Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.04.2011, Az. 20 F 25/10

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2011, 7602

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Gegenstand

Pflicht des Hauptsachegerichts zur Verlautbarung seiner Rechtsauffassung


Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein, der nach seiner Satzung die Interessen der rechtlich nicht verfassten Glaubensgemeinschaft "Universelles Leben" vertritt. Mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren begehrt er auf der Grundlage des [X.] ([X.]) unter Anfechtung des ablehnenden Bescheids vom 30. März 2007 Auskunft im Wege der Akteneinsicht über die bei der Antragsgegnerin, dem [X.], vorliegenden Informationen über die Glaubensgemeinschaft.

2

Das Verfahren war bereits beim [X.] des [X.] anhängig. Mit Beschluss vom 25. Juni 2010 - [X.] 20 F 1.10 - (NVwZ 2010, 1495) hat der Senat die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 5. November 2009 hinsichtlich der zurückgehaltenen Unterlagen zu Nr. 11, 12, 15 und 19, der zu [X.] in der [X.] 83 befindlichen Ablichtungen von Zeitungsartikeln und Auszügen aus dem [X.] und der zu [X.] in der [X.] 84 befindlichen Schriften der Glaubensgemeinschaft für rechtswidrig erklärt. Daraufhin forderte das Gericht der Hauptsache die Antragsgegnerin mit Verfügung vom 25. August 2010 auf, ihm diese Unterlagen vorzulegen. Die Antragsgegnerin teilte dem Hauptsachegericht mit Schriftsatz vom 30. September 2010 mit, sie habe ihr Archiv "im Lichte der Entscheidung des [X.] einer erneuten Prüfung unterzogen" und führte aus: "Bezüglich der Position 12 hat das [X.] sich dazu entschieden, erneut eine Sperrerklärung abzugeben ... Im Übrigen hat die Beklagte in Übereinstimmung mit ihrer Fachaufsichtsbehörde, dem [X.], alle streitbefangenen Informationen, die nach der Entscheidung des [X.] 20 F 1.10 nicht durch die bereits abgegebene Sperrerklärung des [X.] geschützt sind, aussortiert und rückstandsfrei gelöscht bzw. geschreddert, so sie älter als 10 Jahre sind".

3

Mit Sperrerklärung vom 26. Oktober 2010 teilte der Beigeladene dem Hauptsachegericht mit, zu den Positionen 15, 19 und 22 existierten "soweit Vorlagepflicht besteht" keine Vorgänge mehr und verweigerte die Vorlage der - im Einzelnen mit Datum aufgelisteten - Unterlagen zur Position 12. Bei dieser Position handele es sich um Protokolle der [X.], die über einen Zeitraum von acht Jahren den behördlichen Diskussionsprozess dokumentierten und deren Offenlegung dem Wohl des [X.] oder eines [X.] Nachteile bereiten würde, da der Schutz von behördlichen Entscheidungsprozessen nicht mehr gewahrt und der Austausch zwischen [X.] und Ländern und damit das Regierungshandeln in erheblichem Umfang beeinträchtigt werden könne. Bereits der Umstand, dass die Sitzungen des Gesprächskreises nicht öffentlich zugänglich seien, weise auf die Vertraulichkeit der Beratungen hin. Ein Einblick in die Protokolle vermittle eine weitergehende Kenntnis von der Arbeitsweise der Behörden, ihren Verbindungen zu anderen Behörden und von ihren Mitarbeitern, wie sie in dieser Form bisher nicht öffentlich sei.

4

Auf den Antrag der Antragstellerin gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat das Verwaltungsgericht das Verfahren erneut dem [X.] vorgelegt.

II.

5

Der Antrag ist - derzeit - unzulässig. Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf Entscheidung des [X.]s im selbständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung der Vorlage der in Rede stehenden Unterlagen rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit bejaht hat. Daran fehlt es.

6

1. [X.] durfte sich in der jetzigen [X.] nicht (mehr) auf den Erlass des [X.] vom 10. Juni 2009 beschränken. In der damaligen [X.] genügte der Beweisbeschluss vom 10. Juni 2009 zwar - wie der Senat mit Beschluss vom 25. Juni 2010 ausgeführt hat (a.a.[X.] Rn. 8 - 14) - den Maßstäben, die an die förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der Akten zu stellen sind, obwohl er keine Begründung enthielt und lediglich die Vorlage bestimmter Materialsammlungen angeordnet wurde. Denn das Gericht der Hauptsache war damals mangels verlässlicher Tatsachengrundlage - was die Antragsgegnerin zu vertreten hatte - nicht in der Lage, sich eine Rechtsauffassung zu den Tatbestandsvoraussetzungen der einschlägigen fachgesetzlichen [X.] nach dem Informationsfreiheitsgesetz des [X.] zu bilden.

