Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.09.2010, Az. XII ZR 188/08

12. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 3325

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Gegenstand

Gewerberaummiete: Fristlose Kündigung des Mieters wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses auf Grund von geschäftsschädigenden Behauptungen des Vermieters


Leitsatz

Bei einem gewerblichen Mietverhältnis kann für den Mieter ein Recht zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB bestehen, wenn der Vermieter gegenüber Dritten ohne berechtigtes Interesse Behauptungen aufstellt, die geeignet sind, den Gewerbebetrieb des Mieters nachhaltig zu beeinträchtigen, und deshalb die das Schuldverhältnis tragende Vertrauensgrundlage derart zerstört ist, dass dem Mieter unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes nicht mehr zugemutet werden kann .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 30. Oktober 2008 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Mit [X.] mietete die Klägerin von der Beklagten Gewerberäume zum Betrieb eines "Wellness- und Seminarhauses" auf die Dauer von zwei Jahren.

2

Mit Schreiben vom 4. April 2007 kündigte die Klägerin den Mietvertrag außerordentlich zum 30. April 2007 mit der Begründung, die Beklagte habe seit Beginn des Mietverhältnisses durch verschiedene Handlungen, vor allem durch herabsetzende Äußerungen, versucht, die Ausübung ihres Gewerbebetriebes zu stören.

3

Mit ihrer Klage beansprucht die Klägerin den Ersatz von kündigungsbedingten Kosten und Aufwendungen sowie die Freigabe der Kaution. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

4

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre bisherigen Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die vom [X.] zugelassene Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.].

I.

6

Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, ein Grund zur außerordentlichen Kündigung sei nicht gegeben. Die von der Klägerin behaupteten Verstöße der [X.] seien weder für sich genommen noch in einer Gesamtschau geeignet, bei Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum vereinbarten Ende für die Klägerin als unzumutbar erscheinen zu lassen. Im Übrigen fehle es für eine wirksame außerordentliche Kündigung bezüglich einzelner Verstöße an der gemäß § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB erforderlichen Abmahnung. Eine solche sei auch nicht gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 BGB entbehrlich gewesen.

II.

7

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

1. Nach § 543 Abs. 1 Satz 1 BGB kann jede Partei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (§ 543 Abs. 1 Satz 2 BGB).

9

Die Beantwortung der Frage, ob eine Unzumutbarkeit in diesem Sinne vorliegt, ist das Ergebnis einer wertenden Betrachtung; diese obliegt in erster Linie dem Tatrichter und kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt hat oder ob er die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat. Das Revisionsgericht kann regelmäßig nur überprüfen, ob das Berufungsgericht Rechtsbegriffe verkannt hat oder ob dem Tatrichter von der Revision gerügte [X.] unterlaufen sind, er etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt oder Erfahrungssätze verletzt hat ([X.]surteil vom 21. März 2007 - [X.] - NJW-RR 2007, 886 Rn. 16).

2. Der Prüfung anhand dieses Maßstabs hält das Berufungsurteil nicht stand. Das [X.] hat zu hohe Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes gestellt und damit den Maßstab für die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung überspannt.

a) Für eine Mietvertragspartei kann ein Recht zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB bestehen, wenn infolge des Verhaltens des anderen Vertragsteils die Durchführung des Vertrages wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage derart gefährdet ist, dass dem Kündigenden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes nicht mehr zugemutet werden kann ([X.]surteile vom 23. Januar 2002 - [X.] - NJW-RR 2002, 946 und vom 10. April 2002 - [X.]/00 - NJW-RR 2002, 947, 948; [X.]/[X.]/[X.] Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingsrechts 10. Aufl. Rn. 1030; [X.] in [X.] Mietrecht 9. Aufl. § 543 BGB Rn. 163). Über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB ist auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden ([X.] in [X.]/[X.], [X.] Aufl. § 543 BGB Rn. 6; Grapentin in Bub/[X.] Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 3. Aufl. [X.] Rn. 190 mwN). Hierfür sind die Interessen des Kündigenden an der Vertragsbeendigung und die Interessen der anderen Vertragspartei an der Fortdauer des Mietverhältnisses zu ermitteln und zu bewerten ([X.] in [X.] aaO § 543 BGB Rn. 159; [X.] in [X.]/Sonnenschein Miete 9. Aufl. § 543 BGB Rn. 4). Frühere Vertragsverletzungen des [X.] können berücksichtigt werden, selbst wenn diese für sich genommen eine Kündigung nicht rechtfertigen würden (Grapentin in Bub/[X.] aaO [X.] Rn. 190 mwN; [X.] in [X.]/[X.] Miet- und Pachtrecht (Stand 2010) [X.] § 543 BGB Rn. 5).

