Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.04.2012, Az. 20 F 5/11

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2012, 7184

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Gründe

I.

1

Die Antragstellerin begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren auf der Grundlage des [X.] von der Antragsgegnerin, vertreten durch das [X.], Zugang zu allen vom [X.] geführten, bislang nicht zugänglichen [X.], die es zum Zwecke einer einheitlichen Entscheidungspraxis angelegt hat.

2

Das Verwaltungsgericht wies die Klage der Antragstellerin mit der Begründung ab, es liege ein Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 4, 2. Alt. [X.] vor (Urteil vom 22. Januar 2008 - [X.] -). Im Berufungsverfahren forderte der Verwaltungsgerichtshof die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 18. Oktober 2010 auf, die begehrten [X.] vorzulegen, und wies sie darauf hin, dass sie im Fall der Vorlageverweigerung eine Sperrerklärung beibringen und dass dabei eine konkrete Zuordnung der jeweils geltend gemachten Geheimhaltungsgründe zu den jeweiligen [X.] vorgenommen werden müsse. Der Beigeladene gab unter dem 6. Juni 2011 eine Sperrerklärung ab und begründete das Interesse an der Geheimhaltung mit dem Vorliegen von [X.] gemäß § 3 Nr. 1a, Abs. 4 und 7 [X.]. Eine Offenlegung würde dem Wohl des [X.] Nachteile bereiten. Die Unterlagen seien ferner ihrem Wesen nach geheim zu halten.

3

Auf den Antrag der Antragstellerin hat der Verwaltungsgerichtshof die Sache dem [X.] des [X.]verwaltungsgerichts vorgelegt.

[X.]

4

Der Antrag, über den gemäß § 99 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2, § 189 VwGO der [X.] des [X.]verwaltungsgerichts zu beschließen hat, ist begründet.

5

1. Der für eine Sachentscheidung des [X.] erforderlichen Bejahung der Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen durch das Gericht der Hauptsache ist mit dem Beschluss vom 18. Oktober 2010 Genüge getan. Hat das Gericht der Hauptsache - wie hier - die Entscheidungserheblichkeit in einem Beschluss geprüft und bejaht, ist der [X.] grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden (stRspr vgl. nur Beschluss vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 3.08 - juris Rn. 4). Nach Erlass der Sperrerklärung bestand für den Verwaltungsgerichtshof kein Anlass, weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben und auf eine präzisierende Umschreibung und Zuordnung der Unterlagen hinzuwirken, um danach seine Annahme, es stünden insgesamt materiell-rechtliche Informationsverweigerungsgründe im Raum, zu überprüfen (vgl. dazu Beschluss vom 13. April 2011 - BVerwG 20 [X.] - juris Rn. 10). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mit Beschluss vom 18. Oktober 2010 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Sperrerklärung eine konkrete Zuordnung der geltend gemachten Geheimhaltungsgründe zu den jeweiligen [X.] enthalten müsse und damit zum Ausdruck gebracht, dass es zur rechtlichen Beurteilung nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf eine abstrakt umschriebene Kategorisierung der Bestandteile der [X.], d.h. den Aufbau sowie Art und Umfang der jeweiligen Themen und Quellen, und einer darauf bezogenen nachvollziehbaren Begründung des jeweils als einschlägig erachteten Geheimhaltungsgrundes bedarf.

6

2. Die Verweigerung der Vorlage der [X.] ist rechtswidrig.

7

Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des [X.] oder eines [X.] Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

8

Ob die vom Verwaltungsgerichtshof angeforderten Unterlagen wegen eines Nachteils für das Wohl des [X.] oder ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig sind und ihre Vorlage deshalb nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ganz oder zumindest teilweise verweigert werden darf, kann der Senat auf der Grundlage der abgegebenen Sperrerklärung nicht nachvollziehen. Die Sperrerklärung genügt nicht den Anforderungen, die an die Darlegung eines [X.]s zu stellen sind. Bereits die Sperrerklärung muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass die in Anspruch genommenen Weigerungsgründe vorliegen. Insoweit muss die oberste Aufsichtsbehörde die Akten und Unterlagen aufbereiten und je nach Inhalt der Schriftstücke den behaupteten [X.] nachvollziehbar darlegen. Erst dann ist eine effektive gerichtliche Überprüfung durch den [X.] möglich (Beschlüsse vom 8. März 2010 - BVerwG 20 F 11.09 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 56, vom 6. April 2011 - BVerwG 20 F 20.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 63 Rn. 9, vom 19. April 2010 - BVerwG 20 [X.] - BVerwGE 136, 345 = [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 58 Rn. 15 und vom 5. Oktober 2011 - BVerwG 20 [X.] - juris Rn. 10).