7

2. Nunmehr hat sich die Sachlage jedoch geändert. Denn die Antragsgegnerin hat die im Tenor des Beschlusses vom 25. Juni 2010 genannten Positionen, soweit sie älter als 10 Jahre und "nicht durch die bereits abgegebene Sperrerklärung des [X.] geschützt sind", vernichtet. Dass sich die Antragsgegnerin ihrer prozessualen Verpflichtung aus § 99 Abs. 1 VwGO wie auch dem materiellen Anspruch des Antragstellers nicht durch eine Vernichtung der Akten entziehen und die Möglichkeiten des Einzelnen zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes nicht vereiteln darf (Beschluss vom 6. April 2011 - [X.] 20 F 20.10 - Rn. 25; vgl. zur ordnungsgemäßen Aktenführung und der Pflicht zur Wiederbeschaffung [X.], Urteil vom 2. Oktober 2007 - OVG 12 B 9.07 -), liegt auf der Hand. Diesen Umstand wird das Hauptsachegericht im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu würdigen haben. Für das Zwischenverfahren ist hingegen hinzunehmen, dass der Beigeladene nunmehr nur noch die Vorlage der Unterlagen zu Position 12 verweigert. Gegenstand der Sperrerklärung und damit der Entscheidung des [X.]s, der nur darüber zu befinden hat, ob die Verweigerung der Aktenvorlage (Sperrerklärung) durch die oberste Aufsichtsbehörde rechtmäßig ist oder nicht (Beschluss vom 10. August 2010 - [X.] 20 F 5.10 - juris Rn. 6), ist die Verweigerung dieser Unterlagen. Nur auf diese Position bezieht sich die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 26. Oktober 2010. Soweit die Sperrerklärung den Zusatz enthält, es existierten zu den Positionen 15, 19 und 22 "soweit Vorlagepflicht besteht" keine Vorgänge mehr, sieht sich der Senat zur Klarstellung veranlasst: Der Beschluss vom 25. Juni 2010 rechtfertigt nicht die Zurückhaltung von Unterlagen zu den Positionen 15, 19 und 22. [X.] hat der Senat nur hinsichtlich der Ordner 17, 22, 23 und 26 für rechtmäßig gehalten. Sollten Unterlagen zu den Positionen 15, 19 und 22, die jünger als 10 Jahre sind, vorhanden sein, wären sie jedenfalls nicht von der Sperrerklärung vom 26. Oktober 2010 erfasst.

8

3. Eine förmliche Verlautbarung zur Entscheidungserheblichkeit der Akten ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind, mithin sich nur durch Einsichtnahme in die Akten verlässlich klären lässt, ob ein Geheimhaltungsgrund vorliegt. Eine solche Konstellation liegt nach der Rechtsprechung des Senats in den Fällen vor, in denen die Behörde die Akten etwa aus Gründen der [X.] - weil das Bekanntwerden dem Wohl des [X.] oder eines [X.] Nachteile bereiten würde - oder zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen oder zum Schutz von personenbezogenen Daten - weil der Inhalt seinem Wesen nach geheim gehalten werden muss - zurückhält. Anders kann sich die Lage darstellen, wenn die Geheimhaltungsgründe - unabhängig vom Inhalt der Akten - darauf zielen, die Art und Weise des Zustandekommens behördlicher Akten zu schützen, mithin dem Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses dienen. In diesen Fällen ist das Gericht der Hauptsache zunächst gehalten, die maßgeblichen Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Norm(en) auszulegen, mithin seine Rechtsauffassung zur tatbestandlichen Reichweite der Geheimhaltungsgründe zu verlautbaren und darzulegen, ob es auf dieser Grundlage das Vorliegen der geltend gemachten Geheimhaltungsgründe bejahen oder verneinen kann.

9

3.1 Ist - wie hier - der Inhalt der Akten abstrakt sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht beschrieben worden, folgt aus der durch § 99 VwGO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen dem [X.] und dem Gericht der Hauptsache, dass zunächst das zur Sachentscheidung berufene Hauptsachegericht zu prüfen und förmlich darüber zu befinden hat, ob und gegebenenfalls welche Informationen aus den Akten für eine Sachentscheidung erforderlich sind, bevor der Beigeladene nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO über die Freigabe oder Verweigerung der in Rede stehenden Aktenteile befindet (Beschluss vom 2. November 2010 - [X.] 20 F 4.10 - juris Rn. 16). Je nach Fallkonstellation besteht die Pflicht des Hauptsachegerichts zur Verlautbarung seiner Rechtsauffassung zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Informationsanspruchs und den möglichen Ausschluss- und Beschränkungsgründen nach Maßgabe des hier einschlägigen [X.] auch nach Erlass einer Sperrerklärung. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - erst mit der Sperrerklärung eine verbindliche Aussage vorliegt, welche im Einzelnen mit Datum spezifizierten Unterlagen betroffen sind. Dass die Position 12 Protokolle der [X.]-Länder-Gesprächskreise enthält, stellt auch der Antragsteller nicht in Abrede. Soweit er geltend macht, die Position 12 umfasse nicht nur die mit Datum spezifizierten Protokolle (vgl. dazu auch Beschluss vom 25. Juni 2010 a.a.[X.] Rn. 12), ist zu beachten, dass - wie dargelegt - nur über die Vorlageverweigerung der in der Sperrerklärung aufgelisteten Aktenteile zu entscheiden ist.

