Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.09.2023, Az. VIa ZR 1643/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7465

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 8. November 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin kaufte im Jahr 2017 von der Beklagten einen von dieser hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt unter anderem eine sogenannte Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, die sich mindernd auf die Stickoxidemissionen auswirkt, jedoch außerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs reduziert wird (sogenanntes Thermofenster). Zudem verfügt das Fahrzeug über eine sogenannte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), durch die eine verzögerte Aufwärmung des Motoröls zu niedrigeren Stickoxidemissionen führt.

3

Die Klägerin hat in erster Instanz Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 21.987 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1), Feststellung des Annahmeverzugs (Klageantrag zu 2) und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 2.231,25 € (Klageantrag zu 3) verlangt. Das Landgericht hat dem Klageantrag zu 1 in Höhe von 17.167,19 € nebst Prozesszinsen unter Zug-um-Zug-Vorbehalt und dem Klageantrag zu 3 in Höhe von 1.214,99 € entsprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin hat ihr erstinstanzliches Begehren mit der Maßgabe weiterverfolgt, dass sie sich eine weitere Nutzungsentschädigung über den ursprünglich zugestandenen Betrag hinaus auf der Grundlage einer Schätzung des Gerichts ausgehend von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km anrechnen lasse. Die Beklagte hat Abweisung der Klage insgesamt begehrt. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter. Ihre vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat die Klägerin vorsorglich zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

4

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision der Klägerin, die im Anschluss an eine entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung insgesamt zulässige Berufung ausschließlich Ansprüche unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung der Klägerin zum Gegenstand hat, hat Erfolg. Die von der Klägerin vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde war von Anfang an gegenstandslos. Die Klägerin hat ihr Begehren auch in den Vorinstanzen nicht auf kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche gestützt. Die Zulassungsentscheidung des Berufungsgerichts und der Angriff der Revision erfassen sämtliche im Rechtsstreit anhängig gemachten Ansprüche.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Die Klägerin habe die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet. Es fehle an berücksichtigungsfähigem, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestütztem Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens der für sie handelnden Repräsentanten verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht erwogen, dass eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Repräsentanten indiziert wäre, wenn eine im Fahrzeug der Klägerin verbaute Einrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivierte (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 - VII ZR 602/21, juris Rn. 15 und 25; Beschluss vom 20. April 2022 - VII ZR 720/21, juris Rn. 25; Beschluss vom 21. September 2022 - VII ZR 471/21, MDR 2022, 1340 Rn. 10). Es hat jedoch greifbare Anhaltspunkte für eine solche von der Klägerin behauptete Funktionsweise nicht festzustellen vermocht. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

Die Einwände der Revisionserwiderung führen zu keiner anderen Beurteilung. Sie geben dem Senat weder Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens abzugehen, noch - wie von der Revisionserwiderung gefordert - ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 27 ff.).

III.

Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Menges     

      

Möhring     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 1643/22

25.09.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Stuttgart, 8. November 2022, Az: 24 U 1091/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.09.2023, Az. VIa ZR 1643/22 (REWIS RS 2023, 7465)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7465

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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III ZR 303/20

III ZR 267/20

VII ZR 471/21

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