9

Der Beigeladene hat es versäumt, Geheimhaltungsgründe [X.]. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO hinreichend zu belegen und nachvollziehbar zuzuordnen. Das gilt auch unter Berücksichtigung seiner ergänzenden Ausführungen mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2011. Der Beigeladene verweist in der Sperrerklärung vom 6. Juni 2011 zwar in den einleitenden Bemerkungen auf Geheimhaltungsgründe [X.]. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO und benennt in einer Liste die [X.], die hiervon erfasst sein sollen. Die Begründung enthält aber keine Zuordnung dieser Geheimhaltungsgründe zu den einzelnen Bestandteilen der (jeweiligen) [X.]. Vielmehr beschränkt sich der Beigeladene zur Begründung des Interesses an der Geheimhaltung - unter [X.] - darauf, für alle in der Liste genannten [X.] auf die aus seiner Sicht einschlägigen fachgesetzlichen Ausschlussgründe zu verweisen. Gerade wenn - wie der Beigeladene mit Schriftsatz vom 26. Januar 2012 vorgetragen hat - jeder Leitsatz inzwischen auf bis zu 12 bis 15 Seiten angewachsen ist, hätte es einer differenzierenden Aufbereitung der Unterlagen bedurft, um auf dieser Grundlage bei der Sperrerklärung - unter Angabe von Blattzahlen, gegebenenfalls auch der Bezifferung von Absätzen oder der Gliederungspunkte eines Dokuments - je nach Inhalt der Unterlage bzw. Passage den jeweiligen Geheimhaltungsgrund darzutun. Soweit der Beigeladene Nachteile für das Wohl des [X.] darin sieht, dass die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben des [X.]es gefährdet wäre, wenn die Leitsätze bekannt würden und aufgrund ihrer Kenntnis die Entscheidungen des [X.]es manipuliert werden könnten (vgl. hierzu auch Urteil vom 29. Oktober 2009 - BVerwG 7 C 21.08 - [X.] 400 [X.] Nr. 2 Rn. 30), gilt im Ergebnis nichts anderes. Ob das Bekanntwerden der Leitsätze geeignet ist, die von dem Beigeladenen heraufbeschworene Gefahr herbeizuführen, und ihre Vorlage aus diesem Grund insgesamt uneingeschränkt verweigert werden darf, hängt von der bisher nicht dargelegten abstrakten Kategorisierung ihrer Bestandteile, also ihrem Aufbau sowie Art und Umfang der jeweiligen Themen und Quellen ab.

Soweit der Beigeladene im Parallelverfahren - BVerwG 20 [X.] - vorträgt, er habe jeden Leitsatz einer Bewertung unterzogen und jede Aussage nach Überprüfung, ob sie einen Ausschlussgrund trage, entsprechend farblich markiert, so dass sich verlässlich klären lasse, ob ein Geheimhaltungsgrund vorliege, und dem Senat anbietet, ihm diese konkrete Zuordnung auch zur Verfügung zu stellen, verkennt er nicht nur die Besonderheit einer Sperrerklärung [X.]. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, sondern auch die Reichweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Die Sperrerklärung ist eine Prozesserklärung. Sie ergeht nach förmlicher Verlautbarung über die Entscheidungserheblichkeit durch das Gericht der Hauptsache. Dabei kann sich das Gericht der Hauptsache (zunächst) nur an den Angaben orientieren, die die aktenverweigernde Stelle bei Ablehnung des Antrags und im Prozessverlauf gemacht hat. Zunächst muss die aktenverweigernde Stelle nachvollziehbar und differenziert mit Blick auf die konkreten Unterlagen darlegen, auf welchen fachgesetzlichen Geheimhaltungsgrund sie sich stützt. Erst auf dieser Grundlage ist das Gericht der Hauptsache überhaupt in der Lage, zu erkennen, ob es in tatsächlicher Hinsicht über hinreichende Angaben verfügt, und daher in Anlegung seines Rechtsmaßstabs den Einzelfall - ohne Vorlage der Akten - entscheiden kann (Beschluss vom 25. Juni 2010 - BVerwG 20 F 1.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 11). Sind Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung erschöpft oder erscheinen sie dem Hauptsachegericht je nach Fallkonstellation als offensichtlich fruchtlos, so darf sich das Gericht - wie hier - darauf beschränken, auf die Notwendigkeit einer differenzierenden Darlegung im Rahmen der Sperrerklärung hinzuweisen.