3.2 Angesichts der prozessualen Vorgeschichte und des Verhaltens der Antragsgegnerin musste das Hauptsachegericht nicht bereits den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 30. September 2010 zum Anlass für Nachfragen nehmen, sondern durfte zunächst abwarten, ob der Beigeladene die angekündigte Sperrerklärung abgegeben werde. Nach Erlass der Sperrerklärung vom 26. Oktober 2010 bestand indes Anlass, vor der beantragten Vorlage an den [X.] zu prüfen, ob es die im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen ohne Einsichtnahme in die Protokolle auf der Grundlage der abstrakten Umschreibung des Akteninhalts beantworten kann. Dem steht nicht entgegen, dass der Beigeladene geltend macht, dass das Bekanntwerden der Protokolle des [X.]s dem Wohl des [X.] oder eines [X.] Nachteile bereiten würde. Denn die Frage, ob ein materieller Geheimhaltungsgrund i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorliegt, stellt sich unter dem Blickwinkel der Entscheidungserheblichkeit erst dann, wenn das Vorliegen der fachgesetzlichen [X.], die unabhängig vom Inhalt der Akten - als prozedurale [X.] - darauf zielen, die Art und Weise des Zustandekommens behördlicher Akten zu schützen, verneint wird.

3.3 Angesprochen sind damit die fachgesetzlich in § 3 Nr. 3 Buchst. b und § 4 Abs. 1 [X.] normierten Ausschlussgründe. Anlass, zu klären, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der fachgesetzlichen Ausschlussgründe vorliegen, besteht zum einen, weil der Begriff der "Beratungen" in § 3 Nr. 3 Buchst. b [X.] wie auch der Begriff der "unmittelbaren Entscheidungsvorbereitung" in § 4 Abs. 1 [X.] der Auslegung bedarf. Zum anderen bedarf es der Klärung, welcher Bedeutung im vorliegenden Fall dem Vorbehalt "wenn und solange" (§ 3 Nr. 3 Buchst. b [X.]) bzw. "soweit und solange" (§ 4 Abs. 1 [X.]) zukommt. Je nachdem zu welcher Rechtsauffassung das Hauptsachegericht gelangt, kann darüber hinaus Anlass bestehen, sich dazu zu verhalten, dass § 3 Nr. 3 Buchst. b [X.] einen zwingenden Ausschlussgrund normiert, während § 4 Abs. 1 [X.] als Soll-Vorschrift angelegt ist. Über diese vorgelagerten Rechtsfragen muss sich das Gericht der Hauptsache zunächst Klarheit verschaffen. Die Auslegung solcher Begriffe ist originäre Aufgabe der zuständigen fachgerichtlichen Spruchkörper (Beschluss vom 31. August 2009 - [X.] 20 F 10.08 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 55 Rn. 4). Der [X.] hat sich hierzu nicht zu äußern. Das folgt aus der Aufgabenverteilung zwischen dem [X.] und dem Gericht der Hauptsache: Die verlautbarte Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache entfaltet Bindungswirkung für den [X.]. Eine andere Beurteilung durch den [X.] kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist (st.Rspr. vgl. nur Beschluss vom 21. Februar 2008 - [X.] 20 F 2.07 - [X.]E 130, 236 Rn. 13). Fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, bedarf es (derzeit) auch keiner Auseinandersetzung mit den Einwänden des Antragstellers, der Beigeladene beachte die strengen Anforderungen an den Begriff des Nachteils i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht und verkenne, dass die Antragsgegnerin nicht mit einer Sicherheitsbehörde vergleichbar sei.

4. Eine förmliche Verlautbarung über die Entscheidungserheblichkeit ist auch nicht ausnahmsweise deswegen entbehrlich, weil der Beigeladene bereits eine Sperrerklärung abgegeben hat. Unabhängig davon, ob - wie der Antragsteller geltend macht - die Sperrerklärung den Anforderungen an eine Ermessenserwägung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO genügt, vermag eine vorgreifliche Ermessensentscheidung das Fehlen einer Verlautbarung zur Entscheidungserheblichkeit nicht zu kompensieren (Beschluss vom 31. August 2009 a.a.[X.] Rn. 5).

Meta

20 F 25/10

13.04.2011

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

§ 99 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13.04.2011, Az. 20 F 25/10 (REWIS RS 2011, 7602)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7602

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