b) Die von der Klägerin vorgetragenen und unter Beweis gestellten Vorfälle lassen auf eine nachhaltige Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien schließen und sind daher zumindest in ihrer Gesamtheit geeignet, eine außerordentliche Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB zu begründen.

Nach dem Vortrag der Klägerin hat die Gesellschafterin der [X.] die Klägerin nicht nur gegenüber Dritten beleidigt, sondern auch versucht, durch missfällige Äußerungen und Verdächtigungen den Geschäftsbetrieb der Klägerin zu diffamieren. Die von der Klägerin bereits erstinstanzlich vorgetragenen und in der Berufung wiederholten Behauptungen zu Äußerungen der Gesellschafterin der [X.], wonach die Klägerin in den Geschäftsräumen „ein schlüpfriges Geschäft mit Sexspielchen“ oder "ein verdecktes Puff" betreibe, sind ebenso wie die behauptete Äußerung, die Klägerin betreibe eine Sekte, geeignet, den Geschäftsbetrieb der Klägerin massiv zu beeinträchtigen. Sollte sich dieser Sachvortrag der Klägerin in einer Beweisaufnahme bestätigen, hätte die Beklagte, die sich das Verhalten ihrer Gesellschafterin zurechnen lassen müsste (§ 31 BGB), ihre mietvertraglichen Pflichten in erheblichem Umfang verletzt. Denn im Rahmen der allgemeinen vertraglichen Treuepflicht (§ 242 BGB) sind Vertragsparteien verpflichtet, alles zu unterlassen, was das Interesse des Vertragspartners an der Durchführung des Vertrages beeinträchtigen könnte, und alles zu tun, was notwendig ist, um die Erfüllung der vertraglich übernommenen Verpflichtung sicherzustellen ([X.]surteil vom 28. April 1982 - [X.]a ZR 8/81 - NJW 1983, 998, 999 mwN). Diese vertragliche Nebenpflicht wird verletzt, wenn eine Vertragspartei ohne anerkennenswertes Interesse Behauptungen in der Öffentlichkeit verbreitet, die geeignet sind, das Ansehen des Vertragspartners erheblich zu beeinträchtigen (vgl. [X.] in [X.] aaO § 543 BGB Rn. 182).

Sollten sich daher die Behauptungen der Klägerin in einer Beweisaufnahme bestätigen, hätte ein ausreichender Grund zur außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses vorgelegen.

c) Soweit das [X.] den entsprechenden Vortrag der Klägerin für nicht hinreichend schlüssig gehalten und daher von der Erhebung der angebotenen Beweise abgesehen hat, rügt die Klägerin zu Recht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

aa) Ein Sachvortrag ist dann schlüssig, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten, die den Zeitpunkt und den Vorgang bestimmter Ereignisse betreffen, ist nicht erforderlich, soweit diese Einzelheiten für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Die Ablehnung eines für eine beweiserhebliche Tatsache angetretenen Zeugenbeweises ist darüber hinaus nur dann zulässig, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam "ins Blaue hinein" aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen ([X.]sbeschluss vom 1. Juni 2005 - [X.]/02 - NJW 2005, 2710, 2711).

bb) Gegen diese Grundsätze hat das [X.] in mehreren Punkten verstoßen.

(1) Bereits in der Klageschrift hat die Klägerin ausreichend schlüssig vorgetragen, dass sich die Gesellschafterin der [X.] im Dezember 2006 gegenüber einer Verkäuferin eines benachbarten Geschäfts dahingehend geäußert habe, dass sie die Klägerin bis [X.] 2007 "aus dem Laden heraus habe" und die Klägerin ein "schlüpfriges Geschäft mit Sexspielchen" betreibe. Zum Beweis dieser Behauptung hat die Klägerin die Verkäuferin namentlich und mit ladungsfähiger Anschrift als Zeugin benannt.

