Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.08.2012, Az. 5 StR 251/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3627

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Nachschlagewerk: ja

[X.]St : ja

Veröffentlichung : ja

[X.] § 249 Abs. 2 Satz 2, § 337 Abs. 1

Unterbliebener Gerichtsbeschluss bei Widerspruch gegen die
Anordnung des [X.] und [X.].

[X.], Beschluss vom 28. August 2012

5 StR 251/12

LG [X.]

5 StR 251/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 28. August 2012
in der Strafsache
gegen

1.

2.

3.

wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht

geringer Menge u.a.

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2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 28. August 2012
beschlossen:

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 6. Dezember 2011 werden nach § 349 Abs. 2 [X.] als unbegründet verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

[X.]e

Das Landgericht hat den Angeklagten A.

wegen bandenmä-ßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten verurteilt. Die Angeklagten V.

und J.

O.

hat es jeweils we-gen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen alle Angeklagten ist Wertersatzverfall ange-ordnet worden.

Die gegen dieses Urteil gerichteten, mit der Sachrüge und von A.

zudem mit Verfahrensrügen begründeten Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.]. Der Erörterung bedarf nur die auf die Verletzung des § 249 Abs. 2 Satz 2 [X.] gestützte Verfah-rensrüge des Angeklagten A.

.

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1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Nachdem der Vorsitzende zunächst bekannt gegeben hatte, dass be-absichtigt sei, bestimmte

in einer Liste im Einzelnen bezeichnete

[X.] der überwachten Telefongespräche sowie Observationsberichte im Wege des [X.] in die Hauptverhandlung einzuführen, wider-sprach der Verteidiger des Angeklagten A.

der beabsichtigten Ein-führung der Protokolle aus den Erkenntnissen der Telefonüberwachung und
Vorsitzende den Prozessbeteiligten eine weitere Liste der Urkunden über-reicht hatte, deren Einführung im Selbstleseverfahren beabsichtigt war, [X.] ein weiterer Verteidiger im Folgetermin gemäß § 249 Abs. 2 [X.] ausdrücklich der Einführung der im Einzelnen benannten Urkunden im Selbstleseverfahren.

Ohne die Widersprüche zu bescheiden, wurde dann mit den Prozess-beteiligten erörtert, welche Urkunden im Selbstleseverfahren eingeführt wer-den sollten. Anschließend wurde festgestellt, dass die Angeklagten, die [X.] und der [X.] der Staatsanwaltschaft Gelegenheit hatten, die in den Anlagen näher bezeichneten Urkunden und Schriftstücke zu lesen. Die Schöffen und Berufsrichter erklärten ausdrücklich, dass sie diese Urkun-den und Schriftstücke bereits gelesen hätten. Sodann
erging die Verfügung des Vorsitzenden, dass hinsichtlich dieser Urkunden auf die Verlesung ver-zichtet und gemäß § 249 Abs. 2 [X.] das Selbstleseverfahren angeordnet werde. Nachdem anschließend festgestellt worden war, dass der Angeklagte V.

O.

tatsächlich noch keine Gelegenheit gehabt hatte, die Ur-kunden zu lesen, wurde die Aushändigung der Urkunden an ihn veranlasst. Im [X.] wiederholte der Vorsitzende die [X.] und ordnete in der gleichen Weise wie bereits am vorangegangenen Verhandlungstag nochmals das Selbstleseverfahren an. Eine Entscheidung über den Widerspruch der Verteidigung des Angeklagten A.

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die Durchführung des [X.] erging bis zur Urteilsverkündung nicht.

2. Die zulässige Rüge hat in der Sache letztlich keinen Erfolg. [X.] ist nicht etwa die Frage eines Vorrangs der Augen-scheinseinnahme bezogen auf abgehörte Gespräche vor deren Einführung durch [X.], sondern allein die Art und Weise der Einführung durch Urkundenbeweis.

a) Der Beschwerdeführer beanstandet mit Recht einen Verstoß bei der Anordnung des [X.]. Über den Widerspruch des [X.] ist nicht durch Gerichtsbeschluss entschieden worden. Dies war nach §
249 Abs. 2 Satz 2 [X.] geboten, und zwar ungeachtet dessen, dass der Widerspruch hier bereits vor der eigentlichen Vorsitzendenanordnung, indes nach deren ausdrücklicher Ankündigung erhoben worden ist. Dies gilt [X.] angesichts der strukturell allzu spät erst nach Feststellung der Selbstle-semodalitäten getroffenen ausdrücklichen Vorsitzendenanordnung.