Eine Sperrerklärung kann zwar im Verfahren vor dem Hauptsachegericht - nach erneuter Aufforderung durch das Gericht, wenn es Maßnahmen der weiteren Sachverhaltsaufklärung für erforderlich hält - ergänzt werden. Nach Abgabe der Sache an den [X.], der nur die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung und den dort geltend gemachten Geheimhaltungsbedarf zu überprüfen hat, verbieten sich jedoch Ergänzungen, die sich nicht lediglich auf Klarstellungen beschränken. Denn in einem solchen Fall würde das Recht und die Pflicht des Gerichts der Hauptsache verkürzt, das im Lichte der "neuen" Angaben überprüfen muss, ob es an seiner ursprünglich geäußerten Auffassung zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlage festhält oder ob es sich nunmehr - aufgrund der (differenzierenden) Darlegungen - auch ohne Vorlage der Akten in der Lage sieht, über das Vorliegen der fachgesetzlichen Ausschlussgründe zu entscheiden.

Will die oberste Aufsichtsbehörde ihre Sperrerklärung im Zwischenstreit vor dem [X.] klarstellend ergänzen, so ist diese Erklärung allen Beteiligten zugänglich zu machen. Ein Beteiligter hat unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs auch im Zwischenverfahren einen Anspruch darauf, sich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten schriftlichen Stellungnahme der Gegenseite zu äußern. Dieses Recht steht nicht zur Disposition der Behörde (Beschluss vom 5. Februar 2009 - BVerwG 20 F 24.08 - juris Rn. 16). Eine Erklärung, die unter den Vorbehalt gestellt wäre, dass sie nur dem [X.] zur Verfügung gestellt werde, wäre unverwertbar und müsste der Behörde zurückgegeben werden (Beschluss vom 17. November 2003 - BVerwG 20 F 16.03 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 37). Der Beigeladene konnte sich daher im Parallelverfahren - BVerwG 20 [X.] - nicht darauf beschränken, nur dem Senat die offensichtlich behördenintern geleistete, aber im gerichtlichen Verfahren nicht vorgelegte konkrete Zuordnung der Geheimhaltungsgründe anzubieten.

3. Darüber hinaus ist die Sperrerklärung wegen mangelnder Ermessensausübung rechtswidrig. Die Ermächtigung der obersten Aufsichtsbehörde zur Ermessensentscheidung besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des § 99 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 VwGO, wenn der Inhalt der Schriftstücke oder der Auskunft geheimhaltungsbedürftig [X.]. § 99 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 VwGO ist, also auch dann, wenn der Vorgang nach einem Gesetz geheim gehalten werden muss (Beschluss vom 18. Juni 2008 - BVerwG 20 F 44.07 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 49 Rn. 8).

Der Beigeladene hat nicht, wie in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgesehen, eine auf den laufenden Rechtsstreit bezogene und auf einer Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten im Prozess beruhende Ermessensentscheidung über die Aktenvorlage getroffen. Die Erwägungen, die der Beigeladene anstellt, lassen - ungeachtet des Hinweises, die Vorlageverweigerung sei "nach [X.] Ausübung seines Ermessens" ergangen - eine ordnungsgemäße Ermessensbetätigung nicht erkennen. Das zeigt sich auch daran, dass der Beigeladene keine Erwägungen zur Möglichkeit einer teilweisen Offenlegung angestellt hat, sondern nur - nach Subsumtion unter die nach seiner Auffassung einschlägigen fachgesetzlichen Ausschlussgründe - darauf verweist, dass die Offenlegung zu schwerwiegenden Nachteilen für das Wohl des [X.] und zu einer unverantwortbaren Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung des [X.]es führen würde, ohne dies dadurch zu belegen, dass die Bestandteile der Leitsätze substantiiert beschrieben werden.

4. Die Feststellung des Senats, dass die Sperrerklärung rechtswidrig ist, hindert den Beigeladenen nicht, eine neue Sperrerklärung abzugeben und dabei die Gefahr für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des [X.]es näher zu substantiieren sowie dann bei der Einstufung als geheimhaltungsbedürftig oder bei der Ermessensausübung nach den hinreichend gekennzeichneten Passagen der jeweiligen [X.] zu differenzieren. Auf der Grundlage einer solchen Erklärung wird das Gericht der Hauptsache seinerseits erneut - unter Berücksichtigung der einschlägigen fachgerichtlichen Rechtsprechung - die Entscheidungserheblichkeit einer Vorlage zu beurteilen haben.

5. Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem [X.] nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht (vgl. dazu Beschluss vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 20 F 15.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 62 Rn. 11). Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, da Gerichtsgebühren mangels Gebührentatbestand im Verfahren vor dem [X.] nicht anfallen.

Meta

20 F 5/11

18.04.2012

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 18. Oktober 2010, Az: 5 BV 10.1343, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.04.2012, Az. 20 F 5/11 (REWIS RS 2012, 7184)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7184

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