(2) In einem weiteren erstinstanzlichen Schriftsatz hat die Klägerin ergänzenden Sachvortrag dazu gehalten, dass die Geschäftsführerin der [X.] in der Öffentlichkeit verbreite, die Klägerin würde in ihren Geschäftsräumen einer Sektentätigkeit nachgehen bzw. ein "verdecktes Puff" betreiben. Zum Beweis hierfür hat sie Zeugen angeboten, die eigene Wahrnehmungen zu den von ihr behaupteten Äußerungen der Geschäftsführerin der [X.] gemacht haben sollen.

cc) Damit hat die Klägerin ihrer Darlegungslast genügt, so dass bereits das [X.] die angebotenen Beweise hätte erheben müssen. Da die erstinstanzlich getroffenen Feststellungen somit unvollständig waren, hätte das [X.] die notwendigen Tatsachenfeststellungen nachholen müssen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Außerdem hätte das [X.] bei seiner Entscheidung auch nicht unberücksichtigt lassen dürfen, dass die Beklagte noch nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz in einem vom [X.] nachgelassenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vortragen ließ, die Klägerin betreibe "in rotem Lackleder rauchend vor ihrem Laden Werbung für ihr Haus", ohne diese Behauptung näher zu konkretisieren oder unter Beweis zu stellen. Auch diese Äußerung, die sachlich in dem Schriftsatz nicht notwendig gewesen wäre und daher von dem Prozessbevollmächtigten der [X.] nur nebenbei erwähnt wurde, lässt Rückschlüsse auf das zerstörte Vertrauensverhältnis zwischen den Mietvertragsparteien zu.

3. Schließlich ist entgegen der Auffassung des [X.]s die von der Klägerin erklärte außerordentliche Kündigung auch nicht bereits deshalb unwirksam, weil es an einer vorherigen Abmahnung fehlt. Kommt - wie im vorliegenden Fall - eine außerordentliche Kündigung wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage in Betracht, bedarf die Kündigung keiner vorherigen Abmahnung. Zwar ist diese nach § 543 Abs. 3 Satz 1 BGB grundsätzlich Voraussetzung, falls das Mietverhältnis wegen der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag außerordentlich gekündigt werden soll. Bei einer Zerrüttungskündigung ist eine Abmahnung jedoch ausnahmsweise entbehrlich, weil die Vertrauensgrundlage auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte (OLG [X.]elle ZMR 2009, 192, 196; [X.] 2008, 37, 38; [X.]/[X.]/[X.] aaO Rn. 1030; [X.] aaO § 543 BGB Rn. 164; Grapentin in Bub/[X.] aaO [X.] Rn. 190 mwN).

III.

Das angefochtene Urteil kann daher mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben. Auf die Revision der Klägerin ist es aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der [X.] kann nicht abschließend entscheiden, weil es weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf und das [X.] den unter Beweis gestellten Behauptungen der Klägerin wird nachgehen müssen. Sollten sich bei der durchzuführenden Beweisaufnahme die Behauptungen der Klägerin als wahr erweisen, wird das [X.] im Rahmen der nach § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB vorzunehmenden Abwägung auch zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte bereits kurz nach Beginn des Mietverhältnisses der Klägerin wiederholt mit einer außerordentlichen Kündigung gedroht und damit zum Ausdruck gebracht hat, selbst kein Interesse daran zu haben, dass das Mietverhältnis bis zum Ablauf der vereinbarten Frist fortdauert. Dafür spricht auch die von der Klägerin behauptete und unter Beweis gestellte Äußerung der Gesellschafterin der [X.], sie werde die Klägerin "bis [X.] 2007 aus dem Laden heraus haben".

Hahne                                  Dose                               [X.]

                Schilling                               [X.]

Meta

XII ZR 188/08

15.09.2010

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 30. Oktober 2008, Az: 8 U 2621/08, Urteil

§ 543 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.09.2010, Az. XII ZR 188/08 (REWIS RS 2010, 3325)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3325

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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