Dass der klar und unbedingt, nicht etwa nur vorläufig erklärte und [X.] ausweislich des Revisionsvorbringens weder in Frage gestellte noch gar
zurückgenommene Widerspruch nach Erlass der schließlich allein vom [X.] getroffenen Anordnung des [X.] nicht wiederholt worden ist, begründet bei dem hier gegebenen Verfahrensablauf nicht etwa einen Verlust der Revisionsrüge.

b)
Der durch das Unterbleiben eines Gerichtsbeschlusses trotz Wider-spruchs gegen die Anordnung des [X.] begründete Verstoß gegen § 249 Abs. 2 Satz 2 [X.] kann grundsätzlich mit der Revision gerügt werden. Entgegen einer verbreiteten Ansicht im Schrifttum (vgl. etwa [X.], [X.], 55. Aufl., § 249 Rn. 31; [X.] in LR-[X.], 26. Aufl., §
249 Rn. 110; [X.] in SK-[X.], 4. Aufl., § 249 Rn.
116; [X.], [X.] der [X.], 7. Aufl., Rn. 2069) ist auch nicht regelmäßig auszu-6
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schließen,
dass das Urteil auf einem solchen Verstoß beruht. Vielmehr ist stets die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass aufgrund des Gerichtsbe-schlusses vom Selbstleseverfahren Abstand genommen worden wäre. Da der gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 [X.] erhobene Widerspruch lediglich das Absehen von der Verlesung

mithin die Art der Beweiserhebung und nicht die Verwertung der Urkunden als solche

betrifft, ist mit dem [X.] bei der [X.]sprüfung darauf abzustellen, ob ausgeschlossen werden kann, dass für den Fall alternativer Verlesung nach § 249 Abs. 1 [X.] der in dem mangelhaft angeordneten Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden ein abweichendes Beweisergebnis denkbar wäre, und zwar namentlich infol-ge hierbei erhobener erheblicher Einwände von Verfahrensbeteiligten. Eine derartige Prüfung vermag nicht ohne weiteres stets einen Ausschluss des [X.]s des Urteils auf dem Verstoß zu rechtfertigen. Bereits aus dem un-ter anderem in §§ 250, 261, 264 [X.] zum Ausdruck kommenden Prinzip der Mündlichkeit der Beweisaufnahme, das auch gewährleisten soll, dass der [X.] den Beteiligten zur Kenntnis gebracht und zur Diskussion ge-stellt wird (vgl. hierzu [X.]/[X.] in KK-[X.], 6. Aufl., [X.]. Rn. 8), lässt sich der Ausnahmecharakter des [X.]

gegenüber dem Regelfall der [X.] in der Hauptverhandlung gemäß § 249 Abs. 1 [X.]

ableiten. Dieser findet in der speziell für das Selbstleseverfah-ren als besondere Form der Einführung von Urkunden geregelten Wider-spruchsmöglichkeit und dem durch den Widerspruch begründeten [X.] eines Gerichtsbeschlusses seinen gesetzlichen Ausdruck.

Vor dem Hintergrund dieser gesetzlichen Wertung ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Verlesung jenseits prozessökonomischer Er-wägungen die im Vergleich zum Selbstleseverfahren vorzugswürdige Metho-de der Einführung von [X.] in die Hauptverhandlung darstellt. Dies dürfte letztlich auch der Vorstellung des historischen Gesetzgebers entspre-chen. Zwar war das Selbstleseverfahren im Gesetzgebungsverfahren, wo-nach unter anderem die bis dahin geltende Voraussetzung des Verzichts al-ler Prozessbeteiligten auf die [X.] gestrichen wurde, [X.]
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sprünglich als gleichwertige Alternative zu der Verlesung in der [X.] konzipiert (vgl. Regierungsentwurf BT-Drucks. 10/1313 S. 28). In der Begründung der dann Gesetz gewordenen Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, durch die die Widerspruchsmöglichkeit in den Entwurf [X.], dem Angeklagten und dem Verteidiger eine formalisierte Einfluss-nahme auf die Entscheidung darüber, ob von der Verlesung abgesehen wer--Drucks. 10/6592 S. 22). Mit der Einfügung des § 249 Abs. 2 Satz 2 [X.] in den ursprünglichen Entwurf hat der Gesetzgeber somit am Ausnahmecharakter des [X.] festgehalten und einer mit ihm verbundenen gewissen Beeinträchtigung der Teilhaberechte von Verfahrensbeteiligten Rechnung getragen. [X.] hat auch der [X.] schon zum Ausdruck gebracht, dass mit dem Selbstleseverfahren potentielle Einbußen der Qualität des [X.] verbunden sind, die der Gesetzgeber allerdings in Kauf ge-nommen hat und die daher von den Verfahrensbeteiligten prinzipiell zu ak-zeptieren sind ([X.], Beschluss vom 14. September 2010

