnen sollte (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 [X.] 11.96 - [X.]VerwGE 106, 115 <119>; [X.]eschlüsse vom 25. Januar 2005 - 9 [X.] 38.04 - NVwZ 2005, 447 <449> = juris Rn. 21 und vom 20. Dezember 2010 - 5 [X.] 38.10 - juris Rn. 18).

Die Klägerin rügt, die Feststellungen des [X.]erufungsgerichts seien nicht ausreichend gewesen, um beurteilen zu können, ob sie unzumutbaren schädlichen Umweltauswirkungen [X.]. § 3 Abs. 1 [X.]ImSchG durch das Vorhaben des [X.]eigeladenen ausgesetzt werde. Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung vom 14. Juli 2016 gestellten [X.]eweisantrages hätte das Gericht ein weiteres Sachverständigengutachten einholen müssen. Die Erwägungen, auf die der Verwaltungsgerichtshof die Ablehnung des [X.]eweisantrages gestützt habe, seien nicht tragfähig. Das führt auf keinen Aufklärungsmangel.

Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass die angefochtene [X.]augenehmigung die [X.] nicht umfasst. Dieser tatrichterlich ermittelte Inhalt des angefochtenen [X.]escheids ist als Tatsachenfeststellung i.S.d. § 137 Abs. 2 VwGO für den Senat bindend (vgl. dazu [X.]VerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - 4 [X.] 2.00 - [X.]VerwGE 115, 274 <280>), denn die [X.]eschwerde legt nicht dar, dass die vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommene Auslegung an einem Rechtsirrtum leidet oder gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln verstößt (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 19. Februar 1982 - 8 [X.] 27.81 - [X.]VerwGE 65, 61 <68 f.> = juris Rn. 28; [X.]eschluss vom 22. Dezember 2016 - 4 [X.] 13.16 - [X.] 2017, 161 = juris Rn. 11). Der nunmehr (erstmalig) erhobene Einwand, die eingereichten [X.]auvorlagen und die angefochtene [X.]augenehmigung seien zu unbestimmt, genügt hierfür nicht.

Von diesem Genehmigungsinhalt ausgehend und gestützt auf das gerichtliche Sachverständigengutachten vom 17. November 2011 hat der Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass die durch die [X.]iogasanlage - als alleiniger Gegenstand der [X.]augenehmigung - erzeugten Umwelteinwirkungen am Wohnhaus der Klägerin das [X.] nach Nr. 3.3 der [X.] weit unterschreiten würden und zwar selbst dann, wenn aufgrund neuer Erkenntnisse über die Windrichtung von einer Verdoppelung des [X.]elastungswerts von 0,4 % auf 0,8 % auszugehen sei ([X.] Rn. 46). Die [X.]eschwerde legt nicht dar, inwiefern sich dem [X.]erufungsgericht auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Ihre Argumentation bezieht sich ausschließlich auf den dritten [X.]egründungsstrang ([X.] Rn. 47 ff.). Nichts anderes gilt für den gestellten und vom Gericht abgelehnten [X.]eweisantrag. Dieser nahm [X.]ezug auf Nr. 7 des Hinweisschreibens vom 10. Juli 2013 des früheren [X.]erichterstatters (GA [X.]l. 587 ff.), welches auf die Immissionszusatzbelastung im Zusammenhang mit dem [X.]etrieb der [X.] abstellte. Auf diese Zusatzbelastung kam es - im Rahmen des zweiten [X.]egründungsstranges - indessen nicht an, weil das [X.]erufungsgericht davon ausgegangen ist, dass die [X.] von der [X.]augenehmigung nicht mitumfasst sind. Folgerichtig behandelt der Verwaltungsgerichtshof den von der Klägerin gestellten [X.]eweisantrag erst im Rahmen seines dritten [X.]egründungsstranges ([X.] Rn. 50 a.E.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 48/16

21.06.2017

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 26. Juli 2016, Az: 2 B 15.2392, Urteil

§ 132 Abs 2 Nr 2 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 133 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.06.2017, Az. 4 B 48/16 (REWIS RS 2017, 9286)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9286

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