3 [X.], Rn. 13, [X.], 20).

Neben normativen Überlegungen streiten auch rein tatsächliche Er-wägungen dafür, ein [X.] des Urteils auf einem Verstoß gegen § 249 Abs. 2 Satz 2 [X.] nicht von vornherein als ausgeschlossen anzusehen. Eine Verlesung in der Hauptverhandlung kann den Verfahrensbeteiligten ei-ne Chance geben, eher zu erkennen, welchen Urkunden oder Urkundenin-halten das Gericht besondere Bedeutung beimisst. Insbesondere ergibt sich durch die Verlesung die Gelegenheit für Erörterungen in unmittelbarem Zu-sammenhang mit der Einführung des jeweiligen Beweismittels (vgl. [X.], GA
1998, 329, 336). Schwächen des [X.] werden auch nicht etwa durch

jenseits des freilich in vielen Umfangsverfahren besonders wichtigen Gesichtspunkts der Prozessökonomie

denkbare Vorteile gegen-über dem Verlesen in der Hauptverhandlung ausgeglichen. Denn es bleibt neben den Richtern auch dem Staatsanwalt, dem Verteidiger und dem [X.]
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geklagten in der Regel unbenommen, in der Hauptverhandlung verlesene Urkunden selbst noch einmal zu lesen.

c) Im zu entscheidenden Fall kann gleichwohl ausgeschlossen wer-den, dass das Urteil auf dem gerügten Verstoß beruht. Dies kann zwar nicht schon daraus gefolgert werden, dass in der Revisionsbegründung nicht an-gegeben ist, in welcher Weise sich die Art der Beweiserhebung, also die Ein-führung der dem Urteil zugrunde liegenden Urkunden im Selbstleseverfahren statt durch Verlesung, auf das Beweisergebnis ausgewirkt hat und welche anderweitigen Erkenntnisse im Fall des [X.] zu gewinnen gewesen wären (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Januar 2010

1 StR 587/09, Rn. 28, [X.], 74). In Anbetracht der im Urteil der Beweiswürdigung
zugrunde gelegten [X.] ist indessen nicht ansatzweise ersichtlich, wie eine Verlesung in der Hauptverhandlung zu einer anderen Bewertung der einge-führten Telefongespräche und Observationsberichte hätte führen sollen. [X.] angesichts der
Vielzahl der aus diesen gewonnenen Indizien, für die es durchweg auf [X.] nicht angekommen ist, ist nicht vorstellbar, dass diese seitens der [X.] nach Verlesung in der Hauptverhandlung anders als geschehen hätten bewertet werden können oder dass der Angeklagte durch Aufdeckung von Missverständnissen oder die Abgabe von entlastenden Erklärungen für das dokumentierte Verhalten die Schlussfolgerungen der [X.] ernsthaft hätte in Frage stellen
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können. Insoweit fällt zusätzlich ins Gewicht, dass die durch die im Selbstle-severfahren eingeführten Urkunden gewonnenen Erkenntnisse zu einem [X.] Teil durch Zeugenaussagen, im Fall II.4 der Urteilsgründe auch durch objektive Beweismittel maßgeblich gestützt werden.

[X.]

Raum

Schaal

Dölp Bellay

Meta

5 StR 251/12

28.08.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.08.2012, Az. 5 StR 251/12 (REWIS RS 2012, 3627)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3627

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5 StR 251/12

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1 StR 587/09

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